Es scheint im Klimaschutz gerade ein neuer Begriff modern zu werden – Kolumnistin Nunu Kaller sieht das nicht unkritisch.
Letztens war ich bei einem Nachhaltigkeitsevent eingeladen, es war klein, fein und im Publikum saßen lauter engagierte Menschen, die sich in ihrer Umgebung für Nachhaltigkeit einsetzen. Es wurden sinnvolle Projekte vorgestellt und prämiert, und den Menschen war ihr Wunsch nach echtem und mehr Engagement anzumerken. Schöne Sache!
- Kennst du schon?: Nikolauswünsche
Bei diesem Event fielen mehrfach die Worte „konsumfreie Zone“. Das löst gerade bei Klimaschützer:innen positive Reaktionen aus – und das auch zu Recht. Das Leben wird für immer mehr Menschen immer schwerer finanzierbar, seit der Inflation durch den Ukraine-Krieg können sich auch hier in Wien viele nicht mehr leisten, ihre Wohnung warm zu halten. Im Sommer hingegen gelingt es angesichts des Rekordanstiegs an Tropennächten – also Nächte, in denen die Temperatur nicht unter 20 Grad fällt und der Asphalt in der Stadt sich nicht mehr abkühlen kann – kaum noch, die Wohnungen so weit abzukühlen, dass erholsamer Schlaf möglich ist.
In der Stadt sind wir außerdem umgeben von Konsumangeboten. Wohin man nur schaut, kann man Geld ausgeben, an vielen Plätzen muss man das sogar tun, um sich dort aufzuhalten. Im Kaffeehaus, im Schanigarten, im Fitnesscenter zum Beispiel. Doch de facto sind nicht einmal Wohnungen konsumfreie Zonen, man zahlt beispielsweise Miete, Betriebskosten, Strom und Gas.
Begriffliche Diskursverschiebung
Der Begriff der konsumfreien Räume stammt aus der linken Szene. Viele Menschen wurden durch solche Räume manchmal effektiv vor Obdachlosigkeit geschützt. Inzwischen nutzen Leute diesen Begriff, die weit entfernt von der Gefahr sind, obdachlos zu werden. Er hat in die Stadtplanung und den Klimaschutz Eingang gefunden, und das ist mir auf dem Event letztens so richtig klargeworden – hier findet gerade eine Diskursverschiebung statt.
Einerseits finde ich das gut, dieses Konzept weiteren Bevölkerungskreisen anzubieten. Menschen brauchen die Möglichkeit, sich zu wärmen oder abzukühlen, wenn es in ihrem normalen Lebensumfeld nicht geht, ohne dazu gezwungen zu sein, Ressourcen dafür herzugeben.
Schon wieder Identifikation über den Konsum
Andererseits stößt es mir aber irgendwie auch negativ auf. Nicht die konsumfreien Räume an sich, die können ja nix dafür, sondern die Art, wie dieser Begriff inzwischen so viel genutzt wird – und überhaupt der Begriff an sich. Seit Jahren rufe ich dazu auf: Wir müssen aufhören, uns selbst über unseren Konsum und uns als Zielgruppe der Konsument:innen zu identifizieren. Und auch wenn es bei diesen Räumen um das Gegenteil geht, so werden sie doch wieder über den Konsum an sich definiert. Das muss doch auch anders gehen.
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Warum mir die Nutzung des Begriffs „konsumfreie Räume“ so widerstrebt, konnte ich erst nach langen Gesprächen mit verschiedenen Freund:innen genauer greifen. Im Zug eines dieser Gespräche fiel ein weiterer Begriff: „ethisches Kapital“. Ethisches Kapital ist per definitionem der kollektive Wert, der sich aus dem Engagement einer Organisation oder eines Unternehmens für Ethik und verantwortungsvolles unternehmerisches Handeln ergibt. An sich ist das ja was Gutes – aber es beinhaltet auch eine große Gefahr des Virtue Signallings. Das bedeutet, moralische Werte überzubetonen, also die eigene moralische Überlegenheit zu signalisieren, ohne dass mehr als nur die Aussage selbst dahinterliegt. „Schaut, wie toll wir sind, wir sorgen für konsumfreie Räume!“ kann zum Selbstzweck werden.
Stadtplanerisch einfach nur ein Trend?
Ich sehe da einen stadtplanerischen Trend beginnen und hoffe, dass die Kommunikation dazu nicht sich selbst überholt und „konsumfreie Räume“ zu einem Tool macht, das Image derjenigen, die sie anbieten, aufzubessern. Durch konsumfreie Räume, in denen man sich von den Extremtemperaturen, die der Klimawandel mit sich bringt, erholen kann, darf die Politik sich nicht aus der Verpflichtung schleichen, grundsätzliche und vorausschauende Maßnahmen im Kampf gegen diese Katastrophe namens Klimaveränderung zu beschließen.
Und das mit dem ethischen Kapital, das werde ich in Zukunft genauer beobachten.
Nunu Kaller schreibt alle zwei Wochen eine Kolumne zum Thema Nachhaltigkeit. Alle Texte findet ihr auch in ihrem Autor:innenprofil.
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Infos und Quellen
Quellen
Ethics Monitor: Ethisches Kapital
Faster Capital: Ethisches Kapital Ein neues Paradigma fuer Unternehmenswachstum
Falter: Wenn Wien nur 1,8 km lang ist: Zwei Schülerinnen führen uns durch ihre Stadt