Für den britischen Zoologen Arik Kershenbaum ist die Evolution ein Naturgesetz, das die Entstehung von Leben überall im Universum regelt. Was bedeutet das?
Wie könnte extraterrestrisches Leben, das komplexer ist als Einzeller, aussehen? Dieser Frage nähert sich der Zoologe Arik Kershenbaum zugleich wissenschaftlich und spielerisch an. Geleitet wird er von der Überzeugung, dass im All nicht nur die universellen Gesetze der Physik und Chemie gelten, sondern auch die der Biologie. Im Interview mit der WZ erläutert er, was er damit meint.
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Was ist Ihre Sicht als Zoologe: Sind wir allein im Universum?
Allein in unserer Galaxie gibt es mindestens 50 Milliarden Planeten, von denen zahlreiche in einer Zone um ihren Heimatstern kreisen, in der Leben möglich wäre. Zudem scheint es, dass die Entstehung von Leben nicht schwierig ist, immerhin trat es auf der Erde ziemlich schnell auf den Plan. Unser Planet ist 4,5 Milliarden Jahre alt und die ersten Spuren von Leben gab es vor rund 3,5 Milliarden Jahren. Daher denke ich, dass es Leben auf anderen Planeten gibt. Die Frage ist bloß, was in diesem Zusammenhang mit “allein” gemeint ist. Wären wir allein, wenn auf anderen Planeten Bakterien leben würden?
Selbst wenn es auf anderen Planeten von Bakterien wimmeln würde, würden wir uns wahrscheinlich trotzdem einsam fühlen.
Dann geht es bei der Frage, ob wir allein im Universum sind, darum, ob es jemanden da draußen gibt, mit dem wir reden können, und sie wird schwierig zu beantworten sein.
Probieren wir’s! Ihr Buch „Ein Naturführer durch den Kosmos” ist kürzlich auf Deutsch erschienen. Sie argumentieren, dass die Evolution ein Naturgesetz ist, welches die Entstehung von Leben überall im Kosmos regiert. Was bedeutet das? Sehen Außerirdische so aus wie wir Erdlinge?
In der Biologie lässt sich nicht exakt vorhersagen, was genau passieren wird. Kein biologisches Gesetz gibt mit Sicherheit an, wie sich etwas entwickeln wird, denn es kann jederzeit ein anderer Selektionsschritt eintreten. Ganz anders ist es in der Physik. Das Gesetz der Schwerkraft etwa ist verlässlich und wir können immer darauf vertrauen: Wenn ich den Ball fallen lasse, landet er am Boden. Die Biologie hingegen ist komplizierter. Hier lassen sich nur generelle Prognosen machen. Man kann nicht präzise vorhersagen, wie eine Lebensform in jedem Detail beschaffen sein wird. Vielmehr schränkt die Evolution die Möglichkeiten ein, wie etwas beschaffen sein kann. Das Naturgesetz der Evolution erlaubt dem Leben, auf eine bestimmte, aber nicht auf eine andere Weise zu entstehen.
Können wir zumindest ansatzweise vorhersagen, welches Leben im All entstehen könnte?
Wir können gewisse Dinge vorhersagen. Eine Voraussetzung ist, dass es Wettbewerb geben muss. Es muss manche Individuen geben, die erfolgreicher sind als andere, weil sie beschränkte Ressourcen besser für sich nutzen können. Eine wichtige Ressource ist Energie. Wo Leben entsteht, steht es im Konkurrenzkampf um Energie. Bäume etwa beschatten andere Bäume - schneller wachsende haben daher einen Vorteil. Andere Organismen rauben wieder anderen Energie, indem sie sie fressen oder parasitär befallen. Das ist fundamental in der Evolution. Es gibt kein komplexes Ökosystem mit unterschiedlichen Organismen —Tiere, Pilze, Flechten, Pflanzen — ohne diesen Wettbewerb in Form von Jagd, Schmarotzertum, Ausbeutung oder Kooperation.
Lässt sich annehmen, dass alle Lebewesen überall so etwas wie Beine, Flossen oder Flügel haben, um sich fortzubewegen?
Die Bewegung ist durch die Physik beschränkt. Sie werden keinen Planeten finden, dessen Tiere sich gegen die Gesetze der Physik bewegen. Hier auf der Erde etwa hängt die Art der Bewegung von den Herausforderungen ab, die uns die Physik unseres Lebensraums präsentiert — also ob es darum geht, sich durch eine Flüssigkeit, ein Gas oder auf festem Boden zu bewegen. Beine sind eine einfache Lösung für Bewegung auf festem Boden und Beschleunigung durch Kraft, indem nur einige kleine Punkte des Körpers Bodenkontakt haben – eine körperliche Lösung für ein simples physikalisches Problem, wobei die Gelenke die Hebel sind. Und da die Hebelwirkung in der Mechanik grundlegend ist, ist damit zu rechnen, dass diese Form der Fortbewegung überall zu finden ist.
Heißt das auch, dass alle Beine überall gleich aussehen?
Nicht unbedingt, es gibt ja auch verschiedenartige Beine auf der Erde, da sie immer wieder neu evolviert und neue Lösungen entstanden sind. Genau das könnte auch auf anderen Planeten passieren.
Science-Fiction-Filme bieten viele Lösungen, von E.T. mit seinen kurzen Beinen über die großen schlanken Freaks in "Mars Attacks” bis hin zu den verschiedenen Kreaturen, die der Besatzung von “Raumschiff Enterprise” im Kosmos begegnen. Wie realistisch sind diese Bilder?
In vielen Fällen ergeben sich diese Ideen auch aus den Möglichkeiten der Filmindustrie. "Raumschiff Enterprise” aber dreht sich nicht um Aliens, sondern um Menschen. Wir wollen, dass die Außerirdischen menschenähnlich sind, damit wir uns mit ihnen identifizieren können. Ihre Geschichten erlauben uns, unsere eigenen Themen auszuloten, etwa Kolonialismus, Rassismus oder die Art und Weise, wie Gesellschaften zusammenleben oder einander bekämpfen. Ich denke, dass diese Figuren absichtlich mit bestimmten Charakteristika kreiert wurden. Realistisch sind die Beine, die sich wohl überall entwickeln würden.
Zurück zur Evolution: Auf der Erde gab es fünf große Massenaussterben. Etwa sorgten vor 250 Millionen Jahrgewaltige Vulkan-Aktivitäten für einen enormen globalen Temperaturanstieg und für einen vulkanischen Winter: Erst war es zu kalt, dann zu heiß und am Ende starben 80 bis 90 Prozent aller damals lebenden Tierarten aus. Vor 66 Millionen Jahren beendete ein Meteoriteneinschlag die Dominanz der Dinosaurier und mit ihnen starben 75 Prozent der Arten aus. Ohne diese Ereignisse hätte sich das Leben auf der Erde anders entwickelt. Wenn wir zu den Exoplaneten schauen, bieten sie andere Bedingungen als die Erde. Manche Planeten sind in ewige Nacht getaucht, auf anderen scheint immer die Sonne, und auf wieder anderen hagelt es ununterbrochen Eisbrocken. Als etwas lebensfreundlicher gelten Saturn-Monde wie Enceladus und Titan, wo es unterirdische Ozeane gibt. Könnte sich ein Leben ohne Sauerstoff und Licht anders entwickeln?
Auch hier ist zwischen Leben und komplexem Leben zu unterscheiden. Bakterien und Mikroben sind wahrscheinlich weit verbreitet und könnten viele Formen annehmen. Ob sie zu komplexem Leben werden, ist eine andere Frage, vielleicht ist komplexes Leben nur auf wenigen Planeten möglich. Ein Problem mit dem Saturnmond Titan ist seine Oberflächen-Temperatur von minus 200 Grad, bei der alle chemischen Reaktionen sehr langsam stattfinden. Daher würde es vielleicht sehr lang dauern, bis auf einem solchen Himmelskörper Leben evolviert. In den Unterwasser-Ozeanen der beiden Monde könnte sich hingegen sehr wohl komplexes Leben bilden, denn diese Wasserreserven haben viele Gemeinsamkeiten mit der jungen Erde. Wir nehmen an, dass es in diesen Seen dunkel ist, solche Organismen also kein Licht benötigen, um sich zurechtzufinden. Wenn es in den Unterwasserwelten aber phosphoreszierende Objekte gibt, die Licht abstrahlen, wäre es wieder anders. Eine Frage ist auch, wie man in einem unterirdischen Ozean das Universum wahrnehmen würde. Unsere Vorfahren konnten von Beginn an in die Sterne schauen — diese Organismen können das nicht. Sie würden daher vielleicht nie dahingehend evolvieren, um über die Natur des Universums nachzudenken.
Um darüber nachzudenken, wie unser Kosmos beschaffen sein könnte, benötigen wir Bewusstsein, Vorstellungskraft und vielleicht ein Konzept von Sinnhaftigkeit. Wie entwickelten sich diese Fähigkeiten?
Wir wissen nicht, warum es 3,8 Milliarden Jahre gedauert hat, bis Menschen auf der Erde Vorstellungskraft, ein Konzept des Selbst, Introspektion und eine Wort-Sprache entwickelt haben, das in dieser Form weitgehend einzigartig ist. Aber ist diese Zeitspanne in kosmischen Dimensionen langsam oder schnell? Wir können das erst messen, wenn wir vergleichbare Zivilisationen finden.
Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, zwei Zivilisationen zu finden, die sich zugleich im selben Entwicklungsstadium befinden und einander kontaktieren können?
Manche Forscher sind der Ansicht, dass das unwahrscheinlich ist, da Himmelskörper verschiedene Entwicklungsstadien durchlaufen und sowohl die Zeitunterschiede als auch die Distanzen zu groß sind, als dass zwei Zivilisationen im gleichen Stadium zeitgleich nahe genug beieinander leben, um einander zu kontaktieren. Wir wissen ja nicht, wie lang Zivilisationen existieren, vielleicht entstehen sie laufend und zerstören sich selbst. Eine aus heutiger Sicht durchaus nachvollziehbare Annahme ist, dass technologisierte Zivilisationen eher schnell aussterben – der selbst verursachte Klimawandel könnte uns schon in 200 Jahren töten. Allerdings ist offen, wie lange wir leben würden, wenn wir aufhören könnten, das Klima kaputt zu machen und anfangen würden, friedlich im Einklang mit der Natur zu leben. Wären wir dann Milliarden von Jahren da? Es gibt eine Denkrichtung, dass wir Zivilisationen, die weit fortgeschrittener sind als wir, gar nicht mehr kontaktieren könnten, weil sie jenseits dessen leben würden, was wir als Bewusstsein kennen.
Warum rufen die uns nicht an?
Bei bis zu 50 Milliarden Planeten allein in der Milchstraße ist es wahrscheinlich, dass Leben auf zahlreichen von ihnen entstanden ist, soeben entsteht oder entstehen wird. Auch technologisierte Zivilisationen wie unsere werden wohl existieren. Werden sie sich je zeitlich überschneiden? Das ist die große Frage. Sicher ist aber, dass wir erst seit 100 Jahren in einer kleinen Wellen-Bandbreite Funksignale in einen schmalen Streifen des Himmels senden, da unsere Antennen je nach Ausrichtung immer nur auf kleine räumliche Fenster gerichtet sind. Extraterrestrische Kommunikation ist nämlich ein Riesen-Aufwand und wir haben nicht das Geld, um in jede Ecke des Alls zu senden Auch das könnte erklären, warum wir noch nichts gehört haben. Wenn jede Zivilisation funkt, aber nach 100 Jahren aufgibt, kann kein Gespräch zustande kommen!
Vielleicht sind wir aber auch taub für extraterrestrische Wellenlängen oder nicht in der Lage, sie zu empfangen.
Gehen wir einmal davon aus, dass superintelligente Aliens denselben physikalischen Gesetzen unterliegen wie wir und keine seltsamen Signale schicken, die wir grundsätzlich nicht empfangen könnten; das ist eine akzeptable Annahme. Sie könnten ihre Signale jedoch aus einer anderen Richtung des Nachthimmels auf einer anderen Frequenz senden als wir.
Stephen Hawking warnte davor, Außerirdische überhaupt zu treffen. Er hegte die Befürchtung, dass sie uns gefährlich werden könnten. Da sie auf ihrem Planeten alle Rohstoffe verbraucht hätten, würden sie nomadenhaft durchs All mäandern und wie Piraten die Erde kapern und ihrer Ressourcen berauben, indem sie uns die gesamte Energie der Sonne stehlen. Science-Fiction oder möglich?
Ich bin ein großer Fan von Science-Fiction und den Möglichkeiten, die sie uns bietet, um über uns selbst nachzudenken, aber diese Idee halte ich für absoluten Unsinn und ein unglückliches Vermächtnis. Science-Fiction ist vor dem Hintergrund des kolonialistischen und imperialistischen Gedankenguts des Kalten Krieges entstanden. Damals ging es darum, dass die Aliens kommen, um uns zu unterwerfen und unsere Ressourcen zu stehlen. Doch es gibt mindestens fünf Gründe, warum dies sehr unwahrscheinlich ist. Erstens würde jede außerirdische Zivilisation, die des interstellaren Reisens mächtig ist, unsere Energie nicht benötigen. Interstellares Reisen ist so unglaublich schwierig, dass, wer es beherrscht, uns nicht benötigt und uns auch nicht fressen müsste, weil er Nahrung aus eigenen Energiequellen erzeugen könnte. Weiters ist es äußerst wahrscheinlich, dass eine derart gewalttätige, aggressive, kriegerische Zivilisation nicht überleben würde. Auf der Erde lernen wir, dass eine habgierige, verbrauchende Gesellschaft frühe Technologisierungsschritte nur schwer überschreiten kann. Zivilisationen, die den tödlichen Kreislauf, in dem wir uns durch unsere selbst geschaffene Erderwärmung genau jetzt befinden, überleben, haben gelernt, ihre eigene Existenz auf eine Art und Weise zu managen, die weniger zerstörerisch ist als wir derzeit. Noch ein Argument gegen Stephen Hawking ist, dass jede Zivilisation, die in der Lage ist, durchs Weltall zu reisen, viel sensiblere Instrumente als wir hätte und unsere Signale auffangen könnte, selbst wenn wir nicht das gesamte Universum beschallen. Sie müsste wissen, dass es uns gibt, denn wir schreien ja dauernd “hier!”. Nur unsere Physik hat noch nicht verstanden hat, wie interstellares Reisen funktioniert.
Gibt es mikrobielles Leben nahezu überall?
Ich habe keinen Zweifel, dass die Mehrheit der bewohnbaren Planeten im Universum mikrobielles Leben beherbergt. Wir wissen nicht, was komplexes Leben auslöste und wie es sich gebildet hat; möglicherweise lag es an einer Kombination und Abfolge von stabilen Umweltverhältnissen und radikalen Veränderungen, die den Anstoß zu Innovationen gaben. Aber einfaches Leben in Zellen muss zuerst kommen, und ich denke, dass es das nahezu überall gibt.
Wie kommt ein Zoologe, der das Leben auf der Erde studiert, zu Aliens?
Ich beforsche hauptberuflich die Kommunikation von Tieren. Ein Kollege aus dem Fachgebiet der Weltraumforschung mit einem Interesse an der Kommunikation von Aliens trat an mich heran mit dem Anliegen, unser Wissen über Tier-Kommunikation zu nutzen, um Aussagen darüber treffen zu können, wie Außerirdische kommunizieren. Wenn Menschen, Delfine, Vögel und andere Tiere gewisse Grundzüge der Kommunikation mit Aliens teilen, könnten wir auch andere Dinge gemeinsam haben.
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Infos und Quellen
Genese
WZ-Redakteurin Eva Stanzl interessiert sich seit vielen Jahren für Planeten außerhalb unseres Sonnensystems und die Frage, ob es Leben auf ihnen geben könnte. Sie hat zahlreiche Geschichten zum Thema recherchiert und Expert:innen im Fachgebiet der Astronomie befragt, um Einsichten zu gewinnen. Den Zugang eines Zoologen, und somit die Sicht der Biologie auf mögliches Leben im All, fand sie besonders bereichernd.
Gesprächspartner
Arik Kershenbaum ist Zoologe, Hochschuldozent und Fellow am Girton College der britischen Universität Cambridge. In seinem Forschungsalltag erforscht die Kommunikation von Tieren. Dazu folgte er dem Heulen der Wölfe im Yellowstone-Nationalpark, studierte die Pfiffe von Delfinen im Roten Meer und zeichnete die Gesänge von Klippschliefern in Galiläa auf, um die Bedeutung ihrer Laute zu entschlüsseln. Auf der Basis dieses Wissens möchte er Aussagen darüber treffen, wie Außerirdische kommunizieren könnten. Sein Buch “Ein Naturführer durch den Kosmos” ist kürzlich im auf Deutsch erschienen Arik Kershenbaum ist Mitglied des internationalen Beratungsgremiums zum Thema Kommunikation mit extraterrestrischer Intelligenz namens METI.org.
Daten und Fakten
Ein Exoplanet (extrasolarer Planet) ist ein planetarer Himmelskörper außerhalb des gravitativen Einflusses unserer Sonne. Extrasolare Planeten gehören also nicht dem Sonnensystem, sondern anderen Planetensystemen an. Die erste bewiesene Entdeckung eines Exoplaneten in einem Orbit um einen Stern ähnlich der Sonne wurde 1995 von Michel Mayor und Didier Queloz am Departement für Astronomie der Universität Genf gemacht. Mit Stand 3. Juni 2023 waren 5.389 Exoplaneten in 3.980 Systemen bekannt. Eine wichtige Motivation bei der Suche und Untersuchung von Exoplaneten ist die Möglichkeit, ihre Bewohnbarkeit abzuschätzen.
Quellen
"Ein Naturführer durch den Kosmos", Arik Kershenbaum, Matthes & Seitz Berlin, 351 Seiten, 2023.
Das Thema in der Wiener Zeitung
Das Thema in anderen Medien
Spektrum der Wissenschaft: Was Erdlinge über Aliens verraten
Darwin College Lecture Series auf Youtube: “Are we alone in the universe?” - Dr Arik Kershenbaum, University of Cambridge