Klimakrise, unleistbare Wohnungen, und dann muss auch noch der Lebenslauf perfekt sein. Das Leben junger Menschen steckt voller Schwierigkeiten. Wie sie trotzdem ein erfülltes Leben führen können, erklärt die Glücksforscherin Maike van den Boom.
Maike van den Boom forscht seit über zehn Jahren nach dem Glück, ist Bestsellerautorin und Unternehmensberaterin. Vor fünf Jahren zog sie nach Schweden und lebt seither die skandinavische Kultur – eine Kultur, die auch ohne Druck erfolgreich ist. Ein Gespräch über Klarheit im Leben, E-Mails am Abend und wann es wichtig ist, seinem CEO zu widersprechen.
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Frau van den Boom, wir leben in einer Zeit der Krisen mit Coronapandemie, Ukrainekrieg und ständig steigenden Lebenshaltungskosten. Hat uns das Glück verlassen?
Nein, das Glück hat uns nicht verlassen. Schauen wir uns all die Generationen vor uns an, die hatten noch größere Probleme als wir. Krisen sind normal und gehören zum Leben dazu. Sie sind auch kein großes Drama, wenn wir auf eine gute Art und Weise mit ihnen umgehen.
Wie kann man mit Krisen auf eine gute Art und Weise umgehen?
Wenn du negativ bist, siehst du keine Lösungen. Das heißt, gerade dann, wenn es hart ist, gerade dann musst du aufstehen, gerade dann musst du rausgehen, dir positive Erlebnisse erschaffen, um der Krise etwas entgegenzusetzen. Wenn du positiv bleibst, dann redest du mit mehr Menschen und erhältst Vorschläge und Inputs von ihnen. Dann siehst du mehr Lösungen, dann geht es dir auch besser. Und wenn es dir besser geht, dann geht es deiner Familie besser, dann geht es auch deinen Kollegen besser. Es ist nicht schlau, wenn wir in die nächste Bar gehen und miteinander jammern, weil uns das Energie entzieht. Die Energie brauchen wir aber gerade jetzt. Negativ sein ist einfach, positiv sein ist hingegen anstrengend. Menschen, die positiv denken, werden oft als naiv belächelt. Doch Menschen, die positiv denken, geben sich viel Mühe.
Mehrere Studien zeigten zuletzt, dass vor allem junge Menschen durch die heutigen Krisen leiden und unter Stress stehen. Dabei befinden sie sich ohnehin in einer Lebensphase voller Herausforderungen. Sie ziehen aus ihrem Elternhaus aus mit dem Ausblick auf unleistbare Wohnungen, sie gehen an die Uni und verlieren sich in einer Überzahl an Fächern und dann geht vielleicht auch noch ihre Beziehung in die Brüche. Wie können sie einen Weg finden für ein erfülltes Leben?
Ich habe großen Respekt vor dieser Generation, weil sie in einer Stromschnelle groß wird. Du kannst heute etwas studieren und morgen ist es hinfällig, weil die Künstliche Intelligenz dir den Job wegnimmt. Es hilft aber, auf sich selbst zu schauen und deinen persönlichen Weg zu finden. Da gibt es viele Tipps, das wäre meiner: Nehmt Schere und Zeitschriften in die Hand oder erstellt ein Moodboard auf Pinterest und bastelt eine Collage über euch selbst. Stellt euch Fragen, zum Beispiel: Was will ich? Was kann ich? Wo will ich hin? Was ist mir wichtig? Welches Geschenk habe ich für die Welt? Schneidet Bilder und Texte aus, die zu euch passen und die diese Fragen beantworten. Damit bekommt ihr Klarheit über euch, damit wisst ihr, ob ihr noch auf dem richtigen Weg seid. Es hilft auch, im täglichen Leben darauf zu achten, was Energie gibt oder entzieht. Richtet euer Leben danach aus. Dann seid ihr leistungsfähiger und habt auch noch Spaß dabei.
Die Anforderungen an junge Menschen steigen. Der Lebenslauf muss schon gut gefüllt sein, bevor das Arbeitsleben überhaupt so richtig losgeht. Wie gut ist gut genug?
Der Lebenslauf ist nicht das Entscheidende. Ihr habt vielleicht ganz andere Qualitäten, die heutzutage viel wichtiger sind. Vielleicht seid ihr ein verbindendes Element. Mit euch im Raum kehrt Ruhe ein, weil ihr eine ausgleichende Ausstrahlung habt. In jedem Team ist so ein verbindendes Element ein wesentlicher Baustein. Diese Menschen sind unglaublich wichtig für Unternehmen. Solche Funktionsumschreibungen haben aber keinen Platz in Lebensläufen. Deswegen ist es ja für euch so wichtig zu wissen, wer ihr seid und wer ihr nicht seid. Jeder ist gut in irgendetwas.
Viele Junge arbeiten in Teilzeit, schließlich ist es wichtig zu zeigen, dass man ein aufregendes Freizeitleben führt, für das man ganz viel Zeit braucht. Doch Teilzeitarbeit ist oftmals trügerisch. Menschen lesen ihre Emails in der freien Zeit, arbeiten heimlich am Abend, weil sie ein schlechtes Gewissen haben, zu wenig zu arbeiten. Welche Voraussetzungen sind notwendig, damit Teilzeit nicht zu Ausbeutung wird?
In Skandinavien lesen wir auch unsere Emails am Abend. Im Gegenzug dazu können wir um 12 Uhr eine Runde joggen gehen. Es ist ein Geben und Nehmen. In Arbeitszeit zu denken, greift zu kurz – als ob wir in einer bestimmten Stundenanzahl produktiver wären, als wenn wir zwischendurch unsere Kinder abholen und uns danach wieder hinsetzen. Wenn du jetzt deinen Artikel schreiben willst und du bist gestresst oder hast gerade eine Blockade, dann vergiss es. Dann mach was anderes und schreibe den Artikel, wenn dein Kopf frei ist. Dann hast du den Artikel in einer Stunde runtergeschrieben, anstatt darüber vier Stunden zu brüten und nicht weiterzukommen. Das heißt, es spricht überhaupt nichts dagegen, am Abend eine Email zu schreiben. Im Gegensatz dazu musst du aber auch einmal sagen können, ich gehe eine Stunde früher.
Bei all der Belastung soll man auch noch frisch und motiviert in der Früh aufstehen. Was ist nötig, um glücklich in den Tag zu starten?
Es hilft, sich in der Früh mal fünf Minuten hinzusetzen und zu überlegen, was gut läuft und worauf du stolz sein kannst. Dem sind keine Grenzen gesetzt. Das kann sein, dass du eine wunderbare Tochter hast, mit der du dich gut verstehst. Es kann sein, dass die Sonne scheint und der Kaffee gut schmeckt. Das kann sein, dass neben dir dein Traumpartner liegt oder eben niemand. Das kann auch sehr grundsätzlich sein: Uns geht es wirklich gut, im Vergleich zu vielen anderen Ländern.
In Skandinavien gibt es die innovativsten Unternehmen mit den glücklichsten Mitarbeitern, zu dieser Erkenntnis kommt der jährlich erscheinende World Happiness Report. Was machen die Länder im Norden besser?
Der Mensch steht hier im Mittelpunkt mit all seinen Stärken und Schwächen, mit all seinen Macken. Es wird sehr viel Rücksicht genommen, weil Menschen nur ihr Bestes geben können, wenn es ihnen gut geht. Scheitern und Fehler gehören in Skandinavien einfach dazu. Richtig oder falsch ist nicht so wichtig, das lernt man schon in der Schule. Es ist wichtiger, dass jeder seine Meinung hat, die auch eingebracht wird. Denn nur wenn alle mitdenken, bekommen wir das beste Resultat. Du kannst auch deinem CEO widersprechen, weil du zum Beispiel als Kundenbetreuer andere Erfahrungen gemacht hast. Dieser Austausch auf Augenhöhe ist für das Unternehmen sehr wertvoll. Und für das Glück immens wichtig.
In Ihrem Buch „Acht Stunden mehr Glück“ umschreiben Sie die Gesellschaftswerte im Norden mit „Traue dich, kümmere dich, fokussiere dich“. Was hat es damit auf sich?
Die Warum-Frage ist essenziell im Norden. Die Skandinavier hinterfragen alles und das dürfen sie auch. Und das ist gut so, weil sie sich dadurch ständig weiterentwickeln. Wenn du lernst, dass Fragen stellen okay ist, dass Fragen dich weiterbringen und dass es keine peinlichen Fragen gibt, dann traust du dich auch mehr, weil wir im schlimmsten Fall schlauer geworden sind, weil wir gesehen haben, dass etwas nicht funktioniert. Und vor allem: Wenn wir das schon immer so gemacht haben, dann wird es Zeit, dass wir es einmal anders machen. Wage die Frage, denn nur so entsteht Neues.
Worauf freuen Sie sich heute noch?
Ich freue mich darauf, dass ich meine Sockelleisten fertig anmalen werde.
Vielen Dank für das Gespräch!
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Infos und Quellen
Genese:
WZ-Redakteur Bernd Vasari reiste im März nach Madagaskar und traf auf Menschen, die trotz bitterer Armut nicht in Selbstmitleid verfielen. Als er wieder im reichen Wien ankam, war er sofort mit Grant und Jammern konfrontiert. Wie ist das möglich, dass Menschen, die auf die globale Butterseite gefallen sind, unglücklicher sind, als Menschen, die von der Hand in den Mund leben? Vasari machte sich auf die Suche und fand Glücksforscherin Maike van den Boom.
Gesprächspartnerin:
Maike van den Boom ist Glücksforscherin, Bestsellerautorin und Unternehmensberaterin.