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Liebe Regierung, raunz nicht, kauf!

5 Min
Nunu Kaller schreibt zweimal im Monat eine Kolumne für die WZ.
© Illustration: WZ

Diese Sache mit den immer grüneren Gesetzen hat einen Haken – der nicht für billige Fernostproduktion, sondern für die heimische Textilbranche ziemlich gefährlich ist.


Momentan sterben sie wie die Fliegen. Wer? Europäische Textilproduzent:innen. Binnen weniger Tage wurde bekannt: Das Schweizer Textilunternehmen AG Cilander, ein Vorzeigeunternehmen in der Textilproduktion, wird wohl im August 2024 schließen. 190 Angestellte an drei Standorten. Aber für solche Insolvenzen brauchen wir gar nicht über die Grenze schauen, kurz nach der Nachricht aus der Schweiz wurde bekannt, dass der heimische Dämmstoffhersteller Brucha – ja, Dämmstoffe zählen zur Textilproduktion –, seit 75 Jahren aktiv, pleite ist. Betroffen: über 500 Angestellte. Bereits im November erklärte die Wiener Modekette Jones, dass sie insolvent sei – zum zweiten Mal. Betroffen: 140 Beschäftigte. Jones produziert nicht selbst, arbeitet aber viel mit europäischen Produzenten, in Osteuropa, in Italien.

Die Gründe sind vielfältig: Durch die Inflation und die steigenden Energiepreise ist nicht nur die Kauflust der Einzelnen ordentlich zurückgegangen, sie bedingen auch massiv erhöhte Produktionskosten. Man braucht kein/e fertig studierte/r Betriebswirtschaftler:in sein, um zu sehen: Das kann sich auf Dauer nicht ausgehen. Die täglich neuen Insolvenzen, die auf der Website des KSV1870 veröffentlicht werden, lesen sich stellenweise wie ein Who's-who der heimischen produzierenden Industrie.

Schmutzige Textilproduktion

Die globale Textilproduktion ist ein verdammt großer Player in Sachen Umweltverschmutzung und Antreiben des Klimawandels. Je regionaler, desto besser – sowohl aufgrund der Entfernungen als auch aufgrund der stärkeren Regularien in Europa –, ist die einfache Gleichung. Und klar ist die Freude groß, wenn die EU immer weitere Schritte für eine grünere Textilindustrie bekanntgibt. Keine Frage, da finden gerade gute Entwicklungen statt – es gibt eine EU-Textilstrategie, es gibt hoffentlich (Deutschland! Reiß dich z’amm!) bald ein Lieferkettengesetz, es gibt die strenger werdende ESG-Berichterstattung – mehr Unternehmen als früher werden verpflichtet, Nachhaltigkeitsberichte abzuliefern. Alles Schritte, die ich in meinen über zehn Jahren als Aktivistin in dem Bereich gefordert und gefeiert habe.

Nach Feiern ist mir derzeit nicht mehr so sehr. Meinen ersten Aha-Moment hatte ich im vergangenen Jahr, als ich mit Eva-Maria Strasser telefonierte, der Fachverbandsgeschäftsführerin Textil in der WKO. Sie äußerte sich sehr kritisch zu genau diesen gesetzlichen Entwicklungen und meinte: „Das ist der endgültige Todesstoß für die europäische Textilindustrie, es wird sich alles nach China verschieben.“ Ich hielt das damals für ein bisschen zu pessimistisch und naja, WKO halt. Wie immer: Führend in Sachen Klimaschutz ist die WKO jetzt nicht zwingend, warum also in diesem Bereich.

Inzwischen ist das von ihr angekündigte Industriesterben losgegangen. Und ich muss Frau Strasser recht geben, auch wenn es weh tut – eben weil ich die gesetzlichen Entwicklungen für sehr gut halte. Doch woran hakt das Ganze eigentlich? Da ist doch irgendwo ein Knopf im System!

Regierung könnte regional kaufen

Überlegen wir es uns mal durch: Regierungen machen Regeln. An die sich Textilproduzent:innen halten müssen. Regierungen könnten aber auch verdammt umfangreiche Bestellungen bei diesen Textilern abgeben – schließlich müssen alle Polizist:innen, das Bundesheer, Vertreter:innen öffentlicher Verwaltung eingekleidet werden, es braucht große Mengen Textil in Krankenhäusern, in Schulen und ja, sogar die Vorhänge in Ministerien könnten von heimischen Produzent:innen kommen. Aber: Sie tun es so gut wie nicht. Dabei gibt es sogar bereits die Strukturen – seit 1997 gibt es die Bundesbeschaffungs GmbH, die zu 100 Prozent der Republik gehört und in der die Effizienz und Wirtschaftlichkeit der öffentlichen Beschaffung für die Bundesverwaltung verbessert werden. Zusätzlich gibt es seit 2010 einen Aktionsplan für nachhaltige öffentliche Beschaffung (NaBe).

Hach, ein Aktionsplan. Lieb. Aktionspläne gibt’s, wenn alle sagen, pfoah, super, müssen wir machen – aber es dann keiner macht, weil sie rechtlich eh nicht bindend sind (hat hier jemand gerade „Lippenbekenntnis“ gesagt?). Und der Aktionsplan verschwindet dann nach einer hocherfolgreichen Präsentation vor ein paar Journalist:innen wieder in der unteren Schreibtischlade. Beim NaBe gibt es zumindest immerhin eine gut aufbereitete Website, die einen Überblick gibt, wo man bestellen könnte und welche Kriterien es gibt. Aber der Aktionsplan heißt eben nicht: Alle Bestellungen in der öffentlichen Verwaltung MÜSSEN den NaBe-Regeln entsprechen.

Nachholbedarf bei Nachhaltigkeit

Claus Bretschneider, Textilunternehmer und bekannter Berater in der Textilbranche, hat auch so seine Probleme mit diesem „NaBe“: „Auf der Website dieser Initiative können die nachhaltigen Beschaffungskriterien für die unterschiedlichsten Beschaffungsbereiche, darunter auch Fahrzeuge und Textilien, nachgelesen werden. Bei Betrachtung eben dieser Kriterien wird offensichtlich, dass bezüglich der nachhaltigen Beschaffungsziele ein großer Nachholbedarf besteht und sowohl bei Fahrzeugen als auch bei Textilien Kriterien wie Kreislauffähigkeit oder Rezyklat-Anteile gänzlich fehlen.“ Heißt: Schön, dass es diesen Beschaffungsplan gibt, aber der ist in manchen Belangen nicht sinnvoll ausgeführt. Und die Umsetzung? Beim Bundesheer beispielsweise ist mir bekannt, dass sie über einen Zwischenhändler größtenteils Ware beziehen, die in Fernost produziert wurde. Wert auf heimische Wertschöpfung wird augenscheinlich nicht gelegt.

Die öffentliche Beschaffung ist ein riesiger Hebel. Würden Ministerien und die öffentliche Verwaltung aus heimischer Produktion mit Rücksichtnahme auf nachhaltige Aspekte wie etwa Recyclierbarkeit, Chemikalieneinsatz, faire Entlohnung in der Produktion oder Langlebigkeit bestellen, wäre es für die betroffenen Unternehmen auch um einiges einfacher, sich an die immer strenger werdenden Regelungen zu halten.

Kurz: Liebe Regierungen, wenn ihr die Regeln macht, dann übernehmt bitte auch euren Teil der Verantwortung und kauft nicht selbst die China-Billigproduktion. Nur so hat die heimische Textilindustrie eine Chance, die – guten! – neuen Umweltgesetzgebungen auch wirklich umzusetzen. Weil denen die Regeln schreiben, selbst aber dort bestellen, wo es die Regeln nicht gibt, weil billiger … was soll ich sagen: Meine Nackenhaare raufen sich grad um einen Stehplatz. Geht gar nicht. Raunzts nicht, kaufts. Heimisch. Oder europäisch. Danke.


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Infos und Quellen

Gesprächspartner:innen

  • Claus Bretschneider, Textilunternehmer und Berater in der Textilbranche

  • Eva-Maria Strasser, Fachverbandsgeschäftsführerin Textil in der WKO

Daten und Fakten

  • Seit 1997 gibt es die Bundesbeschaffung GmbH – eine Einrichtung zu 100 Prozent im Besitz der Republik Österreich, die die öffentliche Beschaffung effizienter gestalten soll.

  • Auf EU-Ebene wird derzeit ein Lieferkettengesetz verhandelt – in jüngster Vergangenheit hat Deutschland Veto eingelegt, damit steht der gesamte Prozess derzeit auf der Kippe.

  • Auf der Website des Justizministeriums heißt es zum NaBe: „Der „Nationale Aktionsplan zur Förderung einer nachhaltigen öffentlichen Beschaffung“ (NaBe-Aktionsplan) setzt dem Bund bereits seit dem Jahr 2011 ambitionierte Ziele im Umwelt- und Klimaschutz und definiert Kernkriterien, die bei der Beschaffung von Produkten und Leistungen zu berücksichtigen sind.“

Quellen

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