Österreichs Parteien haben eine bunte und spannende Vergangenheit, über die heute kaum noch geredet wird. Woher kommen SPÖ, ÖVP, FPÖ, Grüne, Neos und KPÖ? Die folgende Serie wird dem auf den Grund gehen. Teil 2: die ÖVP.
Es ist rekordverdächtig: Seit 1987 ist mit der Volkspartei (ÖVP) in Österreich ein und dieselbe Fraktion durchgängig an der Regierung beteiligt. Sie stellte davor von 1945 bis 1970 den Bundeskanzler und in der Ersten Republik stammten die allermeisten Regierungschefs aus dem Lager der Christlichsozialen Partei, wie die Vorgängerorganisation der ÖVP genannt wurde.
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Unübersehbar, dass „den Schwarzen“ ein enormer Drang zur Macht innewohnt. Die ÖVP hat es immer vermocht, sich als Partei zu präsentieren, die ganz selbstverständlich den Anspruch stellt, das Land zu regieren. Dazu kommt, dass sich die bürgerliche Fraktion nach 1945 moderner positionieren konnte. Und, dass sie im Lauf ihrer Geschichte, die in das 19. Jahrhundert zurückreicht, verschiedene Interessensgruppen unter einen Hut gebracht und sich so als Sammlungspartei etabliert hat.
Wie Kreisky ÖVP-Vorstandsmitglied wurde
Sieger sein ist jedenfalls fix in der ÖVP-DNA verankert. Das verlangt dem politischen Gegner Respekt ab, fallweise führte es aber zu komischen Situationen. Wie sich der ehemalige SP-Finanzminister Ferdinand Lacina im Vorwort des Buchs „Rote Banditen” von Wilhelmine Goldmann erinnert, war im Parteistatut der ÖVP festgelegt, dass der Bundeskanzler automatisch Mitglied des ÖVP-Parteivorstands ist. Als Bruno Kreisky 1970 den Sessel des Regierungschefs erklomm, verzichtete er allerdings dankend auf diese Position. Offenbar wurde, dass es für die ÖVP denkunmöglich war, dass ein anderer als sie selbst die erste Geige spielt.
Dabei musste sich die Partei nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs von einer unrühmlichen Vergangenheit abgrenzen: Die Christlichsozialen hatten 1933 unter Engelbert Dollfuß den Weg der Demokratie verlassen. Der Kanzler nutzte eine Abstimmungspanne im Parlament und verhinderte in Folge mit Polizeigewalt, dass die Abgeordneten wieder zusammenkommen konnten. Damit war Österreichs Demokratie am Ende. Nach und nach wurden die Konkurrenzparteien verboten, nach einem kurzen Bürgerkrieg im Februar 1934 fiel auch die Sozialdemokratie. Der autoritär regierende Dollfuß versuchte, einen Ständestaat zu errichten – ein rückwärtsgewandtes Konzept, das nie verwirklicht wurde. ÖVP-Kanzler Karl Nehammer hat zuletzt die Bezeichnung „Austrofaschismus“ für das Dollfuß-Regime unter dem Vorbehalt akzeptiert, dass die Sozialdemokrat:innen damals dem „Austromarxismus“ verfallen wären.
Inhaltlich breit aufgestellt, anfällig für Streits
Der autoritäre Irrweg der Ersten Republik wurde 1945 von den Gründervätern der ÖVP klar und unmissverständlich verworfen. Die neue Partei bekannte sich eindeutig zur parlamentarischen Demokratie und hat diese Haltung nie wieder in Frage gestellt.
Allerdings gab es 1945 Kontinuitäten zur alten Christlichsozialen Partei, die sich nach 1933 selbst auflöste und in der Vaterländischen Front als einzig zugelassene Partei aufging. Zwar war Dollfuß tot und sein ebenfalls autoritär regierender Nachfolger Kurt Schuschnigg wurde im Exil belassen. Die ÖVP-Führungskader kamen aber weiter aus der Vaterländischen Front und der Christlichsozialen Partei, wie der Politologe Wolfgang C. Müller im „Handbuch des Politischen Systems Österreichs“ feststellt. Auch das Wähler:innen- Stammpublikum änderte sich vorerst nicht: Bauern und Bäuerinnen, Gewerbetreibende, Beamt:innen und Angestellte.
Niemals ohne Kirche
Eine starke Verbindung zur katholischen Kirche blieb nach 1945 ebenfalls bestehen. In der Ersten Republik wetterte der Klerus gegen „die Roten“, die Unterstützung für die Christlichsoziale Partei wurde ganz offen gelebt. Mit Ignaz Seipel war sogar ein Prälat, also ein höherer katholischer Würdenträger, zweimal Kanzler gewesen. Repräsentanten der Kirche unterstützten auch nach 1945 die Gründung der ÖVP, das kirchliche Vereinswesen diente als Vorfeld der Partei. „Ideologisch waren mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede zwischen der ÖVP und dem christlich-konservativen Lager der Ersten Republik zu konstatieren“, analysiert Politologe Müller.
Eine Anekdote, die von Sozialdemokrat:innen erzählt wird, deren Wahrheitsgehalt aber nicht unabhängig überprüft werden kann, illustriert diesen Umstand: So gibt es im Bundeskanzleramt seit der Ermordung von Engelbert Dollfuß durch österreichische Nazis im Juli 1934 eine kleine Kapelle. Dort muss mindestens einmal im Jahr eine Messe gelesen werden, sonst verliert der Ort seine Berechtigung, als Kapelle fungieren zu dürfen. Der frischgebackene rote Kanzler Bruno Kreisky staunte nicht schlecht, als er eine Liste übermittelt bekam, auf der die Namen all jener Beamt:innen angeführt waren, die tatsächlich an der obligaten Messe teilgenommen hatten. Dieser „Kontroll-Brauch“ hatte sich offenbar in den vielen Jahren der ÖVP-Kanzlerschaft etabliert.
Wählbar für (fast) alle
Die ÖVP wollte nach dem Krieg eine bürgerliche Sammlungspartei sein, die verschiedene Ideologien in sich vereint – Konservativismus, Liberalismus, katholische Soziallehre. So war die Partei für viele Menschen in Österreich attraktiv, der Ansatz ging zunächst voll auf, die ÖVP kam deutlich über die Reichweite der ursprünglichen Christlichsozialen hinaus. Die Säulen dieses Erfolgs in den Jahren nach 1945 waren, dass Landwirt:innen und Gewerbetreibende ein großes Segment der österreichischen Gesellschaft stellten und dass sich die ÖVP auf ein geschlossenes katholisches Milieu stützen konnte. Zudem wurde der große Rivale, die SPÖ, mit Erfolg als nicht seriös, weil beinahe kommunistisch, dargestellt.
Rückbesinnung auf Maibaum und Blasmusik
Mit den Jahrzehnten hat sich die österreichische Gesellschaft stark verändert. Nach einer langen Phase sozialdemokratischer Machtausübung haben sich die politischen Lager weitgehend aufgelöst und mit den alten Gewissheiten ist es vorbei. Die ÖVP versucht dieser Tage, als moderat- besonnene „Kraft der Mitte“ zu punkten. Eine Strategie, die angesichts einer sich radikalisierenden rechten FPÖ und einer SPÖ, die ihr linkes Profil schärft, besonders nachdrücklich verfolgt wird. Zuletzt hat es die ÖVP vermocht, sich unter Kanzler Sebastian Kurz einen modernen, innovativen Anstrich samt neuer Parteifarbei (türkis) zu verpassen und Wahlerfolge einzufahren. Diese Ära währte nicht lange.
Mittlerweile sieht sich die ÖVP mit einer möglichen Niederlage bei der Nationalratswahl am 29. September konfrontiert, der FPÖ wird ein deutlicher Sieg vorhergesagt. Die ÖVP unternimmt in dieser Situation eine Rückbesinnung auf traditionelle Werte. So wurde versuchsweise eine Kampagne zur heimischen „Leitkultur“ gestartet, auf Sujets im Internet waren unter anderem Männer und Frauen in Dirndl und Lodenjanker beim Maibaum-Aufstellen oder mit Blasmusik zu sehen.
Der Vorstoß sorgte weniger für Begeisterungsstürme denn für Spott und Häme. Ob die ÖVP jetzt, nach 37 Jahren an den Hebeln der Macht, tatsächlich auf die Oppositionsbank muss, bleibt abzuwarten. Leichtfallen würde es ihr nicht.
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Infos und Quellen
Daten und Fakten
Die ÖVP wurde als inoffizielle Nachfolgepartei der Christlichsozialen Partei (CSP) am 17. April 1945 im Schottenstift in Wien gegründet. Die CSP gab es seit den frühen 1890er-Jahren, sie stieg unter Führung des populistischen und antisemitischen Wiener Bürgermeisters Karl Lueger zur Massenpartei auf.
Innerparteilich gibt es seit Anbeginn der Parteigeschichte die klassischen Interessensorganisationen: Arbeitnehmer:innen, Landwirt:innen und Unternehmer:innen sind separat organisiert in ÖAAB, Bauern- und Wirtschaftsbund. Das führt dazu, dass die ÖVP einerseits thematisch breit aufgestellt, andererseits anfällig für interne Konflikte ist. Die Partei ist bis heute eine „indirekte“ Partei, weil eine Parteimitgliedschaft über eine Mitgliedschaft bei einem der Bünde erfolgt. Es wird immer noch streng darauf geachtet, dass die autonom agierenden Unterorganisationen in der Parteispitze entsprechend vertreten sind. Das gleiche gilt für die einzelnen Landesorganisationen. Die Parteichefs hatten in der Vergangenheit oft eine eher schwache Stellung und ihre liebe Not damit, einen Ausgleich zwischen den verschiedenen regionalen Ansprüchen und bündischen Interessen zu schaffen.
Engelbert Dollfuß wurde am 25. Juli 1934 im Bundeskanzleramt von Nazis ermordet. Heute ist das Ereignis als Juliputsch bekannt.
Das Konzept von einem Ständestaat sah vor, dass sich verschiedene Berufsgruppen einträchtig um einen symbolischen Tisch versammeln. Die Idee nimmt Anleihen aus dem Mittelalter und wurde an der Universität Wien von einem gewissen Othmar Spann vertreten und gelehrt. Engelbert Dollfuß wollte eine derartige Ordnung in Österreich durchsetzen, es blieb aber bei Versuchen.
Sebastian Kurz hat die ÖVP zuletzt zu Wahlerfolgen geführt. Er war von Dezember 2017 bis Mai 2019 und von Jänner 2020 bis Oktober 2021 Bundeskanzler.
Quellen
Heinrich Drimmel: Vom Justizpalastbrand zum Februaraufstand, Wien 1986
Wolfgang C. Müller: „Die Österreichische Volkspartei“, in: Handbuch des politischen Systems Österreichs, Wien 1992
Wilhelmine Goldmann: „Rote Banditen“, Wien 2023
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