Bei der Männerfußball-Europameisterschaft verlieren die Frauen. Egal wer die Spiele gewinnt.
Es ist also wieder Fußball-Europameisterschaft. Eigentlich ist Männerfußball-Europameisterschaft, aber wie das so ist in der Welt im Allgemeinen und im Fußball im Besonderen ist der Männerfußball der normale Normalfußball und muss deshalb nicht gesondert benannt werden, während der Frauenfußball immer Frauenfußball sein muss oder noch schlimmer: Damenfußball. Die EM des normalen Normalfußballs wird zur Prime Time im öffentlich-rechtlichen und im privaten Fernsehen gesendet oder bei riesigen Public-Viewing-Veranstaltungen in Stadtzentren auf riesige Leinwände projiziert, zu denen so viele Menschen pilgern, dass in öffentlichen Verkehrsmitteln durchgesagt wird, besagte Orte wegen Überfüllung nicht mehr aufzusuchen. Die EM im Frauenfußball kriegt man mittlerweile eh auch mit.
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Eine wichtige Tätigkeit
Beim normalen Normalfußball kommen sehr viele Normalmenschen (Männer) zusammen, um gemeinsam 20 (zehn pro Mann-schaft) Normalmenschen (Männern) zuzusehen, wie sie einem Ball hinterherlaufen mit dem Ziel, ihn an pro Mannschaft jeweils einem Normalmenschen vorbei in ein 7,32 mal 2,44 Meter großes Netz zu kicken. Das ist eine sehr wichtige Freizeitaktivität und für alle, die sie professionell betreiben, ein sehr wichtiger und sehr ernst zu nehmender Beruf, weswegen er auch mit Millionengagen einhergeht. Fußball ist in seiner Wichtigkeit nicht ansatzweise vergleichbar mit so lächerlichen Mädchendingen wie Krankenpflege oder Kindergartenpädagogik, weswegen letztere auch nicht mit Millionengagen vergütet werden, sondern eher mit Mindestgehältern (wenn sich keine Frauen finden, die es gratis machen). Außerdem sind bei Fußball, weil er so wichtig ist, folgerichtig auch sehr wichtige und große und männliche Gefühle involviert.
Häusliche Gewalt
Diese großen und wichtigen und männlichen Gefühle werden dann auch ordnungsgemäß normalmännlich verarbeitet, in Form des Konsums rauer Mengen der Normaldroge Alkohol und in Form von völlig normaler Gewalt gegen Frauen.
Mittlerweile ist der Zusammenhang zwischen Fußball-Großereignissen (Männerfußball-Großereignissen) und einem signifikanten Anstieg an männlicher Gewalt gegen Frauen in mehreren Studien belegt. Die letzte dieser Art erschien im Februar 2024 im Journal of Public Economics und analysierte umfangreiche Verwaltungsdaten der Greater Manchester Police.
Sie hatte zum Ergebnis, dass sich während großer Fußballspiele die Häufigkeit häuslicher Gewalt um etwa fünf Prozent reduziert – hier wird ein Substitutionseffekt zwischen Fußball und häuslicher Gewalt angenommen. Etwa zehn bis zwölf Stunden nach den Spielen allerdings ist ein signifikanter Anstieg bemerkbar. Und das vor allem, wenn Spiele früher am Tag stattfinden, da bei diesen mehr Alkohol konsumiert wird.
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Bereits 2012 wurde, ebenfalls in einer britischen Studie, dokumentiert, dass Fälle häuslicher Gewalt in London an Tagen, an denen England Spiele gewinnt, um 27,7 Prozent steigen und um 33,9 Prozent, wenn England verliert.
2021 wurde eine Studie veröffentlicht, die einen Anstieg von 47 Prozent bei Fällen alkoholbedingter häuslicher Gewalt in einer englischen Polizeistation an jenen Tagen belegt, an denen die englische Nationalmannschaft an einem Spiel teilnimmt.
Egal wer gewinnt, Frauen verlieren
Neben dem Anstieg an häuslicher Gewalt boomt zeitgleich mit den Turnieren auch in der Regel Prostitution. In Deutschland wurde bereits vor Monaten davor gewarnt, dass die Männerfußball-Europameisterschaft Zwangsprostitution und Menschenhandel in und um die Austragungsorte in die Höhe treiben wird. „Wir können davon ausgehen, dass die Nachfrage auch während der Europameisterschaft nicht durch Freiwillige gedeckt werden kann und es deshalb noch mehr Zwangsprostitution geben wird“, wird Leni Breymeier von der SPD im ZDF zitiert und Dorothee Bär von der CSU mit: „Um den Bedarf zu decken, werden Frauen dafür zu tausenden aus den ärmsten Ländern an die Austragungsorte in Deutschland gebracht.“
Männersport-Großereignisse bedeuten für Frauen also, dass es für sie einerseits im öffentlichen Raum noch unsicherer wird, weil Horden betrunkener und emotionalisierter (frau möchte fast sagen: testerischer) Männer diesen okkupieren. Sie bedeuten größere Gefahr zuhause, weil die betrunkenen und emotionalisierten Männer ihnen in den eigenen vier Wänden noch häufiger als sonst körperliche Gewalt antun. Und es bedeutet, dass Frauen (meist arme und migrantische Frauen) in der Zwangsprostitution massenvergewaltigt werden, in einem noch wesentlich größeren Ausmaß, als das ohnehin auch abseits von Fußballspielen und ohnehin schon völlig normalisiert der Fall ist.
Wer bei Männersport-Großereignissen also auf jeden Fall verliert, sind Frauen. Egal wer gewinnt.
Beatrice Frasl schreibt alle zwei Wochen eine Kolumne zum Thema Feminismus. Alle Texte findet ihr auch in ihrem Autor:innenprofil.
Hilfsangebote bei Gewalt gegen Frauen
Frauenhelpline gegen Gewalt: 0800 222 555 und frauenhelpline.at
Helpchat: https://www.haltdergewalt.at/
Opfernotruf 0800 112 112
Rat auf Draht: 147
Polizei: 133
Weißer Ring Kriminalitätsopferhilfe: 0810 955 065 oder 0800 112 112
TAMAR Beratungsstelle für misshandelte und sexuelle missbrauchte Frauen, Mädchen und Kinder: 01 334 04 37
SOLWODI Beratung und Unterstützung für Frauen, die Opfer von Menschenhandel, Zwangsprostitution, Ausbeutung und sexueller Gewalt geworden sind und/oder Hilfe beim Ausstieg aus der Prostitution wollen 0664 88 65 25 87
Männernotruf: 0800 246 247
Männerberatung: 0800 444 700
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Infos und Quellen
Zur Autorin
Beatrice Frasl war schon Feministin, bevor sie wusste, was eine Feministin ist. Das wiederum tut sie, seit sie 14 ist. Seitdem beschäftigt sie sich intensiv mit feministischer Theorie und Praxis – zuerst aktivistisch, dann wissenschaftlich, dann journalistisch. Mit ihrem preisgekrönten Podcast „Große Töchter“ wurde sie in den letzten Jahren zu einer der wichtigsten feministischen Stimmen des Landes.
Im Herbst 2022 erschien ihr erstes Buch mit dem Titel „Patriarchale Belastungsstörung. Geschlecht, Klasse und Psyche“ im Haymon Verlag. Als @fraufrasl ist sie auf Social Media unterwegs. Ihre Schwerpunktthemen sind Feminismus und Frauenpolitik auf der einen und psychische Gesundheit auf der anderen Seite. Seit 1. Juli 2023 schreibt sie als freie Autorin alle zwei Wochen eine Kolumne für die WZ.
Quellen
ScienceDirect: Football, alcohol, and domestic abuse
academic.oup.com: Beware, Win or Lose: Domestic Violence and the World Cup
ScienceDirect: The role of alcohol in the link between national football (soccer) tournaments and domestic abuse - Evidence from England
Bundesliga: Fußballtor - Größe und Historie