Siege der Rechtsaußen-Fraktionen sorgen in Frankreich und Deutschland für Unruhe. Auf EU-Ebene ist nach der Wahl die Machtverteilung im Wesentlichen gleich geblieben.
Wie kann das Ergebnis der EU-Wahl in Österreich interpretiert werden?
Der Wahlsieg der FPÖ mit mehr als 25 Prozent ist ein Rückschlag für alle, die sich für ein starkes und vereintes Europa einsetzen. Denn ein solches Europa wollen die Freiheitlichen nicht. Auf der anderen Seite ist der Sieg der Truppe um Harald Vilimsky nicht besonders deutlich ausgefallen. Vor allem die ÖVP, aber auch die SPÖ, liegen nur knapp dahinter. Es hat sich eine Dreiergruppe gebildet, die beinahe gleichauf ist. Wobei das Wahlergebnis für die ÖVP am schmerzhaftesten ist. Während ihre Parteienfamilie in Straßburg, die EVP, im EU-Schnitt zulegen konnte, musste die ÖVP starke Einbußen hinnehmen. Die FPÖ sieht sich jetzt jedenfalls weiter auf der Siegerstraße, was die Nationalratswahl im September betrifft. Die SPÖ gibt sich kämpferisch-optimistisch und glaubt zu erkennen, dass die FPÖ nicht unschlagbar ist. Und nach der Wahl ist klar, dass es in Österreich immer noch eine deutliche Mehrheit gibt, die für eine starke europäische Zusammenarbeit ist.
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Wie sind jetzt die Kräfteverhältnisse im EU-Parlament?
Hier haben die pro-europäischen Kräfte weiter eine komfortable Mehrheit. Auch wenn die Rechtspopulisten Gewinne verzeichnen, hat sich an der Machtverteilung im Wesentlichen nur wenig verändert. Die EVP hat dazugewonnen und liegt bei mehr als 180 der insgesamt 720 Sitzen. Zweitstärkste Fraktion sind die Sozialdemokraten, dann folgen die Liberalen. Die beiden Rechtsaußen-Fraktionen - die Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) und Identität und Demokratie (ID) - kommen zusammen auf rund 130 Sitze. Die Grünen haben verloren und erzielten rund 50 Mandate.
So dramatisch wirkt sich der „Rechtsruck“, der überall angekündigt war, scheinbar gar nicht aus?
Auf der Ebene des EU-Parlaments halten sich die zusätzlichen Mandate für die extreme Rechte im Rahmen und haben unmittelbar nicht so gravierende Auswirkungen. Aber auf nationalem Level, in Frankreich, scheppert es ordentlich. Dort hat das rechtsnationale Rassemblement National um Marine Le Pen die EU-Wahl klar gewonnen, die Europaskeptiker kamen auf mehr als 30 Prozent. Die Liste von Präsident Emmanuel Macron und seinen Verbündeten schafften nicht einmal 15 Prozent. Das hat den Präsidenten dazu bewogen, die Flucht nach vorne anzutreten: Er hat eine Neuwahl des Parlaments ausgerufen, wo er seit zwei Jahren keine absolute Mehrheit hat. Die nächste, entscheidende Präsidentschaftswahl ist erst für 2027 vorgesehen.
Und sonst?
Auch in Deutschland hat die Regierung einen Denkzettel erhalten, der dem sozialdemokratischen Kanzler Olaf Scholz in Zukunft Schwierigkeiten machen wird. Dort hat die oppositionelle Union (CDU/CSU) die Wahl klar gewonnen, dahinter erreichte die teils rechtsextreme AfD den zweiten Platz. Die Parteien der regierenden und unpopulären „Ampel“ finden sich auf den Verlierer-Plätzen dahinter. Forderungen nach Neuwahl werden laut und es wird immer öfter in der SPD die Frage gestellt, ob Scholz der richtige Mann an der Parteispitze ist. Turbulenzen also auf nationalem Level, aber die EU-Karawane zieht weiter.
Wie haben die Slowaken gewählt? Dort wurde vor kurzem der linkspopulistische Premier Robert Fico bei einem Attentat schwer verletzt.
Die politische Situation ist in der Slowakei extrem aufgeheizt, doch hat der Anschlag der Partei des Premiers keinen Sieg bei der EU-Wahl gebracht. Völlig überraschend wurde in unserem Nachbarland die liberale Partei Progressive Slowakei Nummer eins, Ficos Smer-SD landete nur auf dem zweiten Platz. Zu einer Welle der Mobilisierung und Solidarisierung mit dem verletzten Premier ist es also nicht gekommen.
Was bedeutet das Ergebnis der EU-weiten Wahl für Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen?
Europas mächtigste Frau, die der EVP angehört, hat Grund zum Jubeln. Ihre EVP hat, wie erwähnt, dazugewonnen. Das stärkt von der Leyens Position. Die 65-Jährige will unbedingt Kommissionschefin bleiben. Sie muss allerdings noch einige Hürden nehmen. Da sind zum einen die Staats- und Regierungschefs der EU. Sie wollen am 27. und 28. Juni entscheiden, wen sie für die Kommissionsspitze vorschlagen. Dass Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und der deutsche Kanzler Olaf Scholz geschwächt sind, hilft von der Leyen. Die nächste Hürde für die Deutsche ist das EU-Parlament. Hier benötigt sie eine absolute Mehrheit von 361 der 720 Stimmen. Sie könnte auf Stimmen aus dem Rechtsaußen-Lager angewiesen sein, sollten sich Kritiker aus dem Mitte-Links-Lager von ihr abwenden. Im Wahlkampf hat sie massive Kritik einstecken müssen, weil sie eine Zusammenarbeit mit Ultrarechten nicht ausschließen wollte.
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Infos und Quellen
Daten und Fakten
Anders als im Rest der EU konnten in den nordischen Ländern Schweden, Finnland und Dänemark linke Parteien abräumen. Gleichzeitig mussten die Rechtspopulisten dort bittere Enttäuschungen hinnehmen.
In Irland fand die EU-Wahl schon am Freitag statt, am Montag war immer noch kein Wahlergebnis da. Die gleichzeitig stattfindende Kommunalwahl überforderte die Wahlbehörden.
EU-weit am niedrigsten war die Wahlbeteiligung in Kroatien, sie betrug dort nur 21,34 Prozent.
Knalleffekt am Montag in Deutschland: Der umstrittene AfD-Spitzenkandidat zur EU-Wahl, Maximilian Krah, wird von seiner Partei nicht ins EU-Parlament delegiert.
Quellen
Das Thema in der WZ
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ORF: Wien wählte anders