Bei der Landtagswahl wurde die Steiermark blau eingefärbt. Eisenerz ist als eine der wenigen Gemeinden rot geblieben. Die einst so blühende Bergbaustadt, beherbergt heute Österreichs älteste Bevölkerung. Eine Spurensuche.
Aus der weißen Nebelwand schälen sich schroffe Felsen. Das gewaltige Ausmaß des Erzbergs lässt sich an diesem Freitagvormittag nur erahnen. Am Fuß des Gebirges sind die Straßen in Eisenerz menschenleer. Der Wind weht, die Schneeflocken fliegen. Harald ist vor der Kälte in die Gaststätte Franz August geflüchtet. „Früher war hier alles belebt“, erzählt der 61-jährige Pensionist. Nur ein paar Schritte vom Lokal entfernt, befindet sich eine geschlossene Bäckerei. In den Geschäften versucht man mit Weihnachtskrippen die fehlenden Waren in den Schaufenstern zu kaschieren. Viele Häuser stehen leer. Eisenerz schrumpft.
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Einst ließ der Erzberg die Wirtschaft blühen: „Wie ich ein Kind war, waren im Berg noch 4.000 Leute“, erinnert sich Harald. Nun sind es 250 Arbeiter:innen, die jedoch ein Vielfaches an Erz abbauen. In den 50ern lebten noch 13.000 Menschen in der obersteirischen Bergbaustadt Eisenerz, heute sind es rund 3.400. Pensionist Harald ist gelernter Bäcker, in Eisenerz geboren und geblieben. Andere nicht: Mit den Arbeitsplätzen gingen viele – und kamen höchstens in der Pension wieder zurück. Das Durchschnittsalter beträgt heute fast 56 Jahre. Eisenerz ist damit die älteste Gemeinde Österreichs.
Warum die SPÖ in Eisenerz vorne liegt
Für einen Großteil der Zweiten Republik hatte die SPÖ hier die Zügel in der Hand – wie in so vielen Gemeinden der industriell geprägten Obersteiermark. Und als sich bei der Landtagswahl vor Kurzem die Steiermark blau verfärbte, blieb Eisenerz – wenn auch mit Verlusten im Vergleich zur Landtagswahl 2019 – als einer der wenigen Orte: rot. Mit 40,02 Prozent und einem Minus von 12,67 Prozent.
Im Gegensatz dazu steht das steiermarkweite Ergebnis: Es ist mit 21,36 Prozent historisch schlecht. Derzeit sieht es danach aus, dass die FPÖ als Wahlsiegerin mit der zweitplatzierten ÖVP eine Regierung bilden wird, die Gespräche dazu laufen. Damit muss die SPÖ in die Opposition gehen und verliert erstmals seit 1945 ihren Platz in der Regierung. Als Konsequenz ist Spitzenkandidat Anton Lang (65) kürzlich zurückgetreten, Max Lercher (38) soll in seine Fußstapfen treten.
In Eisenerz versucht Gerhard Stromberger trotzdem optimistisch zu bleiben. Er ist roter Vizebürgermeister der Gemeinde. „Auch wenn das Land anders regiert wird, werden wir die Anliegen der Bürger:innen transportieren können.“ Lercher könne als Chef frischen Wind in die Partei bringen, auch wenn Stromberger den Rücktritt von Lang als zu früh empfindet. „Dem Lang Toni hat man als Obersteirer die Ehrlichkeit und die Politik zum Angreifen abgekauft.“
Dass die SPÖ ihren ersten Platz in Eisenerz verteidigen konnte, würde ihm zeigen, dass er auf dem richtigen Weg sei, sagt Stromberger. Harald in der Gaststätte Franz Augustin kommentiert: „Ich bin froh, dass es noch die SPÖ ist. Die tut schon noch was für die Leute hier.“
FPÖ als Sieger
Wobei, die FPÖ, die sich in Eisenerz mit einem Stimmenzuwachs von 22,11 Prozent und einem Endergebnis von 34,67 Prozent auf den zweiten Platz befördern konnte, sei „auch nicht schlecht“, sagt Harald. „Der Gölz Harry setzt sich dafür ein, dass wir einen Notarzt bekommen.“
FPÖ-Gemeinderat Harry Gölz steht vor dem Gemeindeamt in Eisenerz. Als „großer Gewinner“, wie er selbst sagt. Bei der Landtagswahl verzeichnete die FPÖ mit fast 35 Prozent der Stimmen ihr bisher bestes Ergebnis in der Steiermark. Auch in Eisenerz „merken die Leute, dass wir was für sie machen.“ Warum dann die SPÖ in der Gemeinde noch vorne ist? „Die letzten Älteren wählen vielleicht rot, aber es gibt ein Umdenken, die Leute wollen Veränderung.“ Und die SPÖ sei in Eisenerz „ein wengerl überheblich geworden“.
Türkiser Bürgermeister mit der Partei auf dem dritten Platz
Über Jahrzehnte hatte Eisenerz einen roten Bürgermeister. Doch bei der Gemeinderatswahl 2020 holte sich die ÖVP den Chefsessel. Mit der vorherigen SPÖ-Bürgermeisterin sei es schwierig gewesen, hört man in der Stadt.
Nun findet sich Bürgermeister Thomas Rauninger nach der Landtagswahl mit seiner ÖVP auf den dritten Platz verdrängt. Die Volkspartei erreichte in Eisenerz nur mehr 13,67 Prozent der Wähler:innen. „Ja, weil der Drexler unser Spital zugesperrt hat“, sagt Harald in der Gaststätte Franz August. Bürgermeister Rauninger erklärt in seinem Büro: Der noch amtierende ÖVP-Landeshauptmann Christopher Drexler hat 2018 als Gesundheitslandesrat die Schließung des Eisenerzer Krankenhauses durchzogen. Es habe an Personal gefehlt, so das Argument. „Das hat der Bevölkerung sehr wehgetan“, sagt Rauninger. Nach dem gleichen Schema habe auch die aktuelle Diskussion um das Leitspital Liezen, das in der Obersteiermark drei Standorte zusammenfassen soll, der ÖVP Stimmen gekostet. Überrascht hat Rauninger das Landtagswahlergebnis dementsprechend nicht. Zumal es in Eisenerz um die Gesundheitsversorgung nicht gut steht: Nur zwei Hausärzte gibt es, keinen Gynäkologen und keinen Kinderarzt. Und das in einem Ort, in dem die Einfahrtsstraße im Winter und bei Murenabgängen auch mal für längere Zeit gesperrt ist. Rauninger hat erlebt, wie mit dem Eisenerzer Krankenhaus „Perspektiven verloren gegangen sind“, wie Eisenerzer:innen einfach in die nächstgrößere Stadt gezogen sind.
„Es versterben viermal so viele wie geboren werden“
Eisenerz steht als Extrembeispiel stellvertretend für viele Gemeinden, die in Österreich von Abwanderung betroffen sind. Rauninger glaubt nicht mehr an einen massiven Bevölkerungsaufschwung. Zwar bemerkt der 40-Jährige, dass in den letzten Jahren einige gebürtige Eisenerzer:innen mit ihren Familien wieder in die Heimat zurückgekehrt sind, gerade angesichts der Pandemie. „Zuzug und Abzug halten sich inzwischen die Waage.“ Aber: „Unser größtes Problem ist die Überalterung. Es versterben viermal so viele wie geboren werden.“
Rauningers Ziel ist, die Infrastruktur erhalten. Auf das sanierte Hallenbad, die erneuerte Ortseinfahrt und den neuen Billa ist man im Ort stolz. Bald soll ein größeres Rüsthaus für die Feuerwehr her. Sogar die ein oder andere Firma habe sich wieder in Eisenerz angesiedelt. Wobei die Suche nach Arbeitskräften schleppend verläuft, eben weil so viele gegangen sind.
Als Gemeinde ist Eisenerz auf die Unterstützung des Landes angewiesen. Bisher habe das mit einem ÖVP-Landeshauptmann gut geklappt. Doch Rauninger ist zuversichtlich, denn schon auf Gemeindeebene hätten FPÖ und ÖVP stets gut zusammengearbeitet. In seiner Partei ortet Rauninger aber Versäumnisse, die FPÖ sei in den sozialen Medien präsenter. Nach der Ära Sebastian Kurz habe die ÖVP den modernen Zugang verloren.
„Es muss sich was tun“
Kurz vor halb 12 in Eisenerz, vor der Volksschule trudeln die ersten Eltern ein, um ihre Kinder abzuholen. Katrin ist eine davon, ihren zweijährigen Sohn Timon hat sie mitgenommen, trägt ihn auf dem Arm. Die 38-Jährige ist in Eisenerz geboren, für die Ausbildung nach Graz gegangen und hat sich dann in der Heimat mit einer Physiotherapiepraxis selbstständig gemacht. „Da war Bedarf da. Außerdem ist meine Mutter in Eisenerz und ich mag die Berge sehr.“ Katrin sei keine FPÖ-Wählerin, mit den Roten habe es eh immer halbwegs funktioniert, aber sie ist sich sicher: „Es muss sich was tun.“ Das Potenzial von Eisenerz hätte man in den letzten Jahren besser nutzen müssen, früher sei alles gemeinschaftlicher gewesen, „jetzt ist jeder Einzelkämpfer“. Und zu oft würden nur die „negativen Schlagzeilen“ rund um Leerstand und Abwanderung dominieren.
Vom schlechten Image will auch SPÖ-Vizebürgermeister Stromberger nichts mehr hören. In der Parteizentrale am Freiheitsplatz kommt der Politiker schnell ins Schwärmen: über die Natur in Eisenerz, den Leopoldsteiner See, die gute Infrastruktur.
Für Stromberger ist nach dem Wahlkampf vor dem Wahlkampf. Bei den Gemeinderatswahlen im Frühjahr will er wieder Bürgermeister werden. Mit einer unkonventionellen Idee: „Den Leerstand, den wir haben, bringen wir nicht mehr weg. Aber Zweitwohnsitze könnten uns was bringen“, erklärt Stromberger. Eisenerz sei mit „der schönen Gegend und dem milden Klima im Sommer wegen der Höhenlage“ attraktiv. „Kitzbühel kann nicht viel mehr“, ist Stromberger überzeugt. Zweitwohnsitze selbst bedeuten zwar nicht viel Geld für die Gemeinde. Doch der Vizebürgermeister erhofft sich davon, dass wieder mehr Menschen „in der Gemeinde konsumieren und sie beleben“.
An diesem Tag aber bleiben die Straßen leer und der Nebel dicht. Wer politisch bald das Zepter in der schrumpfenden Stadt übernimmt, wird sich bei den nächsten Wahlen zeigen.
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Infos und Quellen
Gesprächspartner:innen
FPÖ-Gemeinderat Harry Gölz
Bürgermeister Thomas Rauninger (ÖVP)
Vizebürgermeister Gerhard Stromberger (SPÖ)
Einwohnerin Katrin
Einwohner Harald
Daten und Fakten
Am 24. November hat die Steiermark (1.269.801 Einwohner:innen) einen neuen Landtag und damit eine neue Landesregierung gewählt. Wahlsieger ist die FPÖ mit Chef Mario Kunasek. Die Ergebnisse landesweit: FPÖ: 34,76 Prozent (plus 17,27 Prozent), ÖVP: 26,81 Prozent (minus 9,24 Prozent), SPÖ: 21,36 Prozent (minus 1,66 Prozent), Grüne: 6,17 Prozent (minus 5,91 Prozent), Neos: 6,00 Prozent (plus 0,63 Prozent), KPÖ: 4,47 Prozent (minus 1,52 Prozent)
In Eisenerz lautet das Landtagswahlergebnis wie folgt: SPÖ: 40,02 Prozent (minus 12,67 Prozent), FPÖ: 34,67 Prozent (plus 22,11 Prozent), ÖVP: 13,67 Prozent (minus 5,54 Prozent), KPÖ: 6,15 Prozent (minus 3,48 Prozent), Neos: 3,07 Prozent (plus 1,53 Prozent), Grüne: 2,41 Prozent (minus 1,95 Prozent),
Eisenerz liegt in der Obersteiermark im Bezirk Leoben. Die Eisenerzer Alpen, in denen die Stadt Eisenerz und der Erzberg liegen, sind reich an Kupfer- und Erzlagerstätten. Am Erzberg wird seit dem Jahr 1820 im sogenannten Tagebau (oberflächennaher Rohstoffabbau) abgebaut, mit Unterbrechung von 1899 bis 1932. Seine markante Pyramidenform hat der Erzberg dem stufenförmigen Tagebau ab 1890 zu verdanken. Durch die Industrialisierung und den Einsatz von mehr und mehr Maschinen brauchte es immer weniger Arbeiter:innen am Erzberg. Waren es früher 4.000, sind es heute 250. Mehrmals in der Woche wird am Erzberg gesprengt.
Das Krankenhaus in Eisenerz wurde 2018 zugesperrt. Ab 2019 war es als Simulationskrankenhaus für Übungszwecke in Betrieb, 2024 wurde es aber nach einer Insolvenz versteigert. Die Nachnutzung ist noch unklar. Immer wieder wird ein Notarztstützpunkt in Eisenerz diskutiert.
Quellen
Land Steiermark: Ergebnis Landtagswahl
Abenteuer Erzberg: Historischer Erzberg
www.vaerzberg.at: VA Erzberg GmbH