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Nachhaltiger Konsum für gesündere Hirne?

5 Min
Nunu Kaller schreibt zweimal im Monat eine Kolumne für die WZ.
© Illustration: WZ, Bildquelle: Privat

Kolumnistin Nunu Kaller geht ganz küchenpsychologisch dem Dopamin nach. Was das mit Nachhaltigkeit zu tun hat? Wahrscheinlich leider einiges.


Treppenwitz des Tages: Ich will eine Kolumne über ADHS schreiben, bin aber ständig abgelenkt von anderen Sachen. Schauen wir uns das mal an: Vor einiger Zeit stellte meine damalige Therapeutin fest, dass ich schon ein wengerl neurodivers klinge, sie tippt auf ADHS. Ich las mich ein und dachte mir dann das Gleiche – da trifft sehr vieles auf mich zu. Momentan regnet es ja ADHS-Diagnosen, vor allem im Medienbereich. In der NZZ am Sonntag machte letztens Kolumnistin Rafaela Roth die gleiche Beobachtung – mich wundert das nicht.

Gerade im Medienbereich kriegt man schnelle Ergebnisse, man schreibt eine Kolumne und die erscheint dann auch gleich, man sieht die Reaktionen auf das Geschriebene und so weiter. Diese schnellen Reaktionen sind wichtig, um das Hirn mit dem Neurotransmitter Dopamin zu versorgen, der für gute Gefühle sorgt.

Die Wissenschaft hat entdeckt, dass bei Menschen mit ADHS oft eine Störung des Dopaminhaushalts vorliegt– es könnte da also ein Zusammenhang bestehen. Die Dopaminaktivität im Hirn ist bei Menschen mit ADHS anders als bei Menschen ohne ADHS. Mit ADHS funktioniert anscheinend die Transmission von Dopamin nicht so gut, runtergekürzt: Es landet nicht richtig in unserem Belohnungszentrum. Menschen mit ADHS brauchen also viel mehr Dopamin, um ihr Belohnungszentrum zu befriedigen. Ständige „Instant Gratification“, also sofortige Befriedigung, ist für ADHSler also anscheinend der Idealzustand.

Abbild der Gesellschaft?

Es wird jedenfalls sehr häufig diagnostiziert derzeit. In vielen Fällen mag der Grund dafür tatsächlich sein, dass es mehr Wissen rund um ADHS gibt und damit Menschen, die ihr ganzes Leben dachten, irgendwas rennt falsch bei ihnen, nun endlich eine Erklärung dafür haben. Bei mir ist das definitiv so. Aber ich stelle mir die Frage, ob die gesteigerten ADHS-Diagnosen nicht auch ein Abbild unserer Gesellschaft sind.

Was meine ich damit und was zur Hölle hat das in einer Kolumne zu Nachhaltigkeit verloren? Wie kommen wir verlässlich schnell an viel Dopamin? Einerseits durch unsere Abhängigkeit von Social Media; jedes Like, jedes „Gesehen-werden“ ist ein kleiner Dopamin-Push, andererseits durch … richtig geraten … Shopping.

Schon der Klick macht den Kick, nicht das Produkt

In „Kauf mich!“ behandle ich das Thema recht ausführlich: Ständiges Shoppen kann aufgrund des Dopaminkicks in eine Kaufsucht führen. Es gilt das bekannte Prinzip: Je öfter man sich den Kick gibt, desto schneller muss man „nachlegen“, da der Körper (auch der Nicht-ADHS-Körper!) sich an die schnellen Dopamin-Räusche gewöhnt. Das weiß auch die Industrie und macht sich das zunutze, damit wir möglichst viel Schwachsinn kaufen. Es ist auf Temu, auf Shein oder Alibaba, um nur ein paar der asiatischen Kampfanbieter zu nennen, das Herumsurfen, die Freude über den brutal niedrigen Preis und das Legen der Produkte in den Warenkorb, die uns den Kick geben. Wenn die Produkte dann Wochen später ankommen, erinnern wir uns schon gar nicht mehr daran, was wir eigentlich bestellt haben, und es ist auch egal. Es geht nur um den Kick, der auf Temu billiger zu haben ist als sonstwo. Der schnellste Instant-Kick ist übrigens bei Amazon zu haben – mit nur einem Klick namens „Sofort kaufen“ ist alles erledigt, und das gekaufte Teil macht sich auf den Weg. Kein Wunder, dass Amazon sich dieses Patent hat schützen lassen.

Das Ergebnis ist, dass damit Überkonsum und der Kauf von sinnlosen Produkten, die dann ebenso sinnloserweise per umweltschädlichem Flug um die halbe Welt geschickt werden, massiv gefördert werden. Von Shein und Temu werden jeweils nach Angaben von Brancheninsidern täglich bis zu 5.000 Tonnen Waren in die ganze Welt ausgeflogen; die verstopfen Frachträume von Fliegern, und die Flieger selbst gleich mal den Flugraum über Europa und den USA.

Weniger Temu = gesünderes Hirn?

Doch dieser Überkonsum macht nicht nur die Umwelt auf vielen Ebenen, vom Ressourcenverbrauch über die CO2-Emissionen beim Transport bis hin zur Plastikmüllthematik, kaputt – er ist anscheinend auch ein Ergebnis unserer dopaminsüchtigen Gehirne. In anderen Worten: Bedachtes, zurückhaltendes Konsumieren kann gut sein für unser Gehirn. Ein „Entzug“ ist hart, das kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen, aber die Erkenntnis, dass ein gesünderes Konsumverhalten im wahrsten Sinn des Wortes auch gesünder für mein eigenes Hirn sein kann, ist Warnung und Motivation zugleich.

Es liegt mir fern, hier küchentischpsychologisch zu agieren und zu behaupten, von schnellem Shopping kriegt man ADHS – ich habe keine konkrete Forschung zu dem Thema gefunden –, aber der Zusammenhang zwischen Dopamin und ADHS wird schon recht häufig thematisiert. Unbestritten ist, dass sich diese schnellen Dopaminschübe auf unser Hirn auswirken, so sehr, dass es sogar zu Krankheitssymptomen führen kann.

Ich finde übrigens immer wieder beeindruckend, dass nachhaltiges Verhalten nicht nur ganz selbstlos der Umwelt nutzt, sondern auch ganz eindeutig der Person selbst. Beim Fleischkonsum ist es nicht anders – wer weniger davon isst, tut nicht nur dem Klima und den Tieren Gutes, sondern auch dem eigenen Organismus, vegetarische oder vegane Ernährung (wenn richtig umgesetzt und nicht nur als gebackener Käse mit Pommes interpretiert!) ist schlicht und einfach erwiesenermaßen gesünder. Spannend, dass es beim Konsum ganz allgemein auch so zu sein scheint.

Nunu Kaller schreibt alle zwei Wochen eine Kolumne zum Thema Nachhaltigkeit. Alle Texte findet ihr auch in ihrem Autor:innenprofil.


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