Die Nikolauslegende erzählt von weiblicher Armut und von einer Welt, die Frauen zur Ware degradiert. In einer solchen Welt leben wir auch heute noch.
Über die historische Figur, der am 6. Dezember gedacht wird, ist nur wenig gesichert überliefert. Was wir wissen, ist: Nikolaus von Myra war ein Bischof in Lykien, einem Gebiet in Asien, welches damals griechischsprachig war und im Süden der heutigen Türkei liegt. Wir wissen, dass er während der Christenverfolgung festgenommen und gefoltert wurde und dass er für seine Wohltätigkeit bekannt war, beispielsweise verteilte er sein vererbtes Vermögen unter den Armen. Und wir wissen, ohne das genaue Jahr zu kennen, dass er an irgendeinem 6. Dezember im 4. Jahrhundert verstarb.
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Neben diesen sehr wenigen gesicherten Fakten gibt es allerdings sehr viele, teils aberwitzige, Legenden, die sich um ihn und seine Großzügigkeit ranken.
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So soll Nikolaus so fromm gewesen sein, dass er bereits als Baby an Fastentagen nur einmal von der Brust seiner Mutter trank, bei seinem ersten Bad schon aufrecht in der Wanne gestanden sein und später dann Getreide wundersam vermehrt und Tote zum Leben erweckt haben.
Der (feministische) Ursprung des Nikolaustages
Etwas weniger irrwitzig ist die Geschichte, die den Ursprung des Nikolaustages, wie er heute gefeiert wird, bildet. Sie geht so: Ein armer Mann konnte seine drei Töchter nicht verheiraten, da er sich die dafür nötige Mitgift nicht leisten konnte. Nikolaus erfuhr davon und warf in drei aufeinanderfolgenden Nächten jeweils ein großes Stück Gold durch das Fenster der drei Frauen – eines also für jede Tochter. Am dritten Tag erwischte der Mann Nikolaus dabei, fragte ihn nach seinem Namen und bedankte sich bei ihm. Diese Legende ist der Grund, warum Nikolaus auch heute noch oft mit goldenen Äpfeln dargestellt wird und warum an seinem Gedenktag auch heute noch Nikolaussackerl vor Türen gestellt werden – heute in der Regel nicht mit Goldklumpen gefüllt, sondern mit Schokofiguren in Nikolausgestalt.
Frauenarmut
Auch wenn die Intention hinter der Erzählung primär die Heroisierung des Nikolaus von Myra ist, der den armen Jungfrauen zu Hilfe eilt, hat die Legende durchaus feministische Implikationen: Sie erzählt schließlich nicht nur von einem männlichen Retter, sondern auch von Armut, im Spezifischen von der Armut von Frauen in einer Welt, in der sie zu Waren degradiert und als Besitz verkauft wurden – entweder an einen Ehemann oder an viele Männer als Prostituierte. Wir feiern den Nikolaustag also eigentlich, weil der Legende nach drei Frauen vor der Armutsprostitution bewahrt wurden. Und auch 2024 hätte Nikolaus noch alle Hände voll zu tun, denn diese Aspekte seiner Erzählung sind immer noch höchst relevant. Nikolaus gibt es zwar leider keinen, dafür allerdings bald eine neue Bundesregierung, die, wenn es um die Bekämpfung von Frauenarmut geht, durchaus auch alle Hände voll zu tun haben kann – wenn sie denn will.
Armut bei Alleinerzieherinnen
Frauenarmut ist nämlich auch in Österreich und auch 2024 ein großes Problem. Vor allem Alleinerzieherinnen und Pensionistinnen sind betroffen. 52 Prozent aller Alleinerzieher:innen, etwa 93 Prozent davon sind in Österreich Frauen, sind armuts- oder ausgrenzungsgefährdet. Neben einem flächendeckenden Ausbau qualitativ hochwertiger Kinderbetreuung, die die Voraussetzung für Erwerbsarbeit von Alleinerzieherinnen darstellt, fordern Alleinerzieherinnen-Organisationen deshalb schon lange eine staatliche Unterhaltsgarantie. In Österreich zahlen nämlich viele Väter trotz gesetzlicher Verpflichtung nicht jenen Unterhalt, den sie ihren Kindern schulden – viele nicht in der nötigen Höhe und viele gar nicht. Der staatliche Unterhaltsvorschuss, der in solchen Fällen eigentlich greift, ist allerdings viel zu niedrig und der Zugang zu ihm zu hürdenreich und an zu viele Bedingungen geknüpft. Zu viele Kinder und ihre Mütter gehen also leer aus, weswegen zahlreiche Alleinerzieherinnen und ihre Kinder in Armut leben oder armutsgefährdet sind.
Frauenarmut im Alter
Für die hohe Armutsbetroffenheit und Armutsgefährdung alter Frauen ist (unter anderem) die derzeitige Berechnung der Pension verantwortlich: Sie führt zu einem Pensionsgap von ganzen 40,1 Prozent. In anderen Worten: Frauen erhalten in Österreich 40,1 Prozent weniger Pension als Männer. Pensionisten bekommen derzeit im Durchschnitt monatlich 2.300 Euro brutto, Pensionistinnen im Durchschnitt 1.378 Euro brutto. Die Durchschnittspension von Frauen in Österreich liegt also unter der Armutsgrenze. Die Berechnung der Pensionen in Österreich ist für Frauen äußerst nachteilig, da sie auf dem Lebenszeiteinkommen basiert. Frauen verdienen in Österreich aber im Durchschnitt weniger (2023 betrug der Gender Pay Gap 16,9 Prozent) und arbeiten häufiger in Teilzeit oder nehmen Karrierepausen, um unbezahlte Sorgearbeit zu leisten. Dies führt zu geringeren Beiträgen ins Pensionssystem, welche im Alter in einem erheblichen Pensionsunterschied kumulieren. Frauen werden in Österreich also dreifach benachteiligt: Sie verdienen weniger in ihrer bezahlten Arbeit, sie leisten Unmengen an Arbeit, für die sie nicht bezahlt werden und ohne die das gesamte System stillstehen würde, und sie werden dann im Anschluss auch noch für diese essenziellen Leistungen bestraft – mit einer Pension unter der Armutsgrenze und mit Altersarmut.
Die Berechnung der Pension
Die derzeitige Berechnung der Rente ist allerdings kein Naturgesetz, auch sie wurde irgendwann beschlossen und eingeführt (konkret 2005 durch die schwarz-blaue Koalition unter Wolfgang Schüssel, die im Rahmen der Pensionsreform den Berechnungszeitraum von den 15 einkommensstärksten Jahren zur gesamten Erwerbslaufbahn änderte) und kann dementsprechend wieder verändert werden. Im derzeitigen System würden außerdem Lohntransparenzgesetze und Maßnahmen zur Reduzierung des Gender Pay Gaps auf lange Sicht auch den Pensionsgap, und damit die Altersarmut von Frauen, verringern. Und dann kann man noch die grundsätzliche Frage stellen, warum sich Pensionsbezüge überhaupt nach der Höhe der Einzahlung in das Pensionssystem richten und warum so Ungleichheiten, die sich durch geschlechtsspezifische Diskriminierung von Frauen ergeben, in Form von ökonomischer Diskriminierung beim Pensionsbezug noch multipliziert werden. Ein tatsächlich solidarisches Pensionssystem nämlich würde diese Ungleichheiten so weit wie möglich ausgleichen und stattdessen einen Beitrag zur Umverteilung darstellen – aber davon sind wir realpolitisch Lichtjahre entfernt.
Nordisches Modell
Und da es, wie gesagt, bei der Nikolauslegende nicht nur um Armut geht, sondern auch um Armutsprostitution, hier noch eine Erinnerung zum Schluss: Im EU-Parlament gab es bereits zwei Abstimmungen, in denen die EU-Parlamentarier:innen alle EU-Staaten dazu aufforderten, das sogenannte nordische Modell umzusetzen, welches Prostitution selbst vollständig entkriminalisiert, aber den Kauf von Prostitution verbietet. Die letzte Abstimmung zum Thema fand im September 2023 statt und beruhte auf einem ausführlichen Bericht, der die Situation von Frauen in der Prostitution eindrücklich darlegte. „Prostitution ist eine Form von Gewalt und sowohl Ursache als auch Folge geschlechtsspezifischer Ungleichheit.“ heißt es in der Begründung zur Abstimmung. Geschehen ist hierzu in Österreich bislang nichts.
Beatrice Frasl schreibt alle zwei Wochen eine Kolumne zum Thema Feminismus. Alle Texte findet ihr auch in ihrem Autor:innenprofil.
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Infos und Quellen
Zur Autorin
Beatrice Frasl war schon Feministin, bevor sie wusste, was eine Feministin ist. Das wiederum tut sie, seit sie 14 ist. Seitdem beschäftigt sie sich intensiv mit feministischer Theorie und Praxis – zuerst aktivistisch, dann wissenschaftlich, dann journalistisch. Mit ihrem preisgekrönten Podcast „Große Töchter“ wurde sie in den letzten Jahren zu einer der wichtigsten feministischen Stimmen des Landes.
Im Herbst 2022 erschien ihr erstes Buch mit dem Titel „Patriarchale Belastungsstörung. Geschlecht, Klasse und Psyche“ im Haymon Verlag. Als @fraufrasl ist sie auf Social Media unterwegs. Ihre Schwerpunktthemen sind Feminismus und Frauenpolitik auf der einen und psychische Gesundheit auf der anderen Seite. Seit 1. Juli 2023 schreibt sie als freie Autorin alle zwei Wochen eine Kolumne für die WZ.
Quellen
Statistik Austria: Armuts- oder Ausgrenzungsgefährdung
Österreichischer Städtebund: Equal Pension Day
Frauenserviceportal des BKA: Equal Pay Day 2023 in Österreich
Sozialministerium: Sozialbericht (PDF)
Verein Fema: Unterhaltungsgarantie
Europäisches Parlament: Bericht über die Regulierung der Prostitution in der EU ihre grenzübergreifenden Auswirkungen und ihr Einfluss auf die Gleichstellung und die Frauenrechte