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ÖFB und Rangnick: Der alte Beamtenapparat und die großen Reformpläne

10 Min
Trainer Ralf Rangnick und der ÖFB sind sich oft uneins.
© Illustration: WZ, Bildquelle: Getty Images

Fußball-Teamchef Ralf Rangnick hat die Nationalelf modernisiert – nun soll der verstaubte ÖFB reformiert werden. Zankende Manager, mächtige Funktionäre, eine veraltete Struktur und unpassende Nachwuchstrainer stehen in der Kritik. Aber nicht alle wollen den Wandel.


Auf den ersten Blick sieht alles rosig aus. Da ist eine tolle Nationalmannschaft mit Stars wie David Alaba von Real Madrid. Dazu der renommierte Trainer Ralf Rangnick, der Österreich zum EM-Gruppensieg vor Frankreich und den Niederlanden geführt hat – und ständig neue Visionen ausruft. Weltweit berichteten TV-Sender über den neuen, aufregenden Austro-Kick. Im Land herrscht ein ungewohntes Fußballfieber. Die Karten für das nächste Länderspiel gegen Norwegen waren innerhalb von 30 Minuten vergriffen.

Man könnte also meinen, dass der lange geschmähte österreichische Fußball auf goldene Zeiten zusteuert. Doch unter der glitzernden Oberfläche liegen mehrere Baustellen brach, die den Erfolg jederzeit gefährden könnten. Rangnick, ein kompromissloser Erneurer, hat zwar viele Ideen – aber der ÖFB ist ein schwerfälliger Apparat mit langen Entscheidungswegen. Der 66-jährige Schwabe war immer dann erfolgreich, wenn er im Alleingang alles verändern durfte – so formte er aus maroden Klubs in Leipzig, Hoffenheim und Salzburg Topteams. Doch im ÖFB ist das nicht so einfach: Da sind einerseits föderalistisch besetzte Entscheidungsträger, die sich immer wieder in Machtkämpfe verstricken. Andererseits zwei Geschäftsführer, die nicht miteinander können. Und dazu noch der Sportdirektor, dem intern vorgeworfen wird, nicht entscheidungsstark zu sein.

Das alles ist nicht förderlich für das nächste Rangnick-Projekt: die Modernisierung des größten Sportverbandes des Landes. Endlich sollen lang verschleppte Probleme – etwa die veraltete Struktur oder der wenig strukturierte Nachwuchsbereich – gelöst werden. Das Problem: Nicht alle wollen das.

Dieser Geschichte liegen zahlreiche Gespräche mit Funktionären, ÖFB-Angestellten und Verbands-Insidern zugrunde. WZ-Recherchen zeigen, dass intern große Reformpläne existieren, aber auch Widerstände. Kurz gesagt: Es geht um die große Chance des österreichischen Fußballs – und ein mögliches Dilemma.

Gespaltener Männerbund

Wer diese Geschichte verstehen will, muss erstmal den ÖFB verstehen – und das ÖFB-Präsidium. Es ist ein föderalistisch besetztes Gremium, in dem die großen Entscheidungen des heimischen Kicks getroffen werden. Darin sitzen 13 stimmberechtigte Mitglieder, darunter neun Landesverbandspräsidenten, im Schnitt 65 Jahre alt, pensionierte Richter, Rechtsanwälte und Ex-Bürgermeister. In ihren Landesverbänden sind sie für den Amateursport zuständig – im ÖFB stellen sie ehrenamtlich die Weichen für Weltstars wie Alaba und Arnautovic. Sie wählen den Teamchef, den Sportdirektor, den Präsidenten. Ein Beispiel für eine typische Präsidiums-Entscheidung: 2017 entsorgte die Herrenrunde den emsig am Erfolg werkenden Sportdirektor Willi Ruttensteiner quasi über Nacht. Der Hintergrund: Er war ihnen zu mächtig geworden und hatte 2011 an ihnen vorbei den Schweizer Marcel Koller als Teamchef ausgesucht – unter dem das Nationalteam in die Top-10 der Welt kletterte. Als der weitere Erfolg ausblieb, folgte die Abrechnung. Man könne eben „nicht an uns vorbei irgendwas machen“, polterte der niederösterreichische Präsidiums-Vertreter Johann Gartner. Als Nachfolger wurde Ex-Teamspieler Peter Schöttel präsentiert. Der hatte in der Eile allerdings kein Konzept parat. Die Personalrochade begründete Gartner so: Ruttensteiner habe den ÖFB „wie sein Unternehmen geführt“, der Neue Schöttel hingegen „lässt sich auch etwas einreden“.

Der ÖFB ist der größte Sportverband des Landes, mit 300.000 Mitgliedern und mehr als 60 Millionen Euro Jahresumsatz. Doch die Schlagzeilen dominierten lang die auch untereinander verfeindeten ÖFB-Funktionäre. Ex- Präsident Gerhard Milletich und sein Vize Gerhard Götschhofer prallten im vergangenen Jahr vor Gericht aufeinander. Milletich, im Brotberuf Verlagsmanager, war intern und von der Tageszeitung „Kurier“ vorgeworfen worden, bei Verbandssponsoren Inserate für seine Publikationen gekeilt zu haben. Götschhofer, ein pensionierter Rechtsanwalt, sammelte Beweismittel gegen ihn. Das ÖFB-Präsidium ist traditionell tief gespalten: in das Ost-Lager und die West-Fraktion. Es geht um Mehrheiten und Bünde – Entscheidungen werden hier in der Regel so lange zerstritten, bis sie vertagt werden.

„Normalerweise musst du beide entlassen.“

Für Rangnicks Reformeifer ist das alles wenig ideal. Immerhin: ÖFB-Präsident Klaus Mitterdorfer, 58, ist von Rangnicks Ehrgeiz und Fachwissen angetan. Der Kärntner Jurist wurde 2023 beinahe zufällig zum Präsidenten gewählt – weil er keinem Lager angehörte und als Kompromisslösung durchging. Mitterdorfer, ein jugendlicher Typ in Sneakers und T-Shirt, hat einen nicht zu unterschätzenden Vorteil: Weil er bald zum Direktor der Kärntner Ärztekammer aufsteigen und dann womöglich sein ÖFB-Ehrenamt abgeben könnte, hat er wenig zu verlieren. Es heißt, er wolle in den nächsten Monaten einiges voranbringen.

Laut WZ-Informationen hat der Präsident einen externen Unternehmensberater beauftragt, der die ÖFB-Struktur durchleuchtet und sich in verschiedenen Abteilungen umgehört hat. Ergebnisse sollen bereits vorliegen – und eindeutige Schlüsse nahelegen. Konkret geht es darum, die Verbands-Struktur so zu verändern, dass schnellere Entscheidungen möglich sind – von Fachkenntnis getragen, ohne persönliche Befindlichkeiten. Bislang war das nicht so. Das zeigt auch das zerrüttete Verhältnis der beiden Geschäftsführer, die für das Tagesgeschäft verantwortlich sind – und sich immer wieder in die Quere kommen. „Es läuft nicht harmonisch mit den beiden, das hört und sieht man“, bestätigt der Wiener Landespräsident Robert Sedlacek gegenüber der WZ. Aussprachen wurden versucht. Aber nichts fruchtete. „Das ist unlösbar“, sagt ein ÖFB-Funktionär, der anonym bleiben will. Auch deshalb, weil die beiden gleichermaßen Fürsprecher und Feinde haben. Der eine, Thomas Hollerer, verlangte im Vorjahr, als dem damaligen Präsidenten Milletich Inseraten-Korruption vorgeworfen wurde, von den Gremiums-Mitgliedern eine eidesstattliche Erklärung, dass sie nicht gegen Milletich intrigiert haben. Das tragen ihm einige bis heute nach. Dem anderen, Bernhard Neuhold, wurde ein arbeitsrechtliches Dienstvergehen vorgeworfen: Er soll Vize Götschhofer ein Dokument zukommen haben lassen, das Milletich überführte. Bislang stützte der Ost-Flügel Hollerer, der Westen Neuhold. Nun soll eine Entscheidung erzwungen werden. Ein Funktionär betont im WZ-Gespräch: „Normalerweise musst du beide entlassen“.

Entscheidungen müssen warten

Ende Juli sollten die Ergebnisse des Unternehmensberaters in einer Sitzung präsentiert und diskutiert werden. Doch nun wird daraus nichts. Die Sitzung wurde abgesagt. Offiziell aus Urlaubsgründen. Dabei war der Zeitpunkt laut WZ-Informationen einstimmig beschlossen worden. Nun heißt es erst einmal warten.

Abwarten – das hat im ÖFB Tradition. Jahrelang wurde dem Verband etwa vorgeworfen, eine goldene Spielergeneration zu vergeuden. Sportdirektor und Präsidiumsmitglieder setzten 2017 mutigen Spielern den vorsichtigen Trainer Franco Foda vor die Nase. Die Folge: Die Kicker wollten stürmen, der Coach verteidigen. Viereinhalb Jahre ging das so. Der damalige Kapitän Julian Baumgartlinger und ein Betreuer wandten sich mit Beschwerden an die ÖFB-Führung. Sportdirektor Schöttel wusste von dem Missstand, klagte bei Vertrauten darüber – aber beließ den Trainer bis zum bitteren Ende im Amt. Das gilt als ÖFB-Markenzeichen: Probleme aussitzen. Als Rangnick 2022 übernahm, lag die Nationalmannschaft am Boden, war hinter Dänemark, Schottland und Israel nur Vierter in der WM-Qualifikation geworden. Rangnicks angriffiger Stil passte perfekt zu den Österreichern. Dabei wollte ihn Schöttel anfangs nicht einmal anrufen. Es sei „Zeit für einen österreichischen Trainer“, erklärte er, „ehe sich eine Möglichkeit aufgetan hat, die ich am Anfang gar nicht gesehen hätte“. Schöttel war sich mit seinem Spezi Peter Stöger, der ebenso wie Foda zur Vorsicht neigt, einig, da überraschte ihn Rangnicks Interesse. Nun spricht halb Europa über die tolle österreichische Mannschaft – und den ehrgeizigen Coach.

„Er hinterfragt jetzt alle Positionen.“

Rangnick würde schon gern mit dem Groß-Umbau beginnen. Etwa bei den Nachwuchsnationalteams, die ihm ein großes Anliegen sind. Denn dort geht es um die Zukunft des österreichischen Fußballs. Alle sollen seinen Fußballstil spielen, sodass die Spieler schon in jungen Jahren lernen, was später gefordert wird. Das ist bislang nicht der Fall. Die ÖFB-Coaches pflegen unterschiedliche Stile – und sind praktisch pragmatisiert. Der Steirer Werner Gregoritsch, 66, ein Mann der alten Schule, betreut seit 12 Jahren das U-21-Team und hat fünf von sechs Endrunden verpasst. Oder der Wiener Ex-Teamkicker Manfred Zsak, 59, der seit fast 20 Jahren dort werkt. Rangnick hat ihnen schon vor Monaten Aufpasser aus seinem Betreuerteam zugeteilt. Doch das reicht nicht. Der ÖFB dürfe keine „Fußball-Beamten“ produzieren, unkt der Deutsche. Er will künftig Trainertalente im Verband entwickeln, die den Nachwuchs coachen, dann aber schnell weiterziehen, weil sie zu gut werden. Rangnick gehe es darum, „besser zu werden“, erklärt ein Insider. „Er hinterfragt jetzt alle Positionen“.

Im Frühjahr wäre es mit dem Reformeifer beinahe vorbei gewesen. Der große FC Bayern München lockte Rangnick und bot eine Verzehnfachung seines ÖFB-Jahresgehalts. Rangnick blieb standhaft – er sei hier noch nicht fertig, hielt er fest. Als Dankeschön versprach ihm der ÖFB-Präsident eine Kompetenzerweiterung.

Der Pragmatiker und der Macher

Doch wie die aussehen soll, traut sich kein Funktionär auszusprechen. „Es gibt immer gleich die Befürchtung, wenn der eine mehr Aufgaben übernimmt, dass ein anderer seinen Job verliert“, erklärt ein ÖFB-Vertreter. Fakt ist: Rangnick übernimmt schon jetzt immer mehr Aufgaben, die in den Bereich von Sportdirektor Schöttel fallen. Den stört das nicht – und Rangnick gefällt´s. Schöttel setzt sich nicht in Szene, lässt Rangnick weitgehend machen und zeigt sich hilfsbereit. Schöttel ist im Gegensatz zu Rangnick kein Macher und Visionär, sondern ein Pragmatiker. Das hat einen Vorteil: Die beiden krachen nicht aufeinander, wie das zwei Alpha-Männchen tun würden. Der Nachteil: Sie können sich inhaltlich nicht wirklich befruchten. Auf ein paar Änderungen sollen sich die beiden dennoch bereits verständigt haben. Laut WZ-Informationen soll die Ablöse von U-21-Teamchef Werner Gregoritsch besiegelt sein – auch sein Nachfolger steht demnach bereits fest. WZ-Recherchen ergeben außerdem: Weitere Veränderungen könnten bald folgen. Doch den hehren Plänen fehlt noch ein entscheidendes Detail: die Umsetzung. Im ÖFB ist es wie immer kompliziert. Einige Nachwuchsteamchefs haben gute Beziehungen zu Entscheidungsträgern, andere sind mit Sportdirektor Schöttel befreundet. Es dauert also wieder einmal. Ein Insider erzählt, dass Rangnick schnell unruhig werde, „wenn jemand auf der Bremse steht“. Er will Fortschritt statt Freunderlwirtschaft. In kleinem ÖFB-Kreis kursiert bereits der Gedanke, die Sportkompetenz für Rangnick auszuweiten – und Schöttel im Hintergrund zu parken. Intern wird diskutiert, ob die beiden in wichtigen Fragen überhaupt „denselben Zugang“ haben.

„Konsequente Entscheidungen“ im ÖFB „nicht möglich“

Einige im ÖFB-Präsidium erklärten gegenüber WZ, sie würden einen Wandel begrüßen – jedenfalls teilweise. „Rangnick ist ein Segen für den ÖFB“, betont der 70-jährige Oberösterreicher Götschhofer. Aber: „Eine formelle Kompetenzerweiterung für den Teamchef braucht es keine.“ Der 71-jährige Gartner dagegen will nach der erfolgreichen EM „keine Unruhe reinbringen“. So sieht das auch der 69-jährige Wiener Robert Sedlacek: „Es wäre vor der EM nicht ideal gewesen – und nach der erfolgreichen EM ist auch ein ungünstiger Zeitpunkt.“ Außerdem gebe es für ihn „keinen Grund, etwas Gravierendes zu ändern“. Ein anderer Landespräsident zeigt sich ob der behäbigen Entscheidungskultur entnervt: Es sei in diesem Männerbund einfach „nicht möglich, konsequent Entscheidungen zu treffen“, klagt er.

Ein Ersatztermin für die abgesagte Sitzung steht bereits fest: Ende August. Präsident Mitterdorfer selbst soll die Verschiebung forciert haben. Er brauche Zeit, heißt es, um die Männer zu einen und Mehrheiten für eine ÖFB-Reform zu bilden. Einige bezweifeln, dass ein großer Wurf gelingt. „Im Präsidium sind die einen für den, die anderen für den – egal, was das Beste für den österreichischen Fußball wäre“, sagt einer aus dem Gremium. Es existiert die Idee, mehr Macht in die Hände eines Vorstandsvorsitzenden zu legen, um die ständigen Querelen zweier Geschäftsführer zu beenden – und das Präsidium zu einem Aufsichtsrat zurückzustutzen. Doch um das zu beschließen, werden die mächtigen Funktionäre benötigt. Die ÖFB-Struktur sieht vor, dass nur sie selbst ihre Macht beschneiden können. „Dafür braucht es eine Mehrheit im Präsidium“, sagt einer im ÖFB. „Und das ist das Problem.“


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Infos und Quellen

Genese

Teamchef Ralf Rangnick und ÖFB-Präsident Klaus Mitterdorfer versuchen den verstaubten ÖFB zu reformieren – doch nicht alle im Verband wollen das. Alles begann damit, dass Autor Gerald Gossmann von einer geheimnisvollen Sitzung erfuhr, bei der lange verschleppte Probleme auf den Tisch kommen sollen, und begann zu recherchieren. In den letzten Wochen hat er mit Funktionären, Angestellten und Insidern gesprochen und dabei von brisanten Reformplänen erfahren, aber auch von Widerständen. Nun gibt er Einblicke in den geplanten Umbau des größten Sportverbandes des Landes – und in ein verzwicktes und zutiefst österreichisches Dilemma.

Gesprächspartner

  • ÖFB-Funktionäre, Verbands-Angestellte, Ex-Teamspieler und Insider, die anonym bleiben wollen

  • Gerhard Götschhofer, ÖFB-Präsidiumsmitglied und oberösterreichischer Landesverbandspräsident

  • Johann Gartner, Ex-ÖFB-Interimspräsident und niederösterreichischer Landesverbandspräsident

  • Robert Sedlacek, ÖFB-Präsidiumsmitglied und Wiener Landesverbandspräsident

Daten und Fakten

  • ÖFB-Struktur: Das Entscheidungsgremium des ÖFB, das Präsidium, besteht aus neun ehrenamtlichen Landespräsidenten, dem ÖFB-Präsidenten und Vertretern der österreichischen Bundesliga. Dort werden wichtige Entscheidungen gefällt. Immer wieder fanden in dem Gremium Machtkämpfe statt – auf Kosten des Sports. Für das Tagesgeschäft sind zwei Geschäftsführer zuständig – dazu kommt der Sportdirektor, der für die sportliche Ausrichtung zuständig ist und der Teamchef, der in der Regel bloß als Trainer der A-Nationalmannschaft fungiert – im Falle von Rangnick aber eine ganz neue Rolle ausfüllt.

  • Ralf Rangnick ist ein international renommierter Fußball-Trainer, der sich als kompromissloser Erneuerer einen Namen gemacht hat. Er hat RB Leipzig, RB Salzburg und die TSG Hoffenheim zu Champions-League-Startern geformt und war vor seinem ÖFB-Engagement als Trainer von Manchester United engagiert.

Quellen

Das Thema in der WZ

Das Thema in anderen Medien