Zum Hauptinhalt springen

Macht weniger Arbeitszeit produktiver?

6 Min
Ökonowie - Arbeitszeit
© Illustration: WZ

Die Arbeitnehmer:innenseite pocht auf mehr Lebensqualität, die Arbeitgeber:innenseite befürchtet wirtschaftliche Einschnitte. Was sagen die vorhandenen Daten?


Die 40-Stunden-Woche, die derzeit zur Diskussion steht, ist gar nicht so alt: 1959 wurde in Österreich die reguläre Arbeitszeit von 48 auf 45 Stunden mit vollem Lohnausgleich eingeführt. Ab 1970 wurde dieser Rahmen schrittweise auf 40-Stunden-Woche gekürzt, bis 1975 das entsprechende Gesetz in Kraft trat.

Vorangegangen waren lange Bemühungen der Gewerkschaft. Wie heute fürchtete man auch damals, dass weniger Arbeitsstunden sich negativ auf die Produktivität und Wirtschaftsleistung auswirken könnten. In einer Analyse der ökonomischen Effekte der Arbeitszeitverkürzung resümierte das Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo, dass es keine Belege dafür gebe, dass das Wirtschaftswachstum dadurch gebremst wurde.

Weniger arbeiten, weniger Wirtschaftswachstum?

Wie sich eine Verkürzung der Arbeitszeit auf die Wirtschaftsleistung auswirken könnte, darüber gibt es unterschiedliche Prognosen. Das Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo errechnete im Auftrag der Arbeiterkammer, dass bei einer Reduktion der in einer Umfrage erhobenen normal geleisteten Arbeitszeit um 3,5 Prozent die Wirtschaftsleistung, also das Bruttoinlandsprodukt, bis zu ein Prozent niedriger ausfallen könnte. Das Institut EcoAustria rechnete im Auftrag der Wirtschaftskammer Österreich etwas anders, konkret mit einer 32-Stunden-Woche, und kommt auf ein Minus von bis zu 6,9 Prozent ohne Lohnausgleich, bei vollem Lohnausgleich sogar 9,6 Prozent.

Uneinig sind sich die beiden Wirtschaftsforschungsinstitute außerdem bei den Auswirkungen auf die Produktivität. Das Wifo prognostiziert je nach Szenario 0,6 bis 1,5 Prozent mehr Produktivität pro Arbeitsstunde. EcoAustria sieht nur einen geringen Einfluss auf die Stundenproduktivität. Beide Studien rechnen mit einem Anstieg der Löhne und einem Rückgang der Arbeitslosenquote. Weiters könnten die Verbraucherpreise steigen, was für die Bevölkerung ein negativer Effekt haben könnte. Dadurch sehen EcoAustria und Wirtschaftskammer die Gefahr, dass langfristig Österreichs internationale Wettbewerbsfähigkeit sinken könnte.

Die Folgen der 4-Tage-Woche in anderen Ländern

Ein Vorreiter bei der Arbeitszeitverkürzung ist Island: In einer Pilotphase arbeiteten 2.500 Erwerbstätige von 2015 bis 2019 nur 35 statt 40 Stunden. Mittlerweile arbeiten 86 Prozent der Isländer:innen in Arbeitsmodellen mit weniger als 40 Stunden. Wie hat sich seither die Wirtschaftsleistung in Island verändert? Das BIP pro Arbeitsstunde lag laut Zahlen der OECD 2022 bei 109 US-Dollar, 2015 waren es noch 100 US-Dollar. Zum Vergleich: Im OECD-Schnitt stieg das BIP in diesem Zeitraum von 100 auf 106 Euro, gleiches gilt für Österreich.

AusgewieseneBefürworter der 4-Tage-Arbeitswoche sind bei ihren Studien noch optimistischer. Die Organisation „4 Day Week Global” setzt Pilotprojekte für die Einführung einer 32-Stunden-Woche bei gleichem Gehalt um. Nach einer zwölfmonatigen Testphase in Kanada und den USA sehen die Studienautoren keinen Einbruch der Produktivität, alle Unternehmen wollen die verkürzte Arbeitswoche beibehalten. Zu beachten ist allerdings, dass es sich um keine quantitative Auswertung der Produktivität handelt, sondern um Angaben der Unternehmen.

Gesundheit und Klima

Sowohl in Island als auch in den nordamerikanischen Pilotprojekten berichten Unternehmen und Arbeitnehmer:innen von einem gesteigerten Wohlbefinden, was die Produktivität positiv beeinflussen kann. Die Universität Cambridge begleitete vergangenes Jahr einen 4-Day-Workweek-Test in Großbritannien und beobachtete, dass die Zahl der Krankenstände um 65 Prozent sank. Der Umsatz der teilnehmenden Unternehmen veränderte sich kaum, 39 Prozent der Mitarbeiter:innen fühlten sich weniger gestresst als vor dem Versuch. Weniger arbeiten könnte außerdem nicht nur gut für die Gesundheit, sondern auch fürs Klima sein: Weil Erwerbstätige einmal weniger pro Woche pendeln, verringert die kürzere Arbeitswoche laut den Studien den Co2-Ausstoß.

Die Faktoren Gesundheit und Klima haben wiederum Einfluss auf die Wirtschaftsleistung und Wettbewerbsfähigkeit eines Landes. Das macht die Diskussion einer Arbeitszeitverkürzung so komplex. Was die Geschichte gezeigt hat: Die Debatte um das Ausmaß der Arbeitsstunden war schon immer emotional, eine Anpassung der Arbeitszeit an die gesellschaftlichen und industriellen Entwicklungen war jedoch trotz des Widerstands möglich.


Elisabeth Oberndorfer schreibt jede Woche eine Kolumne zum Thema Ökonomie. Alle Texte findet ihr auch in ihrem Autor:innenprofil.


Dir hat dieser Beitrag besonders gut gefallen oder du hast Hinweise für uns - sag uns deine Meinung unter feedback@wienerzeitung.at. Willst du uns helfen, unser gesamtes Produkt besser zu machen? Dann melde dich hier an.


Infos und Quellen

Genese

SPÖ-Chef Andreas Babler und der Österreichische Gewerkschaftsbund sprechen sich für eine Verkürzung der Arbeitszeit auf 32 Stunden aus. In der Debatte um die 4-Tage-Woche halten Wirtschaftsvertreter:innen weiterhin gegen eine Anpassung. Wir haben uns deshalb angesehen, was die vorhandenen Daten über eine Arbeitszeitverkürzung aussagen.

Quellen

Das Thema in anderen Medien