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Österreich bei der Euro 2024: Geht nicht, gibt’s nicht mehr

7 Min
Österreichs Kader ist über 300 Millionen Euro wert.
© Illustration: WZ, Bildquelle: Adobe Stock

Das österreichische Nationalteam wurde lange geschmäht, nun wird im Land vom Europameister-Titel geträumt. Woher kommt der neue Mut des ewigen Außenseiters?


Cordoba-Held Hans Krankl gab zuletzt die Marschroute vor: Er erwarte nicht bloß das Finale, sondern den Titel. Krankl lächelte süffisant, schien es aber doch ernst zu meinen. Selbst Teamchef Ralf Rangnick erklärte: Ein Triumph sei „nicht völlig ausgeschlossen“. In Österreich, dem Land der Zu-Tode-Betrübten, aber auch der Himmelhochjauchzenden, träumt man bereits vom Europameistertitel. Sogar nüchterne Analysten erwarten zumindest das Viertelfinale. Das ist ungewöhnlich. Bisher war dabei sein alles. Und das aus guten Gründen: Es ist erst die vierte EM-Teilnahme für Österreich. Bei einer WM war man zuletzt vor 26 Jahren. Österreich gilt als Land der Skifahrer:innen. Nicht der Fußballer:innen. Vor der letzten EM 2021 erklärte Teamchef Franco Foda, dass ein bloßer Sieg das Ziel sei. Und das schien schon hochgegriffen: Davor gelangen bei zwei Europameisterschaften lediglich zwei Pünktchen. Was also verleitet aktuell dazu, von einem EM-Titel zu träumen?

Kurz gesagt: ein Deutscher. Seit Ralf Rangnick im Mai 2022 Teamchef der Österreicher wurde, ist alles anders. Der Mann ist nicht nur Trainer, sondern Psychologe. Er hat den Spielern eingeimpft, überall gewinnen zu können. Egal wo. Egal gegen wen. Gleich im ersten Spiel gelang ein Sieg: 3:0 gegen die Fußballmacht Kroatien. Es folgte ein 1:1 gegen Weltmeister Frankreich. Dennoch tobte der Teamchef. Er wollte gewinnen. „Ich würde den österreichischen Fußball gerne dorthin bringen, wo er hingehört“, erklärte Rangnick. Sein Ziel: die Weltspitze.

Ein echter Österreicher hätte danebengeschossen

Einst wurden heimische Kicker belächelt. Als Ivica Vastic bei der WM 1998 ein Tor erzielte, titelte die Kronenzeitung: „Ivo, jetzt bist du ein echter Österreicher“. Spott ergoss sich: Ein echter Österreicher hätte doch danebengeschossen. Vor der EM 2008 nahm nicht einmal Teamchef Josef Hickersberger seine Kicker ernst. „Wir haben nur unsere Stärken trainiert, darum war die Einheit nach 15 Minuten vorbei“, scherzte er.

Österreichs Fußball war lange von ängstlichen Männern geprägt, die selbst bei Interviews nervös wirkten. Doch das ist nicht mehr so. Hickersberger hatte 2008 bloß fünf Legionäre im Kader. 2021 waren es 24. Im aktuellen EM-Aufgebot stehen 20. Österreichische Fußballer sind Stars in Weltligen. David Alaba spielt für Real Madrid, Konrad Laimer für Bayern München, Marco Arnautovic bei Inter Mailand und Marcel Sabitzer beim Champions-League-Finalisten Borussia Dortmund. Dazu verfügt der ÖFB über einen Riesen-Vorteil: Die meisten Spieler wurden mit mutigem Pressing-Fußball groß. Sprich: Sie wollen überall angreifen und gewinnen.

An die Leine genommen

Als Rangnick das Team übernahm, waren die Spieler jedoch keine Draufgänger sondern Duckmäuser. Der 2017 installierte Teamchef Franco Foda neigte zur Vorsicht. Die Spieler fühlten sich an die Leine genommen. Foda wollte verteidigen, die Kicker angreifen. „Es ist immer wieder zu Diskussionen in der Kabine gekommen“, erzählte einer aus dem engsten Kreis. Spieler klagten intern und richteten eine Beschwerde an den ÖFB-Boss. Der verdonnerte Foda zu einer Art Führungskräfteschulung, beließ ihn aber im Amt. Es sei „ein ständiges Zittern, ein stetes Einfordern, nicht gebremst zu werden“, war während der EM 2021 aus Spielerkreisen zu hören. Österreich gelang gegen die Außenseiter Nordmazedonien und Ukraine der Aufstieg ins Achtelfinale. Dort bastelten Führungsspieler einen Notfallplan. Sie studierten den Gegner Italien – und spielten offensiver als ausgemacht, was immerhin zu einer packenden Partie und in die Verlängerung führte.

Allheilmittel war es keines. In der WM-Qualifikation 2022 wurde Österreich hinter Dänemark, Schottland und Israel bloß Vierter. Es setzte peinliche Pleiten: 2:5 in Israel, 0:4 gegen Dänemark. In viereinhalb Jahren konnte kein besser klassiertes Team besiegt werden, in der Weltrangliste stürzte man auf Platz 34 ab. Der schwarze Peter wurde den Spielern zugeschoben. „Alaba ist unser Problemfall“, unkte Toni Polster. „Die Qualität reicht nicht aus“, bemerkte Herbert Prohaska. Und Roman Mählich zweifelte, ob es sich tatsächlich um eine „hochkarätige Spielergeneration“ handle.

Ausreden-Weltmeister

Österreichs Kader ist über 300 Millionen Euro wert. Im ÖFB aber suchten Funktionäre nach Ausreden. „Ich würde mir nicht sagen trauen, dass es die beste Generation ist, die wir je hatten“, betonte Sportdirektor Peter Schöttel. Und: „Es liegt sicher nicht am Teamchef, dass sie sich nicht entfalten können“. Bei der Nationalmannschaft sei es eben „nicht wie im Verein“, hielt Schöttel fest. „Man hat ganz wenig Zeit, um zu trainieren.“ Ein offensiver Pressing-Stil sei deshalb nicht umsetzbar. „Wir haben hier nicht die Zeit, um Abläufe exakt hinzubekommen.“ Die skurrile Botschaft lautete: Mit mutigen Spielern ist aufgrund des Zeitmangels bloß feiger Fußball möglich.

Rangnick hat in Europa einen angriffigen, überfallsartigen Spielstil geprägt – und wird als Taktik-Papst gefeiert. Der ÖFB hatte Glück: Der Deutsche erkannte, hier die passenden Spieler für seine Idee vorzufinden. Dabei wollte Sportdirektor Schöttel anfangs gar nicht bei Rangnick anrufen. Es sei „Zeit für einen österreichischen Trainer“, erklärte der Ex-Teamspieler, ehe sich „eine Möglichkeit aufgetan hat, die ich am Anfang gar nicht gesehen hätte“. Eigentlich sollte Peter Stöger übernehmen, ein Schöttel-Spezi, der aber wie Foda zur Vorsicht neigt. Dann funkte Rangnick dazwischen, war Feuer und Flamme – und verzichtete sogar auf ein üppiges Gehalt.

„Diese Spieler nicht von der Leine zu lassen, macht ja keinen Sinn“

Und siehe da: Schon nach wenigen Trainingseinheiten spielte Österreich, wie es im ÖFB lange nicht für möglich gehalten wurde – mutig, angriffig, offensiv. Auch gegen wesentlich stärkere Gegner. „Diese Spieler nicht von der Leine zu lassen, macht ja keinen Sinn“, erklärte Rangnick. „Wenn du denen sagst, wir bleiben hinten und warten, ob uns der Gegner freiwillig den Ball gibt, nimmst du ihnen jede Stärke.“ Natürlich sei mutiger Pressing-Fußball hier möglich, hielt der Teamchef fest. „Diese Vermutung, die damals geäußert wurde, hat für mich keine logische Basis. Warum sollte das so sein? Natürlich geht es.“

Geht nicht, gibt’s nicht mehr. Auch bei der EM will Rangnick „so weit kommen, wie möglich“. Er hat allen im Team Karabinerhaken aus dem Baumarkt geschenkt. Die sollen den Zusammenhalt symbolisieren – „bis zum Finale der Europameisterschaft in Berlin“, rief er. „Rangnick hat uns ein neues Denken beigebracht“, erklärte Teamspieler Christoph Baumgartner. „Wir machen uns nicht mehr in die Hose.“

ÖFB-Teamspieler Laimer: „Es ist unser Anspruch, irgendetwas zu gewinnen“

Rangnicks Vorgänger trugen zumeist Ausreden wie Schutzschilder vor sich her. Lange galt: Kleine Ziele, kleine Ergebnisse. „Es ist unser Anspruch, irgendetwas zu gewinnen“, erklärte Teamspieler Konrad Laimer zuletzt.

Ein großer Erfolg ist von der Papierform her trotzdem nicht unbedingt realistisch. Bei der letzten EM reichten Siege gegen Nordmazedonien und Ukraine zum Aufstieg. Nun warten schon in der Vorrunde der mehrmalige Weltmeister Frankreich (1,2 Milliarden Marktwert), die Niederlande (800 Millionen) und Polen (210 Millionen) auf Österreich (230 Millionen; ohne die Ausfälle Alaba und Schlager). Aber als Einheit, sagt Rangnick, „wollen wir die stärkste Mannschaft bei dieser EM darstellen“. Der letzte Außenseiter-Titel gelang Griechenland – vor 20 Jahren.

„Bitte lass uns attackieren!“, fordern Rangnicks Spieler. „Die Jungs wollen, dass wir sie von der Leine lassen.“ So wurde Italien besiegt. Und Deutschland. Die Türkei hat man zuletzt 6:1 aus dem Stadion gefegt. Österreich spielt so offensiv und mutig wie noch nie. Nun wartet am Montag zum EM-Auftakt die Weltmacht Frankreich. Der größte Trumpf: Österreich spielt nicht mehr wie Österreich.


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Infos und Quellen

Genese

Autor Gerald Gossmann recherchiert und schreibt seit fast 15 Jahren zu ÖFB-Themen. Für WZ erklärt er, warum die lange geschmähte österreichische Nationalmannschaft nun als Geheimfavorit bei der EM 2024 gilt. Die Geschichte handelt von groben Fehlern und ein bisschen Glück.

Gesprächspartner

Der Autor hat mehrfach mit Teamchef Ralf Rangnick, ÖFB-Entscheidungsträgern, Insidern und Funktionären gesprochen. In den Jahren davor hat er Unstimmigkeiten im Nationalteam aufgedeckt.

Daten und Fakten

  • Der ÖFB ist föderalistisch organisiert. Das Entscheidungsgremium des Verbandes, das Präsidium, besteht aus neun ehrenamtlichen Landespräsidenten, dem ÖFB-Präsidenten und Vertretern der österreichischen Bundesliga. Dort werden die wichtigen Entscheidungen gefällt: Wer wird Teamchef, wer Sportdirektor? Immer wieder fanden in dem Gremium Machtkämpfe statt – auf Kosten des Sports.

  • Die Nationalmannschaft besteht seit vielen Jahren aus hochkarätigen Legionären. Die teuersten Kicker sind aktuell: Konrad Laimer (Bayern München, 30 Millionen Euro), Kevin Danso (RC Lens, 25 Millionen), Marcel Sabitzer (Borussia Dortmund, 20 Millionen), Christoph Baumgartner (RB Leipzig, 18 Millionen).

  • Hochkarätige Spieler des ÖFB-Teams fallen verletzungsbedingt für die EM aus: Xaver Schlager (RB Leipzig, 28 Millionen), David Alaba (Real Madrid, 20 Millionen), Sasa Kalajdzic (Wolverhampton Wanderers, 5 Millionen).

  • Die Mannschaft wird oft als goldene Generation bezeichnet. Einige Topstars sind aber bereits über 30 Jahre alt: Marko Arnautovic (35 Jahre), David Alaba (31), Marcel Sabitzer (30), Michael Gregoritsch (30).

  • Das Abschneiden der Österreicher bei großen Turnieren: EM 2008 (2 Punkte, Vorrunden-Aus), EM 2016 (1 Punkt, Vorrunden-Aus), EM 2021 (Achtelfinal-Aus). Die letzten WM-Teilnahmen: WM 1998, 1990.

Quellen

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