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Österreichs Naturschutz reicht nicht einmal für die Ameise

4 Min
Immer mehr Tier- und Pflanzenarten sind gefährdet - auch in Österreich.
© Illustration: WZ, Bildquelle: Getty Images

Mehr als 80 Prozent der von der EU bewerteten Lebensräume sind in keinem guten Zustand. Auch in Österreich ist das so.


In der saftig grünen Wiese wiegen ein paar Sommerblumen ihre Blütenköpfe in der leichten Brise. Noch. Denn der Traktor steht schon bereit, um sie zu mähen − das fünfte Mal in dieser Saison. Das ist es allerdings nicht, was Florian Glaser Sorgen macht. Er schüttelt den Kopf: „Sie war immer da und plötzlich nicht mehr“, sagt der hagere Mann im grünen T-Shirt. Der Ameisen-Experte spricht allerdings nicht von einer besonders seltenen Pflanzen-Spezies, sondern von einem kleinen, unscheinbaren, gewöhnlichen Tierchen: der gelben Wiesenameise.

Ist sie ausgestorben auf der Wiese? Oder hat sie sich ein anderes Zuhause gesucht? Warum ist sie nicht mehr da? Wahrscheinlich, weil ihr bisheriger Lebensraum in keinem guten Zustand ist. Das hat nämlich vor einiger Zeit das Umweltbundesamt festgestellt.

Arten-Vielfalt verschwindet

Das Renaturierungsgesetz, welches vor kurzem auf EU-Ebene beschlossen wurde, beruht auf der Feststellung der Europäischen Kommission, dass mehr als 80 Prozent der bewerteten Lebensräume innerhalb der EU in keinem guten Zustand seien. Auch in Österreich ist die Mehrheit der bewerteten Lebensräume in einem ungünstigen Zustand. Was das heißt? Gelistete Tier- und Pflanzenarten sowie Lebensraumtypen werden nach bestimmten Parametern wie Populationsgröße, Lebensraumfläche, Habitatqualität oder Zukunftsaussichten bewertet. Passen die nicht, gibt es Minuspunkte. Das betrifft die Ameise, die Arnika-Pflanze und die Salzlacken. Das betrifft den Huchen, das Sichelmoos und alpine Flüsse mit Ufergehölzen. Und noch vieles mehr. Diese Arten und Lebensräume sind bedroht.

Doch wie kann das sein in einem Land wie Österreich, in dem mit Naturschutz geworben wird und es außerdem doch ganz schön bei uns aussieht?

Hier ist ein kleiner Rückblick notwendig. Denn der Umstand, dass wir renaturieren müssen, trifft uns nicht von heute auf morgen. Warum es überhaupt zu diesem Gesetz gekommen ist, beruht auf Daten, die den Zustand der Natur bewerten, und die seit rund 30 Jahren von den Mitgliedsstaaten erhoben und an die EU geliefert werden. Und diese Daten ließen die Alarmglocken schrillen.

Seit 30 Jahren geht es abwärts

Im Jahr 1992 beschloss die EU die sogenannte FFH-Richtlinie. Die Mitgliedsstaaten wurden verpflichtet, Schutzgebiete zu definieren, in denen sie Fauna, Flora und Habitate bestmöglich pflegen und bewerten sollten − die sogenannten Natura-2000-Gebiete. Ziel ist es, bestimmte Tiere, Pflanzen und Lebensräume, die für Europa von besonderer Bedeutung sind, zu schützen. Alle sechs Jahre müssen sie darüber berichten.

Österreichs letztes Ergebnis der Periode 2013 bis 2018 war ernüchternd: 80 Prozent der bewerteten FFH-Lebensraumtypen sind laut Umweltbundesamt in schlechtem Zustand. Das betrifft etwa die pannonischen Salzsteppen und Salzwiesen. Auch der Mehrheit der bewerteten Tier- und Pflanzenarten von europäischem Interesse geht es nicht besser, wie etwa Juchtenkäfer, Huchen, Maivogel, Arnika, Sumpf-Siegwurz, Kugel-Hornmoos oder Bachmuschel. Die Liste ist lang.

„Ziele nicht erreicht“

Diese Schutzgüter sind bereits seit vielen Jahren in Gefahr. „Über einen längeren Zeitraum gesehen, sieht man eine ungünstige Entwicklung. Das bedeutet, dass die Ziele nicht erreicht wurden“, sagt Helmut Gaugitsch vom Umweltbundesamt. Das Umweltbundesamt sammelt die Daten im Auftrag der Bundesländer. In der Untersuchungsperiode 2013 bis 2018 schwärmten 140 Fachleute an 1.674 Tagen aus, um Erhebungen auf repräsentativen Flächen zu machen.

Die Gründe, warum auch in Österreich die Artenvielfalt zurückgeht, liegen am Tisch: intensive Land- und Gewässernutzung, zu viele Schadstoffe im Boden und in der Luft, Klimawandel, standortfremde Arten. Die Gründe, warum nicht genug getan wird, um die Biodiversitäts-Krise zu stoppen, sind weniger klar.

Neun Naturschutzgesetze in Österreich

Naturschutz ist in Österreich Ländersache. Wie viel Geld in den Naturschutz fließt, ist die Entscheidung der jeweiligen Landesregierungen. Die Naturschutzabteilungen der Landesregierungen können mit dem schlechten Befund jedoch wenig anfangen, weil es keine länderspezifische Zuordnung der Befunde gibt. Die Ergebnisse des Berichts des Umweltbundesamtes können nicht auf die einzelnen Bundesländer heruntergebrochen werden. Die Bewertung bezieht sich auf einzelne Schutzgüter wie etwa eine bestimmte Vogelart und nicht auf Schutzgebiete.

Zu wenig Personal, zu wenig Ressourcen

„Die Naturschutzabteilungen der Länder tun, was sie können. Es fehlt jedoch an Personal und Ressourcen“, sagt WWF-Biodiversitäts-Experte Joschka Brangs zur WZ. Der Föderalismus mache es schwer. Ein Bundesrahmennaturschutzgesetz wie in Deutschland würde hier schon helfen.

Auch die EU hat erkannt, dass die FFH-Richtlinie nicht ausreicht, um die lebenswichtigen Ökosysteme zu schützen. „Der EU ist es nicht gelungen, den Rückgang geschützter Lebensraumtypen und Arten aufzuhalten“, heißt es im Renaturierungsgesetz. Wichtiger Anhaltspunkt für diese Erkenntnis waren auch die Daten aus Österreich.

Der gelben Waldameise ist es egal, aus welchen Gründen ihr Lebensraum nicht geschützt wird. Ob es am Föderalismus liegt, der es schwierig macht, einheitliche, übergeordnete Ziele zu verfolgen, oder daran, dass es bis jetzt keine Fristen gibt, bis wann welche Art oder ein Lebensraum wie geschützt werden muss. Das Renaturierungsgesetz will das nun ändern. Für die gelbe Waldameise kann es trotzdem zu spät sein.


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Infos und Quellen

Genese

Wie kann es sein, dass rund 80 Prozent der FFH-Schutzgüter in Österreich in schlechtem Zustand sind? Was wird hier bewertet? Schutzgüter oder Schutzgebiete? WZ-Redakteurin Ina Weber geht diesen Fragen nach und landet auf der grünen Wiese bei der gelben Wiesenameise. Auch diese Spezies ist – neben vielen anderen – bedroht. Die Natur in Österreich sieht für uns oft sehr schön aus. Was sich dahinter verbirgt, welche Ökosysteme in Gefahr sind, sehen wir nicht.

Gesprächspartner:innen

  • Helmut Gaugitsch, Umweltbundesamt

  • Klimaministerium

  • Naturschutzabteilungen der Landesregierungen

  • Vertretung der EU-Kommission in Österreich

  • Joschka Brangs, WWF-Biodiversitäts-Experte

  • Florian Glaser, Ameisen-Experte

Daten und Fakten

  • Das Renaturierungsgesetz will Ökosysteme bewahren bzw. wiederherstellen.

  • Die FFH-Richtlinie wurde 1992 beschlossen und hat zum Ziel, Fauna, Flora und Habitate in den Mitgliedstaaten zu schützen. Im Anhang der Richtlinie sind Tier- und Pflanzenarten sowie Lebensraumtypen angeführt, die für Europa schützenswert sind. Alle sechs Jahre müssen die Mitgliedstaaten einen Bericht an die Europäische Kommission schicken.

  • Natura-2000-Schutzgebiete: In der FFH-Richtlinie werden die Mitgliedstaaten angehalten, Schutzgebiete zu definieren. In Österreich gibt es 353 solcher Gebiete. Das sind beispielsweise die Wachau oder der Seewinkel. Es gibt jedoch keine Bewertung dieser Schutzgebiete in ihrer Gesamtheit, sondern lediglich eine des Zustands der einzelnen Schutzgüter wie z. B. die Vorkommen der Kreuzkröte in Österreich.

  • EU-Vertragsverletzungsverfahren: Im Jahr 2022 rügte die Europäische Kommission Österreich dafür, dass es zu wenig im Sinn der Richtlinie macht. „Die Kommission fordert Österreich auf, die Umsetzung der nationalen Rechtsvorschriften im Einklang mit der Habitat-Richtlinie ... zu verbessern. Österreich setzt die erforderlichen Maßnahmen erst spät um. In Österreich wurden mehrere Gebiete ... noch nicht geschützt ... keine Schutzziele und Maßnahmen festgelegt oder ... unvollständig ... Aufgrund dieser Mängel ist eine korrekte Bewertung ... nicht möglich. Schließlich hat es Österreich auch versäumt, die Öffentlichkeit ausreichend über Schutzziele- und -maßnahmen zu informieren.“

  • Das Umweltbundesamt sammelt die Daten im Auftrag der einzelnen Bundesländer. Denn in Österreich ist Naturschutz nicht Bundes-, sondern Ländersache.

  • Erste Rote Liste für Ameisen in Österreich: Immer mehr Ameisen-Arten sind in Österreich gefährdet. Grund dafür sind der Einsatz von Bioziden und zu wenig Kenntnis darüber, welche Lebensräume erhalten werden müssen.

  • Das Landwirtschaftsministerium verweist auf das Agrarumweltprogramm ÖPUL (Österreichisches Programm zur Förderung einer umweltgerechten, extensiven und den natürlichen Lebensraum schützenden Landwirtschaft).

Quellen

Das Thema in anderen Medien