Bruno Kreisky bestimmte auf Jahre hinaus für die SPÖ ein verbindliches Konzept im Nahost-Konflikt. Die meisten anderen Parteien reagieren eher auf konkrete Ereignisse.
Wie hältst Du’s mit den Palästinensern? – Das ist die Gretchenfrage, der sich nicht zuletzt die politischen Parteien Österreichs früher oder später stellen müssen, wenn sie ihre außenpolitischen Koordinaten bestimmen.
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Gegenwärtig sieht es so aus, dass alle im Parlament vertretenen Parteien den Überfall der Hamas auf Israel scharf verurteilen. In keiner erhebt sich eine Stimme der Relativierung von Täter und Opfer. Die SPÖ-Abgeordnete Muna Duzdar, Tochter palästinensischer Einwanderer, schreibt auf dem Kurznachrichtendienst X (vormals Twitter): „Mit Entsetzen habe ich Bilder einer kleinen Gruppe gesehen, die in Wien die scheußlichen Angriffe der Hamas auf israelische Zivilisten feiert. Schämt euch! Ihr sprecht nicht für uns Menschen mit arabischer/palästinensischer Herkunft. Solidarität mit den Opfern und ihren Angehörigen.“
Bruno Kreisky hilft Jassir Arafat
Das dürfte die derzeitige Stimmung in der SPÖ widerspiegeln. Historisch freilich sah es schon einmal anders aus. Legendär ist die Nahost-Politik Bruno Kreiskys in den 1970er-Jahren. Er machte aus seiner Abneigung gegen die israelische Ministerpräsidentin Golda Meir kein Hehl, brüskierte sie, indem er sie warten ließ und ihr dem Vernehmen nach nicht einmal ein Glas Wasser anbot. Ausgerechnet der Jude Kreisky stellte sich auf die Seite der Palästinenser und unterstützte tatkräftig Jassir Arafat, den Präsidenten der PLO, der Palestine Liberation Organization (Palästinensische Befreiungsorganisation), indem er den bis dahin Gemiedenen spätestens im Juli 1979 durch ein von Kreisky in Wien organisiertes Treffen mit Arafat und dem Präsidenten der Sozialistischen Internationale, Willy Brandt, hoffähig machte. Der israelische Premierminister Menachem Begin bezeichnete Kreisky daraufhin als „jüdischen Verräter".
Die Haltung Kreiskys und die langjährige Position der SPÖ auch in den Jahren nach Kreisky kam nicht überraschend. Sie entsprang dem Wesen des Sozialismus. Dieser nämlich betreibt, vereinfacht gesagt, eine Mündelpolitik, indem er sich prinzipiell auf die Seite von Personengruppen stellt, die er als schlechter gestellt aufgrund von Geschlecht, Ethnie, physischen Eigenschaften und dergleichen ortet. Die Palästinenser waren somit die idealen politischen Mündel, die es gegen den Staat Israel in Schutz zu nehmen galt.
Kreisky und die sozialistische Partei Österreichs befand sich nicht allein in dieser Position: Die meisten sozialistischen Parteien Europas fühlten sich verpflichtet, den Palästinensern zu helfen.
Differenzierung ist notwendig
Die Grünen nahmen eine vergleichbare Position ein. Beide Parteien differenzierten stets genau zwischen „den Palästinensern“, ihren politischen Vertretern und terroristischen Akten, die von radikalen Palästinensern gesetzt wurden. Diesbezüglich konnte ebenfalls Kreiskys Herangehensweise als Vorbild dienen: Er hatte versucht, die palästinensischen Anliegen zu verstehen und mit Arafat verhandelt, obwohl am 28. September 1973 Palästinenser einen aus der UdSSR kommenden Zug mit 37 nach Israel auswandernden Jüdinnen und Juden in der Grenzstation Marchegg überfallen und Geiseln genommen hatten.
Eine differenzierte Haltung einzunehmen, heißt freilich nicht, Terrorakte kleinzureden. Dementsprechend haben auch die Grünen keine Sympathien für den Überfall der Hamas auf Israel: „Wir verurteilen den Terror-Angriff auf die israelische Zivilbevölkerung auf das Schärfste und stehen an der Seite Israels. Unsere Gedanken sind in diesen schweren Stunden bei den Opfern, ihren Familien und Freund:innen“, heißt es auf ihrer Website.
Eine belastete Beziehung
Das Verhältnis zwischen Israel und der FPÖ ist traditionell problematisch: In der FPÖ wurde wiederholt Antisemitismus geortet, was sich auch nicht grundlegend änderte, nachdem der damalige Parteichef HC Strache auf dem Akademikerball 2018 dem Antisemitismus in der FPÖ eine klare Absage erteilt hatte. In der FPÖ sieht man den Überfall der Hamas auf Israel allerdings noch aus einem weiteren Blickwinkel: So verurteilten sowohl FPÖ-Obmann Herbert Kickl als auch der FPÖ-EU-Abgeordnete Harald Vilimsky den antiisraelischen Terror; Vilimsky freilich sagte obendrein, es sei „beschämend, wie in zahlreichen EU-Ländern Palästinenser und arabischstämmige Gruppen gleichzeitig die Terrorakte der Hamas öffentlich gefeiert haben. Diese Personen müssen umgehend ausgewiesen, ihre Organisationsstrukturen verboten werden. Wir brauchen keinen importierten Antisemitismus in der EU.“
In der Geschichte der FPÖ neigte deren langjähriger Obmann Jörg Haider zu einer Annäherung an die Palästinenser. So bekannte er, er sei in der Palästinenserfrage „einer Meinung mit Saddam Hussein“. Das bedeutet, dass Haider im Nahost-Konflikt eher die arabische Position als die israelische einnahm.
Flagge zeigen
Während sich die Neos mit dem Nahost-Konflikt bisher noch nicht nachhaltig auseinandergesetzt haben, was für eine verhältnismäßig junge Partei verständlich ist, ist es auch bei der ÖVP schwierig, ihre Haltung gegenüber den Anliegen der Palästinenser zu klären: Dass der damalige Bundeskanzler Sebastian Kurz auf dem Bundeskanzleramt die israelische Fahne hissen ließ, mag den Kurs ebenso verraten wie das dazugehörige Statement von Kurz auf Twitter: „Heute wurde als Zeichen der Solidarität mit Israel die israelische Flagge am Dach des Bundeskanzleramtes gehisst. Die terroristischen Angriffe auf Israel sind auf das Schärfste zu verurteilen! Gemeinsam stehen wir an der Seite Israels.“ Dabei darf freilich nicht übersehen werden, dass Terrorakte der Hamas gegen Israel vorausgegangen waren. Auch jetzt weht wieder die Fahne Israels über dem Bundeskanzleramt und dem Außenministerium. Das mag durchaus als Positionsbestimmung der ÖVP verstanden werden.
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Infos und Quellen
Genese
In der redaktionsinternen Diskussion über den Überfall der Hamas auf Israel tauchte unter anderem die Frage auf, wie sich Österreichs Parteien in ihrer Geschichte zu den Palästinensern positioniert haben. Ein Konzept, das diesen Namen verdient, habe seinerzeit nur die SPÖ unter Bruno Kreisky entwickelt, meinte Edwin Baumgartner.
Daten und Fakten
Bruno Kreisky (1911-1990) war von 1967 bis 1983 Vorsitzender der Sozialistischen Partei Österreichs (SPÖ) und von 1970 bis 1983 Bundeskanzler der Republik Österreich.
Golda Meir (1898-1978) war von 1956 bis 1965 Außenministerin und vom 17. März 1969 bis 3. Juni 1974 Ministerpräsidentin Israels.
Jassir Arafat (1929-2004) war ab 1969 dritter Vorsitzender der Palästinensischen Befreiungsorganisation sowie vom 12. Februar 1996 bis zu seinem Tod erster Präsident der palästinensischen Autonomiegebiete. 1957 war er Mitbegründer und später Anführer der palästinensischen Fatah, die zahlreiche terroristische Anschläge und Bombenattentate auf israelische, jordanische und libanesische Ziele verübte.
In der PLO (Palestine Liberation Organization) treffen einander verschiedene Fraktionen palästinensischer politischer Gruppierungen, die die Vertretung aller Palästinenser, auch der im arabischen und im nichtmuslimischen Ausland, anstrebt. Die stärkste Fraktion ist die Fatah.
Quellen
Bruno Kreisky: Erinnerungen (Styria Premium, Wien, 2014)
Kreisky Forum: Rethinking Israel / Palestine
Das Thema in anderen Medien
Der Standard: Arafat und Kreisky – wie es begann
Profil: Zeitgeschichte: „Mein lieber Freund“ - Bruno Kreisky, Jassir Arafat und Palästina
Tagesschau: Wie die EU die Palästinenser finanziert
Vereinte Nationen: Israelis und Palästinenser - Plädoyer für gute Nachbarschaft