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Heimische Schiris in Gefahr: Schläge, Tritte, Zusammenbrüche

7 Min
Schiedsrichter:innen werden immer öfter Opfer von schweren Attacken – und werden kaum geschützt.
© Illustration: WZ, Bildquelle: Adobe Stock

Auf heimischen Fußballplätzen werden Schiedsrichter regelmäßig schwer attackiert. Der WZ liegen Videos vor, die Kopfstöße und Fausthiebe zeigen. Gewalttaten nehmen zu, doch geschützt werden die Unparteiischen kaum.


    • In den letzten zwei Jahren gab es österreichweit 55 Gewalttaten gegen Schiedsrichter, darunter Schläge, Tritte und Würgegriffe.
    • Viele Schiedsrichter, darunter Christian Heiner und eine 17-jährige Kollegin, erlitten psychische und körperliche Folgen durch Übergriffe.
    • Der Schiedsrichtermangel verschärft sich, da Nachwuchs wegen fehlendem Schutz und zu milder Strafen oft früh wieder aufhört.
    • 55 Gewalttaten gegen Schiedsrichter in Österreich in den letzten 2 Jahren
    • Über 2.000 Vergehen gegen Referees seit 2022, inkl. Beschimpfungen und Bedrohungen
    • ÖFB benötigt rund 500 zusätzliche Schiedsrichter:innen
    Mehr dazu in den Infos & Quellen

Hermann Felber, 62 Jahre alt, begann vor ein paar Jahren als Schiedsrichter, um im Alter fit zu bleiben. Dann aber passierte das Gegenteil.

Herbst 2024, Sportplatz Lackenbach, burgenländische Unterliga. Die Partie zwischen Lackenbach und Steinberg verlief eigentlich ruhig. Bis zu jenem Zeitpunkt, als Felber einen tobenden Kicker des Feldes verwies. Das Problem: Der zornige Mann ging nicht – sondern trat auf den Schiedsrichter ein. Mit schweren Folgen. Knöchelbruch, 44 Tage Liegegips, zehn Monate Reha. „Mir ist es gar nicht gutgegangen“, sagt Felber zur WZ. „Nächtelang habe ich nicht geschlafen.“

Das ist kein Einzelfall. Ähnliche Attacken sind auch aus Vorarlberg, Tirol oder Kärnten bekannt. WZ-Recherchen ergeben, dass in den letzten zwei Jahren österreichweit 55 (!) Gewalttaten auf Schiedsrichter verübt wurden. Darunter Faustschläge, Tritte und Würgegriffe. Der WZ liegen interne Dokumente dazu vor.

Etwa 2.500 Personen sorgen österreichweit dafür, dass in nahezu jedem Dorf gekickt werden kann. Die Referees pochen auf die Einhaltung der Spielregeln, verhängen Rote Karten, Strafstöße – und das alles in einer Art Ehrenamt, für das sie abseits der Bundesliga bloß eine geringe Aufwandsentschädigung erhalten.

Nun aber sind sie immer öfter Opfer von schweren Attacken – und werden, das zeigen WZ-Recherchen, kaum geschützt.

Dort sind mir Tränen über die Wangen geflossen
Christian Heiner, Schiedsrichter

55 (!) Schiri-Attacken in zwei Jahren

Ein Abend Ende August in der Regionalliga Ost. Der FCM Traiskirchen führt in der letzten Minute 2:1 gegen den Wiener Sport-Club. Dann ein Elfmeter-Pfiff für die Wiener. Strafstoß! Ausgleich! Endstand: 2:2. Der Traiskirchen-Obmann wirkt erzürnt, er stürmt aufs Feld und verpasst dem Schiedsrichter einen festen Stoß (das Video liegt der WZ vor). Christian Heiner, 27, geht zu Boden. Im Krankenhaus wird später eine Nasenprellung festgestellt. Heiner flieht in die Kabine. „Dort sind mir Tränen über die Wangen geflossen“, sagt er zur WZ.

Fußballplätze waren schon immer raue Orte. Es wird getrunken, geflucht, gerauft. „Schiri, wir wissen, wo dein Auto steht“, ist ein Klassiker auf Tribünen. Doch aus halblustigen Gesängen wurde zuletzt eine ernste Gefahr. Übergriffe und Gewalttaten nehmen stark zu. „Alle paar Wochen, wenn nicht gar wöchentlich, haben wir irgendwo einen Abbruch“, erklärt Wiens Schiedsrichter-Obmann Johann Liebert. Sogar bei Nachwuchspartien. Spieler schlagen aufeinander ein, Mütter ziehen sich an den Haaren, Väter trinken über den Durst – und am Ende werden Schiedsrichter:innen, die über Sieg und Niederlage entscheiden, immer wieder zu Sündenböcken.

Die WZ hat von einem Fall erfahren, der sich vor Monaten während eines Nachwuchsspiels unter 14-jährigen Buben in Wien ereignet hat. Dort stürmte ein Vater das Feld und schlug dem 18-jährigen Schiedsrichter mit der Faust brutal auf den Hinterkopf (das Video liegt der WZ vor).

15-jähriger Schiedsrichter weinend zusammengebrochen

Vor allem Eltern würden zu Problemfällen. „Jeder glaubt, sein Kind ist Messi oder Ronaldo – und wenn es dann nicht so läuft, ist der Schiri schuld“, erklärt ein Referee, der namentlich nicht genannt werden will. Väter und Mütter schreien, fluchen, drohen, prügeln. Die Kinder auf dem Feld agieren früh genauso.

Die WZ hat den Fall eines 15-jährigen Schiedsrichters in Erfahrung gebracht, der während eines Nachwuchsspiels von einem Trainer wüst beschimpft und von Eltern am Spielfeldrand bedroht wurde. „Er ist dann in der Kabine weinend zusammengebrochen und benötigte psychologische Hilfe“, erzählt der Obmann des burgenländischen Schiedsrichterkollegiums Benjamin Steuer. Eine WZ-Anfrage zu einem – gerne auch anonymisierten – Gespräch lehnt der Nachwuchs-Referee ab. „Ich möchte die Sache einfach nur vergessen“, schreibt er.

Für die Psyche war es nicht so einfach, das alles zu verarbeiten
Christian Heiner, Schiedsrichter

Seit zwei Jahren organisiert der Fußball-Bund – aufgrund zunehmender Übergriffe – sportpsychologische Hilfe. 21 Personen nahmen das Angebot seither in Anspruch, heißt es auf WZ-Nachfrage. Einer davon ist Christian Heiner, jener Schiedsrichter, der vor wenigen Wochen vom Traiskirchen-Obmann zu Boden geschlagen wurde. Der junge Familienvater aus Mörbisch am See spricht überlegt und reflektiert. „Für die Psyche war es nicht so einfach, das alles zu verarbeiten“, sagt er zur WZ. Vor aller Augen geschlagen zu werden, noch dazu als Schiedsrichter, der von seiner Autorität lebt, habe ihn verunsichert. In psychologischer Behandlung versucht er gerade, das Geschehene zu verarbeiten – und: „mein Selbstbewusstsein wieder aufzubauen“.

Mehrere Wochen Betreuung benötigte auch eine 17-jährige Schiedsrichterin, die vor einem Jahr von zwei Müttern bis in die Kabine verfolgt, dort festgehalten, bedrängt und beschimpft wurde.

Seit der Corona-Pandemie steigen Aggression und Gewalt auf Fußballplätzen, erzählen Funktionäre. Der Respekt vor Sicherheitsleuten, Referees und der Polizei sinke – ebenso wie die Hemmschwelle, zuzuschlagen. Laut Zahlen des ÖFB fanden österreichweit in den letzten zwei Jahren über 2.000 Vergehen gegen Referees statt, wenn man Beschimpfungen und Bedrohungen inkludiert. Die Dunkelziffer liege aber höher, heißt es im ÖFB, da von den Landesverbänden nicht alles lückenlos gemeldet werde.

Viele hören in den ersten zwei Jahren wieder auf
Gregor Danler, Tiroler Schiedsrichter:innen-Chef

Nachwuchs abgeschreckt

Das hat Folgen. Aufgrund der rauen Sitten bleibt der Schiri-Nachwuchs vielerorts aus. Dabei bräuchte der ÖFB etwa 500 zusätzliche Spielleiter:innen. „Viele hören in den ersten zwei Jahren wieder auf“, erzählt der Tiroler Schiedsrichter:innen-Chef Gregor Danler. Und das aus gutem Grund. In der Bundesliga sorgen Polizei, Ordnerdienst und TV-Kameras für Sicherheit. Referees im Unterhaus dagegen sind auf sich alleine gestellt – und brüllenden Eltern, tobenden Obmännern und aggressiven Kicker:innen hilflos ausgesetzt. „Wenn sich jemand immer wieder schlagen, beschimpfen und bedrohen lassen muss“, sagt Danler, „dann ist der Job nicht attraktiv.“

Wiener Obmann: „Lasst euch nichts gefallen“

Auch Frauen ergeht es nicht viel besser, wenngleich es bislang zu keinen körperlichen Übergriffen gekommen ist. Die Wienerin Claudia Obermüller pfeift seit 22 Jahren Nachwuchsspiele. Vor einem Jahr schrie ihr ein Spieler entgegen: „Ich bring dich um!“ Obermüller zeigte ihm die Rote Karte – und bat eine Funktionärin nach Abpfiff, sie doch besser zum Auto zu begleiten. „Die Verbände müssen die Schiedsrichter besser schützen“, fordert sie. Der Wiener Obmann Liebert aber zeigt sich ratlos. „Ich kann nicht jedes Mal Polizisten neben den Schiedsrichter stellen“, sagt er. „Wir können nur predigen: Lasst euch nichts gefallen, schließt die Leute aus, zeigt sie an.“

Mehrere Referees offenbaren der WZ, sich nicht gut geschützt zu fühlen. Es würden zwar Strafen von den Verbänden verhängt – diese fielen aber oft nicht abschreckend aus. Gegen den Traiskirchen-Obmann Werner Trost wurde nach seiner Attacke gegen Schiedsrichter Heiner eine einjährige Funktionssperre verhängt sowie 1.500 Euro Geldstrafe. Zu wenig, finden Insider und Referee-Vertreter. Es brauche harte Konsequenzen – zur Abschreckung. „Und das geht nur, wenn man die Strafen erhöht“, betont ÖFB-Referee-Chef Ali Hofmann. In manchen Ländern würden Übeltäter lebenslang gesperrt und Attacken gegen Schiedsrichter:innen ähnlich wie Übergriffe auf Polizist:innen bestraft. „Nur so können Schiedsrichter unantastbar werden.“

Das Problem: Referees genießen im Gegensatz zu Fußballer:innen hierzulande geringe Beliebtheitswerte. Die Spielleiter:innen sind in vielen Augen bloß Spielverderber:innen. „Uns fehlt die Lobby“, heißt es in Referee-Kreisen.

Der 27-jährige Christian Heiner hat gegen den Traiskirchen-Obmann jedenfalls – abseits der Verbandssanktionen – Strafanzeige bei der Polizei erstattet. „Ich will zeigen“, sagt er, „dass Gewalt im Fußball keinen Platz hat.“ Nach mehreren Wochen Pause will er demnächst wieder auf den Fußballplatz zurückkehren. Einen Kulturwandel erwartet er aber nicht. „Viele sagen zu mir: Ich habe Eintritt bezahlt, ich darf dich schimpfen!“


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Infos und Quellen

Genese

Vor wenigen Wochen wurde ein burgenländischer Schiedsrichter von einem Funktionär attackiert. Autor Gerald Gossmann begann, zu recherchieren – und fand heraus, dass die Gewalt gegen Referees extrem zunimmt.

Gesprächspartner:innen

  • Christian Heiner, 27-jähriger Schiedsrichter aus dem Burgenland und Opfer einer Attacke
  • Hermann Felber, 62-jähriger Referee, der nach einem Tritt einen Knöchelbruch erlitt
  • Claudia Obermüller, Wiener Schiedsrichterin im Nachwuchsbereich
  • Die Schiedsrichter-Obmänner Johann Liebert (Wien), Benjamin Steuer (Burgenland) und Gregor Danler (Tirol)
  • Ali Hofmann, Leiter des ÖFB-Schiedsrichterwesens
  • Gespräche mit weiteren Schiedsrichter:innen, Funktionären und Insidern im ganzen Land

Daten und Fakten

  • Schiedsrichter:innen in Österreich: Etwa 2.500 Referees sind auf heimischen Fußballplätzen im Einsatz. Die Frauen und Männer sind ehrenamtlich tätig, erhalten aber eine Aufwandsentschädigung, die sich außerhalb der Bundesliga zwischen 100 und 150 Euro pro Spiel bewegt. Die Frauen und Männer absolvieren eine Grundausbildung und steigen dann im Nachwuchs ein. Sie müssen regelmäßig Fitnesstests bestehen und sind unverzichtbar für die Austragung der vielen Spiele.

Quellen

Das Thema in anderen Medien

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