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Zwischen Fortschritt und wissenschaftsfremdem Populismus stehen die Verhandlungspartnerinnen in der Forschungspolitik. Die Frage ist auch, wie die kommende Regierung den Spagat zwischen Budgetnot und zukunftsweisender Schwerpunktsetzung hinbekommt.
Auf der Insel der Wissenschaft gedeihen derzeit noch blühende Gärten. Von Einsparungen wird der Bereich zumindest nicht unmittelbar betroffen sein. Die Universitäten sind bis zum Jahr 2027 mit einem Budgetplus von 32 Prozent gegenüber der Vorperiode ausgestattet. Auch die Mittel der großen Förderagenturen, die Forschungsprojekte an Hochschulen finanzieren, sind für die kommenden zwei Jahre abgesichert. Führende Mitglieder der Wissenschaftscommunity zeigen sich daher gelassen.
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„Die Erwartungen an die künftige Regierung sind nicht anders als bei früheren Regierungskonstellationen: Wissenschaft und Forschung sind ganz zentrale Investitionsbereiche für die Zukunft von Standort und Wohlstand in Österreich“, sagt Christof Gattringer, Präsident des Wissenschaftsfonds (FWF), zur WZ. „Mein Appell an die künftige Bundesregierung ist, Forschung trotz angespannter Budgetlage als Kern einer Wachstumspolitik zu begreifen.“
Unterschiedliche Schwerpunkte
Dass ihnen Standort und Wohlstand ein Anliegen sind, signalisieren sowohl ÖVP als auch FPÖ in ihren Wahlprogrammen. Und in manchen Punkten liegen sie gar nicht so weit auseinander. Beide verstehen Wissenschaft, Forschung, Innovation und Technologie als unverzichtbar für die Absicherung von Wirtschaftsstandort und Arbeitsplätzen. Beide wollen Steuererleichterungen für forschende Unternehmen ausweiten. Und beide wollen exzellente Forscher:innen nach Österreich holen.
Die Verhandlungspartnerinnen setzen allerdings unterschiedliche Schwerpunkte. Während die FPÖ auf angewandte und unternehmensnahe Forschung setzen will, bekennt sich die ÖVP ebenso stark zur Grundlagenforschung. Und während die FPÖ sich gegen „ein Weltbild von Wokeness und Gender-Mainstreaming“ an Universitäten stellt, in dahingehende Forschungsprojekte also wohl keine Fördergelder lenken will, sieht sich die ÖVP als Gralshüterin der Autonomie der Universitäten und bekennt sich gegen thematische Lenkungseffekte in der Hochschulforschung. Das könnte ein Streitpunkt sein, allerdings ist die Freiheit der Forschung verfassungsrechtlich abgesichert und wird in beiden Parteiprogrammen auch betont.
Nötige Investitionen trotz Budgetnot
Die große offene Frage ist, wie die kommende Regierung den Spagat zwischen Budgetnot und zukunftsweisender Schwerpunktsetzung hinbekommt. Die Forschungsinstitutionen wünschen sich eine Steigerung der Forschungsbudgets von derzeit 3,34 Prozent auf 4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts bis 2030. Dazu müsste die neue Regierung am Forschungsfinanzierungsgesetz, das Budgeterhöhungen vorsieht, festhalten. Und die Unternehmen, die 60 Prozent der Forschungsausgaben stemmen, dürften trotz Wirtschaftskrise keine Einbrüche erleiden. Bereits vor Beginn der Verhandlungen haben sich FPÖ und ÖVP darauf geeinigt, in ihrem ersten Jahr der Zusammenarbeit insgesamt 6,10 Milliarden Euro einsparen zu wollen, auch bei Förderungen. Ob damit breit angelegte, große Töpfe gemeint sind oder kleinere, spezifische Zielgruppen wie jene in der Forschung, blieb zunächst offen.
„Es muss von beiden Parteien ein klares Bekenntnis zum Forschungsstandort Österreich, zur Autonomie von Wissenschaft und Forschung, zu einer wachsenden Dotierung der Forschungsbudgets und zu internationaler Zusammenarbeit in Wissenschaft und Forschung geben“, sagt der Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), Heinz Faßmann, zur WZ: „Die FPÖ ist vor allem in der Coronazeit mit wissenschaftsfernen Positionen aufgefallen. Ich gehe davon aus, dass diese vor allem aus wahltaktischen Gründen entwickelt wurden und die Verhandlungen nun nicht dominieren werden.“
Wahltaktischer Populismus
Und damit wäre ein Knackpunkt auf dem Tisch. Die ÖVP befürwortet Impfungen und macht sich im Regierungsprogramm 2020-2024 für „das Forcieren von Impfungen“ stark. Unter ihren Anhänger:innen ist die Zustimmung zu Vakzinen als Gesundheitsvorsorge laut Umfragen am größten. Unter den Anhänger:innen der FPÖ ist sie dagegen am geringsten – eine Haltung, die sich im freiheitlichen Wahlprogramm wiederfindet.
Denn im Streit um Impfen und Impfpflicht während der Pandemie „gelang es den Freiheitlichen, sich erfolgreich als letzte Bastion der Freiheit zu inszenieren“, erklärt der Soziologe Alexander Bogner, Senior Scientist am Institut für Technikfolgenabschätzung der ÖAW (siehe Infos und Quellen). „Die Entscheidung für die Impfpflicht wurde von der Regierungsspitze als ,alternativlos‘ dargestellt”, sagt er: ,,Die FPÖ konnte sich deshalb problemlos als einzige politische Alternative präsentieren – und zwar ohne überhaupt irgendeinen sinnvollen Vorschlag zur Bekämpfung der Pandemie machen zu müssen.“ Nicht die Pandemie selbst, sondern die Maßnahmen wurden von den Freiheitlichen zum Problem gemacht. Aus diesem Grund gilt die FPÖ als wissenschaftsfeindlich, obwohl sie das traditionell, zumindest beim Thema Technologie, gar nicht ist. Die ÖVP gilt hingegen als wissenschaftsaffin, auch zumal sie seit dem Jahr 2000 dieses ministerielle Ressort führt oder parteiunabhängige Minister:innen nominiert hat, und auf eine Bilanz der Reformen verweisen kann.
Eine wissenschaftsfremde Wissenschaft
Nachdem die FPÖ in der Folge des Ibiza-Skandals im Juni 2019 in den Umfragewerten nach unten gerasselt war, brachte der Pool der Corona-Leugner:innen die Zustimmung wieder nach oben. Die Pandemie bot den Freiheitlichen die Möglichkeit, ihr ramponiertes Image zu reparieren. Im Wahlprogramm 2024 fordern sie ein „Nein zu jedem Impfzwang“ gegen alle Infektionskrankheiten. Dem Pandemievertrag der Weltgesundheitsorganisation WHO, der die Behörde dazu ermächtigt, eine Pandemie auszurufen, will sie nicht beitreten.
Selbst Forschung zu neuen Vakzinen soll nach Meinung der FPÖ eingeschränkt werden. „Einen experimentellen Einsatz von Forschung, etwa in den Bereichen Nuklearenergie, Genmanipulation, Laborfleisch oder bei Impfstoffen, lehnen wir kategorisch ab“, heißt es dazu. Da aber jede wissenschaftliche Arbeit auf Hypothese, Experiment und Bestätigung beziehungsweise Widerlegung beruht, Forschung somit ohne experimentellen Ansatz nicht weiterkommt, fordert die FPÖ damit im Wahlprogramm eine wissenschaftsfremde Wissenschaft.
Der Streit um das Impfen
„Ich halte die Instrumentalisierung der Corona-Politik für ein großes Problem, weil sie innerhalb der Gesellschaft tiefe Gräben aufgerissen hat“, sagt die Vorsitzende der Österreichischen Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt, Christiane Druml, zur WZ. „In einer Zeit, in der wir nicht wissen, wann die nächste Pandemie kommt, müssten wir Vorsorge treffen. Das wird jedoch mit der FPÖ durch ihre Ablehnung von Impfungen und Maßnahmen schwierig.“
Natürlich waren während der Corona-Pandemie alle Erkenntnisse zum Virus, zur Behandlung und nicht zuletzt zur Impfung stets vorläufig. Aber sie waren eindeutig. „Es ist eindeutig, dass Impfen vor schweren Verläufen von Covid schützt“, sagt Druml. Etwa zeigen Daten aus Großbritannien vom Dezember 2021, dass Ungeimpfte im Vergleich zu Geimpften ein um 60-fach erhöhtes Risiko haben, auf der Intensivstation zu landen.
Es bleibt also zu hoffen, dass diese Haltung vonseiten der FPÖ tatsächlich, wie von Faßmann nahegelegt, vor allem aus wahltaktischen Gründen entwickelt wurde und die Verhandlungen nun nicht dominieren wird. Ansonsten könnte ein Gesamteindruck mit Kollateralschäden für den Standort entstehen, der verhindert, dass internationale Spitzenforscher:innen hier tätig sein wollen. Und das wäre für Österreich ein Schritt in die wissenschaftliche Isolation.
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Infos und Quellen
Genese
Welche Forderungen der bevorstehenden Koalition sind tatsächlich realistisch durchsetzbar? Diese Frage hat sich die WZ-Redaktion gestellt und Themenbereiche verteilt.
Gesprächspartner:innen
Christiane Druml, Vorsitzende der Österreichischen Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt, Juristin und Direktorin der medizinhistorischen Sammlung Josephinum in Wien.
Heinz Faßmann, Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Migrationsforscher und Minister für Bildung, Wissenschaft und Forschung 2018-2019 und 2020-2021.
Christof Gattringer, Präsident des Wissenschaftsfonds FWF, Teilchenphysiker und Professor für Computational Elementary Particle Physics an der Universität Graz.
Daten und Fakten
Die FPÖ hat im Sommer die EU-Wahl mit 25,4 Prozent der Stimmen gewonnen. Es folgte die ÖVP mit 24,5 Prozent, dann die SPÖ mit 23,2 Prozent. Die Grünen erhielten 11,1 Prozent, die Neos 10,1 Prozent.
Bei der Nationalratswahl in Österreich fiel der Sieg der FPÖ deutlicher aus: Die Freiheitlichen errangen 28,85 Prozent, die ÖVP 26,7 Prozent und die SPÖ 21,14 Prozent. Es folgen die Neos mit 9,14 Prozent und die Grünen mit 8,24 Prozent. Eine Koalition der ÖVP mit der SPÖ hätte einen ganz knappen Überhang von einem Mandat gehabt. FPÖ und ÖVP haben mit 108 Sitzen eine komfortable Mehrheit.
Am 18. November 2021 verbreitete sich eine tragische Nachricht in österreichischen Medien: Im Krankenhaus Rohrbach war ein Patient verstorben, der statt einer Corona-Impfung das Pferde-Entwurmungsmittel Ivermectin eingenommen und jede andere Behandlungsempfehlung der Ärzte abgelehnt hatte. Zuvor hatte FPÖ-Chef Herbert Kickl, bekannt für seine Missbilligung der Corona-Maßnahmen und der heftig umstrittenen Impfpflicht, Werbung für Ivermectin gemacht, das seiner Meinung nach auch gegen Covid-19 eingesetzt werden sollte. Die Europäische Arzneimittelbehörde und der Hersteller des Medikaments hatten allerdings Warnungen ausgesprochen: Zur Behandlung von Corona sei das Entwurmungsmittel ungeeignet.
Für FPÖ-Chef Herbert Kickl ist der Mediziner Sucharit Bhakdi, der während der Pandemie die Maßnehmen kritisiert und als unnotwendig bezeichnet hatte, ohne zu Coronaviren und damit verbundenen epidemiologischen Themen geforscht oder publiziert zu haben, eine „Lichtgestalt der Freiheit und Gesundheit für Milliarden Menschen“. In einer Aussendung seiner Partei bezeichnet er diesen als „besondere Kraftquelle“. Bakhdis Hauptthesen zu Corona hielten Faktenchecks nicht stand. Bei einem Auftritt vor der FPÖ hat der Mediziner weiters behauptet, dass die Polioimpfung „wahrscheinlich eine Riesenlüge“ sei, die Pockenimpfung nie gewirkt habe und dass man generell nicht gegen Viruserkrankungen impfen könne. Dabei ist es medizinischer Konsens, dass es Polio und Pocken gibt, und dass die Impfung hilft.
In einem öffentlichen Appell an die künftige Regierung mahnten kürzlich Vertreter:innen und Vertreter von elf Forschungseinrichtungen und Förderagenturen Österreichs ein, Forschung, Technologie und Innovation „langfristig abzusichern“. Zu ihren Forderungen zählen eine bereits mehrfach verlangte Forschungsquote von vier Prozent (derzeit 3,34 Prozent), eine bessere Finanzierungssicherheit sowie Schnell-Verfahren für Spitzenforschende aus dem Ausland. Das bedeute ein Budget für 2027 bis 2029 von rund sieben Milliarden Euro (plus 1,7 Milliarden gegenüber 2024 bis 2026). Zudem sprechen sich die Unterzeichner für eine Sichtweise auf „den gesamten Forschungsbogen“, von der Grundlagenforschung über die angewandte Forschung bis hin zur Verwertung in der Industrie, aus.
Das Wissenschaftsjahr 2025 steht im Zeichen von Viren, Gletschern, Quanten und Politik. Die UNO hat 2025 nicht nur zum „Internationalen Jahr der Erhaltung der Gletscher“, sondern auch zum „Jahr der Quantenwissenschaft und -technologie“ erklärt. Fünf Jahre nach Beginn der Covid-19-Pandemie widmet sich in Österreich ein neues Institut für Infektionsforschung neuen Krankheitserregern.
Relativ entspannt zurücklehnen können sich die Universitäten, deren Budget für die Jahre 2025 bis 2027 mit insgesamt 16,2 Mrd. Euro bereits fixiert ist – ein Plus von 32 Prozent gegenüber der Periode davor.
Infos und Quellen
ÖVP Wahlprogramm zur Nationalratswahl 2024
Die Ibiza-Affäre und ihre Folgen: Interaktiver Rückblick, Kleine Zeitung
Welche Rolle Corona im Wahlkampf spielt: Alexander Bogner im Interview
Risiko von Ungeimpften für Intensivstation 60-fach erhöht auf spiegel.de
Forschung in Österreich auf der Website des Wissenschaftsministeriums