Südkorea überaltert dramatisch, es kommen immer weniger Junge nach. Ein Kollaps der Pensionskassen steht bevor. Präsident Yoon Suk-yeol will das System neugestalten und hat damit eine erbittert geführte Debatte vom Zaun gebrochen.
Für Populismus ist Yoon Suk-yeol schon länger bekannt. Der Präsident Südkoreas gilt als „Trump“ seines Landes, bringt öfter Gruppen gegeneinander auf, bietet einfache Antworten auf komplizierte Fragen. Aber was gelegentlich zu funktionieren scheint, treibt den Präsidenten derzeit an seine Grenzen. Denn es geht um ein Thema, bei dem das ganze Land im selben Boot sitzt: Pensionen. So sagte er bei einer jüngsten Pressekonferenz zunächst nur, was sowieso alle denken: „Ein Pensionssystem, das die Alten arm lässt und die Jungen misstrauisch macht, muss gründlich reformiert werden!“
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Über diese Reformankündigung diskutiert seit einigen Wochen fast ganz Südkorea. „Ein schwieriger Weg voraus“, ordnete die Nachrichtenagentur Yonhap gleich ein. „Yoon steht zu seinen zusehends unpopulären Maßnahmen“, befand die linksliberale Zeitung Hankyoreh. Die konservative Zeitung Joongang Ilbo meinte dagegen schon im Mai: „Im Bereich der Rentenreform ist die Regierung von Yoon Suk-yeol gescheitert.“
2055: Ende der Fahnenstange
Was für eine Reform das alternde Südkorea bräuchte, ist seit langem Gegenstand hitziger Diskussionen. Aber jede:r im ostasiatischen Land weiß: So, wie es jetzt läuft, kann es nicht weitergehen. Für Südkorea gilt dies noch mehr als für andere Wohlstandsnationen wie auch Österreich, die sich ebenfalls Fragen zur Nachhaltigkeit ihrer Pensionssysteme stellen müssen. Denn Südkorea steht vor einem Pensionskollaps.
Mit einem Volumen von umgerechnet rund 860 Milliarden US-Dollar verfügt das 52-Millionenland Südkorea zwar über einen der weltweit größten Rentenfonds. Doch sofern das System von Ein- und Auszahlungen nicht reformiert wird, dürfte laut derzeitigen Prognosen im Jahr 2055 nichts mehr davon übrig sein. Inmitten demografischer Alterung wird das neu eingezahlte Geld schon ab dem Jahr 2041 niedriger sein als die Renten, die aus der Kasse an Rentner:innen ausgezahlt werden. Und dann ist es nur mehr eine Frage der Zeit, bis der letzte Won verbraucht ist.
Yoon will das Ruder rumreißen. Eine knappe Woche nach der bloßen Ankündigung, dass seine Reform nun unmittelbar bevorstehe, lieferte er Details. Der Anteil des Lohns, der an die Rentenkasse abgeführt werden muss, soll von bisher 9 auf 13 Prozent angehoben werden. Im Vergleich zum Durchschnitt von 15,4 Prozent in der Industriestaatenorganisation OECD wäre aber auch der neue Wert eher niedrig.
Ein weiteres Detail des Reformvorhabens: Die Geschwindigkeit, mit der die Abgaben angehoben werden, soll sich je nach Alter unterscheiden. Für Personen in ihren 50ern soll die Abgabe ab 2025 pro Jahr um einen Prozentpunkt erhöht werden. Wer unter 50, aber über 39 Jahre alt ist, soll pro Jahr 0,5 Prozentpunkte mehr abgeben, Personen unter 40 jährlich 0,25 Prozentpunkte mehr.
Der Gedanke dahinter: Die jüngeren Jahrgänge sind es, die durch die demografische Alterung und das austrocknende Pensionssystem ohnehin benachteiligt sind. So soll ihre Mehrbelastung nun langsamer voranschreiten. Es ist ein Problem, das man grundsätzlich auch in Europa kennt, inklusive Österreich.
Doch kaum ein Land der Welt altert in derart hohem Tempo wie Südkorea. Die Lebenserwartung von derzeit 83,5 Jahren zählt zu den höchsten der Welt und ist allein im vergangenen Jahrzehnt um zehn Jahre angestiegen. Die Fertilitätsrate, also die Zahl der im Leben einer Frau durchschnittlich zur Welt gebrachten Kinder, ist dagegen mit 0,72 die niedrigste der Welt. Zum Vergleich: Im ebenfalls alternden Österreich liegt die Fertilitätsrate bei 1,48, was im internationalen Vergleich auch schon niedrig ist.
Für Südkorea kommt hinzu, dass die Migrationspolitik äußerst streng ist, die rückläufige Geburtenzahl also kaum durch Einwanderung aufgefangen wird. Für ein umlagefinanziertes Rentensystem ist dies ein Problem: Wie auch in Österreich sinkt so bis auf Weiteres die jährlich eingezahlte Summe, während immer mehr Rentner:innen finanziert werden müssen.s. Das Institut für Höhere Studien hat deshalb für Österreich eine Anhebung des Pensionsantrittsalter von 65 auf 67 empfohlen.
Viele Verlierer
Knapp 40 Prozent der Personen ab 65 Jahre leben heute unterhalb der Armutsgrenze, haben also Einnahmen, die weniger als die Hälfte des mittleren Einkommens betragen. Andererseits wurde der Arbeitsmarkt in den vergangenen Jahren zusehends schwieriger, worunter vor allem junge Menschen leiden. 37 Prozent haben keine Festanstellung, und verdienen damit meist deutlich weniger als diejenigen mit einem unbefristeten Vollzeitjob.
Im Zug der nun geplanten Reform sollen Personen mit niedrigen Einkommen künftig eine Grundrente von 400.000 Won (rund 270 Euro) statt bisher 300.000 Won erhalten. Wer Kinder zur Welt bringt oder im Militär dient, könnte Boni erhalten. Mit diesen Mitteln soll das Rentensystem vorerst bis ins Jahr 2072 flüssig bleiben. Ein automatischer Anpassungsmechanismus ist ebenfalls geplant.
Kritik kommt von sozialen Gruppen. Denn wenn diejenigen, die zum Militär gehen oder ein Kind zur Welt bringen, mehr Rentenpunkte erhalten, was ist mit solchen Menschen, die dies schlicht nicht können? Homosexuelle Paare werden zumindest auf herkömmlichem Weg zu Eltern . Ebenso heterosexuelle Personen, die gern Kinder hätten, aber keinen passenden Partner finden. Menschen mit einer Behinderung oder einer psychischen Erkrankung werden wiederum vom Militär nicht eingezogen. So werden sie implizit auch bei Renten benachteiligt.
Ein Rezept, das Schule machen könnte
Yoons Rentenreform, eine Anhebung der Rentenabgaben je nach Lebensalter zu differenzieren, könnte prinzipiell Schule machen und auch in anderen alternden Gesellschaften Anwendung finden. In der demografischen Forschung ist vor diesem Hintergrund gelegentlich von „lucky and unlucky generations“ die Rede – also solchen Geburtsjahrgängen, die durch ihre schiere Personenzahl in Sachen umlagebasierter Pensionskassen eher Glück haben, wie etwa die Babyboomer, und solche, die eher Pech haben, wie deren Kinder. Denn die müssen pro Kopf mehr Geld aufbringen, um die Pensionen ihrer Elterngeneration zu finanzieren.
Allerdings wird dieser „Generationenkonflikt“ auch kritisch gesehen. So sei die wesentlichere Ungleichheit nicht zwischen Generationen zu verorten, sondern innerhalb einer Generation – nämlich zwischen Arm und Reich, hohen und niedrigen Einkommen, Erben und Nichterben. Auch diese Ungleichheit ist in einem Land wie Südkorea, wo der Sozialstaat eher schwach ist, deutlich stärker als etwa in Österreich. Was eine Pensionsreform umso heikler macht.
Wird das Konzept von Yoon also funktionieren? „Es ist die beste Lösung, um das System nachhaltiger zu machen“, urteilte zuletzt Hur Joon-young, Ökonomieprofessor an der Sogang Universität in Seoul, gegenüber dem Sender Arirang. Wobei er auch sagt: „Für die Nachhaltigkeit eines Systems ist auch Fairness von zentraler Bedeutung. Und viele junge Menschen sehen derzeit benachteiligt. “ Andererseits: Unter den älteren Jahrgängen fühlen sich eben Geringverdienerinnen benachteiligt.
Die Demokratische Partei, die linksliberale Oppositionsführerin, hat die Pläne des Präsidenten schon auf dieser Grundlage kritisiert: Yoon spiele die älteren gegen die jüngeren Menschen im Land aus. Statt Antagonismen zu schaffen, solle ein Präsident bei so wichtigen Reformen lieber die Solidarität zwischen den Generationen fördern. Gut möglich, dass es am Ende zu einem Kompromiss kommen wird. Im Parlament hält seit April die Demokratische Partei eine klare Mehrheit. Yoon braucht ihre Unterstützung.
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Infos und Quellen
Genese
Der Autor berichtet seit mehr als einem Jahrzehnt über die Gesellschaften Ost- und Südostasiens, hat zudem seine Doktorarbeit über Generationensolidarität in alternden Gesellschaften geschrieben. So hat er immer einen Blick auf demografische Themen sowie Pensionssysteme. Die schnelle Alterung in Südkorea, der rasante ökonomische Aufstieg sowie der eher schwache Sozialstaat machen das Land heute zu einem Extremfall, wenn es um die Herausforderungen demografischer Alterung und sozialer Gerechtigkeit geht.
Daten und Fakten
Mit rund 52 Millionen Einwohnern zählt Südkorea zu den 30 bevölkerungsreichsten Staaten der Erde. Abgesehen von Bangladesh ist kein Staat einer solchen Größe derartig dicht besiedelt. Etwa die Hälfte der Einwohner lebt im Großraum der Hauptstadt Seoul, genannt „Sudogwon“ – eine der größten Metropolregionen weltweit.
Südkorea hat einen einzigen Nachbar, das verfeindete kommunistische Nordkorea. Seit dem Koreakrieg 1950 bis 1953, einem der größten Stellvertreterkonflikte des Kalten Krieges, ist der Norden mit dem Süden verfeindet. Durch den Krieg wurde das ganze Land zerstört und musste mühsam aufgebaut werden. Einen Friedensvertrag gibt es bis heute nicht, nur eine Waffenstillstandsvereinbarung. Der Norden ist eine kommunistische Diktatur, der Süden demokratisch.
Wirtschaftlich hat sich das Land seit den 1960er-Jahren zu einer der bedeutendsten Volkswirtschaften der Welt entwickelt. In einigen Technologiebereichen ist Südkorea mittlerweile weltweit führend. Das PIP/pro Kopf entspricht mittlerweile dem eines durchschnittlichen EU-Landes.
In Österreich glauben laut aktueller Unique-Research-Studie im Auftrag der „Initiative 2050“ 62 Prozent der unter 30-Jährigen in Österreich nicht, dass sie ihren gewünschten Lebensstandard allein durch die staatliche Pension halten können. Drei Viertel der jungen Menschen hierzulande machen sich Sorgen um Höhe und Sicherheit ihrer künftigen Pension. Damit liegt die Pension als Sorgenfaktor im Spitzenfeld der Jungen. Trotzdem haben nur 23 Prozent eine Zusatzpension angeschlossen.
In Österreich wird die Anhebung des Pensions-Antrittsalters um zwei Jahre von 65 auf 67 Jahre diskutiert. Zuletzt hat die Vorsitzende der Alterssicherungskommission Christine Mayrhuber eine derartige Forderung ins Spiel gebracht. Unterstützt wurde sie unter anderem von AMS-Chef Johannes Kopf. Sein Argument: Der Vorschlag sei sinnvoll, „weil es sich nicht ausgeht“. Es gelte, ein an sich gutes System der demografischen Entwicklung anzupassen. Im jüngsten Wahlkampf wurde das Thema von den Parteien allerdings nicht angefasst.