Toni Polster will Mitte April vor Gericht drei Tore erstreiten, um die er sich betrogen fühlt. Der Promianwalt Manfred Ainedter hilft dabei und wittert „juristisches Neuland“. Die Geschichte eines unglaublichen Falls.
Toni Polster reicht‘s. „Seit Jahrzehnten rumort es in mir wegen dieser Ungerechtigkeit“, unkt er. „Ich will meine Tore zurück.“ Konkret geht es um drei Treffer, die Polster Mitte der 1980er-Jahre für das Nationalteam erzielt hat, die aber in keiner Statistik auftauchen. Polster ist Österreichs Rekordtorschütze. Aber ein unvollendeter. Laut seiner Zählung müssten es 47 Tore sein statt 44. Seit zwei Jahren kämpft er „um Gerechtigkeit“. Es wurden Mails an den Fifa-Präsidenten verschickt, schrille Medientermine veranstaltet, Gespräche mit afrikanischen Fußballfunktionären geführt. Das alles half nichts. Nun will er seine Tore einklagen. Am 19. April findet am Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien, erster Stock, Saal 12, die erste Verhandlung statt.
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Der ÖFB-Rekordtorschütze klagt den ÖFB. Streitwert: drei Tore. „Der zuständige Richter hat offenbar gemeint, das geht“, betont die Vizepräsidentin des Landesgerichts Michaela Heinrich-Bogensberger auf WZ-Nachfrage. Fest steht: Es ist ein Fall wie im Film. Dieser handelt von gekränktem Stolz, der Liebe zu Toren, undurchsichtigem ÖFB-Tohuwabohu – und: einem Promianwalt, der Gefallen an der Sache gefunden hat.
„Wo sollte ich denn jetzt noch schießen?“
Wer mit Toni Polster sprechen will, findet ihn meist im Wiener Arbeiterbezirk Meidling. Dort trainiert er den Regionalligisten SC Viktoria, in einer urigen Fußballwelt. Es riecht nach Bratwurst und Zigarettenrauch. Jugendliche laufen dem Ball hinterher, Männer trinken Bier. Polster nennt die meisten hier „mei scheena Bua“. Der 60-Jährige war in den 1990er-Jahren der größte Fußballstar des Landes; ein Goalgetter mit Showtalent, der überall die meisten Tore erzielte. Seine Bilanz: 119 Treffer für Austria Wien, 55 für den FC Sevilla, 79 in Köln. Derzeit schleppt er sich nach einer Hüftoperation ein wenig über den Platz. Rollen Bälle auf ihn zu, weicht er ihnen aus. Schießen mag er schon lang nicht mehr. „Wo sollte ich denn jetzt noch schießen?“, fragt er. Viel mehr beschäftigen ihn ohnehin seine alten Treffer. Vor allem jene drei, die seiner Bilanz fehlen – und sein Vermächtnis trüben. „Ich möchte nichts geschenkt“, sagt er mit ernster Miene. „Ich habe die Tore nachweislich gemacht. Es gibt also keinen Grund, warum man sie nicht zählt.“
Ein komplizierter Fall
Der Fall ist aber nicht so einfach zu lösen. Es geht um zwei Spiele aus der Fußballsteinzeit. Ein Tor erzielte Polster 1984 beim 6:0-Sieg über Liechtenstein. Zwei weitere 1987 beim 3:1-Erfolg gegen Tunesien. Das Problem: Der ÖFB führt die Partien als „inoffiziell“. Es wurde zwar eine Hymne gespielt, ein Schiedsrichter war dabei – aber es ist nicht klar, ob alle Regeln eines offiziellen Länderspiels eingehalten wurden. Die drei Tore Polsters sind nach aktuellem Stand so viel wert, als wären sie bei einem Hobbykick unter Freunden gefallen.
Ich habe die Tore gemacht. Es gibt also keinen Grund, warum man sie nicht zählt.Toni Polster
Kurz erklärt: Im Länderspielkalender gibt es Bewerb- und Freundschaftsspiele – aber keine inoffiziellen Partien. Der damalige Nationalteam-Manager Heinz Palme erklärt auf WZ-Nachfrage, dass der ÖFB der Liga einst das Zugeständnis gemacht hatte, nicht mehr als sechs Länderspiele pro Jahr auszutragen. Weil der ÖFB aber öfter spielen wollte, betitelte man (um in keinen Konflikt mit der Liga zu geraten) die Partien gegen Liechtenstein und Tunesien kurzerhand als „inoffiziell“.
Polster jammerte darüber – beim Heurigen, bei Tennisrunden, im VIP-Klub. Doch seine Gegenüber schauten bloß mitleidig. Dann aber erzählte er dem Wiener Promianwalt Manfred Ainedter davon. Der nickte nicht beiläufig, sondern war entrüstet – und sagte der Kickerlegende seine Hilfe zu. Polster erzählt, dass er sich lang dachte, „da kann man halt nix machen“. Erst Ainedter habe ihn „wachgerüttelt“. Der 73-jährige Advokat ist ein rustikaler Mann, der in TV-Talkshows schon mal gegen zu viel Political Correctness wettert und etwa Ex-Finanzminister Karl-Heinz Grasser vor Gericht vertrat. Drei Tore? Das müsste doch ein Klacks für ihn sein. „Ich habe mich sofort an den Infantino gewandt“, erzählte Ainedter Anfang 2023, „aber keine Antwort erhalten.“
Polster: „Was kann ich dafür, dass die Tunesier kein Archiv haben?“
Also versuchte er es eine Ebene darunter – bei ÖFB-Generalsekretär Thomas Hollerer, einem promovierten Juristen. „Ich will dem Toni helfen“, erklärte dieser im März 2023 nach Gesprächen mit Ainedter. Doch die „inoffiziellen“ Länderspiele, in denen die Tore gefallen waren, so verwies er, könne der ÖFB nicht eigenmächtig in die Statistik aufnehmen. Dazu benötige es den Weltfußballverband Fifa. Um aber eine Anerkennung der Partien zu beantragen, bräuchte es „von allen Beteiligten (Nationalverbänden, Anm.) den Nachweis, dass bestimmte Grundregeln eingehalten worden sind“. Sprich: Liefen nur Spieler mit der korrekten Staatsbürgerschaft auf? Wurden Spielerwechsel ordnungsgemäß durchgeführt? Viel Recherche und diplomatische Kontaktanbahnung also, die um die halbe Welt führte.
Im März letzten Jahres reiste Hollerer zum Fifa-Kongress nach Ruanda. Dort sprach er mit Vertretern des tunesischen Fußballverbandes. Doch die Funktionäre aus Tunesien, die das Spiel als „offiziell“ führen, schauten nur verdutzt. Ein Archiv, das vierzig Jahre zurückreicht? Gibt es nicht. „Was kann ich dafür, dass die Tunesier kein Archiv haben?“, klagte Polster. Auch beim zweiten Spiel spießte es sich. Bei der Partie in Liechtenstein wurde ein Österreicher erst ausgetauscht, dann wieder eingewechselt. In einem offiziellen Länderspiel wäre das verboten gewesen. Die Konsequenz: Bislang hatten die Liechtensteiner – im Gegensatz zum ÖFB – das Spiel als „offiziell“ geführt. Nun aber wurde es auch dort aus der Statistik genommen. Man hätte „dem Toni gerne geholfen“, erklärte ÖFB-Mann Hollerer auf Nachfrage. Aber: „Wenn die Bedingungen nicht eingehalten wurden, können wir die Länderspiele nicht als offiziell anerkennen.“
Ewiger Torjäger
Polster ist mehrfacher Torschützenkönig und eine Fußballikone. Machen da drei Tore mehr oder weniger wirklich einen Unterschied? Wer sein Begehren verstehen will, muss seine Beziehung zu Toren durchleuchten. Sie waren die Währung, in der er gemessen wurde. Sein einziger Daseinszweck. „Ein Tor war die Krönung der Woche“, sagt er. „Habe ich nicht getroffen, war ich ungenießbar.“ Der Hintergrund: Polster war nicht immer ein umjubelter Superstar – Ende der 1980er-Jahre wurde er vom Publikum massiv angefeindet und von Kabarettisten als dümmlicher Kicker parodiert.
Er sei lauffaul und hüftsteif, unkten Trainer und Fans. Der Teamchef erhielt Morddrohungen, sollte er ihn aufstellen. Vor Anpfiff des WM-Qualifikationsspiels gegen die DDR 1989 pfiff ihn das eigene Publikum aus. Sein Konter: Polster erzielte drei Tore und schoss Österreich im Alleingang zur WM. Er bemerkte: Wenn er Tore erzielte, zählte er etwas. Heute spricht er über seine Treffer so liebevoll wie über die eigenen Kinder. „Ich mag sie alle gleich gern, ob ich sie nun reingenudelt oder ins Kreuzeck geschossen habe.“
„Ich bin nun Beifahrer, das Auto fährt der Ainedter.“
Im November letzten Jahres, Polster hatte gerade eine neue Hüfte bekommen und war auf Krücken angewiesen, beriet er mit seinem Anwalt die weitere Vorgehensweise. „Die putzen sich alle gegenseitig ab“, unkte er auf Nachfrage und verriet: „Der Ainedter hat sich entschlossen Klage einzureichen.“ Natürlich hätte er „die Sache gerne freundschaftlich gelöst, aber was soll man machen. Ich bin nun Beifahrer, das Auto fährt der Ainedter.“
Zwischen Weihnachten und Silvester sollten bei einer Pressekonferenz im Klubhaus des SC Viktoria Details zur Klage präsentiert werden. Polster war schon da, doch ihm war übel und er machte wieder kehrt. Auf Anraten seiner Frau fuhr er ins Krankenhaus. Die Diagnose: Magendurchbruch. Not-OP. Sein Arzt erklärte, dass er die Nacht ohne sofortigen Eingriff nicht überlebt hätte. Die Pressekonferenz hielt derweil Anwalt Ainedter. Polster habe sich „jahrelang um seine Tore bemüht“, erklärte er. Aber: „Man hat ihn hingehalten.“ Es gehe nun vor Gericht um Gerechtigkeit und Polsters Lebenswerk. Auf WZ-Nachfrage klingt Ainedter spitzbübisch motiviert: „Wir betreten juristisches Neuland, nun wird es rechtlich spannend – so etwas gab es noch nicht.“
Zwei Anwälte für drei Tore
Ainedter hat sich für den ungewöhnlichen Fall Verstärkung geholt: den auf Wettbewerbsrecht spezialisierten Rechtsanwalt Alexander Hiersche von der Wirtschaftskanzlei Haslinger/Nagele. Der hat sich mit seinem Team in die Materie eingearbeitet, Statuten durchforstet, Zeitungsartikel gelesen und ähnlich gelagerte Fälle studiert. Es gebe „eine valide rechtliche Grundlage“, erklärt Hiersche im WZ-Gespräch.
Seine Argumentation: Dem ÖFB, als einzig nationalem Fußballverband, sei es aufgrund seiner Monopolstellung „verwehrt, sachlich nicht gerechtfertigte Entscheidungen zu Lasten der von ihnen abhängigen Personen zu treffen“. Für die Zählung sei „alleine relevant, ob die Spiele in einem Rahmen stattfanden, der vergleichbar war mit dem anderer Freundschaftsspiele“. Man habe schließlich nicht „über die Breite Fünf gegen Fünf auf Eishockeytore gespielt“. Der ÖFB hätte die Länderspiele zwar, um einen Konflikt mit der Liga zu vermeiden, als „inoffiziell“ betitelt – „das ist aber kein sachlicher Grund für die Nichtwertung.“
Ich habe kein gutes Argument vernommen, das gegen eine Anerkennung spricht.Rechtsanwalt Alexander Hiersche
Heinz Palme, der damalige ÖFB-Manager (und nun von Ainedter als Zeuge geladen), erzählt, dass etwa das Ländermatch in Tunesien, bei dem Polster zweimal traf, in einem Fifa-tauglichen Stadion stattfand, mit einem internationalen Schiedsrichter, der ORF sendete live – sogar der österreichische Botschafter in Tunesien habe das Team empfangen. „Inoffiziell“, sagt Palme, sei ein „Kompromisswort“ gewesen. Man müsse es nun „aus den ÖFB-Geschichtsbüchern eliminieren“.
Der ÖFB, so Polsters Anwalt, könne die Länderspielstatistik – anders als vom Fußballbund kommuniziert – selbst korrigieren. Ohne Zutun der Fifa. „Das Fifa-Reglement enthält keine Bestimmungen dazu, wie nationale Verbände ihre Bilanz zu führen haben.“ Hiersche fragt sich dazu, warum der tunesische Verband das Spiel als offiziell führt und der ÖFB als inoffiziell. „Es ist undenkbar, dass das Fifa-Reglement für den österreichischen Verband ein anderes ist als für den tunesischen.“ Der ÖFB hat bereits eine Klagebeantwortung verfasst. Details werden aber nicht verraten. „Wir führen kein Verfahren über die Medien, wenn wir geklagt werden – sondern vor Gericht“, erklärt Generalsekretär Hollerer auf WZ-Nachfrage. „Uns tut das irrsinnig leid, aber es ist einfach nicht möglich, Tore willkürlich an- oder abzuerkennen.“
Wiederholungs-Opfer
Polster hat Erfahrung mit erbitterten Kämpfen um seine Tore. In der Saison 1986/87 war er auf dem Weg zum besten Torschützen Europas. 39 Volltreffer hatte er für Austria Wien erzielt. Er freute sich bereits auf den goldenen Schuh. Dann aber schnappte ihm ein Rumäne, der in den letzten sechs Spielen 21 Tore für Dinamo Bukarest erzielte, die Trophäe weg. Polster wurde hinter dem 44-Tore-Stürmer nur Zweiter. Er grämte sich jahrelang. Erst Jahre später wurde die Manipulation aufgedeckt – und Polster nachträglich geehrt. Nun wiederholt sich die Geschichte. „Man verzweifelt“, sagt er. „Warum eigentlich immer ich?“
Recht vor Gnade
Immerhin: Seine Anwälte sind guter Dinge. „Ich habe kein gutes Argument vernommen, das gegen eine Anerkennung spricht“, sagt Hiersche. Einige in der Fußballbranche runzeln dagegen die Stirn: Hat die Fußballikone das denn wirklich nötig, gegen den eigenen Verband vor Gericht zu ziehen? Manche vermuten eine PR-Aktion des Promianwaltes – auf dem Rücken des populären Polster. Der jedenfalls trainiert nach seiner Not-OP schon wieder den SC Viktoria. Ob ihm nach seinem Fast-Ableben die drei Tore und der Rechtsstreit in einem anderen Licht erschienen – und nicht mehr so wichtig seien? „Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun“, sagt er. „Ich habe die Tore gemacht, wir klagen sie ein. Selbst wenn ich nicht mehr aufgewacht wäre, würde das nichts ändern. Die zwei würden sicher weiter machen.“
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Infos und Quellen
Genese
Toni Polster fühlt sich vom Österreichischen Fußball-Bund (ÖFB) um drei Tore betrogen. WZ-Autor Gerald Gossmann verfolgt die Causa seit Beginn. Aktuell erreicht sie einen neuen Höhepunkt: Polster klagt den ÖFB. Gossmann hat mehrere Gespräche mit den zuständigen Funktionären, Anwälten und mit Polster selbst geführt. Es stellten sich die Fragen: Woran hakt es in dem Fall? Warum betreibt der erfolgreichste Torjäger des Landes solch einen Aufwand wegen dreier Tore? Und: Welche Chancen hat der Fall vor Gericht?
Gesprächspartner
Anton „Toni“ Polster, ÖFB-Rekordtorschütze und Fußballikone
Manfred Ainedter, Polsters Rechtsanwalt
Alexander Hiersche, Polsters zweiter Rechtsanwalt
Thomas Hollerer, ÖFB-Generalsekretär und promovierter Jurist
Heinz Palme, Ex-ÖFB-Manager und Zeuge vor Gericht
Rechtsexperten, die anonym bleiben wollen
Daten und Fakten
Toni Polster ist Österreichs erfolgreichster Torjäger. 44 Treffer hat er für die ÖFB-Nationalmannschaft erzielt. Er nahm an zwei Weltmeisterschaften (1990 und 1998) teil. Seine Karriere begann der heute 60-jährige Favoritner bei der Wiener Austria. Dreimal wurde er mit dem Klub Meister (und dreimal Torschützenkönig). Seine erfolgreichste Zeit im Ausland hatte er beim spanischen FC Sevilla (1989/90 wurde er mit 33 Toren Zweiter der Torjägerliste) und dem deutschen Bundesligisten 1. FC Köln. Dort wurde er Ende der 1990er-Jahre zum Kultstar, war Gast bei Thomas Gottschalk in Wetten dass..?, im Musikantenstadl und tanzte später bei Dancing Stars. Er wurde mit dem Goldenen Schuh (1987) für den besten Torschützen Europas geehrt – und zweimal (1986 und 1997) zu Österreichs Fußballer des Jahres gewählt. Die Sportlerpension verlief mit Pleiten, Pech und Pannen. Der Milliardär Frank Stronach holte ihn 2004 als Generalmanager zur Wiener Austria zurück – doch kurz darauf mündete das Engagement in Rechtsstreitigkeiten mit dem Klub-Boss, der ihn entlassen hatte. Seit dreizehn Jahren (mit kurzer Unterbrechung) trainiert er den derzeitigen Regionalligisten SC Wiener Viktoria.
Der ÖFB ist der nationale Fußballverband. Er wurde 1904 gegründet und 1905 in die Fifa aufgenommen. Der Geschäftssitz befindet sich im Wiener Ernst-Happel-Stadion. Als Doppel-Geschäftsführung fungieren Thomas Hollerer (offizielle Bezeichnung: Generalsekretär) und Bernhard Neuhold.
ÖFB-Torschützenliste: Toni Polster (44 Tore) führt vor Marko Arnautovic (36) und Hans Krankl (34). Aus den Top-15 ist bis auf Arnautovic kein Verfolger mehr aktiv.