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Radfahren in Wien – immer wieder ein Krimi

6 Min
Nunu Kaller schreibt zweimal im Monat eine Kolumne für die WZ.
© Illustration: WZ, Bildquelle: Privat

Die Infrastruktur muss dem Mobilitätsmix folgen. Radfahren in Wien ist beliebter denn je, doch mit dem Wachstum kommen auch neue Herausforderungen.


Heut geht’s mal um die zweitnachhaltigste Art, sich fortzubewegen – nach dem Gehen: Radfahren in Wien. Es ist ja wirklich ein Krimi momentan: Einerseits passiert einiges an Ausbau (es gibt ENDLICH einen zweiten Radweg beim Westbahnhof, bei dem man nicht an drei Ampeln stehenbleiben muss und Reisende dir auch vors Rad stolpern, wenn sie eigentlich Rot haben!), andererseits kann man sich den Ausbau als normale Radfahrerin einmargerieren, da alles voll ist mit diesen E-Moped-Fahrrad-Dingern, die von Lieferdiensten verwendet werden.

Ich fahre in Wien Fahrrad, seit ich etwa neun Jahre alt war. In die Schule, Radtouren am Wochenende mit Papa, meistens am Donaukanal startend, später dann war ich bei meinen ersten Ausgeh-Abenteuern immer (nicht alkoholisiert!) mit Rad unterwegs, weil ich mir die Wartezeiten auf den richtigen Nachtbus sparen wollte, und auf die Uni oder in die Arbeit ging es später sowieso mit dem Rad.

Die Entwicklung der letzten Jahre ist toll

Immer wieder betone ich: Es ist extrem gut, was sich vor allem radwegetechnisch in den vergangenen 10 bis 15 Jahren getan hat. Von viel mehr Radwegen über die Erlaubnis an mehreren Ampeln, bei Rot rechts abzubiegen, wenn nix kommt, über eine gute Infrastruktur an Reparaturgelegenheiten wie von den Grünen oft organisiert bis hin zu einer gefühlt starken Zunahme an Abstellgelegenheiten war Wien wirklich am Weg, eine Fahrradstadt zu werden.

War? Ja, denn die Stimmung schlägt meinem Eindruck nach gerade ein bisschen um. Vor zwei Jahren machte ich mir bereits Gedanken darüber, wie sich der „Kampf“ der Autofahrer:innen gegen Radfahrer:innen entwickeln könnte (https://www.wienerzeitung.at/a/kolumne-nunu-kaller-autofahrer-innen-gegen-radfahrer-innen), vor drei Jahren gab es einen mittelschweren Wutanfall gegen E-Scooter (https://www.youtube.com/watch?v=r54kOT0KcF8) – ich gebe zu, ich bin auch nicht Jesus, der die ganze Situation friedlich annehmen kann.

Ich bin ein lebender Mobilitätsmix

Aber ich fahre in der Stadt Fahrrad, ich fahre mit den Öffis, ich fahre Auto und ich gehe zu Fuß - ich bin quasi ein lebender Modal Split. Und das ermöglicht mir, die ganze Sache nicht nur einseitig zu sehen. Bestes Beispiel ist obengenannter neuer Westbahnhof-Radweg: Mir als Autofahrerin fehlt jetzt eine Spur auf einem Streckenstück, das ich aufgrund meines Wohnortes oft fahre, und es kommt zu längeren Wartezeiten an der Ampel. Mir als Radfahrerin wird endlich sichere Durchfahrt dieser Strecke ermöglicht. Ganz ehrlich, dafür nehme ich das bissl längere Warten im Auto sehr gern in Kauf.

Die Fahrzeuge aller Art mehrten sich in den letzten Jahren. Doch kaum waren strengere Regeln für die E-Scooter da und ging die Nutzung (und vor allem das Abstellen irgendwo quer auf Gehsteigen) etwas zurück, mussten die klassischen Radfahrer:innen plötzlich um den Platz auf den Radwegen kämpfen – die E-Mopeds von Lieferdiensten, auf denen hinten fast schon provokativ „Ich bin ein Fahrrad!“ draufsteht, nahmen viel mehr Platz ein und erhöhten den Tempodruck.

Helmpflicht bei Leih-Scootern?!

Mobilitätsminister Hanke will sich dem Thema nun widmen. Er fordert, die E-Mopeds auf die Straße zu verbannen, eine Kennzeichenpflicht für diese und eine Helmpflicht für E-Bikes und auch E-Scooter. Nun ja. Hehre Gedanken, schwierige Umsetzung. Gegen E-Mopeds auf den Straßen habe ich wenig einzuwenden, und auch gegen eine Kennzeichenpflicht spricht de facto in meinen Augen nichts.

Doch das mit der Helmpflicht für E-Scooter ist drollig. Wie soll das bei den Leihsystemen funktionieren? Schon klar, es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Unfälle mit E-Scootern signifikant zugenommen haben, besonders unter Jugendlichen, und es da Maßnahmen braucht. Aber eine Helmpflicht kann hier nicht die Lösung sein, sondern ein Überdenken des gesamten Leih-Systems. Zu einfach ist es für Jugendliche, für Alkoholisierte oder unter anderweitigen Drogen stehende Personen, sich einfach so einen Scooter zu schnappen und loszutuckern.

Hanke fordert übrigens auch eine Helmpflicht für E-Bikes. Da schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Einerseits verstehe ich, dass es durch die höhere Durchschnittsgeschwindigkeit sinnvoll sein kann, andererseits kann eine Helmpflicht nicht die Lösung sein. Der Mobilitätsmix in Wien verändert sich - der Anteil der Radfahrer:innen hat sich zwischen 2010 und 2024 mehr als verdoppelt, und dem sollte die Infrastruktur folgen. Im konkreten Fall heißt das: Weiter auf den Ausbau von (breiteren!) Radwegen und Abstellmöglichkeiten setzen, denn das sorgt für weitaus mehr Sicherheit als eine Helmpflicht.

Posse Mariahilferstraße

Besonders amüsant ist übrigens momentan der Krimi, der sich auf der Mariahilferstraße abspielt: Der Bezirk Mariahilf will ein Radfahrverbot auf der Mahü prüfen, weil sich dort die Konflikte zwischen Radfahrer:innen, E-Scooter-Fahrer:innen und Fußgänger:innen mehren. Konflikte, nicht Unfälle, wohlgemerkt. Wörtlich heißt es auf orf.at: „Fußgängerinnen und -gänger fühlen sich durch die schnell fahrenden E-Scooter und Radfahrenden bedrängt, vor allem rund um die U-Bahn-Baustelle an der Kirchengasse, wo es besonders eng wird. Zu schweren Unfällen kommt es aber offenbar selten. Die Verkehrsunfallkarte der Statistik Austria weist für den Abschnitt 2024 einen Unfall mit Personenschaden zwischen einer Radfahrerin oder einem Radfahrer und einer zu Fuß gehenden Person aus.“

Ich fahre genau an dieser Stelle sehr oft vorbei und ja, für Radfahrer:innen ist sie wie ein Furunkel: Ärgerlich, nervig, hässlich, aber man muss durch. Nur frage ich mich halt mittlerweile auch seit Jahren: Warum lässt man auf diesen paar Metern die Radfahrer:innen nicht verpflichtend absteigen? Es fällt doch niemandem ein Zacken aus der Krone, wenn man das Rad auf die Länge von drei Häusern schieben muss, gerade weil es eine Ausnahmesituation und recht eng ist?

In der genannten Fußgängerzone darf man maximal 20 km/h fahren. Und gerade in den ersten Jahren standen da immer wieder Polizist:innen, die das überprüften. Ganz ehrlich, obwohl ich wirklich gern und viel Rad fahre: Das fand ich total in Ordnung. Wenn es um eine Begegnungszone geht, muss man eben aufeinander Rücksicht nehmen. Anstatt weiterhin auf Kontrollen zu setzen, lieber mal – vielleicht aus Kostengründen? – den Radfahrer:innen die Durchfahrt verbieten wollen, obwohl es momentan keinen guten Ersatzweg gibt (die eine Parallelstraße hat keinen Radweg, die auf der anderen Seite ist ebenfalls wegen des U-Bahn-Baus unterbrochen), das ist halt schon sehr billig und Stimmungsmache.

Fazit: Der Weg kann nur über einen Ausbau der Infrastruktur führen, der dem Mobilitätsmix und seiner prognostizierten Entwicklung angepasst ist. Damit alle sicher ans Ziel kommen.

Nunu Kaller schreibt alle zwei Wochen eine Kolumne zum Thema Nachhaltigkeit. Alle Texte findet ihr auch in ihrem Autor:innenprofil.


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