Georg Renner analysiert, wie sich der Wohlstand in Österreich gerade entwickelt und wie hoch das Vertrauen in einen sicheren Arbeitsplatz im Land ist.
Nachdem wir das mit dem Wählen vorerst einmal hinter uns haben – im Bund und in Vorarlberg zumindest, die Steiermark im November und das Burgenland im Jänner stehen ja bald an – liegt es jetzt an den Parteien, sich in einer Regierungskoalition zusammenzufinden. Das wird wohl etwas länger dauern und wird sachpolitisch erst dann interessant, wenn sich die betroffenen Parteien auf erste Programmpunkte einigen.
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Während die Politik sich dieser Tage selbst umkreist, haben die Wirtschaftsforscher:innen der Republik in den vergangenen zwei Wochen wieder einmal einen Spiegel vorgehalten – und entgegen dem, wie Österreich im Wahlkampf oft beschrieben worden ist, bietet das Land derzeit nur recht eingeschränkt Grund zur Freude. Schauen wir uns drei Dinge an, die für die Regierungsbildung und die kommenden Jahre elementar sein werden:
Wie sich der Wohlstand in Österreich gerade entwickelt
Wer in den vergangenen Jahren Jobs geschaffen hat
Wie die Stimmung im Land gerade ist
Das BIP sinkt
Anfang dieser Woche hat Tobias Thomas, Chef der Statistik Austria, im Klub der Wirtschaftspublizisten von einer „verfestigten Rezession“ gesprochen – wie schon 2023 wird die Wirtschaftsleistung Österreichs auch heuer wieder schrumpfen. Und WIFO und IHS, die beiden großen Wirtschaftsforschungsinstitute Österreichs, haben Anfang Oktober unter anderem folgende Prognose vorgelegt:
Was wir hier sehen: Das Bruttoinlandsprodukt in Österreich pro Kopf – die schwarze Linie – ist nach einem Hoch am Ende der Corona-Zeit 2022 im Vorjahr wieder unter das Niveau von 2019 gefallen – und es wird heuer noch weiter sinken. „Das BIP“ klingt natürlich abstrakt, aber letzten Endes ist es der beste Indikator dafür, wie wohlhabend, wie „reich“ eine Gesellschaft ist – und da fällt Österreich gerade deutlich hinter der Eurozone (die graue Linie) zurück. Es werden im Verhältnis zur wachsenden Bevölkerung weniger Sachen produziert, Häuser gebaut, Dienstleistungen erbracht als noch 2019 – sprich: Wir werden ärmer.
Dass es Deutschland noch etwas schlechter geht, ist dabei nicht wirklich beruhigend: Ein großer Teil des Rückgangs liegt daran, dass es der Industrie in Österreich nicht gut geht – während das BIP als Ganzes heuer um rund 0,6 Prozent schrumpfen wird, sehen die Forscher:innen bei der Industrie einen Rückgang von vier Prozent; und das liegt ganz besonders daran, dass unser wichtigster Handelspartner Deutschland, dem viele österreichische Betriebe zuliefern, selbst schrumpft.
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Einfach Politik.
Innenpolitik-Journalist Georg Renner über Österreichs Politiklandschaft.
Konjunkturprognose
Immerhin: Gerade für die Industrie gibt es einen Silberstreif am Horizont: „Eine Erholung der Auslandskonjunktur sollte nächstes Jahr deutlich wachsende Ausfuhren ermöglichen und die Industrierezession beenden“, hofft WIFO-Chef Gabriel Felbermayr bei der Präsentation der Prognose.
Besonders interessant fand ich dabei übrigens diese Folie:
Keine Angst, wenn du die Details nicht lesen kannst; erstens findest du alle Daten bei Bedarf hier – und zweitens geht es um den generellen Trend. Die dunkelblaue Kurve in der linken Grafik zeigt die Zahl der Beschäftigten in Österreich, die noch immer nahe ihrem Rekordhoch ist (während die Arbeitslosenzahl – die grüne Kurve – steigt, aber noch weit von dem hohen Niveau Mitte der Zehnerjahre entfernt ist).
Aber die dunkelblaue Kurve rechts ist dann doch eher beunruhigend: Das ist die Zahl der Beschäftigten, wenn man Jobs im öffentlichen Dienst herausrechnet. Und da zeigt sich im letzten Jahr ein weit deutlicherer Abwärtstrend bei den Beschäftigten, als wenn man die Gesamtwirtschaft betrachtet. Das mag per se nicht überraschend sein – aber die nächste Regierung wird sich schnell mit der Frage beschäftigen müssen, wie nachhaltig ein Beschäftigungswunder ist, das vor allem auf Jobs im öffentlichen Dienst beruht, die von den Steuern der Privaten bezahlt werden müssen.
Schlechte Stimmung
Und dann ist da noch die Stimmung:
Müsste ich, Gott bewahre, eine neue Regierung bilden, würde mir dieser Datensatz (aus der regelmäßigen EU-Konsumentenbefragung) schlaflose Nächte bereiten. Nach einem Jahrzehnt guter Stimmung – die Werte geben die Abweichung vom Langzeittrend an – haben seit 2022 Jahr für Jahr mehr Menschen Angst, ihre Arbeit zu verlieren.
Das ist nicht nur schlecht, weil es die Betroffenen stresst – sondern auch, weil es dazu führt, dass in Österreichs Haushalten mehr gespart wird. Klar, wer damit rechnet, in einem halben Jahr vielleicht ohne Job dazustehen, wird sich eher etwas auf Reserve legen, statt einmal auf Urlaub zu fahren oder sich ein neues Handy zu kaufen.
Blöderweise fehlen diese Investitionen dann wieder im BIP bzw. in den Unternehmen, wo eben mangels Spendierlaune weniger gekauft oder gebucht wird – und damit kann die Angst, den Job zu verlieren, zur self-fulfilling prophecy werden.
Lässt sich durch die Politik etwas dagegen machen ? Nun, zur Unterstützung von Wirtschaft und Industrie gibt es etliche Vorschläge – unter anderem von Felbermayr selbst, auch Budgetexpertin Margit Schratzenstaller hatte vor einigen Tagen recht pragmatische Empfehlungen.
Aber kann eine Regierung, die jetzt erst einmal für Monate in Verhandlungssälen verschwindet, bevor sie – hoffentlich – ein Programm hervorbringt, die Stimmung im Land insgesamt heben? Das wird wohl eine der Schlüsselfragen für sie selbst – und für uns alle.
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Infos und Quellen
Genese
Innenpolitik-Journalist Georg Renner erklärt einmal in der Woche in seinem Newsletter die Zusammenhänge der österreichischen Politik. Gründlich, verständlich und bis ins Detail. Der Newsletter erscheint immer am Donnerstag, ihr könnt ihn hier abonnieren. Renner liebt Statistiken und Studien, parlamentarische Anfragebeantwortungen und Ministerratsvorträge, Gesetzes- und Verordnungstexte.