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Schluss mit Hitzesudern!

5 Min
Nunu Kaller schreibt zweimal im Monat eine Kolumne für die WZ.
© Illustration: WZ, Bildquelle: Privat

Wir raunzen über die Hitze, an der wir alle gemeinsam schuld sind.


Liebe Wiener:innen: Ja, es ist heiß. Mir ist auch oft heiß dieser Tage. Täglich rinnen mir Schweißtropfen die Beine runter, nie werde ich mich dran gewöhnen. Ich mach die Fenster erst um fünf in der Früh für zwei Stunden auf und lebe seit Monaten in einem abgedunkelten Wohnzimmer, nur, um in der Wohnung erträgliche Temperaturen zu behalten. Ja, es ist richtig, richtig heiß. Es ist „aus olfaktorischen Gründen lieber Fahrrad als U6 fahren“-heiß.

Keine Frage, die Hitze ist belastend, körperlich und psychisch – nicht selten dachte ich mir in letzter Zeit, nooo, die Hitze tut nicht jedem Hirn momentan gut. Und die körperliche Belastung für ältere Menschen ist enorm, jeder Weg, der tagsüber getätigt werden muss, doppelt erschöpfend.

Ältere Menschen sind eher anfällig für Hyperthermie (Überhitzung). Und wir stehen da vor einer veritablen Herausforderung: Die Bevölkerung altert, und gleichzeitig wird sich bis 2050 die Menge der Hitzetage mit über 37,5 Grad von zehn auf zwanzig verdoppeln. Darauf müssen sich nicht nur die Menschen, sondern auch unser Sozialsystem vorbereiten.

Diese Verdoppelung der Hitzetage: Das ist fix. Dem kommen wir nicht mehr aus. Warnungen gibt es seit 50 Jahren, passiert ist zu wenig. Jetzt ist zumindest dieser Zug abgefahren.

Das Unerträglichste an der Hitze? Das Sudern!

Aber bei aller Belastung: Das gefühlt Unerträglichste an der Hitze ist derzeit die Suderei. Liebe Wiener:innen, das, was ihr gerade erlebt, ist der eventuell kühlste Sommer für den Rest eures Lebens. Wollt ihr wirklich die Zeit damit verbringen, eure Freund:innen anzuraunzen und schlechte Laune ins Netz zu rotzen?

Drüber sudern hilft genau wie? Oder wem? Je mehr gesudert wird, desto stärker habe ich zwei Gedanken: Erstens – beim allerersten „Mir ist so kalt, warum ist es so kalt“ der gleichen Personen knall ich ihnen ihre sechs Monate alten Postings vor den Latz. Entscheidets euch. Ich bin übrigens eindeutig Team „Mir ist zu kalt“, aber wer bin ich schon.

Und zweitens, viel wichtiger: Ihr raunzt über etwas, an dem wir alle gemeinsam schuld sind. Es hätte nicht so weit kommen müssen – das ärgert mich am Allermeisten.

Wir wissen es schon seit über 50 Jahren

1972 brachte der Club of Rome mit „Die Grenzen des Wachstums“ erstmal eine Warnung heraus, dass wir uns nicht unendlich auf die Ressourcen der Erde verlassen können. 1992 wurde in Rio von der Weltgemeinschaft als Ziel festgelegt, den Ausstoß von Treibhausgasen und insbesondere CO2 zu reduzieren. Seit 1995 gibt es UN-Klimakonferenzen, wo Vertreter:innen unterschiedlicher Länder zusammenkommen, um gemeinsam die Herausforderungen des Klimawandels sowie Lösungen dagegen zu diskutieren: Es wurden meist zu schwache Ziele vereinbart und die, die halbwegs gut waren, teilweise krachend verpasst – zum Beispiel wurde auf Klimakonferenz in Kyoto 1997 die Reduktion von CO2-Ausstoß beschlossen – bis 2019 stieg dieser jedoch weiter an (das wurde dann nur von der Pandemie kurzfristig unterbrochen).

Wir schwitzen und leiden unter der Hitze, und gleichzeitig gibt es immer noch keinen Konsens, wirklich große Hebel gegen den Klimawandel umzulegen. Und die gibt es: Der renommierte Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber hat in einer vielbeachteten Studie festgestellt, dass die Verbindung von Forstwirtschaft und Bauwirtschaft – ergo der Ausstieg aus dem Bauen mit Zement und stattdessen einem Fokus auf Holzbau – erheblich zu den Klimazielen beitragen könnte.

Was kein großer Hebel ist: Mimimimi und „mir ist heiß“ in Dauerschleife. Ich weiß, der Vergleich ist schwierig – ich vergleiche hier individuelles Empfinden mit der Forderung nach globalen Maßnahmen, und ja, ich bin unfair. Aber meine Erfahrung ist: Menschen, die im Sudern hängen bleiben, kommen später ins Handeln. Und so viel Zeit haben wir nicht mehr.

Handeln kann in diesem Fall auch heißen, gute politische Entscheidungen zu treffen und vielleicht nicht unbedingt die Partei zu wählen, die den menschengemachten Klimawandel anzweifelt. Es muss darum gehen, dazu beizutragen, dass große, wirksame Veränderungen angestoßen werden – einfach nur zuhause das Licht abdrehen, wenn man den Raum verlässt, oder das Fahrrad, statt dem Auto zu nehmen hilft zwar dem eigenen Gewissen, Kontostand und im letzteren Fall gesundheitlichen Zustand, aber es darf nie darauf vergessen werden, dass es andere gibt, die am längeren Hebel sitzen.

Stellen wir uns gegen die Verantwortungsverschiebung!

Bei all der Hitzesuderei: Wir dürfen nie darauf vergessen, dass es nichts anderes als Verantwortungsverschiebung ist, wenn global agierende Unternehmen mit einer App um die Ecke kommen, die uns Alltagstipps gibt wie zum Beispiel Energiesparlampen zu verwenden oder den Wasserhahn bei Zähneputzen abzudrehen, oder wir von politischer Seite den Rat bekommen, zu duschen statt zu baden. Das sind alles valide Tipps und nicht falsch, aber trotzdem: In der freundlichsten aller Interpretationen ist das gerade mal Beschäftigungstherapie für Einzelne. Auch wenn sich diese Message wiederholt: Sie ist wichtig und muss so lange wiederholt werden, bis sich etwas ändert. Ich werde nie müde werden, darauf hinzuweisen: Ja, wir haben eine eigene Verantwortung, aber die mit mehr Macht haben niemals das Recht, uns noch mehr Verantwortung umzuhängen, um von ihrer eigenen abzulenken.

Übrigens: Raunzen drüber, dass andere über die Hitze raunzen, ist schon sehr meta und sehr, sehr Wien. Ein bisschen bin ich stolz drauf.

Nunu Kaller schreibt alle zwei Wochen eine Kolumne zum Thema Nachhaltigkeit. Alle Texte findet ihr auch in ihrem Autor:innenprofil.


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