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Sicherheit im Auto ist Männersache

4 Min
Crashtests werden derzeit mit Durchschnittsmännern durchgeführt. Für Frauen erhöht das die Verletzungsgefahr bei Autounfällen.
© fStop Images - Caspar Benson / Brand X Pictures via Getty Images

Crashtest-Dummys sind bis heute dem durchschnittlichen Nordamerikaner der 1970er nachempfunden. Wie sicher Autounfälle für Frauen sind, wird nicht getestet.


Morgens um neun am ADAC-Testzentrum in Landsberg am Lech. Ein Auto fährt gegen die Wand. Es kracht. Der Oberkörper des Dummys hinterm Steuer landet im Airbag, während der Sicherheitsgurt den restlichen Körper im Sitz fixiert. Mit dem Dummy soll die Sicherheit eines Autos bei einem Unfall überprüft und verbessert werden.

Für das Sicherheitsbewertungssystem zuständig ist die Euro-NCAP (European New Car Assessment Programme). Nach diesem 5-Sterne-Testsystem richten sich ÖAMTC, ADAC und andere europäische Verkehrsklubs. In den meisten Fällen vertritt während des Crashtests der sogenannte 50-Prozent-Mann den Menschen. In den 1970er-Jahren vom Unternehmen General Motors entwickelt, ist er mit seinen 78 Kilogramm und 1,75 Metern Körpergröße dem durchschnittlichen nordamerikanischen Mann der damaligen Zeit nachempfunden. Er stellt die Norm dar und sitzt bei jedem regulären Crashtest hinterm Steuer. Ergänzt wird er von einer Reihe anderer Dummys in verschiedenen Größen. Auffällig ist jedoch, dass sie alle in ihrer Form an den männlichen Körper erinnern: Die Hüften sind schmal, dafür sind die Schultern meist etwas breiter, Brüste hat keiner von ihnen.

Sicherheit im Auto: Nur für Männer

Die Konsequenz ist, dass die Sicherheit eines Autos eher an den durchschnittlichen Mann angepasst ist als an den Rest der Bevölkerung. Ausgehend von dieser Problematik hat die schwedische Ingenieurin Astrid Linder „Eva“ entworfen, einen Crashtest-Dummy, der zum ersten Mal realistisch den Körper einer Frau darstellt. Die Idee kam Linder, als sie während ihres Doktorats auf eine Studie stieß, wonach Frauen deutlich geringer gegen Schleudertraumata geschützt sind als Männer. Die Direktorin für Verkehrssicherheit am schwedischen Straßen- und Transportforschungsinstitut legte somit besonderen Wert auf den Bau von Evas Wirbelsäule. Bei Frauen ist die Muskulatur im Bereich der Halswirbel schwächer ausgeprägt als bei Männern. Gerade wenn es um den Halsbereich geht, braucht es also eindeutige Messungen, um die Verletzungsgefahr während eines Unfalls korrekt abschätzen zu können. Betroffen von der Einseitigkeit der Dummys sind jedoch nicht nur Frauen und Personen, die nicht dem typisch männlichen Körperbau entsprechen – auch auf die Bedürfnisse der älteren Bevölkerung wird zu wenig eingegangen. Im Alter werden die Knochen immer poröser und es kann schneller zu einem Bruch kommen, während jüngere Menschen noch glimpflich davonkommen würden.

Weibliche Dummys nicht Teil der EU-Vorschrift

Nach Euro-NCAP-Vorschrift wird ein Einsatz Evas nicht verlangt. Laut Richard Schram, dem technischen Direktor des Programms wird allerdings auch hier an einem Dummy gearbeitet, der eine verbesserte Strategie zum Schutz von weiblichen Personen zulässt, dem THOR 5th Dummy. Anders als Eva, die in erster Linie für Heckcrashs entwickelt wurde, soll dieser auch bei Frontalcrashs eingesetzt werden können. Wann es jedoch so weit ist, ist noch unklar.


Ob und welche Änderungen in der Anwendung von Crashtest-Dummys zu erwarten sind, weiß Max Lang, ÖAMTC-Technikexperte. Im Interview mit der WZ gibt er genaue Auskunft darüber, mit welchen Entwicklungen in Zukunft zu rechnen ist.

WZ | Helena Pichler

Wieso finden „weibliche“ Crashtest-Dummys noch immer keine Anwendung?

Max Lang

Zuständig für die Regelungen ist die Euro-NCAP. Derzeit werden sechs Unfallszenarien vorgeschrieben, die einen Crashtest erfordern. Zwar sind verschiedene Dummy-Modelle inzwischen Teil der Vorschrift, ob diese aber realistisch auch eine Frau repräsentieren können, ist fraglich. Im Normalfall sitzt am Steuer der 50-Prozent-Mann.
Für die Autohersteller gibt es ohne genaue Anweisung keinen Grund, weitere Tests durchzuführen. Grund dafür ist vor allem das Geld. Die Automodelle, Dummys, das Labor - die Crashtests sind sehr kostspielig (Anm.: Laut dem deutschen Verkehrsklub ADAC kostet allein das Dummy-Set zwischen 150.000 und 1,5 Millionen Euro. Je genauer die Messtechnik des Dummys, desto teurer ist er.). Gibt es keine Vorschrift, spart man sich das Geld.

WZ | Helena Pichler

Gibt es dennoch Pläne, auf die Bedürfnisse von Menschen einzugehen, deren Körper nicht vom 50-Prozent-Dummy abgedeckt sind?

Max Lang

Eine mögliche Lösung, die teilweise auch schon Anwendung findet, sind computergenerierte Crashtests. Ob Körperumfang, Körpergröße, Alter oder Geschlecht, am Computer kann das sehr genau simuliert werden. Um für jede Person eine optimale Unfallsicherheit zu gewährleisten, muss auf all diese Merkmale eingegangen werden. Während Dummys laufend verbessert werden, wie auch das schwedische Modell „Eva“ beweist, können noch längst nicht alle Körperformen mit ihnen abgedeckt werden. Mit Computersimulation geht das allerdings schon.
Ob die virtuellen Crashtests die derzeitigen zumindest in der Typisierung der Dummys ablösen können, ist noch schwer abschätzbar. Bei Euro-NCAP könnte das vergleichsweise schnell gehen, vielleicht zwei bis drei Jahre. Die sind meist sehr schnell in der Entscheidungsfindung.


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Infos und Quellen

Gesprächspartner

Max Lang, Technikexperte des ÖAMTC

Expert:innen vom Euro-NCAP

Daten und Fakten

Laut dem Deutschen Automobil- und Verkehrssicherheitsklub gibt es unterschiedliche Arten von Verletzungen:

  • Männliche Unfallopfer, die eingeklemmt werden, erleiden eher schwere Verletzungen an Kopf, Gesicht, Brust und Gliedmaßen.

  • Weibliche Unfallopfer werden hingegen häufiger an den Wirbeln und am Rückenmark verletzt.

Quellen

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