Zwischen Fans von Rapid und Austria Wien kracht es immer wieder. Beim jüngsten Derby gingen sie mit Schlagstöcken und Raketen aufeinander los. Die Clubs wirken machtlos. Kann sich das ändern?
Ende September, knapp 19 Uhr, Rapid hatte das Wiener Fußballderby gerade 2:1 gewonnen – da wurde das Spielfeld zum Schlachtfeld. Austria-Fans warfen Böller. Rapidler rannten aufs Feld und schossen zurück. Dutzende, teils vermummte Männer gingen mit Schlagstöcken und Fußtritten aufeinander los. Ein halbnackter Mann wurde über den Platz gezerrt, bis ihm jemand mit voller Wucht gegen den Kopf trat. Ein offizieller Rapid-Fan-Betreuer schlug mit einer Corner-Stange auf Austria-Fans ein. Kinder flüchteten steile Tribünenstiegen hinab, überforderte Ordner kletterten aus der Gefahrenzone. Nur ORF-Moderator Rainer Pariasek verharrte an seinem Pult und rief verzweifelt: „Ich weiß nicht, wo die Polizei ist. Das gibt’s ja nicht.“
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Nach wenigen Minuten war die Polizei da. Die Bilanz: 577 Anzeigen, 10 verletzte Beamte, 17 verletzte Fans. Sogar die ZIB2 und der Spiegel berichteten. Immer wieder kommt es in Wien zu Fan-Eskalationen, Platzstürmen, Bengalo-Würfen und Schlägereien. Die Funktionäre aber wirken ratlos. In Dauerschleife sprechen sie von Lösungen, die sie erarbeiten wollen. Doch die Probleme bleiben. Das liegt einerseits an mächtigen Fans – aber auch an Vereinsbossen, die in einer Mischung aus Angst und Machtkalkül eine Beißhemmung entwickelt haben. „Die Dinge sind halt so wie sie sind“, erklärte Rapid-CEO Steffen Hofmann nach dem Derby. „Man kann sein Bestes geben. Manchmal hat man einen Teilerfolg, mal nicht.“
Es bleibt die Frage: Sind sichere Fußball-Derbys in Wien eine Illusion? Und: Tun die Clubs genug dafür, damit sich etwas ändert?
„Beide Vereine haben die Situation nicht im Griff“
Etwa 60.000 Euro wendet Rapid pro Derby für Polizei und Sicherheitsdienste auf, verrät der Verein der WZ. Und dann ging doch alles schief. „Ich verstehe nicht, warum die Polizei so lang braucht, bis sie da ist“, kritisierte Rapid-Sportchef Markus Katzer. Polizei-Sprecherin Barbara Gass konterte: Man habe die Situation innerhalb weniger Minuten befriedet. Wie aber Feuerwerkskörper „in diesem Ausmaß ins Stadion kommen“, müsste man zuerst den Veranstalter Rapid fragen.
„Beide Vereine haben die Situation nicht im Griff“, stellte Austria-Vorstand Harald Zagicek kurz darauf klar. Rapids Präsident Alexander Wrabetz blieb dagegen vage. Man hätte zwar „ein Derby-Problem“, aber „kein Fan-Problem und auch kein Sicherheitsproblem“.
Dabei müsste es Ex-ORF-Chef Wrabetz besser wissen. In sein Amt rutschte er vor zwei Jahren etwas ungewöhnlich: durch einen Fan-Aufstand. Nach einer Niederlage gegen den FC Vaduz im August 2022 hatten vermummte Rapid-Fans die VIP-Loge gestürmt – und die damaligen Vereinsbosse zum Rücktritt aufgefordert. Konsequenzen gab es für den Putsch keine. Im Gegenteil: Die Funktionäre zogen sich tags darauf tatsächlich zurück. Zum Anführer der Revolution wurde wenig später Steffen Hofmann, der letzte grün-weiße Superstar; Spitzname: Fußball-Gott. Damals wurde die Macht der Hardcore-Anhänger beim SK Rapid wieder einmal deutlich. Rapid ist ein Mitgliederverein. Sprich: Vereinsmitglieder (über 20.000 sind es mittlerweile) dürfen bei Hauptversammlungen Anträge einbringen oder Präsidenten wählen. Und so kam auf Ansinnen der hartgesottenen Anhänger eine neue Führung ins Amt. Hofmann schlug Wrabetz als Präsidenten vor – und stieg selbst, praktisch von Gnaden der Fans, zum CEO auf. Traditionell hofieren Rapid-Bosse ihre treuen Fangruppen, weil sie für tolle Stimmung im Stadion sorgen, die Mannschaft zu Auswärtsspielen begleiten – und: Präsidenten wählen und stürzen können. Aber auch Angst soll eine Rolle spielen. Ehemalige Funktionäre berichteten in vertraulichen Gesprächen immer wieder von Einschüchterungsversuchen.
Haben die Clubs die aktuelle Eskalation befördert?
Die überwiegende Mehrheit der Rapid-Fans im Block West, der berüchtigten Fantribüne, ist harmlos. Es gibt unterschiedliche Gruppen, die Ultras etwa. Nur wenige sind gewaltbereit – aber sie prägen das Bild des Vereins. Ein Problem: Der Verein selbst ist seinen Anhängern nicht immer ein gutes Vorbild. Einen Tag nach dem Derby im Februar (auch da stürmten bereits Anhänger aufs Spielfeld) tauchte ein Video auf, das Rapid-CEO Hofmann vor Fans zeigt, wie er lautstark der Chance nachtrauert, „die Oaschlöcher (er meinte den FK Austria) so richtig abzuschießen“. In einem anderen Clip singen Rapid-Kicker und Trainer „Wir sind keine oaschwoamen Veilchen.“ Also: Wir sind keine schwulen Austrianer.
Damit ist Rapid nicht allein. Auch bei Stadtrivale Austria ließ man die Zügel zu locker. Als der Club 2023 den Trainer-Fanliebling Manfred Schmid entließ, tauchten vermummte Austria-Anhänger bei einer Veranstaltung auf und schüchterten Funktionäre ein. Die Ordination der Frau von Sportdirektor Manuel Ortlechner, einer Dermatologin, besprayten Fans laut WZ-Informationen mit violetten Graffitis und einem Fadenkreuz.
Wurde die aktuelle Eskalation von den Clubs also sogar befördert oder zumindest nicht rechtzeitig eingedämmt? Und: Wie ernst meinen es die beiden nun tatsächlich?
Am Tag nach dem Derby trafen Vertreter von Rapid und Austria auf Initiative der Bundesliga zusammen. Den beiden Wienern wurde dort laut WZ-Infos geraten, „sich proaktiv etwas zu überlegen, um den Druck rauszubekommen“. Das vorläufige Ergebnis: keine Auswärtsfans bei den nächsten vier Derbys. Man wolle sich „Zeit kaufen, um Maßnahmen zu entwickeln“, verrät einer, der bei dem Meeting dabei war, der WZ.
Prügelnder Rapid-Fan-Beauftragter: „Dienstverhältnis beendet“
Nun werden Verschärfungen diskutiert. Polizeiintern warf man den beiden Vereinen zuletzt vor, nicht konsequent genug Stadionverbote zu erteilen. Dazu hätten Fan-Gruppen oft Tage vor einem Spiel Zugang zum Stadion – und könnten Feuerwerkskörper hineinschmuggeln.
Beide Clubs wollen künftig „wirklich sanktionieren, wenn rote Linien überschritten sind“, erklärte Wrabetz. Man könne „nicht länger hinsehen, ohne zu agieren“. Auch bei der Austria sprach man von „voller Härte“ und „lebenslangen Stadionverboten“.
Das Problem: Die Polizei hat zwar 577 Anzeigen verhängt – aber oft gegen unbekannte Täter. Es gibt zwar Videoaufnahmen, aber viele waren vermummt und rannten nach Auftauchen der Polizei in ihre Blocks zurück.
Auch ihre Sicherheitsvorkehrungen wollen die Clubs checken. Für Fußballspiele wird ihnen nämlich behördlich eine gewisse Anzahl an Polizeibeamten zugeteilt. Den Rest regeln sie als Veranstalter selbst mit Ordnern, die zum Teil aus Fankreisen kommen. Das bringt aber auch Probleme. Vom offiziellen Fan-Beauftragten des SK Rapid, der mit einer Stange auf Austria-Fans eindrosch, hat sich der Club mittlerweile getrennt. Nach einer internen Prüfung „wurde das laufende Dienstverhältnis sofort beendet“, erklärt man auf WZ-Nachfrage.
Austrias Zagicek würde nun gern weitreichender sanktionieren. Auch „Hasstiraden und gewaltbereite Banner“ wolle er künftig nicht mehr akzeptieren, weil sie die Feindseligkeit schüren, wie er betont. So wünschen Rapidler etwa „Tod und Hass dem FAK“, während Austrianer „Hütteldorfer Hurensöhne“ skandieren.
Rapids Wrabetz will hier nicht eingreifen. „Bestimmte Dinge löst man im Block“, sagt er. Zudem sei eine Stadtrivalität „auch was Wichtiges“. In England etwa, wo man den Hooliganismus mit teuren Kartenpreisen, verschärften Gesetzen und rigorosen Stadionverboten eindämmen konnte, sieht Wrabetz eine fast zu „friedliche Stimmung“. Die Polizei müsse eben künftig „präventiv Position beziehen“, sagt er, „und nicht erst dann, wenn etwas passiert“. Auf WZ-Nachfrage kritisiert der Verein, dass „im Vergleich zum letzten Derby“ dieses Mal „weniger Einsatzkräfte im Einsatz“ gewesen wären. Im Falter nimmt ein Polizeiinsider die Clubs in die Pflicht: „Die Vereine müssen sich mit ihren gewalttätigen Fans stärker anlegen, das ist mühsam, aber unausweichlich.“
„Die Clubs allein schaffen das nicht“
Zuletzt hatte Rapid deshalb den Zaun vor dem Fanblock „um einen Meter erhöht“. „Das war offensichtlich nicht ausreichend“, gab Wrabetz nach dem Derby zu.
„Die Clubs allein schaffen das nicht“, sagt ein Funktionär eines Wiener Clubs hinter vorgehaltener Hand zur WZ. „Wir alle verurteilen die Ausschreitungen in der Theorie aufs Schärfste, aber es scheitert an der Umsetzung.“ Denn: „Wer holt die Leute von der Tribüne? Die brechen dir ja die Nase. Man sagt so leicht: Man muss schärfer vorgehen. Aber wie?“ Eine mögliche Lösung, die der Funktionär anspricht: „Es braucht verrückt harte Strafen und die Polizei, die die Leute rausfischt, weil sie eben ein Verbrechen begehen.“
Bräuchte es nicht wirklich „Hilfe von höherer Ebene, von Politik und Justiz, weil die Vereine machtlos sind?“, wurde Rapid-Präsident Wrabetz zuletzt vom TV-Sender Sky gefragt. Seine Antwort: „Wir haben gezeigt, dass wir das selbst können müssen.“
Immer wieder haben die Vereine Besserung gelobt, aber nur wenig bewirkt. Nun soll es neben der Öffentlichkeit auch Druck von Sponsoren geben. Und siehe da: Man zeigt sich engagiert. Die Wiener wollen eine Arbeitsgruppe gründen. Die Bundesliga hat einen Termin im Innenministerium angefragt, Rapid sich mit der Polizei zusammengesetzt. Auch deshalb fiel das Urteil des Bundesliga-Strafsenats relativ mild aus. Es wurden zwar die höchstmöglichen Geldbußen von jeweils 150.000 Euro verhängt, aber keine Geisterspiele (das sind Spiele, die ohne Publikum ausgetragen werden, Anm.). Die Bundesliga hat für die Clubs gar einen Anreiz geschaffen, um Täter auszuforschen: Je mehr sie erwischen, desto mehr Bußgelder können sie sich zurückholen.
Wie viele Randalierer wurden bislang ausgeforscht?
Ein Monat ist seit den Ausschreitungen vergangen. Die WZ hat bei beiden Vereinen nachgefragt. Wie viele Täter wurden seither ausgeforscht? Aktuell habe man zwanzig Personen identifiziert, erklärt man beim FK Austria Wien, weitere zehn sollen folgen. Diese sollen Stadionverbote erhalten – in Wien und österreichweit. Und bei Rapid? „Einige Personen“ wurden ausgeforscht, teilt der Club mit. Wie viele genau? Darauf möchte man nicht eingehen und verweist darauf, „dass die Ermittlungen von der Exekutive noch nicht abgeschlossen sind und wir noch auf die Ergebnisse warten. Wir möchten keine Wasserstandsmeldungen abgeben, weshalb wir erst eine genaue Anzahl nennen können, wenn die Auswertungen abgeschlossen sind.“
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Infos und Quellen
Genese
Beim Wiener Fußballderby kam es am 22. September zu schweren Ausschreitungen. Wieder einmal. Autor Gerald Gossmann erlebte seinen ersten Platzsturm als 19-Jähriger bei einem Testspiel zwischen dem FC Arsenal und Rapid Wien im Eisenstädter Lindenstadion. Damals flogen Heurigenbänke und Tisch-Griller von der Tribüne. Fan-Ausschreitungen bei Rapid wiederholen sich in regelmäßigen Abständen. Ebenso die Aussagen der Funktionäre, wonach nun alles besser werden solle und man hart durchgreifen wolle. Geändert hat sich wenig. Warum kriegen die Vereine ihre Fans nicht in den Griff – und wie soll nun alles besser werden?
Gesprächspartner
Gerald Gossmann hat mit Vertretern von Rapid, Austria, der Bundesliga und der Wiener Polizei gesprochen. Die beiden Wiener Vereine haben Fragen per Mail beantwortet.
Daten und Fakten
Wiener Derby: Rapid und Austria sind die größten Fußballvereine in Wien. Rapid war 32-mal Meister, die Austria 24-mal. 343 Duelle wurden bereits ausgetragen. Damit ist das Wiener Derby das am zweithäufigsten gespielte Fußballderby Europas – nach der Partie zwischen Celtic Glasgow und den Glasgow Rangers. Die beiden Clubs vertraten von ihrer Historie her immer auch zwei Klassen: Rapid wurde 1897 als Arbeiterverein gegründet, die 1911 gegründet Austria gilt als Club des Bürgertums. In den Fünfzigerjahren verfolgten schon einmal 50.000 Zuschauer:innen das Wiener Derby. Das aktuelle Rapid-Stadion in Wien-Hütteldorf fasst 26.000 Besucher:innen und war zuletzt ausverkauft.
Rivalität: Die beiden Vereine stehen in großer Rivalität zueinander – vor allem deren Fangruppen. Im Osten des Landes bezeichnen sich die einen als Rapidler, die anderen als Austrianer. Im Stadion singen die einen „Tod und Hass dem FAK“, die anderen skandieren „Hütteldorfer Hurensöhne“. In den letzten Jahren wurden große Fankonflikte deutlich. Im Frühjahr 2023 zerstückelten Rapid-Fans ein Austria-Transparent auf ihrer Tribüne. Das Banner war der Austria-Ultra-Gruppe Viola Fanatics zuvor entwendet worden – worauf sich diese ihren Regeln nach auflösen musste. „Can´t stop fanatics?“, stand auf einem Transparent, das die Rapid-Fans dazu hissten. Wenige Monate später rächten sich Austria-Fans, indem sie eine gestohlene Rapid-Choreographie im Internet zum Verkauf anboten. Seither schaukelt sich die Auseinandersetzung zwischen Rapidlern und Austrianern immer weiter auf. Beim Derby im Februar 2024 beschossen sich die Fan-Gruppen mit Raketen und Böllern. „Wir haben ein Derby-Problem“, erklärte Rapid-Präsident Alexander Wrabetz.
Derby-Ausschreitungen in den letzten 15 Jahren: 2008 explodierte ein Feuerwerkskörper neben Rapid-Tormann Georg Koch, der ein Gehörtrauma und Kreislaufstörungen erlitt und danach nie wieder für Rapid spielen konnte.
2011 musste das Derby vom Schiedsrichter abgebrochen werden. Hunderte Rapid-Fans waren auf das Spielfeld gestürmt. Rund 500 Polizisten versuchten, die Krawalle unter Kontrolle zu bringen.
2016 stürmten Rapidler die Kurve der Austria-Fans – es folgte eine Massenschlägerei.
2016 warfen Austria-Fans während der Partie mit Stühlen.
2017 verursachten Rapid-Fans eine mehrminütige Spielunterbrechung, indem sie Gegenstände auf einen Austria-Kicker warfen.
2018 warfen Rapid-Anhänger Feuerzeuge aufs Feld, ein Austria-Spieler erlitt dadurch eine Verletzung. Später liefen zwei Fans aufs Feld und verhinderten einen Angriff der Austria.
2023 zündeten Rapid-Fans Bengalo-Fackeln vor einer voll besetzten U-Bahn mit offenen Türen.
Im Februar 2024 wurden Rapid-Spieler und -Trainer dabei gefilmt, wie sie homophobe Lieder singen – etwa: „Wir sind keine oaschwoamen Veilchen.“ Schon davor waren Fans aufs Spielfeld gelaufen.
Im September 2024 kam es im Rapid-Stadion zu einem Platzsturm und einer Massenschlägerei.
Sanktionen: Die Bundesliga kann Geldstrafen und Geisterspiele verhängen. Die Klubs können Stadionverbote aussprechen. Auch bei der Bundesliga können sie österreichweite Stadionverbote beantragen. Einige fordern weniger Strafen, sondern mehr Prävention in Form von Fanarbeit. Andere verlangen härtere Strafen und mehr Polizei.
Quellen
Youtube: Ausschreitungen beim Wiener Derby