WZ-Recherchen zeigen: Kurze Kindergarten-Öffnungszeiten drücken den Stundenlohn von Frauen.
Um Punkt 12 Uhr schaltet Veronika ihren Computer aus. Sie steigt ins Auto, dreht den Zündschüssel um, düst zum Kindergarten. Am Heimweg trällert Paul im Kindersitz Lieder. Im Geschäft will der Vierjährige den Einkaufswagen selbst schieben, zuhause die Tomaten selbst schneiden. Es gibt Lasagne. Als Pauls Vater Herbert um 17:30 Uhr das Garagentor öffnet, steht das Essen auf dem Tisch.
- Kennst du schon?: Daheim bin ich produktiver
Familie Gstöttner (der Name wurde von der Redaktion geändert) macht es wie viele Familien in Oberösterreich. Der Mann verdient den Großteil des Familieneinkommens, die Frau in Teilzeit etwas dazu. „Nicht viel“, sagt Veronika. „Mein Stundenlohn ist in meinem neuen Job viel geringer als früher.“ Das hat einen Grund. Veronika ist jetzt Mutter. Bevor sie das war, arbeitete die Juristin als Wirtschaftsprüferin in Wien. Nach der Karenz – und nachdem sie aufs Land gezogen war – heuerte sie bei einem Steinmetzbetrieb in der Region an. Für 25 Stunden hilft sie im Büro aus. Mehr ist derzeit nicht drinnen.
Denn ihr Sohn geht in den Kindergarten. Und der sperrt um 13 Uhr zu. „Würde ich 40 Stunden arbeiten können, würde ich meinen erlernten Beruf in Linz ausüben. Mit den engen Betreuungszeiten ist das leider nicht möglich.“ Um flexibel zu bleiben, nahm sie eine Stelle an, für die sie überqualifiziert ist – und schlechter bezahlt wird.
Im Westen ist der Gender-Pay-Gap größer
Veronika ist nicht allein. Wie ihr geht es vielen Frauen. Die WZ hat das Angebot an Kinderbetreuungsplätzen mit dem Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen verknüpft. Die Daten stammen von der Statistik Austria. Das Ergebnis: Kurze Öffnungszeiten von Kindergärten drücken den Stundenlohn von Frauen. Sie bekommen also nicht nur weniger Gehalt, weil sie weniger Stunden leisten, auch ihr Grundlohn ist geringer.
In den Bundesländern, in denen die Quote an Vollzeit-Kindergärten niedrig ist, ist der sogenannte Gender-Pay-Gap am größten – also die Differenz zwischen dem Einkommen von Frauen und Männern.
Die Statistik Austria berechnet den Gender-Pay-Gap, indem sie die Bruttostundenverdienste von Männern und Frauen vergleicht. Eine Auswertung nach Bundesländern wurde zuletzt im Jahr 2018 veröffentlicht. Österreichweit betrug die Lohndifferenz 20,4 Prozent. In Vorarlberg und Oberösterreich war sie mit 25,5 und 24,3 Prozent am größten.
In beiden Bundesländern gibt es wenige Vollzeit-Kindergartenplätze. 40 Prozent der Kindergärten und Horte in Vorarlberg haben weniger als sieben Stunden pro Tag geöffnet. In Wien gibt es keine Kindergärten mit so kurzen Öffnungszeiten. In 85 Prozent der Kindergärten der Hauptstadt können Kinder mehr als zehn Stunden täglich verbringen. In Wien ist auch der Gender-Pay-Gap gering.
Das ist kein Zufall. Der Zusammenhang zieht sich durch die Bundesländer.
Der Grund dafür findet sich in Veronikas Lebenslauf – er nennt sich Teilzeit. „Teilzeitjobs sind schlechter entlohnt“, sagt Alyssa Schneebaum, Ökonomin an der WU Wien.
Kaum Männer in Teilzeit
Teilzeitkräfte bekommen am Monatsende nicht nur weniger Gehalt, weil sie weniger Stunden leisten. Auch ihr Stundenlohn ist geringer. Wer nicht Vollzeit zur Verfügung steht, macht weniger gut bezahlte Überstunden. Wer nicht ständig im Büro ist, kommt auf der Karriereleiter nicht weiter. Führungskräfte in Teilzeit sind eine Rarität. In den Branchen, in denen bevorzugt Teilzeitkräfte angestellt werden, lässt sich tendenziell wenig Geld verdienen.
Verkäufer:innen, Büroangestellte, Kellner:innen sind klassische Teilzeitberufe. „Der Wert von in Teilzeit arbeitenden Personen ist in unserer Gesellschaft gering“, sagt Schneebaum. Menschen mit Betreuungspflichten nehmen Jobs mit planbaren Zeiten an – und eine schlechtere Bezahlung in Kauf.
Meistens sind das Frauen. 50 Prozent aller berufstätigen Frauen in Österreich haben Teilzeitjobs. Fast 40 Prozent von ihnen geben an, wegen der Betreuung ihrer Kinder nicht Vollzeit zu arbeiten, obwohl sie das gerne würden. In den Bundesländern mit kurzen Kindergarten-Öffnungszeiten steigt die Teilzeitquote von Frauen.
In Oberösterreich liegt sie bei 60 Prozent – bei den Männern bei neun Prozent. In Wien – dem Bundesland mit dem deutlich breitesten Betreuungsangebot – ist die Frauen-Teilzeitquote am niedrigsten, die der Männer am höchsten. Frauen arbeiten hier eher ganztags, obwohl sie Kinder haben. Die langen Öffnungszeiten von Kindergärten oder Horten lassen das zu.
Warum aber sind es immer noch nahezu ausschließlich Frauen, die sich um die Kinder kümmern? Nur ein Prozent der Väter in Österreich ist länger als sechs Monate in Karenz. Ein Grund dafür ist wiederum das Gehalt. „Viele Familien können es sich nicht leisten, dass beide Eltern Teilzeit arbeiten. Die Person, die besser verdient, geht weiterhin Vollzeit arbeiten“, sagt Schneebaum. In der Regel sind das die Männer.
Sie bekommen die besseren Jobs, weil die Arbeitgeber:innen davon ausgehen, dass sie nicht wegen Karenzzeiten ausfallen. Würden sie öfter – und gleich lang wie ihre Partnerinnen – in Karenz gehen, würde sich das ändern. Tun sie aber nicht, schließlich verdienen sie besser. Die Katze beißt sich in den Schwanz.
Kennen sie den Begriff Rabenvater?Alyssa Schneebaum, Ökonomin an der WU Wien
Und natürlich sind da die Normen, die überholten Erwartungen der Gesellschaft. „Frauen, die nach einer Entbindung bald wieder berufstätig sind, werden ständig gefragt, wo ihr Kind ist. In der Frage schwingt ein Vorwurf mit. Männer hören das nie. Dass sie nicht in Karenz sind, ist normal. Oder kennen sie den Begriff Rabenvater?“, sagt Schneebaum. Schon kleine Mädchen werden auf Fürsorge und Kinderbetreuung getrimmt. Sie bekommen Puppen und Spielzeugküchen geschenkt, während ihre Brüder mit Legosteinen Raumschiffe konstruieren. In der Fernsehwerbung spielt nie ein Bub mit einer Puppe. Die Aussage ist eindeutig – um die Kinder kümmern sich die Frauen.
Wenig Geld für Kinderbetreuung
Das Bild der Frau als Mutter und Hausfrau ist festgefahren. Vor allem am Land. Längere Kindergarten-Öffnungszeiten könnten es aufweichen. Sie sind ein Hebel, die in Vollzeit beschäftigte Mutter in der Gesellschaft zu etablieren – und sie finanziell dem Einkommensniveau der Männer stärker anzunähern. „Politisch wird das oft nicht gewollt“, sagt Schneebaum. Kindergärten kosten Geld. „In den konservativ regierten Bundesländern fließt wenig Budget in die kommunale Kinderbetreuung.“
In den Bundesländern mit sozialdemokratischen Landeshauptleuten – Wien, dem Burgenland und Kärnten – ist die kommunale Kinderbetreuung ganztägig gratis. In allen anderen Bundesländern kostet sie Geld. Erst 2018 führte Oberösterreich wieder Gebühren für die Nachmittagsbetreuung ab 13 Uhr ein.
Dass Veronika mit ihrer Familie nach Oberösterreich gezogen ist, bereut sie trotzdem nicht. Nur ihren alten Job vermisst sie – und den hohen Stundenlohn.
Dir hat dieser Beitrag besonders gut gefallen oder du hast Hinweise für uns - sag uns deine Meinung unter feedback@wienerzeitung.at. Willst du uns helfen, unser gesamtes Produkt besser zu machen? Dann melde dich hier an.
Infos und Quellen
Genese
WZ-Redakteur Matthias Winterer hat selbst Kinder. Er trifft oft andere Eltern – in der Stadt und am Land. Ihm fällt auf, dass viele Mütter in den Bundesländern nach der Karenz nur noch Teilzeit arbeiten. Sie erzählen ihm, mit dem neuen, geringeren Einkommen nur knapp über die Runden zu kommen. In Wien ist das anders. Warum eigentlich? Winterer ging der Sache nach.
Gesprächspartner:innen
Daten und Fakten
Der Rangkorrelationskoeffizient nach Spearman – kurz Spearmans Rho – ist eine Methode, Zusammenhänge zwischen zwei Variablen zu berechnen. Er misst also, ob Dinge miteinander korrelieren. Für diesen Artikel haben wir die Öffnungszeiten von Kindergärten mit dem Gender-Pay-Gap auf Ebene der Bundesländer verglichen. Das Ergebnis: 0,5333 – Statistiker:innen sprechen bei einem Wert über 0,5 von einem großen Effekt. Die beiden Variablen korrelieren also miteinander.
Der Gender-Pay-Gap gibt an, um wie viel Frauen weniger verdienen als Männer. Es gibt verschiedene Methoden den Lohnunterschied zu berechnen. Meist werden die Einkommen aller Berufstätigen verglichen – es wird also kein Unterschied zwischen Teil- und Vollzeit gemacht. Da mehr Frauen in Teilzeit sind, waren diese Daten für diesen Artikel nicht brauchbar. Wir wollten Vollzeit mit Vollzeit und Teilzeit mit Teilzeit vergleichen. Deshalb griffen wir auf Daten aus dem Jahr 2018 zurück. Damals hat die Statistik Austria den Stundenlohn von Frauen und Männern miteinander verglichen.