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Steiermark-Slowen:innen: Kampf mit stiller Beharrlichkeit

6 Min
Junge steirische Slowen:innen stehen heute zu ihrer Identität.
© Illustration: WZ, Bildquelle: Getty Images, Pexels

Die slowenischsprachigen Steirer:innen wurden ihrer Stimme beraubt, dann sollten sie ganz verschwinden. Ein Lokalaugenschein in Bad Radkersburg zeigt, dass Deutschnationale, Nazis und Chauvinist:innen mit ihren Vorstellungen gescheitert sind.


    • - Die steirischen Slowen:innen wurden historisch diskriminiert, ihre Sprache und Identität sollten ausgelöscht werden.
    • - Trotz Ausgrenzung und Assimilationsdruck lebt die slowenische Sprache in Bad Radkersburg und Umgebung weiter.
    • - Slowenisch gilt heute als wertvolle Zusatzqualifikation, besonders seit der EU-Erweiterung und durch grenzüberschreitende Kontakte.
    • - In Bad Radkersburg kann jede:r vierte zumindest gebrochen Slowenisch.
    • - In der Steiermark gibt es etwas mehr als 2.000 deklarierte Slowen:innen.
    • - In Kärnten sind es rund 12.000 Slowen:innen als anerkannte Minderheit.
    • - Slowenischunterricht existiert in der Steiermark nur als Freigegenstand.
    Mehr dazu in den Infos & Quellen

Bad Radkersburg, hart an der slowenischen Grenze: Auf den Gehsteig vor dem gutbürgerlichen Gasthaus „Türkenloch“ in der Langgasse knallt die Nachmittagssonne. „Hilft mir jemand bitte“, brüllt die junge Kellnerin auf Deutsch in den Wirtshauseingang hinein. Sie müht sich mit Getränkepaletten ab. Jetzt reicht es ihr und sie lässt Flüche vom Stapel. Lautstark und auf Slowenisch, dass man es bis zur nahen Mur hören kann. Schließlich wuchtet sie die Last selbst ins Lokal.

Wo sie her ist? „Von drüben“, sagt sie, und deutet in Richtung Grenzfluss. Sie sei aufgewachsen in der „Štajerska“, der slowenischen Steiermark, und für sie ist klar, dass die beiden Teile irgendwie zusammengehören, der österreichische und der slowenische, wie in der steirischen Landeshymne besungen. Deutsch kann sie, weil sie als Kind regelmäßig bei Verwandten in „Gradec“, also Graz, gewesen sei. In der Küche hier sei die Arbeitssprache Slowenisch. Manchmal passiert ihr, dass sie die Gäste ebenfalls auf Slowenisch anspricht. „Das darf aber nicht sein“, lacht sie und nimmt die Arbeit wieder auf.

„Seid deutsch – bleibt einig“

Nicht weit entfernt, auf dem Hauptplatz des Kurorts, steht ein imposanter Stadtturm. An der Fassade angebracht sind steinerne Häupter mit Stahlhelm, die grimmig in Richtung „Türkenloch“ und Mur blicken. Auf Steintafeln darunter wird derer gedacht, die hier 1919 nach dem Ersten Weltkrieg die vereinten slowenischen, kroatischen und serbischen Eindringlinge bekämpft haben und gestorben sind. Von Deutschtum und sogar vom „Führer“ ist auf der Inschrift die Rede; eine später aufgestellte Zusatztafel macht klar, dass damit der alte Bürgermeister und nicht Adolf Hitler gemeint ist und das alles hier nichts mit Nationalsozialismus zu tun hat. Vielmehr gehe es um eine bewegte Geschichte, um den Kampf gegen das slawische Königreich aus dem Süden, das sich das Territorium hier aneignen wollte und beinahe erfolgreich gewesen wäre. „Seid deutsch – bleibt einig“, steht geschrieben, als Mahnruf für die Ewigkeit. „Freiheitskämpfer“ sind 1919 hier gestorben, damit „Steirer Steirer bleiben“.

Im Museum im Zeughaus gleich in der Nähe erfährt man weitere Details. Schon ab den 1880er-Jahren übernahmen die Deutschsprachigen in der Südsteiermark das Ruder, auch wenn ein großer Teil der Bevölkerung Slowenisch gesprochen hat. Deutscher Turnverein, deutscher Gesangsverein. Die Slowenen waren als Dienstbot:innen und kleine Bäuer:innen geduldet. Wer einen slawisch klingenden Namen hatte, hat den oft eindeutschen lassen, damit der persönliche soziale Aufstieg nicht gefährdet war. Deutsch war alleinige Kommunikationsform im Unterricht und auf den Ämtern. Jedes slowenische Wort in der Öffentlichkeit war unerwünscht, die Sprache verschwand von den Plätzen und Straßen der Stadt hinter die eigenen vier Wände. An Orte, wo man unter sich war.

Ab dem Anschluss 1938 war Bad Radkersburg eine weithin bekannte Nazi-Hochburg. Slowen:innen waren verdächtig. „Untermenschen“, und als solche wurden sie teils vertrieben, teils als Partisan:innen bekämpft, gefasst und hingerichtet. Der Plan: Alles Slawische sollte restlos verschwinden, rücksichtslos ausgemerzt werden.

Wer nach 1945 Slowenisch sprach, war mit dem Vorwurf konfrontiert, vielleicht ein „Jugo“, zu sein. Ein:e Kommunist:in, ein Spitzel des ehemaligen Partisanenführers und Machthabers Tito. Auf alle Fälle konnte das kein:e aufrechte:r, patriotische:r Österreicher:in sein. Auch heute noch erwähnt ein Winzer im Umland von Bad Radkersburg gegenüber der WZ die „Verräter“: jene steirischen Slowen:innen, die 1945 der Roten Armee bei der Eroberung der Steiermark geholfen hätten. Ehrung als Widerstandskämpfer:innen gegen den Faschismus? Fehlanzeige.

Auslöschung hat nicht funktioniert

Die Auslöschungspolitik hat nicht funktioniert. Aus den weit geöffneten Fenstern einer Wohnung in der Langgasse erklingt Babygeschrei, und slowenische Wortfetzen, zur Beruhigung gesprochen, dringen in die Abendstimmung hinaus. Jede:r vierte in Bad Radkersburg kann allen Widrigkeiten zum Trotz zumindest gebrochen Slowenisch. Zu Fuß geht es über die „Friedensbrücke“ nach „Gornja Radgona“, dem slowenischen Teil von Bad Radkersburg. Viele im Kurort haben „drüben“ Verwandtschaft oder sogar Grundbesitz. Es herrscht reger Austausch hin und her, und es wird dafür gesorgt, dass die Sprache am Leben bleibt.

Zweisprachige Ortstafeln gibt es in der Steiermark allerdings keine, auf den Ämtern wird Slowenisch nicht als Amtssprache gesprochen und Slowenischunterricht in der Schule existiert nur als Freigegenstand. Und das, obwohl die Slowen:innen der Steiermark laut Staatsvertrag eine anerkannte Minderheit sind. Mit den Rechten, die dazugehören. Keine zweisprachigen Ortstafeln heißt auch: Kein Ortstafelsturm, kein Krawall. Ein Eklat wie zuletzt am Peršmanhof in Kärnten, wo die Polizei mit offenbar überzogener Gewalt gegen antifaschistische Aktivist:innen vorgegangen ist – hier nicht. Slowenen-Vertreter:innen sind dahinter, dass es in der Steiermark nicht zu „Kärntner Verhältnissen“ kommt, wie sie sagen. Das liegt nicht daran, dass die Slowen:innen hier weniger Mumm und Widerspruchsgeist in den Knochen hätten als ihre Kärntner Kolleg:innen. Es liegt daran, dass es einfach wenige deklarierte steirische Slowen:innen – etwas mehr als 2.000 – gibt. In Kärnten sind es rund 12.000. Und daran, dass sie Formen der Selbstbehauptung gefunden haben, die weniger im offenen Kampf als in stiller Beharrlichkeit liegen.

Nationalismus auf beiden Seiten

In Bad Radkersburg wird erzählt, dass in den kleinen Dörfern in der Umgebung fast alle Slowenisch sprechen. Also mache ich mich auf den Weg. In Laafeld finde ich ein gemütliches Gasthaus, gleich nebenan ist ein kleiner Flohmarkt mit Krimskrams aufgebaut. Ein älterer Mann kommt aus dem Schatten des Gartens, er stellt sich als Wilfried Gombocz vor. Ob er Slowenisch kann, frage ich ihn. Gombocz grinst und deckt mich mit einem slawisch klingenden Wortschwall ein. Ich krame ein paar Worte Tschechisch hervor und werde sofort zum Mittagessen ins Haus gebeten. Es gibt gegarten steirischen Kürbis mit Reis, dazu Gurkensalat. „Wer nicht aufisst, wird erschossen“, sagt Gombocz anstelle des Tischgebets. An der Tafel sitzt auch seine Enkelin, Carina. Sie kann Deutsch und perfekt Englisch, versteht aber kein Wort Slowenisch.

Ihr Großvater hingegen spricht „Prekmurski“, einen slowenischen Dialekt, allerdings seien seine aktiven Sprachkenntnisse schwach, meint er. Passiv verstehe er aber so gut wie alles. Sein Vater, sagt er, habe zu Beginn der Schulzeit kein Wort Deutsch gekonnt. Der Lehrer hätte es ihm dann aber mit Nachdruck eingetrichtert.

Gombocz sieht sich nicht als Slowene, in Wahrheit sei hier in der Region ein multiethnisches Völkergemisch entstanden, sagt er. Über die Jahrhunderte hätten sich Ungar:innen, Serb:innen, Deutsch- und Slowenischsprachige angesiedelt, eine klare Zuordnung sei da gar nicht möglich. In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg sei die als slowenischsprachig definierte Minderheit hier zwischen den Stühlen gesessen: „Den Jugoslawen waren wir zu wenig slawisch. Und den Österreichern nicht deutsch genug.“ Gombocz‘ Fazit: „Uns hat keiner wollen“.

Um die Ecke findet sich das Kulturzentrum der steirischen Slowen:innen, das Pavelhaus oder „Pavlova hiša“. Im Garten sind Holzbänke aufgebaut, hier werden Ausstellungen und Lesungen organisiert, vor dem Gebäude sind Schautafeln mit Slowenien-Bezug zu sehen. Die politische Linie, die im Pavelhaus vertreten wird, stößt bei Gombocz auf Kritik: „Zu einseitig slawophil“, findet er. Zu einseitig proslowenisch. Denn nach dem Zweiten Weltkrieg seien tausende deutschsprachige und altösterreichische Slowen:innen brutal vertrieben worden, teilweise in die ganze Welt. Sie seien von Titos Leuten in Züge gepfercht und ohne Wasser und Brot dem Tod ausgeliefert worden. „Davon ist nie die Rede“, kritisiert Gombocz.

Aus sozialem Minus wurde Bildungsplus

Enkelin Carina, ungefähr 18 Jahre alt, hat das alles nicht erlebt. Früher habe es ein kompromissloses Entweder-oder gegeben, weiß aber auch sie, kein Sowohl-als-auch. Entweder deutsch oder slowenisch. Wer zum falschen Zeitpunkt auf der falschen Seite war, war unter Umständen dem Tod geweiht. Die Vertreter:innen ihrer Generation hier in Laafeld würden wenig Slowenisch sprechen und wenn, dann daheim mit den Verwandten. Auf der Straße und im öffentlichen Raum sei es nicht zu hören, sagt sie. Carina Gombocz hat vom slowenischen Erbe nichts mitbekommen, damit findet sie sich nicht ab. In Graz wird sie Slawistik und Geschichte studieren. Ihr Interesse ist wieder ein kleiner Sieg über die, die das Slawische in der Südsteiermark eliminieren wollten.

Denn längst ist Slowenisch nicht mehr die Sprache der Ausgestoßenen. Vielmehr ist es eine wichtige Zusatzqualifikation. Die denen, die die Sprache von ihren Vorfahren übermittelt bekamen, und denen, die sie mühsam lernen mussten, Vorteile bringt. Spätestens mit der EU-Erweiterung 2004 ist Slowenien für die Steirer:innen wieder interessant. Dort gibt es billige Autoersatzteile, dort kann man günstig essen. Ein Bad Radkersburger erzählt in breitem „Stoasteirisch“ stolz, dass er als Tourist in Kroatien von habgierigen Kellnern übers Ohr gehaut werden sollte, wegen seiner slawischen Sprachkenntnisse, aber nicht als „dummer Österreicher“ zur Verfügung gestanden wäre.

Und auch die junge ÖBB-Schaffnerin parliert im Zug vom Grenzort Spielfeld nach Graz gekonnt und lautstark mit Passagier:innen Slowenisch: Kein Problem für sie, sie komme aus Kärnten und habe die Sprache gelernt, erklärt sie der WZ. Eine Fähigkeit, für die sie früher angepöbelt worden wäre, die aber jetzt „ganz nützlich ist“. Vor allem, wenn ihre Fahrgäste immer öfter aus Städten wie Gornja Radgona kommen und in den Zug steigen, um ihre Verwandten in Gradec zu besuchen.


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Infos und Quellen

Gesprächspartner:innen

  • Eine Kellnerin, die in Bad Radkersburg im Gasthaus „Türkenloch“ ihren Dienst versieht.
  • Wilfried Gombocz aus Laafeld.
  • Seine Enkelin, Carina Gombocz, Studentin.
  • Ein Winzer aus der Umgebung von Bad Radkersburg
  • Ein älterer Herr, der vis-à-vis der Mickl-Kaserne in Bad Radkersburg einen Hasenstall gereinigt und sich viel Zeit für ein Gespräch genommen hat.

Daten und Fakten

  • Die Beziehungen zwischen der Steiermark und Slowenien sind nicht ohne Spannungen. Zuletzt hat die FPÖ-geführte Landesregierung in Graz die bereits lang existierende steirische Landeshymne gesetzlich als solche verankern lassen. Das Problem: Im Text werden Gebiete als „steirisch“ besungen, die heute zu Slowenien gehören. Slowenien sieht mögliche territoriale Ansprüche Österreichs und reagiert sehr verärgert. So wurde die Zusammenarbeit mit der Steiermark in Gremien ausgesetzt.
  • Der Artikel 7 des Österreichischen Staatsvertrages von 1955 garantiert österreichischen Bürger:innen der slowenischen Minderheit auch in der Steiermark die gleichen Rechte wie allen anderen Staatsbürger:innen. Dazu zählen u. a. auch muttersprachlicher Unterricht und die Verwendung der slowenischen Sprache als Amtssprache sowie zweisprachige Ortstafeln. Das wurde nicht umgesetzt.
  • Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges 1919 kam es im Raum Radkersburg zu Gefechten zwischen steirischen Abwehrkämpfern und Truppen des Königreichs Jugoslawien (Staat der Serb:innen, Kroat:innen und Slowen:innen, abgekürzt „SHS“) mit Todesopfern. Soldaten des südlichen Nachbarn hielten die Stadt besetzt und zogen im Juli 1920 wieder ab. Der am linken Murufer gelegene Stadtteil von Radkersburg wurde im Friedensvertrag von Saint Germain Österreich zugesprochen, der rechte dem neu entstandenen SHS-Staat.
  • Im Frühjahr 1945 drangen Kämpfer des Partisanenführers Josip Broz, Kampfname Tito, zusammen mit Soldat:innen der Roten Armee in die Südsteiermark ein und besetzten Radkersburg. Erst drei Monate später übernahmen britische Besatzer dort die Kontrolle. Als Kommunist bestimmte Tito bis 1980 autokratisch die Politik Jugoslawiens.
  • Ortstafelsturm: Im Herbst 1972 begann die österreichische Bundesregierung hunderte zweisprachige Ortstafeln in Kärnten aufzustellen, um dem Staatsvertrag gerecht zu werden. Die Folge war eine Art Volksaufstand, in dem erboste Kärntner:innen die Tafeln ausrissen, abschraubten oder beschmierten. Der Streit konnte erst 2011 endgültig beigelegt werden, man einigte sich auf 164 zweisprachige Ortstafeln.

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