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Toni muss sich ausziehen

6 Min
Trans-Personen stehen im Alltag oft vor Hürden.
© Illustration: WZ

Warum der Alltag für Transgender-Menschen immer noch mühsam ist und was es braucht, um ihn transgender-freundlicher zu gestalten.


Ein deutscher Flughafen. Über 100.000 Passagiere gehen hier täglich ein und aus. Getümmel, Schweiß, Stress. Toni steht mittendrin, will nur weiter zu seinem Anschlussflug nach Wien. Ausatmen, jetzt nur noch durch den Security-Check. Toni wird unruhig, denn er ist sicher, dass es da wieder Schwierigkeiten geben wird. Denn in seinem Reisepass steht als Geschlechtsbezeichnung F für female. Doch Toni trägt Bart und hat markantere, männlichere Gesichtszüge als auf dem Foto in seinem Pass. Toni ist nicht-binär, trans-maskulin. Er macht seit einigen Jahren eine Hormon-Therapie.

Endlich steht Toni vor dem Security-Schalter. Der Mann dahinter schaut auf das Passfoto, blickt zu Toni, dann wieder auf das Foto im Pass: „Sir, who is this?“, fragt er.

Toni versteht das nicht: „Meine Handykamera erkennt mein Gesicht, wenn ich Sonnenbrille und Maske aufhabe. Euer Scan am Flughafen erkennt meine Augenpartie nicht, die sich gar nicht verändert hat?“, fragt er.

Es hilft nichts. Er muss beweisen, dass seine Geschlechtsmerkmale mit der Geschlechtsangabe in seinem Pass übereinstimmen.

„Soll ich jetzt ernsthaft meine Brüste herzeigen?“

Er soll. „Danke, wir glauben dir. Du darfst durch.“

Willkommen im 21. Jahrhundert. Man sollte meinen, dass Geschlechterfreundlichkeit in der Gesellschaft angekommen ist. Immerhin wissen die meisten, dass es fluide Geschlechter, also Geschlechter zwischen männlich und weiblich gibt. Etwas, das Toni aber bei dem Vorfall am Flughafen feststellen muss: Das X, das es in Österreich seit Ende 2018 in Pässen gibt, und das für Intersexualität steht, ist erst ein Anfang. Der Weg zur Geschlechterfreundlichkeit ist, trotz dieses X, noch lang und ein internationales Problem.

Von Demütigung und Sexualisierung

Es ist demütigend. Demütigend, dass er sich ausziehen muss. Demütigend, dass er seine Brüste präsentieren muss, um zu beweisen, wer er ist. „Demütigend, dass irgendein Beamter, der weit entfernt von meiner Lebensrealität steht, beurteilt, welchem Geschlecht ich zugehörig bin. Und im Endeffekt noch die Macht darüber hat, ob ich nach Hause darf oder nicht“, sagt Toni.

Toni ist Situationen wie die am Flughafen gewöhnt. Seiner Meinung nach spiegeln solche Vorfälle die gesellschaftliche Situation wider. Auch in Österreich.

„Mich haben Leute direkt gefragt: Hast du einen Penis? Andere haben mir im Arbeitsumfeld oder in einem Café auf die Brust oder zwischen die Beine gegriffen“, sagt Toni.

Nichts geht ohne Bürokratie

Gerade Cis-Personen sind oft in einer Machtposition, in der sie über die Realitäten von Transpersonen urteilen und entscheiden. Beginnend bei der Diagnose.

In Österreich kann bei jedem Standesamt eine Änderung des Geschlechts in einem Dokument durchgeführt werden. Dafür müssen Betroffene aber zuerst medizinisch und psychologisch untersucht werden. Eine Errungenschaft für Trans-Menschen: Es wurde durchgesetzt, dass man keine geschlechtsangleichenden Operationen mehr braucht, um den Geschlechtseintrag zu ändern.
Außer in Wien, wo keine Diagnose mehr notwendig ist, werden queere Menschen österreichweit für diese Bewilligung mit „Transsexualismus F64.0“ diagnostiziert. Darauf erfolgt von psychiatrischer Seite ein Attest. Darin wird festgehalten, ob eine optische Angleichung durch Hormontherapie bereits erfolgte, ob eine Abkehr davon zu erwarten ist und ob ein Nicht-Zugehörigkeitsgefühl zu dem Geschlecht, das bei der Geburt festgestellt wurde, vorhanden ist. Die Reihenfolge ist nicht festgelegt: Für manche, wie für Toni, hat die Hormontherapie Priorität. Für andere ist die Namensänderung relevanter.

Nach psychologischer Untersuchung in Form von zehn Therapie-Sitzungen entscheidet der/die Psycholog:in, ob eine Geschlechtsänderung durchgeführt werden kann. Wie diese Therapiestunden verlaufen, ist in erster Linie davon abhängig, wie transfreundlich der/die Psycholog:in ist. Toni hat erlebt, dass manche Psycholog:innen nicht einmal wussten, was Transsexualismus ist.

Wohlfühlen im geschützten Raum

Für Toni gehören Stolpersteine zum Alltag. Es sind nicht nur Flughäfen. Auch öffentliche Toiletten, Arztpraxen, Bahnhöfe oder Fitnesscenter sind Orte, an und in denen Transfeindlichkeit nichts Ungewöhnliches ist. Etwas, das Nicht-Betroffene wahrscheinlich gar nicht bedenken. Allein alltägliche Dinge, wie der Besuch im Fitness-Center, stellen transgender Personen vor schier unlösbare Entscheidungen.

„Wo soll ich hingehen? Ich kann nicht in den Damenbereich, so wie ich aussehe, aber ich will auf keinen Fall zu den Männern. Bestenfalls wirst du angestarrt, schlimmstenfalls verprügelt. Dazwischen gibt es alles“, sagt Toni. In Wien gibt es mittlerweile Fitness-Center, die für queere Personen gemacht wurden, etwa das queer muscle“ im 15. Wiener Gemeindebezirk.

Stolperstein Jobausschreibungen

2020 wurde im Verfassungsgerichtshof eine Erweiterung des Gleichbehandlungsgesetzes beschlossen: Zukünftig müssen Jobs auch für intersexuelle Personen ausgeschrieben werden. Eine dritte Spalte. Für mehr Toleranz? Der Schein trügt, findet Toni.

„Ich habe zu dieser Zeit einen Job gesucht und mich so gefreut, als bei allen Stellenangeboten plakativ D für divers stand. De facto wussten aber sehr wenige, wozu diese dritte Spalte überhaupt dient. Was das im Joballtag, angefangen bei der Toilettenbenutzung, zu bedeuten hat“, sagt Toni.

Gender ist überall

Toni weiß: Darauf zu warten, bis sich im System etwas ändert, dauert noch viel zu lang. Viel greifbarer wäre der Umgang im weiteren persönlichen Umfeld. Es beginne damit, Personen in der eigenen Bubble auf Ungerechtigkeiten gegenüber queeren Menschen aufmerksam zu machen. Systeme bewegen sich von innen nach außen. Das X im Pass bewirke wenig ohne ein dazu passendes emphatisches Fundament, ist Toni sicher.

„Was mir am Flughafen passiert ist, wäre nie passiert, wenn der Zollbeamte Freunde gehabt hätte, die mit ihm einmal darüber ein Gespräch geführt hätten“, meint er.

Klar, es ist unbequem, den eigenen Umgang mit queeren Personen zu hinterfragen oder Freund:innen und Eltern mit ihrem Umgang mit solchen Menschen zu konfrontieren. Dass das Verständnis für Transpersonen und deren Schwierigkeiten mit Dingen, die für andere selbstverständlich und alltäglich sind, wie etwa der Besuch einer Toilette, bei vielen Cis-Personen noch fehlt, versteht Toni. Probleme zu bedenken, mit denen man selbst nicht konfrontiert ist, ist schwer. Aber Geschlecht betrifft jeden Menschen in der Gesellschaft. Und es wird immer deutlicher, dass die Grenzen in Sachen Geschlecht längst verschwimmen.

Ausatmen. Toni lässt sich in den Sitz im Flugzeug plumpsen. Geschafft. Endlich.
Als wären die Päckchen, die er zu tragen hätte, nicht schon genug, kommt noch mehr in sein Reisegepäck: Toni nimmt ab jetzt immer eine ausgedruckte fachärztliche Stellungnahme und sein Hormon-Rezept mit, wenn er auf Reisen geht.


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Infos und Quellen

Genese

Vor kurzem musste sich Toni, Protagonist dieser Geschichte, in einem großen, deutschen Flughafen ausziehen, um zu zeigen, dass er transsexuell ist. Das empfand Toni als demütigend. Dieser Vorfall ist einer von vielen und zeigt, dass Geschlechterfreundlichkeit in der Gesellschaft noch nicht so angekommen ist, wie man glauben möchte.

Gesprächspartner

Toni ist 31 Jahre alt und identifiziert sich selbst als non-binary, trans-maskulin.
Das bedeutet, dass er sich zu keinem Geschlecht zugehörig fühlt, aber eher zum männlichen Geschlecht neigt. Vor sieben Jahren hat er sich in seinem sozialen Umfeld geoutet, sein Geschlechtseintrag erfolgte Anfang Mai 2024.

Daten und Fakten

  • Gender ist der gängige Begriff für das soziale, gelebte, gefühlte Geschlecht. Im Unterschied zu Sex, dem bei der Geburt aufgrund körperlicher Merkmale zugewiesenen Geschlecht. Im Pass kann man männlich, weiblich oder divers, bzw. inter, offen oder kein Eintrag vermerkt werden.

  • Cis-Personen oder auch cisgeschlechtliche Personen sind Menschen, deren Geschlechtsidentität mit dem Sex übereinstimmt, der ihnen bei ihrer Geburt anhand der Genitalien zugeschrieben wurde.

  • LQBTIQA+ steht für Personen, die sich als Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender, Intersex, Queer, Asexual definieren. Sowie für alle weitere, die nicht unter den Genannten sind.

  • Mit Transpersonen (auch transgender) meint man Personen, bei denen das bei der Geburt zugeschriebene Geschlecht sich nicht mit ihrer entwickelten Geschlechtsidentität deckt.

  • Nichtbinär (auch non-binary genannt) sind Menschen, die sich weder als weiblich noch als männlich identifizieren.

  • Nichtbinäre, trans-maskuline Menschen sind jene, die sich zwar nicht als Mann definieren, aber eher männlich fühlen.

  • Nichtbinäre, trans-feminine Menschen sind jene, die sich nicht als Frau definieren, aber eher als feminin fühlen.

  • Queer ist eine Bezeichnung, um eine Identität jenseits von Kategorien wie Mann, Frau, heterosexuell und lesbisch und schwul zu beschreiben.

  • Genderfluid (auch genderqueer) beschreibt ein „flüssiges“ Geschlecht. Das bedeutet, dass sich das Geschlecht mit der Zeit oder in Abhängigkeit von Situationen ändert.

  • Geschlechtsidentitäten: Der Begriff Identität beschreibt, wie sich eine Person selbst definiert. Diese Geschlechtsidentität kann von den Normen der körperlichen, gesellschaftlichen Merkmale männlich und weiblich abweichen.

  • Pronomen können es gerade Transpersonen vereinfachen, wie sie angesprochen werden wollen und in weiterer Form, als was sie sich identifizieren. Zu den männlichen Pronomen zählen er/ihm, zu den weiblichen sie/ihr. Menschen, die sich von diesen Formen nicht angesprochen fühlen, verwenden zum Beispiel they/them oder ze oder ey. Auf Deutsch wird es weggelassen, bzw. der Vorname verwendet.

  • Transphobie bezeichnet eine soziale Aversion bis zu Feindseligkeit gegen Menschen, die transsexuell oder transgender sind.

Quellen

Das Thema in der WZ

Das Thema in anderen Medien