Kein Reisepass, kein Wahlrecht, kein Zugang zu grundlegenden staatlichen Dienstleistungen: Das ist die Realität für Millionen von Menschen weltweit, die staatenlos sind.
Menschen ohne Staatsbürgerschaft sind rechtlich unsichtbar, ihre Existenz ist geprägt von Unsicherheit und Ausgrenzung. In Österreich gibt es laut Schätzungen des Flüchtlingshochkommissariats der Vereinten Nationen (UNHCR) einige Tausend ohne Staatsbürgerschaft – valides Zahlenmaterial fehlt jedoch, da es in Österreich kein einheitliches Feststellungsverfahren gibt. „Die Definition ist eigentlich recht simpel: Jemand ist staatenlos, wenn man von keinem Staat als Staatsbürger:in anerkannt wird – kein Staat hilft einem oder fühlt sich zuständig“, sagt Ruth Schöffl vom UNHCR zur WZ.
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Unverwirklichte Träume
Der in Wien lebende Mawshafot Ullah ist ein Betroffener – er hat keine Staatsbürgerschaft. Er ist ein Rohingya aus Myanmar, einer ethnischen und religiösen muslimischen Minderheit in diesem autoritär regierten Land. Trotz ihrer jahrhundertelangen Präsenz werden die Rohingya von der Militär-Regierung nicht als Staatsbürger:innen anerkannt. Ullah ist erst seit kurzem in Österreich, hier hat er den Flüchtlingsstatus, wodurch seine Rechtsposition geklärt ist. Im WZ-Interview erklärt er: „Ich musste Myanmar wegen des Genozids der Rohingya verlassen. Mit einigen Schwierigkeiten gelang es mir, in die Türkei zu flüchten, wo ich ein Studium begann. Dieses konnte ich wegen meiner fehlenden Staatsbürgerschaft aber nicht abschließen.“ Jetzt versucht er in Österreich das nötige Sprachlevel zu erreichen, um hier studieren zu dürfen.
In Österreich ist Ullah einer von drei Rohingya. In Myanmar und den Flüchtlingslagern in Bangladesch ist er einer von Hunderttausenden. „Wir leben dort ohne Zugang zu medizinischer Versorgung, Bildung oder der Möglichkeit, uns frei zu bewegen. Muss man zum Arzt, ist das aus eigener Tasche zu bezahlen“, sagt Ullah. Will ein Rohingya von einer Stadt in die nächste reisen, braucht er dafür eine Sondergenehmigung. Damit sind die Rohingya kein Einzelfall: Staatenlosen werden grundlegende Rechte oft verwehrt.
Ullah vermisst sein Leben in Myanmar, doch die politische Situation vor Ort macht es ihm unmöglich, dorthin zurückzukehren. Er erzählt von Bomben, die den Garten seiner Familie und das Haus seiner Nachbarn in Maungdaw getroffen haben: „Menschen, die ich mein Leben lang kannte, sind verwundet oder tot auf der Straße gelegen, ohne Zugang zu medizinischer Hilfe“, sagt er und zeigt dabei ein Video mit den Verletzten auf seinem Handy. Ullah erklärt, dass die Autoritäten und die „Arakan Army“ planen, die Rohingya auszulöschen. Ein 1982 etabliertes Gesetz versperrt den Rohingya den Zugang zur Staatsbürgerschaft, ihr Grundbesitz wurde beschlagnahmt, zerstört oder gestohlen.
Unglückliches Erbe
Eine UNHCR-Studie aus dem Jahr 2017 listet eine Reihe von Gründen auf, wieso Menschen staatenlos sind. Oft wird die Staatenlosigkeit vererbt, sie entsteht aber auch durch Diskriminierung oder den Zerfall von Staaten – wie etwa in der ehemaligen Sowjetunion oder in Jugoslawien. Gewisse Personengruppen bekamen dann keine Staatsbürgerschaft.
Die Nachwehen des Zweiten Weltkriegs waren dafür verantwortlich, dass es auch in Österreich Staatenlose gab, etwa die aus Tschechien geflohenen Sudetendeutschen. Doch sie werden immer weniger. „Oft hatten sie gerade nicht daran gedacht, sich um eine Staatsbürgerschaft zu bemühen, bis irgendwelche Probleme auftraten und dann war es oft sehr schwierig“, sagt Schöffl.
Eine Staatsbürgerschaft würde Kindern ein Zugehörigkeitsgefühl geben.Ruth Schöffl, UNHCR
Jene, die die Staatenlosigkeit geerbt haben, haben in Österreich ab ihrem 18. Geburtstag drei Jahre Zeit, unter vereinfachten Bedingungen eine Staatsbürgerschaft zu erlangen. Da Betroffene darüber aber oft nicht Bescheid wissen, verpassen sie diese Frist. Besonders für Jugendliche, die in Österreich geboren sind und sich hier heimisch fühlen, ist das oft schmerzhaft, wenn sie die negativen Auswirkungen ihrer Staatenlosigkeit zu spüren bekommen: „Sie dürfen mit der Schule dann etwa nicht auf Sprachwoche ins Ausland mitfahren, da ihnen die nötigen Papiere fehlen.“ Der UNHCR fordert weiters, dass Kinder, die in Österreich von staatenlosen Eltern geboren wurden, rasch nach ihrer Geburt die Staatsbürgerschaft bekommen können sollen: „Davon sind maximal ein paar Hundert betroffen, es würde den Kindern Zugehörigkeitsgefühl, aber auch den Eltern zusätzliche Sicherheit geben“, sagt Schöffl.
Feststellungsverfahren wäre wichtiger Schritt
Österreich setzt sich beim UNHCR vor allem für ein Feststellungsverfahren für Staatenlosigkeit und für eine erleichtere Einbürgerung von Betroffenen ein. „Auf internationaler Ebene haben wir stark mit jenen Staaten zusammengearbeitet, die die Staatenlosenkonventionen noch nicht unterzeichnet haben, damit sie das tun. Und man merkt: Steter Tropfen höhlt den Stein. In Moldau etwa können Kinder die Staatenlosigkeit ihrer Eltern nicht mehr erben“, sagt Schöffl.
Spirale der Hoffnungslosigkeit
Die Staatenlosigkeit geht Hand in Hand mit einer Reihe an Problemen. „Man gehört nirgends dazu. Dort, wo die Staatenlosigkeit durch Diskriminierung entsteht, leben Betroffene wie ein U-Boot“, erklärt Schöffl, „man hat ganz einfache Rechte nicht.“ Nicht nur das: Auch eine Heirat oder das Registrieren eines Kindes gestaltet sich schwierig. Staatenlose können keine legalen Arbeitsverhältnisse eingehen, sind von Gesundheitsversorgung und Bildung ausgeschlossen und leben oft in Armut und Unsicherheit. Der rechtliche Status führt zu einer prekären Lebenssituation, die von permanenter Angst und Perspektivenlosigkeit geprägt ist.
Ein einheitliches Verfahren, um die Staatenlosigkeit festzustellen, gibt es in Österreich aktuell nicht. Das sei für Betroffene insofern ein Problem, da sie durch das Fehlen dieses Status Rechte, die auf die internationale Staatenlosenkonventionen zurückgehen, nicht geltend machen können. Auch die Gemeinden im Land sind oft im Umgang mit Staatenlosen überfordert.
Ullah weiß, dass er so bald nicht nach Myanmar zurückkehren wird können – auch wenn die Sehnsucht nach seiner Heimat groß ist. Er möchte in Österreich erst mal sein Studium beenden und sich dann um eine Staatsbürgerschaft bemühen. Denn nur so kann er Myanmar wieder besuchen.
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Infos und Quellen
Gesprächspartner:innen
Ruth Schöffl: Pressesprecherin des Flüchtlingshochkommissariats der Vereinten Nationen in Wien.
Ullah: Staatenloser und Menschenrechtsverteidiger der Rohingya, arbeitet als Vorstandsmitglied des Europäischen Rohingya-Rates (ERC).
Daten und Fakten
Es wird vermutet, dass es weltweit etwa zehn Millionen Staatenlose gibt. Erfasst sind aber nur etwa 4,2 Millionen davon.
Die Staatenlosigkeitskonventionen sind internationale Verträge, die dazu beitragen sollen, das Problem der Staatenlosigkeit zu lösen und die Rechte staatenloser Menschen zu schützen. Beide Konventionen sind wichtige Instrumente im Kampf gegen Staatenlosigkeit und helfen dabei, den rechtlichen Status von Staatenlosen zu verbessern und die Entstehung neuer Fälle von Staatenlosigkeit zu verhindern.
Staatenlose gibt es auf der ganzen Welt. Die meisten leben aber in Südostasien und an der Elfenbeinküste. Die Staatenlosigkeit ist oft das Ergebnis von Diskriminierung, politischen Entscheidungen und mangelnder Geburtenregistrierung.
Quellen
UNHCR: FAQ Staatenlosigkeit
UNHCR: Staatenlose
Stadt Wien: Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft
Statelessness: European Network on Statelessness
Das Thema in der WZ
Wiener Zeitung: Das Dilemma der Staatenlosigkeit
Das Thema in anderen Medien
Radio Radieschen: Staatenlosigkeit erklärt
FAZ: Leben in der Schwebe
Heute: “Mein Freund ist staatenlos”
ORF TOPOS: Leben “wie im Gefängnis”
Radio Radieschen: Da können wir Ihnen auch nicht helfen