)
Wieso die Wahl von Donald Trump meine Beziehung zu den USA verkompliziert hat. Eine Verschriftlichung meiner Emotionen.
Ich war sauer. Ich war wütend. Ich fühlte mich getäuscht. Bin ich wirklich so leichtgläubig?
- Kennst du schon?: Was wird teurer, wenn Trump neue Zölle für die EU einführt?
Meine Romanze hat am 5. November 2024 ein abruptes Ende genommen. Es war nicht mal ein knappes Rennen. Die US-Amerikaner:innen haben sich, so klar wie selten, für Donald Trump als nächsten Präsidenten ausgesprochen. Das erste Mal, 2016, habe ich noch als Versehen abgetan. Als Hilferuf. Es ist etwas kaputt, aber man kann es reparieren. Die „red flags“, die „Warnhinweise“, wollte oder konnte ich nicht sehen. Nun haben die USA wieder Trump gewählt. Trotz des Sturms auf das Kapitol, trotz der Gerichtsverfahren gegen ihn, trotz der Tatsache, dass ihn sogar hochrangige Republikaner:innen laut eigener Aussage nicht mögen.
Ich hatte das Glück, wiederholt mehrere Monate in den USA leben und arbeiten zu dürfen. Ich habe dank Stipendien das Land von links nach rechts, oben, unten und in der Mitte besuchen dürfen. Hat das Land, dem ich mich so verbunden gefühlt habe, das mir so viel geschenkt hat, überhaupt je existiert oder war alles nur eine Lüge?
Zuerst das Leugnen, dann die Wut
Natürlich schreibe ich emotional. Ich mache nach den USA-Wahlen die Stadien der Trauer durch, als wäre ich ein Lehrbuch-Beispiel: Nicht-Wahrhaben-Wollen. Dann die Wut.
Gefolgt von der Erklärarbeit, der Rechtfertigung.
Nüchtern betrachtet, sind die USA das drittgrößte Land der Erde, sowohl an Fläche als auch an Einwohner:innen. Nüchtern betrachtet, können die USA gar nicht ein Monolith sein. Am Festland gibt es allein (mit Alaska) fünf Zeitzonen. Es gibt noch mehr Klimazonen. Die Metropole New York City hat 10.500 Einwohner:innen pro Quadratkilometer. Der Bundesstaat Wyoming hat zwei Einwohner:innen pro Quadratkilometer.
Da kann man nie alle Menschen und Mentalitäten unter einen Hut bringen. Und selbst ein und derselbe Mensch hat mehrere Facetten. Ich erinnere mich an einen damals jungen US-Kollegen, der mir treuherzig versicherte, die Pizza sei in den USA erfunden worden. Ob er mich auf den Arm nehmen wollte, kann ich heute noch nicht sagen. Mittlerweile ist er ein guter Freund und war schon für den Pulitzer-Preis nominiert. Allerdings nicht für eine Recherche übers Essen.
Wo ist die Gerechtigkeit?
Doch die USA haben mich und andere Europäer:innen, ja sogar US-Amerikaner:innen selbst, ganz gut über die Gräben innerhalb des Landes hinwegtäuschen können. Weil sie begnadete Geschichten-Erzähler sind. Und diese Geschichten bei uns landen, weil Englisch die Lingua franca ist. Das Internet und Hollywood sind die Verstärker. Filme sind eine machtvolle PR-Maschine, der wir uns meistens freiwillig unterwerfen und die den USA den Anschein gibt, dass es einen zusammenhängenden Erzählstrang gibt. Alle arbeiten hart, sind fleißig, gerecht und am Ende wird mehr oder weniger die Freiheitsstatue ins Bild gerückt. Auch wenn es sich manchmal wie ein Appell und eine Erziehungsmaßnahme anfühlt, es wabert in das Unterbewusstsein und berührt uns zu einem Zeitpunkt, in dem wir uns als zu alt für Märchenbücher eingeordnet haben.
Natürlich weiß der oder die reflektierte Medienkonsument:in, dass Filme fiktiv sind. Nicht jede Liebesgeschichte ist schicksalhaft. Nicht jedes Schwammerl sorgt für eine Pandemie und nicht jede:r Eigenbrötler:in hat tatsächliche Leichen im Keller.
In Grimms Märchen und in Hollywood-Drehbüchern kämpft Gut gegen Böse. Und Gut gewinnt. Da wird uns häppchenweise die „Gerechte-Welt-Theorie“ verfüttert; eine Idee, die schon die alten Griechen diskutierten. Guten Menschen widerfährt Gutes. Schlechte Menschen bekommen das, was sie verdient haben.
Es ist prinzipiell ein Gedanke, der uns gut schlafen lässt, weil die Welt und das Leben damit einfacher und kalkulierbarer werden. Aber sie hat mehrere Haken. Einer davon ist, dass wir inhärent glauben, dass, wenn jemandem etwas Schlimmes zustößt, er oder sie das schon irgendwie verdient hat. Das kann zur Täter-Opfer-Umkehr führen.
Aber auch ich war trotzig und hab mir gedacht, okay dann haben sie es halt nicht anders verdient. Sie haben es so gewollt. Dann setzt es halt Liebesentzug.
Im nächsten Schritt wird mir wieder bewusst: Erstens haben beileibe nicht alle US-Amerikaner:innen Trump gewählt. Und zweitens gibt es auch unter jenen, die es getan haben, mehrere Gründe dafür, die nachvollziehbar sind.
Mit meiner anderen Bekannten, der lebenslustigen Schlittenhund-Züchterin aus Alaska, verbindet mich mehr, als mich trennt. Auch wenn sie Trump gewählt hat. Ich werde nicht umhinkommen, Pauschalurteile wieder abzulegen.
Ich glaube, ich bin soweit. Ich akzeptiere. Ich bin bereit, ein neues Bild der USA zuzulassen. Auch die Freiheitsstatue wirft lange Schatten. Wir haben alle mehrere Facetten.
Vielleicht rufe ich mal wieder an, jetzt, im neuen Jahr. Und wir gehen auf einen Kaffee. Meinetwegen den mit der Nixe drauf.
Dir hat dieser Beitrag besonders gut gefallen oder du hast Hinweise für uns - sag uns deine Meinung unter feedback@wienerzeitung.at. Willst du uns helfen, unser gesamtes Produkt besser zu machen? Dann melde dich hier an.
Infos und Quellen
Genese
WZ-Redakteurin Konstanze Walther war Staff Writer beim Philadelphia Inquirer, hat im Rahmen eines Stipendiums des World Press Institutes 2018 die USA kreuz und quer bereist und war als Teilnehmerin eines Stipendiums für einen Storytelling-Workshop an der Universität in Seattle. Sie schaut zu viele Serien aus Hollywood und wünscht derzeit, ihr Französisch wäre besser. It’s complicated.
Daten und Fakten
Donald Trump ist am 5. November 2024 zum dritten Mal zur Wahl des US-Präsidenten angetreten. Das erste Mal war 2016: Da gewann Donald Trump gegen Hillary Clinton knapp: Trump konnte 304 Wahlleute auf sich vereinigen (Clinton 227). Den „Popular Vote”, also die Stimmen ausgezählt nach Wahlberechtigten (nicht nach Bundesstaaten), hatte damals Clinton für sich entscheiden können (mit 65,853.514 gegenüber 62,984.828 für Trump).
2020 trat Joe Biden gegen Trump an. Biden gewann bei den Wahlleuten (306 zu 232) und beim „Popular Vote”: 81,283.501 zu 74,223.975.
2024 gewann Donald Trump gegen Kamala Harris auf allen Linien: 312 Wahlleute (Harris 226) und 77,303.568 Stimmen (Harris: 75-019.230 Stimmen).
Das Thema in der WZ
Das Thema in anderen Medien
New York Times: As a Felon, Trump Upends How Americans View the Presidency