Österreichs Parteien haben eine bunte und spannende Vergangenheit, über die heute kaum noch geredet wird. Woher kommen SPÖ, ÖVP, FPÖ, Grüne, Neos und KPÖ? Die folgende Serie wird dem auf den Grund gehen. Den Anfang macht die SPÖ.
Friedrich Adler, Sohn des Parteigründers Victor Adler, war ein aus der Art geschlagener Sozialdemokrat; einer, der zur Waffe griff und 1916 den k.u.k. Ministerpräsidenten Karl Graf Stürkgh erschoss. Verständnis dafür konnte er von seinen Parteigenoss:innen nicht erwarten, denn die österreichische Sozialdemokratie war von der Stunde ihrer Geburt an alles, nur kein Verein von Revolutionär:innen. In der Arbeiter-Zeitung bezeichnete der prominente Journalist Friedrich Austerlitz die Tat Adlers folgerichtig als „der ganzen sozialistischen Ideenwelt fremd und unbegreiflich“. Die Aktion eines Menschen, der wohl verrückt geworden war.
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Das Ziel der ersten Roten, organisiert in einer Partei namens SDAP (Sozialdemokratische Arbeiterpartei), war es, auf friedlichem Weg das Los der Arbeitenden zu erleichtern. Da gab es den bedächtigen Karl Renner, auch „Hin- und Her-Renner“ genannt, Hauptakteur bei der Republiksgründung 1918 und dann wieder 1945, der innerparteilich und fraktionsübergreifend von einem zum anderen eilte, immer um Verständigung und Ausgleich bemüht. Genau diese vermeintlich prinzipien- und leidenschaftslose Haltung seiner Parteifreund:innen war es, die den ungestümen Adler auf die Palme brachte und zum Attentäter werden ließ.
Keine Schlachtpläne
Den gewalttätigen roten Klassenkämpfer gab es nicht einmal so richtig im Februar 1934, als in Österreich ein Bürgerkrieg zwischen Sozialdemokrat:innen und autoritärer Regierung tobte. Zwar schossen die roten Schutzbündler, es waren sogar Maschinengewehre im Einsatz. Heute wissen wir aber, dass die SDAP damals keine Schlachtpläne parat hatte. Nichts war für den Kampf vorbereitet und der damalige Parteiführer Otto Bauer zögerte und zauderte, in einer Lage, in der die Sozialdemokratie mit dem Rücken zur Wand stand, überhaupt den Befehl zum Angriff zu geben. Er suchte auch dann noch eine Basis zu seinem Gegenspieler Engelbert Dollfuß, als der Österreichs Demokratie bereits ausgehebelt hatte.
Veränderung sollte es aus Sicht der österreichischen Roten schon geben, aber immer im Rahmen des Bestehenden. Die SDAP war von Beginn an eine Massenpartei, die von der Grundidee her für die Arbeitenden da sein sollte; sie strebte eine Gesellschaft mit Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit und Solidarität an. Man wollte innerhalb der vorgefundenen staatlichen Strukturen möglichst viel Einfluss erlangen, um seine Ziele umzusetzen.
Startschuss fällt 1889 in Hainfeld
Die heutige SPÖ ist ein Kind des 19. Jahrhunderts, der Startschuss fiel 1889 beim Hainfelder Parteitag, als Viktor Adler die verschiedenen ideologischen Strömungen der Arbeiterbewegung zur SDAP vereinigte. Anfänglich wurde der Parlamentarismus von Österreichs Sozialdemokrat:innen skeptisch beäugt – das war kein Wunder, gab es doch das Kurienwahlrecht: Die Stimme wurde nach Vermögen gewichtet und Lohnarbeiter hatten da nicht viel zu reden. Das änderte sich rasch, ab 1907 galt das allgemeine und gleiche Wahlrecht – freilich nur für Männer.
Die Partei arrangierte sich mit Kaiser und Monarchie, scherzhaft war von der „k.u.k Sozialdemokratie“ die Rede. Als die SPÖ in den 1970er-Jahren bereits die absolute Mehrheit hatte, unterhielt Kanzler Bruno Kreisky ausgezeichnete Beziehungen zu Kreisen des ehemaligen Adels, wo ihm und seiner Partei immer noch große Sympathie entgegengebracht wurde. „Wären wir noch in der Monarchie, wär‘ ich mindestens schon Baron“, soll „Sonnenkönig“ Kreisky gesagt haben. Kreisky war ein Politiker, der über große Macht verfügte und deshalb mit dem französischen König Ludwig XIV. verglichen wurde.
Endlich an der Macht
1918 bis 1920 bildete die SDAP eine Koalition mit bürgerlichen Parteien, hatte eine starke Position und konnte soziale Forderungen wie den Acht-Stunden-Tag, Betriebsräte, staatliche Arbeitslosenunterstützung, bezahlten Urlaub für Arbeiter:innen durchsetzen. Dann führte der Weg in die Opposition, 1934 wurde die SDAP vom Regime Dollfuß verboten. Manche Sozialdemokrat:innen gingen ins Exil, manche in den Untergrund, viele wandten sich der NSDAP oder der KPÖ zu.
1945 wurde schließlich die SPÖ als Sozialistische Partei Österreichs neu gegründet. Es kam zu Flügelkämpfen zwischen Links und Rechts, die Rechten, Gemäßigten, setzten sich durch. 1970 wurde die SPÖ unter der Führung Bruno Kreiskys schließlich stärkste Partei. Kurz darauf begann die Glanzzeit der SPÖ, die bis 1983 mit absoluter Mehrheit regierte. Oberstes Ziel waren Vollbeschäftigung und Exportförderung, Kreisky leitete sozialpolitische Reformen im Bereich Frauen und Universität ein. Zu einer „Diktatur des Proletariats“, wie von manchen befürchtet, kam es nicht, Kreisky war sehr auf Ausgleich bedacht. Er verglich sich bei einer Gelegenheit spaßeshalber nicht mit Kaiser Franz Joseph, sondern mit der „Landesmutter“ Maria Theresia.
Subtiler Klassenkampf
Klassenkämpferische Regungen waren in der Ära Kreisky nur sehr subtil, wie eine Episode rund um eine Ordensverleihung durch den damaligen erzroten Bundesminister Josef Staribacher zeigt. Der sollte in einer festlichen Zeremonie einem deutschen Industriellen ein Ehrenzeichen anheften, musste aber feststellen, dass das dafür vorgesehene Knopfloch des sündteuren Maßanzugs zugenäht war. Peinlich. Staribacher, so ein Zeitzeuge gegenüber der WZ, habe sein Taschenmesser, das er immer dabei hatte, gezückt, kurzerhand die Naht des noblen Gewands aufgetrennt und gesagt: „Herr Generaldirektor tragen wie ich Anzüge von der Stange.“
Von der großen Machtfülle beflügelt, zeigte sich die SPÖ im Verlauf der 70er-Jahre auch von ihrer unguten Seite. Es kam zu zahlreichen Skandalen, wobei der um das Wiener AKH nur einer war. Zum Sinnbild des moralischen Verfalls wurde der berüchtigte Club 45 im Café Demel am Wiener Kohlmarkt, in dem sich exklusiv die rote Polit-Elite traf und undurchsichtigen Machenschaften nachging. So wurde hier der Kriminalfall „Lucona” ausgeheckt, wobei der damalige Demel-Chef Udo Proksch wertloses, aber hoch versichertes Altmetall auf ein Schiff verladen und dieses dann versenken ließ, um die Versicherungssumme zu kassieren. Dass dabei sechs Menschen starben, war Proksch egal. SPÖ-Innenminister Karl „Charly” Blecha trat 1989 unter anderem wegen seinen Verwicklungen in den Skandal zurück.
„Gefährlicher Marxist“?
Dieser Tage konzentrieren sich die sozialdemokratischen Hoffnungen auf Andreas Babler, einen Mann mit bis dato ziemlich sauberer Weste und vergleichsweise wenig Macht, der eine Rückbesinnung zu alten sozialdemokratischen Werten forciert. Die politischen Gegner:innen, allen voran FPÖ und ÖVP, sind bemüht, Babler zum „gefährlichen Marxisten“ zu stempeln, der Österreich in ein zweites Nordkorea verwandeln wolle.
Der Bürgermeister von Traiskirchen hat aber betont, dass er sich in erster Linie als echt österreichischen Sozialdemokraten sieht. Und damit steht er in einer Tradition, in der bis jetzt nichts über- und schon gar nichts umgestürzt und die gute alpenländische Ordnung stets gewahrt wurde.
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Infos und Quellen
Daten und Fakten
Der Einigungsparteitag der österreichischen Sozialdemokratie fand vom 30. Dezember 1888 bis zum 1. Jänner 1889 in Hainfeld, Niederösterreich, statt. Deklariert wurde unter anderem die Befreiung der Arbeiter:innen aus der politischen Rechtlosigkeit. Angeprangert wird die Rolle des bürgerlichen Klassenstaates und die daraus resultierende Verarmung der Massen.
Strukturell ist die SPÖ in Ortsorganisationen/Sektionen, Bezirksorganisationen und Landesorganisationen unterteilt. Dazu kommen die Referate und die verschiedenen Teilorganisationen. Das oberste Organ ist der Bundesparteitag, der vom Bundesparteivorstand einberufen wird. Die Zahl der Parteimitglieder ist mit rund 148.000 vergleichsweise hoch.
Bruno Kreisky war von 1970 bis 1983 SPÖ-Bundeskanzler. Die Periode wird als „Ära Kreisky“ bezeichnet. In ihr wurden zahllose sozialpolitische Reformen etwa im Bildungsbereich und bei der Frauen-Gleichberechtigung angestoßen.
Der Club 45 war eine Art sozialistischer Herrenclub, dem die Spitzen der SPÖ und der Wirtschaft angehörten. Die Machenschaften in den Räumen der k.u.k-Hofzuckerbäckerei Demel waren nur zu oft undurchsichtig. Club-Präsident war der SPÖ-Minister Leopold Gratz.
Andreas Babler ist derzeit Chef der SPÖ. Er wuchs in einer Arbeiterfamilie auf und war unter anderem als Lagerarbeiter tätig. 2014 wurde er zum Bürgermeister von Traiskirchen gewählt, seit 2023 ist er Parteivorsitzender.
Quellen
Karl Ucakar, „Die Sozialdemokratische Partei Österreichs“,in: Handbuch des Politischen Systems Österreichs, Wien 1992
Heinrich Drimmel, „Vom Justizpalastbrand zum Februaraufstand“, Wien 1986
Gerhard Vogl, „Die ganze Republik ist Bühne“, Wien 1996
Hans Pretterebner, „Der Fall Lucona“, Wien 1989
Johannes Kunz, „Hoffnungslos, aber nicht ernst“, Wien 1976
Homepage der SPÖ: Österreich wieder gerecht machen