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Viel Lob für Einsatzkräfte, doch was ist mit ihrer Psyche?

3 Min
Polizist:innen und Rettungskräfte sperren eine Straße ab
© REUTERS/Borut Zivulovic

Starker Stress, die Konfrontation mit dem Tod und die Gefahr für das eigene Leben: Einsatzkräfte sind täglich enormen psychischen und physischen Belastungen ausgesetzt.


„Alles wo der normale Mensch aus psychologischer Sicht ein bisschen nervös oder unrund wird, muss ein Polizist aushalten können. Und das wird regelmäßig in den Einsatztrainings geübt“, erklärt die klinische Psychologin Nina Lepuschitz. Bereits in der Ausbildung werden Polizist:innen darauf vorbereitet, mit extremem Stress umgehen zu können, damit sie in herausfordernden Situationen handlungsfähig bleiben. Und an herausfordernden Situationen mangelt es nicht. Insgesamt müssen Einsatzkräfte psychisch belastbarer sein als die allgemeine Bevölkerung. Das heißt aber nicht, dass Einsätze wie am Dienstag in Graz oder nach dem Terroranschlag in Wien spurlos an einem vorbeigehen.

Nach Krisensituationen erfahren österreichische Polizist:innen häufig öffentliche Anerkennung, sei es durch die Gesellschaft, durch Politiker:innen, Prominente oder die Medien. So auch nach dem Amoklauf an einer Grazer Schule am Dienstag, bei dem elf Menschen, darunter neun Jugendliche und der Täter selbst, ums Leben kamen. Doch wie werden Einsatzkräfte auf solche Extremfälle vorbereitet? Und wie gehen sie mit der seelischen Belastung danach um?

Peer Support als Ersthilfe

Trotz professioneller Ausbildung tragen Polizist:innen seelische Belastungen mit sich. Manche Einsätze hinterlassen tiefere Spuren. Für genau solche Fälle gibt es das sogenannte „Peer-Support“-System. „Das sind Polizisten, die besonders gut für die psychische erste Hilfe geschult sind“, so Lepuschitz, die 14 Jahre im Innenministerium tätig war. Dabei handelt es sich zunächst um entlastende Gespräche unter Kolleg:innen. Reicht das nicht aus, stehen weitere professionelle Hilfen zur Verfügung: „Dann gibt es noch den psychologischen Dienst im Innenministerium.“ Die Gründe, weshalb Polizist:innen psychologische Unterstützung benötigen, sind vielfältig, etwa nach Schusswaffeneinsätzen oder bei der Überbringung von Todesnachrichten.

Auch Rettungskräfte wie Sanitäter:innen geraten regelmäßig in belastende Situationen. Monika Stickler, Organisatorische Leiterin der psychosozialen Betreuung beim Roten Kreuz, berichtet im Gespräch von ähnlichen Unterstützungsstrukturen. Auch hier gibt es ein „Peer“-System. „Ein Peer kann immer nur jemand aus der gleichen Gruppe sein. Also zum Beispiel für einen Rettungssanitäter ist es auch ein Rettungssanitäter“, erklärt Stickler. Der Grund: Man müsse sich nicht viel erklären, man kennt die Abläufe, Probleme und Belastungen aus eigener Erfahrung.

Diese “Peers” werden gezielt geschult, insbesondere in Gesprächsführung und Psychotraumatologie. Im Zentrum stehen dabei offene Gespräche und das aktive Zuhören. „Wenn die Kollegen-Hilfe nicht ausreichend ist, dann gibt es für uns immer noch Fachinterventionen, auf die wir zurückgreifen können“, so Stickler weiter. Darunter fallen Supervisionen oder Intervisionen im Team. Nach dem Abschluss von Großeinsätzen kommt es ebenfalls zu einem Defusing mit allen Beteiligten. Da wird ihnen für ihren Einsatz gedankt und erklärt, was auf sie zukommen könnte, wie zum Beispiel das schlecht schlafen oder die Bilder vom Einsatz wieder zu sehen.

Einsatzpsychologe Wolfgang Prinz, betont, dass Gespräche nach belastenden Ereignissen niemals erzwungen werden dürfen, aber es müsse die Möglichkeit dazu geschaffen werden. Entscheidet sich eine betroffene Person, über das Erlebte zu sprechen, ist es jedoch notwendig, auch über unmittelbare Reaktionen wie Albträume nach einem emotional aufwühlenden Einsatz zu sprechen. „Es ist wichtig den Betroffenen diese Reaktionen zu erklären und vor allem sie zu normalisieren“, so der Einsatzpsychologe.

Tage nach dem Einsatz, sind die Loblieder auf die Einsatzkräfte verstummt. Doch bei Polizei und Rettung arbeitet das Erlebte weiter.

Falls du Sorgen oder Ängste hast, hier ein paar Kontakte:


Die Bildungsdirektion Steiermark hat eine Hotline für schulpsychologische Betreuung eingerichtet: 0664/ 80 345 55 665

Telefonseelsorge: 142 (Notruf), täglich 0–24 Uhr

Sozialpsychiatrischer Notdienst: 01/ 31330, täglich 0–24 Uhr

Rat auf Draht: 147. Beratung für Kinder und Jugendliche. Anonym, täglich 0–24 Uhr

PsyNot Steiermark 0800 449933


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Infos und Quellen

Daten und Fakten

  • Stand September 2023 waren 32.000 Polizist:innen in Österreich im Dienst. Das Interesse für den Beruf Polizist:in ist im Jahr 2023 durch Adaptierungen Beim Polizeiaufnahmeverfahren gestiegen.
  • Beim Roten Kreuz Österreich helfen mehr als 37.000 freiwillige Sanitäter:innen beim Rettungsdienst mit. Sie kümmern sich vom Krankentransport bis zu großen Notfalleinsätzen bei gefährlichen Unfällen.
  • Supervision und Intgervision sind Formen der gemeinsamen Reflexion. Supervision wird von externen Fachpersonen geleitet, während Intervision ein kollegialer, selbstorganisierter Austausch ist, beide helfen, Herausforderungen im Team zu besprechen und die Zusammenarbeit zu verbessern.

Quellen

Gesprächspartner:innen

  • Mag. Nina Lepuschitz ist Klinische Psychologin in eigener Praxis in Wien. Lepuschitz war davor 14 Jahre für das Innenministerium tätig. Dort begleitete sie Polizist:innen nach belastenden Einsätzen in verschiedenen Abteilungen, verfasste psychologische Gutachten inklusive klinischer Diagnostik und gestaltete aktiv Schulungen zu psychologischen Themen.
  • Monika Stickler, organisatorische Leiterin der psychosozialen Betreuung beim Roten Kreuz
  • Mag. Wolfgang Prinz, Einsatzpsychologe in eigener Praxis in Wien

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