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Harald Vilimsky und die Macht der Europa-Zerstörer

3 Min
Will den Rückbau Europas: Harald Vilimsky.
© Illustration: WZ, Bildquelle: REUTERS

Mit der FPÖ hat eine Partei die EU-Wahl gewonnen, die den europäischen Einigungsprozess zurückdrehen will. Das kann schneller passieren, als viele glauben möchten.


Die Grenzen dicht, illegale Migrant:innen raus und keine Unterstützung mehr für die Ukraine, die sich im Krieg mit Russland befindet: Die FPÖ unter ihrem Frontmann Harald Vilimsky hat klare Vorstellungen, wie der europäische Weg weitergegangen werden soll. Und sie hat als stimmenstärkste Partei die EU-Wahl in Österreich gewonnen.

Die Freiheitlichen üben starke Anziehungskraft auf jene aus, die generell unzufrieden sind, die „dem System“ einen Denkzettel verpassen wollen und denen die Europäische Integration schon viel zu weit geht. Hier gilt: Die europäische Zusammenarbeit soll auf wirtschaftliche Kooperation beschränkt bleiben, die EU-Institutionen werden als aufgeblähter Moloch wahrgenommen und müssen ordentlich gestutzt werden. Der starke Nationalstaat soll wieder an erster Stelle stehen.

Vom Friedensprojekt zur „Kriegstreiberin“

Die FPÖ hat die Europäische Union abseits davon in ihrer Wahlkampagne von einem Friedensprojekt zur gefährlichen „Kriegstreiberin“ umdefiniert. Wobei außer Acht gelassen wird, dass die Gemeinschaft unbestritten dazu beigetragen hat, dass es nach 1945 in Mittel- und Westeuropa nicht mehr zu militärischen Auseinandersetzungen gekommen ist. Der Grundgedanke des Zusammenschlusses war ja, dass sich die Verheerungen des Ersten und des Zweiten Weltkrieges nie mehr wiederholen dürfen. Und wie könnte das besser klappen, als wenn möglichst viele in möglichst vielen Bereichen möglichst eng zusammenarbeiten?

Nach der EU-Wahl ist klar, dass auf europäischer und auch auf österreichischer Ebene die Unterstützer eines gemeinsamen Europas weiter in der Mehrheit sind. Trotzdem sind die Errungenschaften der Einigung schneller dahin, als viele wahrhaben möchten. So war eigentlich in der EU beschlossene Sache, dass mit der Etablierung des Schengen-Raumes das Vorzeigen des Reisepasses an den Staatsgrenzen der Vergangenheit angehören sollte. Wer dieser Tage von der Tschechische Republik kommend etwa den Grenzübergang Reintal passiert, wird eines Besseren belehrt. Kontrolliert wird alle, die nach Österreich wollen. Was als Ausnahmeregelung gedacht war und im Zuge der Flüchtlingskrise 2015/2016 zur Anwendung kam, ist längst zu einem Dauerzustand geworden.

Brexit – ein Mahnmal, das verblasst

Wie schnell der Traum vom gemeinsamen Europa platzen kann, wurde im Juni 2016 klar, als die Briten mehrheitlich für den EU-Austritt stimmten, der dann auch vollzogen wurde. Dabei war die Abstimmung eigentlich nur ein taktisches Manöver des damaligen britischen Premiers David Cameron gewesen, der innerparteilich bei den euroskeptischen Kräften unter den konservativen Tories für Ruhe sorgen wollte. Die Befürworter:innen eines nationalen Alleingangs verwiesen immer auf die Stärke Großbritanniens und die vermeintlichen Vorteile einer vermeintlichen Selbstbestimmung. Diese Vorteile sind nicht eingetreten, der Frust auf der Insel ist enorm, und den Tories, die den EU-Austritt durchgezogen haben, droht demnächst die größte Wahlniederlege seit 1906. Das abschreckende Beispiel eines nationalen Alleinganges ist in den vergangenen Jahren, zumindest was Österreich betrifft, verblasst.

In den Hintergrund getreten ist auch der Umstand, dass durch die völlig unerwartete Staatspleite Griechenlands im Jahr 2010 das Gemeinschaftsprojekt Euro kurzfristig auf der Kippe stand. Die gemeinsame Währung nütze Deutschland und treibe die südlichen Länder der EU in den Ruin, hieß es damals. Es gab eine hitzige Debatte, bis das Problem einigermaßen im Griff war.

Mühsam errichtet, schnell zerstört

Fortschritte auf dem Weg der Europäischen Einigung sind mühsam erarbeitet, in vielen Bereichen geht es unendlich langsam voran. Die erzielten Errungenschaften in den verschiedenen Bereichen sind nicht unumkehrbar, sondern, ganz im Gegenteil, schnell zerstört. Politiker wie der Österreicher Harald Vilimsky bauen die EU in ihr fiktives Bild eines „Systems“ ein, das von einer „Elite“ gesteuert werde und den Interessen der Bevölkerung zuwiderlaufe. Die Erzählung ist populär, lässt aber unerwähnt, dass Österreich von seiner EU-Mitgliedschaft nicht nur wirtschaftlich enorm profitiert hat. Und, dass Probleme wie Migration und die Gewährleistung militärischer Sicherheit ohnehin nur gemeinsam gelöst werden können.


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Infos und Quellen

Genese

Dem FPÖ-Sieg bei der EU-Wahl wird meist innenpolitische Relevanz beigemessen. WZ-Redakteur Michael Schmölzer weist darauf hin, dass die potenziellen europapolitischen Konsequenzen nicht übersehen werden sollten.

Daten und Fakten

  • Mit der EU-Wahl hat es die FPÖ erstmals bei einer bundesweiten Wahl auf Platz eins geschafft. Bisher hatten stets SPÖ oder ÖVP die Nase vorn.

  • Laut einer Umfrage des Instituts Demox Research sehen die Österreicher:innen die EU-Mitgliedschaft kritischer als noch vor fünf Jahren. 2019 bezeichneten 80 Prozent den EU-Beitritt als richtig, aktuell tun dies nur noch 67 Prozent. Laut der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik hingegen liegt die Zustimmung zu Österreichs EU-Mitgliedschaft derzeit bei 76 Prozent .

  • Nach dem Erfolg bei der EU-Wahl pocht die FPÖ auf das Recht der Ernennung eines EU-Kommissars. Die Linzer Rechtsanwältin und FPÖ-Nationalratsabgeordnete Susanne Fürst soll demnach „Remigrationskommissarin“ werden.

Quellen

Das Thema in anderen Medien