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Am 4. Februar jährt sich zum 30. Mal das Rohrbombenattentat von Oberwart, bei dem vier Roma ermordet wurden. Die Politikerin Manuela Horvath erinnert sich an den Tag, an dem sie nicht vergessen sollte, was es heißt, eine Romni zu sein.
Sie waren zehn Jahre alt, als ihre Cousins Erwin und Karl Horvath und deren Freunde Peter Sarközy und Josef Simon von einer Rohrbombe getötet wurden. Woran erinnern Sie sich heute noch?
Es war ein Samstag, der erste Tag der Semesterferien. Kurz vor Mitternacht habe ich diesen extrem lauten Knall gehört. Ich bin in der Küche gesessen, weil ich mich in der Nacht aus meinem Zimmer geschlichen hatte, um fernzuschauen. Mein Papa ist dann auch munter geworden. Er hat mit mir geschimpft, warum ich so spät noch wach war, hat dann aber schnell seine Jacke angezogen und ist zwei Häuser weiter zu den Nachbarn gegangen. Er dachte, dass bei ihnen die Öl-Heizung im Keller explodiert war.
Dem war nicht so.
Nein, was wirklich passiert war, haben wir erst am nächsten Tag erfahren. Da war totales Chaos. Ich erinnere mich noch, wie laut es in unserem Haus war und die Erwachsenen in der Küche gestanden sind und aufgelöst waren. Ich weiß nicht mehr, wer mir erzählt hat, was passiert war, ob mein Papa, die Mama oder die Tante. Auf jeden Fall haben sie gesagt, dass der Peter, der Karl, der Erwin und der Josef in der Nähe von der Unterführung tot aufgefunden worden waren. Gefunden hat sie der Onkel, der in der Früh auf dem Weg in den Nachbarsort war. Der Onkel ist gehörlos und konnte auch nicht sprechen. Er hat meinen Vater in der Früh aufgeweckt und ist mit ihm zur Attentatsstelle gegangen und hat dann die vier Leichen identifiziert.
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Danach kam die Polizei. Aus Berichten weiß man, dass sie anfangs davon ausgegangen sind, dass es sich um eine „Fehde“ innerhalb der Roma-Siedlung handelt und nicht um einen Terroranschlag. Dabei hatte die Briefbombenserie schon zwei Jahre zuvor begonnen.
Es war innerhalb kürzester Zeit sehr viel Polizei am Attentatsort und auch bei uns in der Siedlung. Auch sehr viele Medienvertreter waren da. Denen war es egal, was sie fotografieren, oder ob sie da jetzt in ein Privathaus reinfotografieren. Der Umgang damals war überhaupt nicht sensibel, weder seitens der Polizei noch der Medien. Die Polizei hat alle Häuser in der Siedlung gleichzeitig durchsucht, auch unser Haus und auch mein Kinderzimmer. Manche Polizisten waren unfreundlicher als andere.
Man hat die Opfer selbst verdächtigt, in den Anschlag involviert zu sein. Wie hat sich dieser Verdacht auf die Community ausgewirkt?
Das war natürlich grausam. Das ist ja alles nicht so einfach zu bewältigen oder beiseitezuschieben. Wir standen alle unter Schock. Fünf Kinder haben ihren Vater verloren und Mütter und Väter ihre Söhne und wir alle Freunde und Nachbarn. Das darf man nicht vergessen. Und dann verdächtigt man uns auch noch. Mein Opa war sechs Jahre lang in verschiedenen Konzentrationslagern und gerade diese Generation, die das NS-Regime überlebt hat, hat das nochmal traumatisiert. Plötzlich, mitten im Frieden Österreichs, werden vier Roma in Oberwart vor der eigenen Haustür ermordet.
Uns Roma hassen manche Leute so sehr, dass sie eine Bombe vor die Tür stellen.Manuela Horvath
Bis heute erleben Angehörige der Roma und Sinti Diskriminierung und Gewalt. Vor 30 Jahren war das noch heftiger, gerade im Burgenland. Angehörige berichten, dass es noch in den 1980er-Jahren Lokalverbote gab, Roma als Lehrlinge in Betrieben nicht genommen wurden und Kinder de facto in Sonderschulen segregiert waren. Wie kann man sich das Leben als Rom und Romni damals in Oberwart vorstellen?
Ich war damals in der vierten Klasse Volksschule und ich muss sagen, dass es mir recht gut gegangen ist. Ich selbst habe von Diskriminierung oder Ausgrenzung im Schulalltag nichts gespürt. Aber natürlich habe ich immer gewusst, dass ich eine Romni bin und vor allem bin ich ja auch mit den Erzählungen von meinem Großvater aus dem Konzentrationslager groß geworden. Aber ich habe gewusst, dass die Diskriminierung mit dem Ende des Nationalsozialismus nicht aufgehört hat. Vor dem Attentat dachte ich: Okay, das, was der Opa erzählt hat, ist jetzt abgeschlossen und das trifft uns nie wieder. Als das Attentat passiert ist, habe ich zum ersten Mal gemerkt: Es ist nach wie vor so, wie der Opa gesagt hat. Uns Roma mögen viele Leute nicht. Uns Roma hassen manche Leute so sehr, dass sie uns eine Bombe vor die Tür stellen. Das ist natürlich ein einschneidendes und prägendes Ereignis in einem Leben, wenn so etwas passiert.
Das Attentat ist nicht tief im kollektiven Gedächtnis Österreichs gespeichert. Bis auf Burgenland heute und Heimat fremde Heimat gibt es kaum Medien, die jedes Jahr berichten. Wie nehmen Sie, die stark in Gedenkveranstaltungen involviert ist, das Erinnern daran in Österreich wahr?
Sehr unterschiedlich. Bei uns in Oberwart erinnern sich die Personen, die 1995 hier oder in den umliegenden Ortschaften gelebt und das sehr bewusst mitgekriegt haben, sehr gut daran. Die nehmen auch an den Gedenkveranstaltungen teil, die ich jedes Jahr im Februar organisiere. Die junge Generation, die das nicht miterlebt hat, weiß nichts darüber. Man muss einfach dran arbeiten, selbst wenn niemand berichtet und bei der Gedenkfeier dann eben nur 70 Leute stehen und gedenken. Es ist wichtig, dass man es tut.
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Infos und Quellen
Genese
Solmaz Khorsand hat für den Polit-Podcast „Ganz offen gesagt“ ein Interview mit der burgenländischen Politikerin Manuela Horvath geführt, dessen Inhalt sie für die WZ noch einmal aufbereitet hat.
Gesprächspartnerin
Manuela Horvath, ÖVP-Stadträtin in Oberwart für Energie, Verkehr, Umwelt und Nachhaltigkeit, ist Cousine der beiden Opfer Erwin und Karl Horvath. Seit 2016 ist sie Leiterin des Roma-Pastorals und organisiert Gedenkfeiern zum Jahrestag des Anschlags. So auch dieses Jahr.
Daten und Fakten
In der Nacht vom 4. auf den 5. Februar wurden vier Roma in Oberwart bei einem Rohrbombenattentat getötet. Peter Sarközi, Josef Simon sowie Karl und Erwin Horvath starben, als sie versuchten, ein antiziganistisches Schild – „Roma zurück nach Indien“ – zu entfernen. Hinter dem Schild verbarg sich ein Sprengsatz des österreichischen Rechtsextremisten Franz Fuchs, Verantwortlicher der Briefbombenserie, die bereits 1993 ihren Anfang genommen hat.
Noch bevor man von einem rassistisch motivierten Akt ausging, berichteten einige Medien von einer Fehde zwischen den Einwohnern der Roma-Siedlung. Diese Information ging auf Aussagen von Ermittlungsbeamten vor Ort zurück.
Es war das bislang größte rassistisch motivierte Attentat der Zweiten Republik. Dem Anschlag folgte ein großes Medienecho. Rom:nija kamen verstärkt zu Wort, ihre Geschichte und ihr Leben wurden ausführlich dargestellt.
Quellen
Haus der Geschichte Österreich: Interview mit Holocaustüberlebende Michael Horvath, Großvater von Karl, Erwin und Manuela Horvath: https://hdgoe.at/attentat_oberwart
Europäisches Parlament: Welcher Diskriminierung sind die Roma ausgesetzt und wie reagiert die EU?
Haus der Geschichte: 1995: Höhepunkt des Briefbombenterrors
Das Thema in anderen Medien
Die Presse: Wie ein Attentat eine Stadt vereinte
Ganz offen gesagt: Über das Rohrbombenattentat in Oberwart - mit Manuela Horvath