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Waldbrände in Kalifornien: Wie eine Familie alles verlor

8 Min
Die Feuergefahr ist für viele in Kalifornien zum bitteren Alltag geworden.
© Illustration: WZ, Bildquelle: Getty Images

Der Klimawandel trifft die USA massiv, Brände in Kalifornien nehmen immer bedrohlichere Ausmaße an. Birigit Liskey erinnert sich im Gespräch, wie in all ihr Hab und Gut in wenigen Augenblicken verbrannt ist.


Seit mehr als 20 Jahren kenne ich Kathie Schmid. Vor vielen Jahren hatte sie mit ihrem mittlerweile verstorbenen Mann ein Traumhaus im Bennett Creek Valley am Rande der nordkalifornischen Kleinstadt Santa Rosa gebaut. Von hier nach San Francisco fährt man etwa eine Stunde mit dem Auto. Es ist eine abgelegene, auf einer Anhöhe liegende Ansiedlung mit etwa 130 Häusern. Nur eine Straße führt hinauf und hinab. Ein Idyll im Grünen. Dann kam der Oktober 2017, heftige Stürme trieben die Flammen des „Tubbs Fires” durch die Bezirke Napa und Sonoma. „Ich bin hinauf auf meine Dachterrasse und habe hinüber zum Park geschaut, und da war ein riesiger Lichtdom, zehn, fünfzehn Stockwerke hoch. Der Wind wurde immer stärker, über 100 Stundenkilometer. Ich wusste, dass die ganze Umgebung am Morgen in Schutt und Asche liegen würde und ich weg muss. Ich habe meinen Wäschekorb genommen, meinen Laptop und einen Polster hineingelegt und meine Brille geschnappt. Das war alles, was ich mitnahm. Ich dachte, das Haus gibt es in ein paar Stunden nicht mehr“.

Rettung in letzter Sekunde

Das Haus von Kathie blieb damals wie durch ein Wunder stehen. In dieser Nacht brannten 100 der 130 Häuser in ihrer Nachbarschaft komplett ab. Das Feuer vernichtete ihren Garten, die Flammen kamen bis an die Terrasse heran. Doch dann machte das Feuer kehrt. Der Wind hatte sich da wohl wieder gedreht.

In jener Nacht, als das Feuer in Sonoma County wütete, rief ich Kathie an. Ich wollte wissen, wie es ihr geht, ob sie in Sicherheit sei, und bot ihr an, zu mir nach Oakland zu kommen. Doch ich erreichte sie nicht, sprach ihr nur auf die Mailbox. Es war nicht das erste und auch nicht das einzige Mal, dass ich in den letzten Jahren in solchen Momenten Freunde anrief. Die Feuergefahr ist für viele in Kalifornien zum bitteren Alltag geworden.

Obwohl das „Tubbs Fire” 2017 nur etwa 15.000 Hektar vernichtete, galt es damals als das zerstörerischste in der Geschichte Kaliforniens. 5.643 Gebäude wurden Opfer der Flammen, 22 Menschen starben. Doch dieser „Rekord” hielt nicht lange. Schon ein Jahr später vernichtete das „Camp Fire” in Butte County auf einer Fläche von 62.000 Hektar 19.000 Gebäude, 85 Menschen starben in den Flammen. Das „Tubbs Fire” taucht heute noch nicht einmal mehr in den Top Ten der größten Feuer Kaliforniens auf. Der Golden State brennt, nicht mehr nur in der eigentlichen „Fire Season”.

„Wir haben kaum noch eine Feuer-Jahreszeit“, meint Cindy Foreman. Sie ist Leiterin einer Feuerwehrwache in Windsor und „ Fire Marshall”, Brandinspektorin für den gesamten Bezirk Sonoma. Ich habe sie in ihrem Büro aufgesucht, weil ich wissen wollte, wo sie die Hauptgründe für die allgegenwärtigen Feuergefahr sieht. Für sie, wie auch für Zweidrittel der US-Bürger:innen - das ergab eine Umfrage des „Pew Research Centers“ - ist der Klimawandel mittlerweile ein „urgent problem“, ein akutes Problem.

Vor allem die Kleinstadt Santa Rosa wurde 2017 vom Tubbs Fire hart getroffen. Die heftigen Stürme mit bis zu 120 Stundenkilometern Geschwindigkeit wirkten wie ein Fön auf die Flammen. Funken wurden kilometerweit getragen, um an anderer Stelle neue Brände zu entfachen. Was viele für nicht möglich gehalten hatten, passierte dann doch: Die Flammen konnten den Freeway 101überwinden, den Feuerexperten als natürliche Barriere angesehen hatten. Auf der westlichen Seite des 101 liegt der Stadtteil „Coffey Park”. Dort wohnte seit Anfang der 1990er Jahre die Deutsche Birgit Liskey mit ihrem amerikanischen Mann und zwei mittlerweile erwachsenen Kindern. Birgit habe ich über eine gemeinsame Freundin kennengelernt.

Birgit Liskey erinnert sich noch genau an die Nacht vom 8. auf den 9. Oktober 2017:
„Das war an einem Sonntagabend, wir sind ins Bett gegangen, das war gegen 10 Uhr. Es war sehr warm und windig draußen. Ich hatte die Tür offen und bin immer wieder aufgewacht und habe diesen Feuergeruch wahrgenommen. Ich dachte, mein Nachbar macht einen Grillabend.“ Gegen zwei Uhr morgens wachte sie erneut auf. Der Rauchgeruch lag intensiv in der Luft, dazu flackerte dieses orangene Licht. „Das einzige, was noch funktionierte, war unser Telefon, wir hatten noch Internet und haben dann rausgefunden, dass es hier in der Nähe brennt. Vor dem Haus war unsere ganze Straße voll mit Autos. Wir hatten keinen Strom mehr, unsere ganze Straße war voll mit Autos. Wir haben uns gefragt, was denn jetzt los sei und wohin die alle wollten?”

Liskey und ihr Mann waren überrascht- es waren weder Feuerwehr noch Polizei zu sehen. Auch gab es keine Warnungen und Aufrufe zur Evakuierung. Sie wollten dennoch auf Nummer sicher gehen. Birgit Liskey packte ein paar Sachen in einen Rucksack, etwas Futter, Wasser und eine Decke für die beiden Hunde. Die Familienkatze konnten sie bei ihrem spontanen Aufbruch nicht finden. „Dann sind wir losgefahren, ich arbeite ungefähr zehn Minuten von hier in einer Tierklinik und wir hatten vor, dass wir unsere Hunde dort abgeben. Auch da war kein Strom mehr.“

„Euer Haus steht nicht mehr“

Die beiden halfen in diesen dramatischen Nachtstunden, die Tierklinik zu evakuieren. Mit ihrem Auto brachten sie Hunde, Katzen und andere Tiere in eine Notfallklinik im benachbarten Rohnert Park. „Bis wir fertig waren, da war es 6 Uhr morgens. Da bekamen wir einen Anruf von der Behörde: „Euer Haus steht nicht mehr.“ Wir sind um halb drei morgens aufgebrochen und um drei war alles weg. Alles abgebrannt.“ Nach zwei Tagen durften sie zurückkommen. „Du gehst da rein und da ist alles Asche. Alles ist nur flach. Du hast irgendwie keine Gefühle. Du schaust dir das nur an und denkst dir, das ist so unwirklich...“ Nichts war mehr da. Die Autos waren in der Hitze der Flammen geschmolzen. Das Holzhaus, bis auf das Beton-Fundament, mit allem darin, war verbrannt.

Kalifornien – da denken viele vor allem an Strand, Sonne und Palmen. Doch tatsächlich sind große Teile des Landes mit Wald bedeckt. Kaliforniens Wälder sind zusammen so groß wie eineinhalb Mal die Fläche von Österreich. 60 Prozent davon sind im öffentlichen Besitz, kontrolliert von der nationalen Forstbehörde, den Nationalparks, vom Staat Kalifornien oder den Bezirken. 40 Prozent des Waldes im Golden State sind in Privathand. Dass die Brände in Kalifornien heute so verheerende Ausmaße angenommen haben, liegt sicherlich auch am Klimawandel. Es hat aber auch viel mit Fehlern in der bisherigen Forstwirtschaft zu tun – und absurderweise damit, dass das Feuer in Kalifornien zu lange unterdrückt wurde.

Es gab nach der Gründung der nationalen Forstbehörde vor über 100 Jahren die sogenannte 10 Uhr Regel”, die besagte, dass bis zum nächsten Morgen um 10 das Feuer gelöscht sein musste, mit allen verfügbaren Mitteln. Mit anderen Worten, das Feuer durfte nicht kontrolliert ausbrennen. Als man in den 1970er Jahren damit aufhörte, war es bereits zu spät.

Die Verantwortung für die Wälder wurde hin- und hergeschoben, von Kalifornien auf die Bundesbehörden im fernen Washington und von dort wieder zurück. Eine Politik, die das Problem zu lange ignorierte, fehlende Bauregulierung, die die zunehmende Zersiedelung der Natur und der Wälder nicht verhinderte. Der Klimawandel kam dann noch obendrauf.

Im Sommer 2024 stehen weite Teile des Golden State erneut in Flammen. Und das, obwohl es in den letzten beiden Wintern sehr viel regnete, die Reservoirs, Seen und Flüsse wieder auf einen Normalstand gestiegen sind und es eigentlich nach den Feuerjahren 2019 und 2020 Änderungen hätte geben sollen. Doch das Problem im Westen der USA ist, dass es nach heftigem Niederschlag in den Wintermonaten mit einem Schlag heiß wird, heißer als früher. Üppig gewachsene Gräser, Sträucher und Unterholz trocknen aus, so entsteht noch viel mehr an „Fuel“, an Brennstoff für die Flammen.

Kampf mit Satelliten und KI

Tarek Zohdi, Direktor der „Fire Research Group“ an der University of California in Berkeley, hofft, dass man in Zukunft die Feuer gezielter mithilfe einer besseren Flächenüberwachung durch Satelliten und der künstlichen Intelligenz bekämpfen kann. In seinem Büro führt er an einem Computer einen „Digital Twin“ vor, ein genaues Abbild eines Feuers, das mit Daten gefüttert wird. „Nehmen wir ein brennendes Gebäude in einer Stadt als Beispiel. Die Frage ist da, wohin der Funkenflug gehen wird, wo das nächste Feuer entfacht werden könnte. Wird das zwei, drei Blocks oder vielleicht fünf Straßenblocks weiter sein? Man braucht also eine digitale Kopie der gesamten Stadt, um in der Lage zu sein, mit Daten wie Windbedingungen vor Ort bestimmen zu können, wo es weitere Feuer geben könnte, wo es also am besten erscheint, weitere Feuerwehrteams zu platzieren, die sofort reagieren und löschen können, bevor das zweite Feuer ausbricht.“

Tarek Zohdi weiß, dass die Datenlage und Dateneingabe bei einem Häuserbrand in einer Stadt deutlich überschaubarer und damit einfacher ist als bei einem Waldbrand in einem abgelegenen Gelände in der kalifornischen Wildnis. „Wir haben bei Waldbränden allerdings nicht den gleichen Grad an Datenerfassung. Wir wissen, dass wir die richtigen Modelle haben. Aber die Daten fehlen, um die Modelle mit den notwendigen Informationen zu füttern. Genau hier liegt das Dilemma.“

Waldbrände in abgelegenen Gegenden sind unübersichtlich. Windstärken können zwar gemessen werden, aber vieles weitere bleibt unklar, kann nur geschätzt werden. Expert:innen warnen davor, dass dieses Jahr zu einem katastrophalen Feuerjahr für Kalifornien werden wird. Im Hintergrund allerdings versucht man daraus zu lernen, um in Zukunft einen Schritt schneller bei der Brandbekämpfung zu werden.


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Infos und Quellen

Genese

Feuer in Kalifornien sind für Autor Arndt Peltner eine sehr persönliche Sache: Er muss nur aus dem Fenster seines Büros blicken und sieht den East Bay Regional Park vor sich. Ein riesiger Park am Rande von Oakland mit Redwoods (Mammutbäume), Eukalyptus-Bäumen und endlosen Wanderwegen. Ein wunderbares Naherholungsgebiet, doch gleichzeitig eine Waldfläche, die immer öfter an den sogenannten „Red Flag Days“ gesperrt wird - dann, wenn die Feuergefahr in der Region als „extrem“ eingestuft wird. Als der Autor vor 25 Jahren von Deutschland nach Kalifornien zog, wurde ihm erzählt, es gebe hier fünf Jahreszeiten. Frühling, Sommer, Herbst, Winter -und dann noch die „Fireseason“: die Wochen und Monate nach einem heißen Sommer, wenn aus dem Landesinneren kommend heftige, trockene Winde, schon die kleinsten Funken und Flammen anheizen können. Peltner hat schon öfters darüber nachgedacht, was er im Falle einer Evakuierung mitnehmen würde, wichtige Dokumente liegen stets griffbereit. „Man hat hier gelernt, mit der Feuergefahr zu leben", so Peltner.

Gesprächspartner:innen

  • Kathie Schmid und Birgit Liskey können sich noch genau an die dramatischen Ereignisse des Jahres 2017 erinnern. Sie haben Reporter Peltner umfangreich berichtet.

  • Brandinspektorin Cindy Foreman und Tarek Zohdi, Direktor der „Fire Research Group“ an der University of California in Berkeley, haben Peltner über die Bedrohung und über neue Methoden bei der Brandbekämpfung aufgeklärt.

Daten und Fakten

  • In Kalifornien hat das Park „Fire" im August 2024 mehr als 1.700 Quadratkilometer Land zerstört.

  • Waldbrände haben zwischen März 2023 und Februar 2024 weltweit 8,6 Millionen Tonnen Kohlendioxid freigesetzt.

  • Zuletzt tobten im Südosten Brasiliens verheerende Brände. Die Regierung des Bundesstaats São Paulo rief in 45 Gemeinden den Notstand aus. Insgesamt mehr als 15.000 hauptamtliche und freiwillige Einsatzkräfte bekämpften die Flammen.

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