Schlankheitsideale sind wieder auf dem Vormarsch. Die „Body Positivity“-Bewegung wollte sich dem entgegensetzen. Doch was wurde daraus? Ein Gespräch mit der Kulturwissenschaftlerin Elisabeth Lechner.
Es hat den Anschein, als ob es um die „Body Positivity“- und „Body Neutrality“-Aktivistinnen still geworden ist. Die beiden Bewegungen kämpften während Pandemie-Zeiten unter dem Motto, dass jeder Körper schön sei. Sie wollten ihn von kapitalistischen und patriarchalen Normen befreien. Doch der Schönheitsdruck per Smartphone-Glamour-Filter nimmt zu. Haben die Gegenbewegungen versagt? Was passiert gerade? Die WZ geht diesen Fragen auf den Grund und sprach mit Elisabeth Lechner, Kulturwissenschaftlerin und Autorin von „Riot, don’t diet“.
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Was ist Schönheit in deinen Augen?
Persönlich oder analytisch?
Beides.
Schönheit hat sich in unterschiedlichen Teilen der Welt unterschiedlich entwickelt. Wenn man sich in unserer Popkultur und in den Mainstream-Medien umschaut, ist ein schöner Körper ein Frauenkörper, meistens jung, schlank und weiß – oder eine kommerziell verträgliche Form von „nicht-weiß“. Dieser Körper hat keine Behinderung, keine unerwünschte Behaarung. Frauenkörper erreichen dann leicht Sichtbarkeit in unserer Gesellschaft, wenn sie eben jung, weiß, dünn, fit sind. Mit diesen Körpern – oder auch Versatzstücken davon – kann man Produkte und Dienstleistungen verkaufen. Wenn aber der Körper nicht dieser Norm entspricht oder sogar so frech ist, mehr sein zu wollen als ein Körper und dazu noch gehört werden will, was er zu sagen hat, dann kommt schnell sehr viel Gegenwind. Diese normative Schönheit hat viel mit Profitinteressen zu tun. Körperlichkeit beinhaltet auch das, was wir gemeinhin mit Ekel assoziieren: Schweiß, Geburt und Sterben. Diese werden in diesem Schönheitsideal komplett entfernt und ein vermarktbares Ideal wird geschaffen.
Jung, weiß, dünn, fit: Mit diesen Körpern kann man Produkte verkaufen.Elisabeth Lechner
Das war die analytische Sichtweise. Was empfindest du persönlich als schön, nachdem du dich von Berufs wegen mit der analytischen Sichtweise beschäftigst?
Das geht weit über das Körperliche hinaus. Ich finde Menschen sehr beeindruckend und schön, die sich für Dinge einsetzen, etwa die Klimaaktivist:innen. Ihnen ist es egal, ob ihr Gesicht auf einem Foto verzerrt ist. Schönheit bedeutet für mich ungestellte Authentizität, miteinander im Moment präsent sein können.
Mit der „Plus Size“- und „Body Positivity“-Bewegung haben unterschiedliche Körperformen eine Sichtbarkeit erhalten.
Ja, aber auch da – Stichwort „Fat Padding“ – ist der Bauch annähernd flach und das Gesicht wirkt schlank. Eine perfekte Sanduhrfigur bekommt sehr viel mehr Sichtbarkeit als andere Körpertypen.
Schönheit ist gerade wieder in aller Munde!Elisabeth Lechner
2019/20 ist der „Body Positivity“- und „Body Neutrality“-Trend vermehrt in den Medien gewesen. Da ist auch dein Buch „Riot, don`t diet“ herausgekommen. Jetzt hat es den Anschein, als wäre es still geworden. Was ist passiert?
Ist das dein Eindruck?
Nicht nur meiner.
Naja. Also ich finde, Schönheit ist gerade wieder in aller Munde, weil die neuen Bücher von Sophie Passmann „Pick me Girls“ und Moshtari Hilal „Hässlichkeit“ vielfach diskutiert werden. Aber davor, da gebe ich dir Recht, wurde „Body Positivity“ als Trend bezeichnet, der wieder vorbei ist.
Woran liegt das?
Wir haben es mit zweierlei Entwicklungen zu tun. Einerseits damit, dass für das Abnehmen ein Diabetesmittel auf den Markt gekommen ist. Das hat dazu geführt, dass in Hollywood ganz viele Stars ganz krass Gewicht verloren haben. Auch jene, die für ein inklusiveres Körperbild gestanden sind, wie etwa Kim Kardashian, die sich für eine Met-Gala in ein Kleid von Marilyn Monroe reingehungert hat. Im Nachhinein ist herausgekommen, dass sie dieses Diabetesmittel genommen hat. Der Trend hat dazu geführt, dass es Engpässe für Diabetiker:innen gab.
In Hollywood haben ganz viele Stars ganz krass Gewicht verloren.Elisabeth Lechner
Alles im Namen der Schönheit.
Man weiß überhaupt nicht, welche Auswirkungen dieses Medikament für gesunde Menschen hat. Und wenn man damit wieder aufhört, dann stellen sich die ursprünglichen Körperprozesse und damit auch die ursprüngliche Körperform wieder ein.
Und die zweite Entwicklung?
Der Trend zum schlankeren Ideal hat auch viel mit besseren Filtern und KI-Anwendungen zu tun – wie der Bold-Glamour-Filter: dicke Lippen, schlankes Gesicht, hohe Wangenknochen.
Und mit diesen Bildern von Social Media geht es dann zum Schönheitschirurgen?
Mitunter wird das Gesicht entsprechend angepasst. Meiner Meinung nach werden diese Eingriffe mit den medizinischen Fachausdrücken wie „exzisieren“ weniger gruselig dargestellt, als sie tatsächlich sind: Buccal fat removal zum Beispiel. Da wird gesundes Gewebe aus der Wange herausgeschnitten.
Ich halte nichts von einem passiven Bild von Medienkonsum.Elisabeth Lechner
Sind diese OPs aus der Verwendung des Filters heraus entstanden? Oder umgekehrt?
Ich würde da keinen Einbahnstraßen-Zusammenhang sehen. Ich halte nichts von einem passiven Bild von Medienkonsum, denn wir verwenden Soziale Medien ja nicht ohne sozialen Kontext (Zusammenhang, Anm.) und potenziell durchaus auch widerständig. Man muss sehr aufpassen, dass man nicht in ein kulturpessimistisches Einbahnstraßen-Modell von Mediennutzung reinrutscht.
Vermutlich liegt es auch daran, dass man heute unzählige Selfies von sich machen kann und damit ständig mit seinem Aussehen konfrontiert ist?
Man muss sich vergegenwärtigen, was gerade an Präsenz von Bildern abgeht, die geteilt werden, und somit zur Debatte stehen. Während der Pandemie hatte man sich selbst bei Videokonferenzen immer im Blick. Das Ziel von Kommunikation wäre eigentlich etwas übermitteln, fühlen und sich austauschen. Das digitale Pandemie-Leben war genau das Gegenteil: sehen und gesehen werden. Einerseits spielen Visualität und unser zu optimierendes Aussehen eine immer größere Rolle. Auf der anderen Seite würde ich sagen, dass auch der Widerstand stärker geworden ist. Also der Schönheitsdruck hat zugenommen, aber die „Body Positivity“-Bewegung hat sehr wohl in der Mainstream-Popkultur zu Veränderungen geführt. Das würde ich ganz stark verteidigen.
Ist der gehypte Barbie-Film ein Rückschritt für die – ich nenne sie jetzt salopp einmal so – Schönheitsideal-Widerstandskämpfer:innen?
Dieser Film ist genau mein Thema – Popfeminismus und Körperbilder. Ich habe ihn schon dreimal im Kino gesehen. Wenn man Barbie in Hinblick auf die Klimakrise sieht, ist sie eine aus Rohöl bestehende Wegwerfpuppe, die dem Klima und unseren Vorstellungen von Schönheit schadet. Ich war wild entschlossen, diesen Film in Grund und Boden zu kritisieren. Aber wenn man den Rahmen festlegt, also für gegeben annimmt, dass es sich um einen Werbefilm von Mattel handelt, und man sich darauf einlässt, den kulturellen Text zu lesen, dann ist es ein toller Film, der extrem viele Referenzen enthält.
Welche zum Beispiel?
Der Monolog der Gloria, die über die Rolle der Frau im Patriachat spricht beispielsweise. Er hat starke Reaktionen im Kinosaal hervorgerufen. Gloria spricht darüber, was Frauen alles unter einen Hut zu bringen haben, und dass das einfach nicht zu schaffen ist. In meiner Jugend gab es Filme wie „Plötzlich Prinzessin“, die Make-Over-Logiken und Konkurrenz auszeichnen, und keinen feministischen Monolog. Dennoch ist es ein ambivalenter Film, weil er eben Werbung für diese 08/15-Schönheit ist, erweitert um eine Profit-Version von Diversität. Es gibt im Barbieland keine Care-Arbeit (Altenbetreuung, Kinderobsorge etc, Anm), also bleibt die Patriarchatskritik eher performativ, denn darum drehen sich feministische Kämpfe im Kern. Und wenn es thematisch zu schwierig werden könnte, driftet der Film in die Comedy und in die Puppenhaftigkeit der Protagonistinnen ab.
Die Strukturen dahinter bleiben so dickenfeindlich wie eh und je.Elisabeth Lechner
Um zu Body Positivity zurückzukommen. Ist sie weniger wahrnehmbar?
Ja, ich glaube schon. Aber eine kommerzielle Form von Vielfalt ist im Mainstream angekommen. Heidi Klum mit der Castingshow „Germanys Next Topmodel“ ist ein gutes Beispiel dafür. Sie schreit seit drei Jahren: „Diversity is trend.“ Auf einer oberflächlichen Ebene sehen wir jetzt unterschiedliche Körper, alle immer noch total normschön, aber unterschiedlich. Immerhin. Aber die Strukturen dahinter bleiben so dickenfeindlich wie eh und je.
Warum möchte mann/frau unbedingt diesen Schönheitsnormen entsprechen?
Weil empirische Studien belegen, dass jene Menschen, die als hässlich oder im schlimmsten Fall gar eklig gelten, in unserem lookistischen System, das Menschen aufgrund des Äußeren einteilt, krasse Nachteile haben. Sie verdienen weniger Geld, sie haben es schwer, überhaupt einen Job zu bekommen, sie haben, wenn es um dicke Menschen geht, eine schlechtere Gesundheitsversorgung. Es gibt sogar geringere Strafen vor Gericht für schönere Menschen. Also jene, die der Norm nicht entsprechen, sind ihr Leben lang mit Vorurteilen konfrontiert. Wer als „hässlich“ oder gar „eklig “ gilt, ist schnell Objekt und nicht mehr Mensch – und damit auch leichter von Gewalt bedroht.
Wie bekommt man diese Vorurteile aus den Köpfen der Menschen? Du schreibst in deinem Buch, dass es dafür eine Schönheitsrevolution braucht.
Erkennen, dass wir ein massives Problem haben, Betroffenen zuhören und gemeinsam darauf hinarbeiten, dass es zu einer Wende kommen kann. Und das bedeutet hinterfragen, was wir an Körperbildern gelernt haben. Eine Schönheitsrevolution mag utopisch klingen, aber sie hat schon begonnen.
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Infos und Quellen
Gesprächspartnerin
Elisabeth Lechner ist Kulturwissenschaftlerin und hat zu „ekligen“ weiblichen Körpern und „Body Positivity“ an der Universität Wien promoviert. Sie forscht an der Schnittstelle von Popkultur-Studien, feministischer Medienwissenschaft, Affect und Body Studies, publiziert wissenschaftlich und essayistisch und gibt Workshops zu Medienkompetenz, Feminismus, Body Positivity, Body Shaming und Lookismus. Sie arbeitet als Referentin im Büro für digitale Agenden der Arbeiterkammer Wien.
Daten und Fakten
„Body Positivity“: Das Motto dieser Bewegung ist „alle Körper sind schön“ und bezieht sich — wie fälschlicherweise oft geglaubt — nicht nur auf Übergewichtige, sondern macht sich für alle Körper stark, für Diversität und soziale Gerechtigkeit.
„Body Neutrality“: Die Aktivist:innen und Influencer:innen dieser Bewegung kritisieren den Ansatz der „Body Positivity“-Bewegung mit der Begründung, dass man hier wieder den Körper in den Mittelpunkt stellt. „Body Neutrality“ hingegen bedeutet, dem eigenen Körper gegenüber neutral zu sein, ihn weder positiv noch negativ zu bewerten.
Unter „Plus Size“ versteht man Kleidergrößen ab 38, meistens haben Models Größe 34 bis 36. „Size Zero“ nennt man die Größen 32 bis 34.
„Fat Padding“: Brüste und Gesäß werden in Kleidungsstücken ausgestopft, um eine üppige Sanduhr-Silhouette optisch zu erreichen.