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Warum wird die Redefreiheit zum Geschäft?

4 Min
Mit dem „Digital Services Act” will die EU-Kommission gegen Falschinformationen auf X vorgehen.
© Illustration: WZ, Bildquelle: Adobe Stock

Elon Musk, Mark Zuckerberg und Pavel Durov: Was wir auf Social-Media-Plattformen sehen, haben männliche Milliardäre in der Hand. Das wird zunehmend problematischer.


Der Name war bis vor einer Woche wenig bekannt: Pavel Durov, Geschäftsführer des Nachrichtendienstes Telegram. Es ist nicht sein erstes Startup, 2006 gründete er das als „russisches Facebook“ bezeichnete Vkontakte. 2013 verließ er Russland, weil er sich weigerte, Daten von ukrainischen Nutzer:innen an die Behörden zu liefern. Zu dieser Zeit startete er Telegram – einen Dienst, der die Privatsphäre und vor Überwachung schützen sollte.

Warum der Telegram-Chef verhaftet wurde

Ende August wurde Durov in Frankreich verhaftet, weil die Behörden gegen kriminelle Aktivitäten auf dem Messenger ermitteln: Geldwäsche, Kindesmissbrauch und Betrug. Für die französischen Ermittler:innen war Telegram nicht kooperativ genug. Das Unternehmen beteuert, dass man sich an die Gesetze der EU halte und der CEO nichts zu verbergen habe.

Mit Durovs Verhaftung werden die Rufe nach freier Meinungsäußerung laut, zu den Unterstützern des Gründers zählt Elon Musk. Wie Durov steht auch der Eigentümer von X, vormals Twitter, für die Inhalte auf seiner Plattform laufend unter Kritik – besonders von der EU. Im Rahmen des sogenannten „Digital Services Act” will die EU-Kommission gegen Falschinformationen auf dem Portal vorgehen. Gefälschte Inhalte kommen aber nicht nur von den Nutzer:innen des kaum moderierten Nachrichtendienstes, im Juli teilte Musk selbst ein durch Künstliche Intelligenz manipuliertes Video der US-Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris.

Platz für Verschwörungstheorien und Kriminalität

X hat in der EU knapp 106 Millionen Nutzer:innen, Tendenz sinkend. Telegram zählt eigenen Angaben zufolge mehr als 900 Millionen Nutzer:innen weltweit, davon 41 Millionen in der EU. Weil der Dienst mehr Privatsphäre und Anonymität als Mitbewerber wie WhatsApp verspricht, versammeln sich in den Nachrichtengruppen teilweise hunderttausende Nutzer:innen. In der Pandemie bekam Telegram den Ruf als Community für Verschwörungstheoretiker:innen und Rechtsextreme, und auch organisierte Kriminalität nimmt laut den Ermittlungen einen großen Platz dort ein.

Ein Problem, das alle großen Plattformen teilen: Facebook, YouTube und TikTok genauso wie Telegram und X. Facebook-Eigentümer Meta ist als börsennotierter Konzern berichtspflichtig und nimmt die drohenden Strafen der EU-Kommission ernster als die Konkurrenz, da eine Strafzahlung in Milliardenhöhe nicht zuletzt auch Investor:innen verärgern würde. X hingegen ist seit der Übernahme durch Elon Musk nicht mehr börsennotiert, und der alleinige Eigentümer kündigt einen „öffentlichen Kampf vor Gericht“ an, sollte die EU-Kommission die Plattform tatsächlich abstrafen wollen. Telegram wiederum strebt einen Börsengang an und macht eigenen Angaben zufolge „hunderte Millionen US-Dollar“ Umsatz mit Bezahlabos und Werbung. Mit der Verantwortung gegenüber der Börsenaufsicht und Anleger:innen könnte es schwieriger werden, kriminelle Aktivitäten mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung zu argumentieren.

Plattformbetreiber in der Verantwortung

Durov wurde mittlerweile gegen eine Kaution in Höhe von fünf Millionen Euro freigelassen, er darf Frankreich jedoch nicht verlassen und wird wegen sechs illegaler Aktivitäten auf Telegram angeklagt. Die EU-Kommission betont, nicht bei der Verhaftung von Pavel Durov involviert zu sein. Im Rahmen des Digital Services Act, der mehr Schutz und Rechte für die Nutzer:innen durchsetzen soll, drohen Konzernen in den nächsten Monaten und Jahren Strafen in Milliardenhöhe.

Die Festnahme des Telegram-Geschäftsführers ist ein Signal dafür, dass die Betreiber der großen Plattformen im Netz sich künftig mehr für die Inhalte verantworten müssen. Der Fall liefert aber auch Elon Musk und weiteren Unterstützern, die aus dem rechten Umfeld kommen, Stoff für ihren Kampf gegen Regulierungen. Fällt das Teilen von Kinderpornografie unter Redefreiheit? Ist das Verbot von KI-manipulierten Bildern und Videos Zensur? Über solche Fragen wird in den nächsten Jahren vor Gericht gestritten. Doch selbst wenn es juristische Entscheidungen und Regelwerke gibt: Das Internet bietet noch immer genug Platz für Grauzonen und einen rechtsfreien Raum, der von mächtigen Milliardären zumindest eine Zeit lang geschützt wird. Für Nutzer:innen bedeutet das, weiterhin vorsichtig beim Teilen von Inhalten und Daten zu sein, denn die Plattformbetreiber haben nicht unbedingt die Interessen ihrer User:innen als Priorität.

Elisabeth Oberndorfer schreibt jede Woche eine Kolumne zum Thema Ökonomie. Alle Texte findet ihr auch in ihrem Autor:innenprofil.


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Infos und Quellen

Daten und Fakten

  • Telegram hat eigenen Angaben zufolge mehr als 900 Millionen Nutzer:innen, mehr als 40 Millionen davon in der EU

  • Frankreich wirft Telegram und seinem Gründer Pavel Durov vor, organisierte Kriminalität in den Messenger-Gruppen zuzulassen

  • Währenddessen versucht die EU-Kommission, den Digital Services Act mit Milliardenstrafen durchzusetzen

Quellen

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