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Was macht eigentlich der Nationalratspräsident?

7 Min
Nationalratspräsident:innen sind das Gesicht des Parlaments und vertreten es als Repräsentant:innen nach außen.
© Illustration: WZ, Fotocredit: IMAGO/Rudolf Gigler via Reuters Connect

Das zweithöchste Amt der Republik wird nach der Ankündigung von Wolfgang Sobotka, nicht mehr zu kandidieren, im Herbst frei. Was der/die Nachfolger:in können muss, und warum der Anspruch der stimmenstärksten Partei auf das Amt nicht fix ist.


„Jössas, a Weib!“ Ob in der heutigen Zeit ein Nationalratspräsident sein Amt behalten könnte, wenn er so auf eine weibliche Kollegin im dreiköpfigen Präsidium reagiert? 1986 ging das problemlos. Der Sager entfuhr der Überlieferung nach dem damaligen SPÖ-Nationalratspräsidenten Anton Benya, als er erfuhr, dass die ÖVP Marga Hubinek als Zweite Präsidentin nominieren würde. Eine Frau in Reichweite des zweithöchsten Amtes im Staat? Das war nicht nur für Benya damals undenkbar.

Nicht abwählbar

Was heute wie damals gilt: Abwählbar ist der oder die Nationalratspräsident:in auch bei noch so groben Vergehen nicht. Ein:e Nationalratspräsident:in kann sich noch so danebenbenehmen – wenn er oder sie das Amt nicht freiwillig zurücklegt, ist es bis zur nächsten Nationalratswahl seines bzw. ihres. Einzige Ausnahme: ein Mandatsverlust wegen einer strafrechtlichen Verurteilung zu einer Haftstrafe von mindestens einem Jahr.

Nicht nur einmal haben die Oppositionsparteien seit dem Antritt des amtierenden Nationalratspräsidenten Wolfgang Sobotka (ÖVP) aus unterschiedlichsten Anlässen dessen Rücktritt gefordert. Der Niederösterreicher blieb, mit Rückendeckung seiner Partei, standhaft. Vor dem anlaufenden Nationalratswahlkampf hat Sobotka nun sein politisches Ende angekündigt. Er kandidiert im September nicht mehr.

Wir bekommen eine:n neue:n Nationalratspräsident:in

Damit steht fest: Das Parlament bekommt nach der Wahl am 29. September eine:n neue:n Nationalratspräsident:in. Was wohl auch der Fall gewesen wäre, hätte Sobotka erneut für die Volkspartei kandidiert. Denn die Besetzung dieses Amts steht traditionell der stimmenstärksten Partei zu – und in allen Umfragen der letzten Monate ist das die FPÖ.

Damit sind wir mittendrin in den Details rund um die Rolle des/der Nationalratspräsident:in. Das Nominierungsrecht ist nämlich kein gesetzlich festgelegtes. In der Geschäftsordnung des Nationalrats steht lediglich, dass die drei Präsident:innen in der konstituierenden Sitzung – das ist die erste nach einer Nationalratswahl – von den Abgeordneten „aus ihrer Mitte“ gewählt werden. Dass die drei stimmenstärksten Parteien die drei Präsidiumsposten besetzen, ist eine „Usance“ – so nennt man eine Gepflogenheit im Parlament, die gelebte Praxis ist. Gelingt es der FPÖ im Herbst wie bei der EU-Wahl am 9. Juni, Platz eins zu erringen, würde das erstmals – sofern die anderen Parteien nicht mit Gepflogenheiten brechen – eine:n blaue:n Nationalratspräsident:in bedeuten.

Immer wieder wurden die Usancen allerdings auch schon hinterfragt. Etwa, als die FPÖ 2008 Martin Graf als Dritten Nationalratspräsidenten nominierte – der Burschenschafter galt vielen Abgeordneten als zu rechts. Letztlich bekam er aber doch eine Mehrheit. Nach der Nominierung müssen die Kandidat:innen von den 183 Abgeordneten mit einfacher Mehrheit in ihr Amt gewählt werden.

Und warum wird um den Posten so viel Aufhebens gemacht, wenn der Nationalrat ein Kollegialorgan ist und alle Beschlüsse nur mehrheitlich fassen kann? Nun, der oder die Nationalratspräsident:in hat schon eine besondere Rolle. Zum einen ist er/sie das Gesicht des Parlaments und vertritt es als Repräsentant:in nach außen. Da sollte die Person schon ein gewisses Auftreten haben. Sobotka wurde im Plenum häufig für seine emotionalen Ausbrüche kritisiert. Nicht auf seinem Platz als Sitzungsleiter, aber wenn er aus der Präsidentenrolle zurück in die Abgeordnetenrolle schlüpfte, ließ er sich bisweilen zu durchaus deftigen Zwischenrufen hinreißen. Die Vorsitzführung während der Plenarsitzungen und deren Vorbereitung im Hinblick etwa auf die Tagesordnung ist eine der wichtigsten Aufgaben des/der Nationalratspräsident:in. Er/sie teilt sich das mit dem/der Zweiten und Dritten Nationalratspräsident:in aber auf – und wer gerade nicht Vorsitz führt, sitzt auf seinem angestammten Platz in den Abgeordnetenreihen.

Viele Verwaltungsaufgaben

Kern der Aufgabe ist es, Herr:in der Bürokratie im Hohen Haus zu sein. Der frühere Nationalratspräsident Andreas Khol (ÖVP) vergleicht den Parlamentsbetrieb „mit einem kleinen Ministerium, sicher größer als das Frauenministerium“. Damit hat der/die Nationalratspräsident:in eine Doppelrolle: Er/sie ist einerseits oberstes Organ des politischen Gremiums, andererseits aber auch Chef:in der Parlamentsverwaltung. Von der „Organisation der Sitzungen über die Administration des Hauses, die Arbeitsmöglichkeiten der Abgeordneten oder den Besucherdienst, es sind viele Verwaltungsaufgaben, die aber sehr schön sind“, sagt Khol. Im Alltag übernimmt viele dieser organisatorischen Abläufe die Parlamentsdirektion, der/die Chef:in untersteht dem/der Nationalratspräsident:in. Wie das derzeit im Detail abläuft, hat Parlamentsdirektor Harald Dossi in diesem Teil der Serie erklärt.

In Nationalratssitzungen hat der/die Präsident:in bei strittigen Fragen rund um die Geschäftsordnung das letzte Wort, in der Regel fallen Entscheidungen aber im Konsens der Präsidiale. Sofort und im Alleingang handelt der/die sitzungsführende Präsident:in, wenn Abgeordnete in ihren Wortmeldungen die Würde des Hohen Hauses verletzen: Dann erteilt er/sie einen Ordnungsruf.

Vorsitzende:r von Untersuchungsausschüssen

Ebenfalls allein im Fokus stehen Nationalratspräsident:innen als Vorsitzende von Untersuchungsausschüssen. Für Khol ist dieser Part der U-Ausschussreform „fehlgeschlagen, denn das führt zwangsläufig dazu, dass der oder die Präsident:in in Konflikte oder unter den Vorwurf der Parteilichkeit gerät. Das schmälert seine Möglichkeiten, in der Präsidialkonferenz ausgleichend zu wirken“. Genau das hat man bei Sobotka in den vergangenen U-Ausschüssen erlebt: Weil sich viele der untersuchten Vorwürfe um die ÖVP drehten und bei manchen sogar Sobotka selbst im Zentrum stand, forderte die Opposition mehrmals seinen Verzicht auf die Vorsitzrolle. Zunächst lehnte Sobotka mit Verweis auf die Geschäftsordnung, die das nicht vorsieht, ab, zuletzt ließ er sich aber vertreten. Khol hält eine Änderung für angebracht: „Man hätte gleich den ganzen Weg gehen sollen, und die Verfahrensrichter nicht nur stärken, sondern ihnen den Vorsitz übertragen sollen“, sagt er.

Vertretung des/der Bundespräsident:in

Die größte Macht kann der/die Nationalratspräsident:in nur im Kollegium entfalten. Zu dritt ist das Nationalratspräsidium als Vertretung des/der Bundespräsident:in bestimmt – wenn diese:r verhindert ist oder im Fall seines/ihres Todes während der Amtszeit. Beides ist bereits vorgekommen: 2004 verstarb Thomas Klestil wenige Stunden vor der Angelobung seines Nachfolgers in der Hofburg, Heinz Fischer. 2016/17 dauerte die präsidiale Vertretung durch das Nationalratspräsidium länger: Ganze 202 Tage, da die Bundespräsidentenwahl vom Verfassungsgerichtshof im Juli aufgehoben worden war, im Oktober fand die Wahlwiederholung statt, im Jänner wurde Wahlsieger Alexander Van der Bellen angelobt.

Was muss ein:e Nationalratspräsident:in an Befähigungen mitbringen? Auch bei den anderen Parteien hoch geschätzt waren Khol oder sein Vorgänger Heinz Fischer (SPÖ) unter anderem deshalb, weil sie vor Übernahme des Amts beide langjährige Parlamentarier waren. Wer mit den Usancen des Hohen Hauses vertraut ist, hat einen Startvorteil. Khol selbst sagt über die Anforderungen: „Wenn man Jurist ist, ist das schon ein großer Vorteil. Humor sollte man haben und die Fähigkeit zu Diplomatie braucht es. Wenn jemand sehr stark polarisiert, ist es schwierig. Und Fremdsprachenkenntnisse schaden auch nicht.“

Sobotka war ein Rookie: Davor Innenminister und langjähriger Finanzlandesrat in Niederösterreich, übernahm er das Amt 2017 nach seinem Wechsel in den Nationalrat – mit nur 61,3 Prozent Zustimmung. Noch mehr Kritik einstecken musste die ÖVP freilich für seine Vorgängerin, die nach erfolgreichem Abschluss der türkis-blauen Koalitionsverhandlungen vom Chefposten im Hohen Haus in ein Ministeramt wechselte, was die Opposition antizipiert hatte. Damit war Elisabeth Köstinger mit nur zwei Monaten kürzestdienende Nationalratspräsidentin – Was Benya wohl dazu gesagt hätte? Er ist mit 15 Jahren Amtszeit jedenfalls Rekordhalter.

In der Serie „Was macht eigentlich ein:e…?“ beschreibt Jasmin Bürger alle zwei Wochen die Schaltstellen der Republik. Alle Texte findet ihr in ihrem Autor:innenporträt.


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Infos und Quellen

Gesprächspartner

  • Andreas Khol, Nationalratspräsident von 2002 bis 2006

Daten und Fakten

  • Die 183 Abgeordneten des Nationalrats wählen in der konstituierenden Sitzung „aus ihrer Mitte“ mit einfacher Mehrheit die Mitglieder des Präsidiums. Der/die Nationalratspräsident:in und Zweite:r und Dritte:r Präsident:in bilden als Kollegium das Nationalratspräsidum. Welche Aufgaben sie als Kollegium wahrnehmen, ist in der Bundesverfassung geregelt. Nicht formal geregelt ist, dass die stimmenstärkste Partei aus ihrem Kreis jemanden für die Wahl zum/zur Präsident:in vorschlägt, das gehört zu den parlamentarischen Usancen. Die Aufgaben sind in der Verfassung und der Geschäftsordnung des Nationalrats geregelt.

    Die bisherigen Nationalratspäsident:innen der Zweiten Republik:

  • Wolfgang Sobotka, ÖVP, 2017 – 2024

  • Elisabeth Köstinger, ÖVP, September 2017 – Dezember 2017

  • Doris Bures, SPÖ, 2014 – 2017

  • Barbara Prammer, SPÖ, 2006 – 2014, im Amt verstorben

  • Andreas Khol, ÖVP, 2002 – 2004

  • Heinz Fischer, SPÖ, 1990 – 2002

  • Rudolf Pöder, SPÖ, 1989 – 1990

  • Leopold Gratz, SPÖ, 1986 – 1989

  • Anton Benya, SPÖ, 1971 – 1986

  • Karl Waldbrunner, SPÖ, 1970 – 1971

  • Alfred Maleta, ÖVP, 1962 – 1970

  • Leopold Figl, ÖVP, 1959 – 1962

  • Felix Hurdes, ÖVP, 1953 – 1959

  • Leopold Kunschak, ÖVP, 1945 - 1953

Quellen

Das Thema in der WZ

Das Thema in anderen Medien