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Was macht eigentlich der oder die Bundeskanzler:in?

6 Min
In der Hierarchie der Republik ist der oder die Bundespräsident:in höchste:r Amtsträger:in, gefolgt vom Nationalratspräsidenten oder der Nationalratspräsidentin, ein:e Kanzler:in ist die Nummer drei im Staat.
© Illustration: WZ

Der oder die österreichische Bundeskanzler:in ist zwar Vorsitzende:r der Bundesregierung, kann den Minister:innen aber formal nichts vorschreiben. Woraus sich die Macht als Regierungschef:in ergibt und was er oder sie kann, darf – und was nicht.


Wer weiß aus dem Stand, wer derzeit Bundeskanzler ist? Es ist – nachdem Karl Nehammer wegen der gescheiterten Koalitionsverhandlungen zwischen ÖVP, SPÖ und Neos das Handtuch geworfen hat – Alexander Schallenberg. Er ist so etwas wie der Reserve-Bundeskanzler der Republik – schon nach Sebastian Kurz' Rückzug 2021 betraute ihn Bundespräsident Alexander Van der Bellen mit der Fortführung der Regierungsgeschäfte.

Der Außenminister und Ersatz-Kanzler ist einer der wenigen Politiker:innen, dem man glaubt, wenn er sagt, er habe dieses Amt nicht angestrebt, er sehe es als seine Pflicht am Staat an. FP-Chef Herbert Kickl ließ sich schon im Wahlkampf als „Volkskanzler“ plakatieren – er will den Job. Dazu hat die WZ ihre Leser:innen auf Social Media befragt, die Fragen hat Laurenz Ennser-Jedentastik in der 59. Folge von "Weiter gedacht" beantwortet. Welche Rechte, Pflichten und Möglichkeiten hat der Mann oder die Frau an der Spitze einer Regierung?

Die beschränkte Macht

Er oder sie ist zunächst einmal eine:r der wichtigsten Repräsentant:innen der Republik, und so bei einer Vielzahl offizieller Termine im In- und Ausland Veranstalter:in, Gastgeber:in oder Teilnehmer:in ist. 2025 stehen etwa besonders viele Republiksjubiläen an.

Im Regierungsalltag ist die Macht beschränkt: Die Bundesregierung fungiert zumeist als „Kollegialorgan“, trifft Entscheidungen also gemeinsam. Gemäß Regierungsabkommen bereiten die Minister:innen entsprechende Gesetzesentwürfe vor. Diese werden, bevor sie ins Parlament weitergeleitet werden, im Ministerrat abgesegnet – es gilt das Einstimmigkeitsprinzip. Anders ist das in Deutschland, wo der oder die Kanzler:in eine Richtlinienkompetenz und damit eine hervorgehobene Rolle in der Regierung hat. Auch in Dänemark oder Großbritannien sind Regierungschef:innen mit größerer Macht ausgestattet, wie Politikwissenschaftler Laurenz Ennser-Jedenastik sagt – sie können eigenständig Neuwahlen ausrufen.

Das kann ein:e heimische:r Bundeskanzler:in nicht. „Die Macht begründet sich weniger aus dem heraus, was in der Verfassung steht, sondern aus der Tatsache, dass er oder sie in der Regel Vorsitzende:r der stärksten Parlamentspartei ist. Das ist das, was politisch zählt“, sagt Ennser-Jedenastik. Weil die Zeiten von Alleinregierungen aber vorbei sind, ist ein:e Kanzler:in gut beraten ist, sich Verbündete im In- und Ausland zu suchen. Er oder sie ist sozusagen erste:r Werber:in für die Regierungsarbeit – je mehr Stakeholder im politischen Alltag den Anliegen einer Regierung positiv gegenüberstehen, umso leichter ist das Regieren. Das geht von Wirtschaftsvertreter:innen über die Player im Gesundheits- und Sozialsystem bis zur Zivilgesellschaft.

Ein:e Kanzler:in muss auch, wie es in der Politik so schön heißt, „das Ohr am Volk haben“ – wer nur Gespür für das eigene Wähler:innenklientel hat, aber nicht für gesamtgesellschaftliche Entwicklungen, hat die Aufgabe nicht verstanden. Im Presse-Newsletter verglich Oliver Pink es zuletzt mit der Rolle eines „Primus inter pares“, Autorität und Kommunikationsfähigkeit nannte er dabei als wichtige Voraussetzungen.

Die bisherige Vorherrschaft von ÖVP oder SPÖ im Kanzleramt (Ausnahme: Brigitte Bierlein) bedeutet, dass viele Stakeholder in der eigenen Partei saßen: Gewerkschaftsbund, Wirtschaftskammer, um nur zwei zu nennen. Wie sich das Verhältnis von Regierung und parteinahen Interessenvertreter:innen, aber auch parteiunabhängigen Institutionen unter einer Kanzler:innenschaft abseits von SPÖ und ÖVP verändern würde, ist schwer abzuschätzen. Für Ennser-Jedenastik ist aber ohnehin fraglich, „ob diese Institutionen eher Machterweiterung oder Machtbeschränkung sind. Oft sitzen da Leute, die etwas wollen oder sagen, was sie nicht wollen. Einem Kanzler Kickl wäre das wahrscheinlich egal.“ Die Verankerung der früheren Großparteien im Verwaltungsapparat dagegen sieht Ennser-Jedenastik „als Vorteil, der den anderen fehlt“.

Eine kanzler:innenlose Republik ist, wie lang es bis zu einer neuen Regierung auch dauert, nicht vorgesehen. „Es braucht immer jemanden, der die Regierungsgeschäfte führt“, sagt Ennser-Jedenastik. Und so spulte Schallenberg nach seiner Beauftragung das Mindest-Antrittsprogramm ab: Erklärung im Nationalrat, Antrittsbesuch in Brüssel. Nur der Ministerrat, die wöchentliche vom Kanzler oder der Kanzlerin geleitete Regierungssitzung, findet weiterhin nicht physisch statt – was zu beschließen ist, erfolgt via Umlaufbeschluss.

Wie die EU zum Minenfeld einer Regierung werden kann

Im Inland geht es also für den oder die Bundeskanzler:in darum, über die Umsetzung des eigenen Regierungsprogramms zu wachen und Stimmung dafür zu machen. Im Ausland ist die Vertretung in der EU die wichtigste Aufgabe. Was ein EU-kritischer Kickl bedeuten könnte, darüber wurde schon viel diskutiert. Fakt ist, dass die Gesetzgebung auf EU-Ebene von der EU-Kommission angestoßen und formal in den EU-Ministerräten beschlossen wird – und nicht im Europäischen Rat der Regierungschef:innen, wie Ennser-Jedenastik zu bedenken gibt. Fakt ist aber auch, dass die Staatschef:innen Leitlinien festlegen – und ein:e Kanzler:in hier weitgehend frei entscheiden kann.

Weitgehend deshalb, weil er oder sie ans Regierungsprogramm gebunden ist – schwerlich wird ein Koalitionspartner ein ständiges Abweichen von vereinbarten Grundlinien akzeptieren. Und weitgehend auch deshalb, weil das Parlament die Möglichkeit hat, Kanzler:in und Minister:innen in ihren Entscheidungen auf EU-Ebene zu binden. Möglich ist das im Hauptausschuss des Nationalrats und im EU-Ausschuss des Bundesrats. „Das passiert auch immer wieder, allerdings mit eher weichen Formulierungen. Man könnte aber auch ganz klar festlegen, dass etwa kein Veto gegen Sanktionen gegenüber Russland eingelegt werden darf“, sagt Ennser-Jedenastik. Von solchen Festlegungen dürfen Kanzler:in und Minister:innen freilich aus „zwingenden außen- und integrationspolitischen Gründen“ abweichen – realpolitisch würde aber auch ein solcher Fall wohl zum Koalitionsbruch führen.

Und wie endet eine Kanzler:innenschaft? Formal liegen Ernennung und Entlassung in den Händen des Bundespräsidenten oder der Bundespräsidentin. Eine Absetzung per Misstrauensvotum im Nationalrat musste Sebastian Kurz (ÖVP) 2019 hinnehmen – möglich ist auch eine Minister:innenanklage vor dem Verfassungsgerichtshof. Dass ein:e Bundeskanzler:in nach Neuwahlen automatisch ihren oder seinen Job los ist, dafür gibt es übrigens keine gesetzliche Bestimmung. Vielmehr wird er oder sie unbefristet bestellt. Die Einreichung der Demission der bisherigen Regierung gehört ebenso zu den Usancen wie der präsidiale Auftrag zur Fortführung der Geschäfte, bis eine neue Regierung steht. Und dann gibt es noch die Reservebank.

In der Serie „Was macht eigentlich ein:e…?“ beschreibt Jasmin Bürger alle zwei Wochen die Schaltstellen der Republik. Alle Texte findet ihr in ihrem Autor:innenporträt.


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Infos und Quellen

Gesprächspartner:innen

  • Laurenz Ennser-Jedenastik, Politikwissenschaftler

  • Hintergrundgespräche mit Mitarbeiter:innen im Umfeld früherer Kanzlerkabinette

Daten und Fakten

  • Der oder die Bundeskanzler:in steht laut Verfassung neben dem Bundespräsidenten oder der Bundespräsidentin an der Spitze der Verwaltung und ist Chef:in der Bundesregierung. Deren Aufgaben sind in der Bundesverfassung dargelegt.

  • Die Bundesregierung und ihre Mitglieder werden vom Bundespräsidenten oder der Bundespräsidentin ernannt.

  • In der Hierarchie der Republik ist der oder die Bundespräsident:in höchste:r Amtsträger:in, gefolgt vom Nationalratspräsidenten oder der Nationalratspräsidentin, ein:e Kanzler:in ist die Nummer drei im Staat.

  • Die Angaben darüber, wie viele Bundeskanzler:innen es in der Zweiten Republik gab, variieren – auf der Website des Bundeskanzleramts werden 18 Namen geführt – nicht enthalten in dieser Liste sind die nach Rücktritten für wenige Tage mit der Fortführung der Regierungsgeschäfte betrauten Minister Hartwig Löger (2019) und Reinhold Mitterlehner (2016), wohl aber der ebenfalls damit betraute Alexander Schallenberg (2021, 2025, alle ÖVP).

Quellen

Das Thema in der WZ

Das Thema in anderen Medien