Heute ein Wahrzeichen Wiens, war der Rathausmann ursprünglich ein Symbol aufkeimenden Aufbegehrens des Bürgertums gegen die Monarchie. Auch an anderen Gebäuden und Denkmälern lässt sich die Transformation zur demokratischen Republik nachvollziehen.
Ein stolzer Ritter mit Standarte und Bogen ist es, der am höchsten der fünf Türme des Wiener Rathauses thront. Mit ein wenig Fantasie und dem Wissen um seine Geschichte könnte man die Fahne auch als Mittelfinger deuten: Denn der Rathausmann ist ein kleiner Coup gegen niemand Geringeren als den Kaiser.
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Und das kam so: Der Platz, auf dem das Wiener Rathaus zwischen 1872 und 1883 erbaut wurde, diente als Exerzier- und Paradeplatz des kaiserlichen Militärs – und war dem damaligen Bürgermeister Cajetan Felder ein Dorn im Auge. Selbst in der Josefstadt wohnend, ärgerte ihn der Zustand des entweder staubigen oder schlammigen Platzes auf seinem Weg in die Stadt. Zunächst trickste er den Gemeinderat aus: Die Mehrheit wollte das neue Rathaus eigentlich beim Stadtpark erbaut sehen, und stimmte Felders Vorschlag nur zu, weil man dachte, Kaiser Franz Joseph I. würde seinen Paradeplatz nie räumen. Doch Felder hatte diesen längst informiert, neben dem Rathaus sollten auch Universität und Parlament das Bauensemble vervollständigen. Einzige Bedingung: Das Rathaus dürfe nicht höher sein als die Votivkirche. Die war zum Dank, dass der Kaiser das Attentat auf ihn am 18. Februar 1853 überlebt hatte, in den Jahren danach errichtet und 1879 geweiht worden.
Widerstand gegen den Kaiser
Mit 98 Metern wurde der Rathausturm pflichtgemäß niedriger als die Votivkirche geplant – um einen Meter. Nicht auf den Bauplänen fand sich der Rathausmann, wie Historiker Markus Langer im WZ-Gespräch sagt. Die Skulptur misst 3,4 Meter, mit Fahne gar 5,4 Meter. Das war also der Dank von Felder und Rathaus-Architekt Friedrich Schmidt für des Kaisers Gnaden. Und das, obwohl dieser mit der Bauerlaubnis „sichtbar ein bisschen Macht abgegeben hat“, so Langer. Er spricht bei der Aktion von „einer kleinen Rache des Bürgertums in Gestalt der gewählten Volksvertreter“ am Kaiser. Dass das Rathaus in neugotischem Stil errichtet wurde und damit der Votivkirche ähnelt, ist für ihn „auch ein deutliches Zeichen dieses Matches zwischen Bürgertum und Kaiser“.
Vielleicht als späte Rache am Kaiser mag man deuten, dass die demokratische Republik Österreich heute aus dem einstigen kaiserlichen Epizentrum regiert wird. Ein kurzer Spaziergang vom Rathaus durch den Volksgarten führt zum Ballhausplatz. Linkerhand findet sich das Bundeskanzleramt, gegenüber der Eingang zur Präsidentschaftskanzlei in der Hofburg.
Monarchische Machtzentrale
Das Kanzleramt war unter Kaiserin Maria Theresia der Hofkanzlei zugewiesen worden, später erledigten die Staatskanzler ihre Geschäfte von hier aus, das Gebäude ist Schauplatz zahlreicher bedeutender historischer Ereignisse (Wiener Kongress, Ermordung von Engelbert Dollfuß). Schon in der Ersten Republik ab 1918 hatten sowohl Bundeskanzler wie Bundespräsident im Kanzleramt residiert, das sollte zunächst auch nach Ende des Zweiten Weltkriegs und der Errichtung der Zweiten Republik seine Fortsetzung finden. Doch aufgrund von Bombentreffern war der Platz beengt und so wagte Bundespräsident Karl Renner den Schritt in die Hofburg, erklärt Langer, der als Kabinettsvizedirektor in der Präsidentschaftskanzlei die Geschichte gut kennt. „Nicht umsonst entschied er sich für diesen Teil der Hofburg, wo mit Maria Theresia, die aus damaliger Sicht ‚Übermutter der Nation‘, 40 Jahre lang gewohnt und regiert hatte. Also schon ein Amtsgebäude mit monarchistischer Geschichte, aber eine, die lang zurücklag und damals auch noch sehr unkritisch gesehen wurde“, sagt Langer.
Stilistische Hinweise auf die Republik
Nach republikanischen Insignien muss man in der Hofburg lang suchen – baulich wurde bis heute, abgesehen von technisch notwendigen Modernisierungen, nichts verändert, auch bedingt durch den Denkmalschutz. Einziges sichtbares Zeichen sind die rot-weiß-roten Fahnen am Dach, im Foyer, im Maria-Theresien-Zimmer und in drei weiteren Amtsräumen, seit 1995 flankiert von der EU-Fahne. Die Beflaggung ist auch am und im Bundeskanzleramt wesentlichster Hinweis auf den Staat.
Unterirdische Verbindungen, über die man flüchten konnte, waren wichtig.Markus Langer, Historiker
Ein von oben unsichtbares Bauwerk aus der Kaiserzeit wurde in der Geschichte der Zweiten Republik zum Symbol für die als „Wendejahre“ bekannte politische Phase: der unterirdische Tunnel zwischen Kanzleramt und Hofburg. Wegen der massiven Proteste gegen die Regierungsbeteiligung der FPÖ schritt die von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel gebildete Koalition von ÖVP und FPÖ 2001 unter der Demonstration am Ballhausplatz zur Angelobung. Langjährige unbestätigte Gerüchte besagen, dass es auch zum Parlament eine Verbindung gibt. Langer weiß allerdings, dass es zu Kaiserzeiten zwischen mehreren Amtsgebäuden in der Innenstadt, etwa zum Palais Modena – heute Sitz des Innenministeriums – und sogar bis zum Schloss Schönbrunn Tunnel gab. „Schwierige Zeiten gab es in allen Jahrhunderten und unterirdische Verbindungen, über die man gegebenenfalls flüchten konnte, waren wichtig.“
Ein sehr verstecktes Symbol
Wer ein ureigenes republikanisches Symbol sehen will, muss raus aus der Innenstadt in den Schweizer Garten. Ein Stück hinter dem Schloss Belvedere, wo 1955 der Staatsvertrag unterzeichnet wurde, steht das Denkmal zur Errichtung der Zweiten Republik. Wenn sich 2025 die Gründung der Republik zum 80. Mal und die Unterzeichnung des Staatsvertrags zum 70. Mal jährt, wird der Platz in den Fokus rücken – dann könnte man sich auch fragen, warum dieses bedeutsame Denkmal nicht an einem zentraleren Ort errichtet wurde.
Auch ein Stück vom Parlament und dem Ballhausplatz entfernt findet sich noch ein anderes Gebäude, an dem sich die Bruchlinien am Weg zur Republik gut nachvollziehen lassen. Schon fast beim Donaukanal steht am Ring das ehemalige Kriegsministerium, erbaut an der Wende zum 20. Jahrhundert als eines der letzten Palais bei der Errichtung der Ringstraße. Der riesige Doppeladler, der am Dachbalken thront, ist nicht nur Wiener:innen geläufig. Mit 15 Metern Flügelspannweite ist er so groß, dass er sogar von innen begangen werden kann. Er sollte ein Symbol für die bewaffnete Macht der Donaumonarchie sein. Die gab es dann nicht mehr lang, der Adler überdauerte zwei Weltkriege.
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Sein Gegenpart steht auf der gegenüberliegenden Seite des Wien-Flusses: eine riesige Metallstruktur namens „Wehende Fahnen“. Sie symbolisiert die neun Fahnen der österreichischen Bundesländer und damit den Inbegriff der föderalistischen Republik. Ursprünglich für die Montage am Dach des dortigen Regierungsgebäudes in der Radetzkystraße vorgesehen, musste von diesen Plänen abgesehen werden: Die Gefahr, dass sich an den Metallspitzen große Eiszapfen bilden und herabfallen, war zu groß. So blieb der Föderalismus am Boden.
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Infos und Quellen
Gesprächspartner:innen
Markus Langer, Historiker, Kabinettsvizedirektor in der Präsidentschaftskanzlei
Daten und Fakten
Schon 1857 hatte Kaiser Franz Joseph I. die nach dem Schleifen der Wiener Stadtmauer entstandenen Freiflächen, genannt Glacis, zur Bebauung freigegeben. Nur das Josefstädter Glacis war davon ausgenommen. Dort war ein Exerzier- und Paradeplatz des Militärs. Durch Initiative des damaligen Wiener Bürgermeisters Cajetan Felder genehmigte der Kaiser auch dort eine Bebauung – mit Rathaus, Universität und Parlamentsgebäude, das ursprünglich jeweils ein eigenes Gebäude für das Abgeordneten- und Herrenhaus bekommen sollte. Architekt Theophil Hansen plante aber ein gemeinsames Gebäude. Die Grundsteinlegung erfolgte 1874, die erste Sitzung im Neubau fand 1884 statt.
Das Rathaus wurde von Friedrich von Schmidt geplant und war ein Jahr früher fertig.
Die Präsidentschaftskanzlei ist im sogenannten Leopoldinischen Trakt der Hofburg untergebracht. Die Räume wurden auch von Kaiserin Maria Theresia bewohnt. Kaiser Franz Joseph I. nutzte den Trakt auf der anderen Seite des Burghofes.
Infos und Quellen
Wien Geschichte Wiki: Rathausmann
Parlament Österreich: Architektur des Parlaments
Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft: Das Regierungsgebäude am Stubenring
Bundespräsident: Hinter den Kulissen am Ballhausplatz