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Was macht die Republik, bis eine neue Regierung steht?

5 Min
Es gibt keinen Rechtsanspruch darauf, dass die stimmenstärkste Partei den/die Präsident:in stellt, wohl aber ein ungeschriebenes Gesetz, genannt Usance.
© Illustration: WZ, Copyright: Parlamentsdirektion/Johannes Zinner

Zwar hat Bundespräsident Van der Bellen nach längeren Diskussionen ÖVP-Chef Karl Nehammer mit der Regierungsbildung beauftragt, aber was passiert eigentlich in der Republik, bis die neue Regierung steht?


129 Tage: Das ist der längste Zeitraum, der in Österreich bisher von einer Nationalratswahl bis zur Angelobung einer neuen Regierung vergangen ist. 1962/63 dauerte es vier Monate, bis ÖVP und SPÖ erneut zu einer Koalition zusammenfanden. In dieser Zeit war das Land zwar nicht führungslos, aber geführt von einer Regierung, die verwaltet und nicht gestaltet.

Verwalten, das ist das Stichwort für die Fortführung der Amtsgeschäfte, mit der Bundespräsident Alexander Van der Bellen die Regierung unter Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) betraut hat. „Eine formale Frist, wie lang diese Phase dauern darf, gibt es nicht“, sagt Politologe Peter Filzmaier zur WZ. Durch kluge Vorsorge in der Verfassung ist auch dafür gesorgt, dass der Staatsbetrieb in dieser Zeit nicht in sich zusammenfällt.

Schauen wir uns an, was das auf den einzelnen Ebenen der Republik bedeutet.

Viel zu organisieren im Parlament

Im Parlament konstituiert sich morgen der neue Nationalrat. Die schwarz-grüne Mehrheit, auf die sich die von Nehammer angeführte Regierung bis zur Nationalratswahl am 29. September stützte, ist damit passé. Mit Walter Rosenkranz soll erstmals ein FPÖler Nationalratspräsident werden – ein Novum. Ansonsten gibt es rund um die Konstituierung im Hohen Haus viele organisatorische Dinge zu regeln; das geht meist reibungslos und auf Ebene der Klubdirektor:innen.

Neben der Sitzordnung im Plenarsaal ist die Neuverteilung der Arbeitsräume an die Klubs nach Mandatsstärke zu klären, oder die Konstituierung und Besetzung der parlamentarischen Ausschüsse. Diese werden in jeder Gesetzgebungsperiode neu festgelegt, es sind stets um die 40. Der Immunitätsausschuss oder der Unvereinbarkeitsausschuss arbeitet von Regierungsprogrammen ohnehin unabhängig, im Hauptausschuss sind viele EU-Themen zu beraten.

Sitzungsplan und Tagesordnung werden sowohl fürs Plenum als auch für die Ausschüsse in der Präsidiale (Nationalratspräsident:innen und Klubchef:innen, unterstützt von den Klubdirektor:innen) beschlossen. Die Zahl der eingebrachten Gesetzesinitiativen wird sich freilich reduzieren. Hier sind wir wieder beim Verwalten statt Gestalten und kommen damit zur Frage, was in den Ministerien in dieser Übergangszeit geschieht.

„Es ist demokratiepolitischer Grundkonsens, dass Minister in dieser Zeit ihre Macht nicht missbrauchen, also keine inhaltlichen Initiativen setzen“, sagt Filzmaier. Zu diesem Grundkonsens gehört auch, dass die provisorische Regierung im Parlament nicht mit Misstrauensanträgen des Amtes entledigt wird.

Theoretisch haben die Minister:innen durchaus großen Spielraum auch ohne parlamentarische Befassung. Am Beispiel des Bildungsministeriums: „Minister Martin Polaschek könnte die Lehrpläne per Verordnung ändern, das wäre aber wohl ein großer inhaltlicher Eingriff. Wenn er formal den Beginn der Osterferien zum üblichen Zeitpunkt festlegt, wird sich keiner aufregen“, erklärt Filzmaier. Auch die Fortführung des Auszahlens von Beihilfen zählt zu den Verwaltungsaufgaben.

Was läuft in den Ministerien ?

Dass das auch länger funktioniert, hat sich 2019 mit der Expert:innenregierung unter der mittlerweile verstorbenen Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein gezeigt. Sie war acht Monate im Amt. Einer von Bierleins Beratern war Manfred Matzka: Der Beamte im Ruhestand ist einer der profiliertesten Staatsdiener, war lang Präsidialsektionschef im Bundeskanzleramt und kennt die Abläufe in den Ministerien genau. Wie Filzmaier bestätigt er, dass viele Aufgaben „Routine“ sind, die „zwar temporeduziert, aber doch weiterlaufen“. Allerdings sei die Übergangszeit auch „die Zeit der vifen, kreativen Verwaltungsleute. Denn es gibt in jedem Ministerium Projekte, die schon länger stehen, die nicht politisch hochbrisant sind, aber trotzdem nie umgesetzt wurden. Die Vifen greifen jetzt in diese Lade, holen Stellungnahmen ein von Sozialpartnern oder aus den Ländern, überlegen einen Finanzierungsplan, bereiten das Projekt weitgehend vor. Und wenn sie das geschickt machen und dem neuen Minister ein fertiges Paket vorlegen, kann das durchgehen.“ Ein großer Relaunch von help.gv.at sei in seiner Zeit so vorbereitet worden, hat Matzka ein Beispiel parat.

Für manche wird es in den Ministerien dagegen ungemütlich, verrät er: „Da kann die Stimmung schon gespenstisch sein, wenn klar ist, dass der Minister oder die Ministerin sicher nicht in der nächsten Regierung ist. Da werden dann oft Leute aus den Ministerbüros gar nicht mehr gegrüßt, vor allem, wenn sie sich vorher unbeliebt gemacht haben.“ Dass Kabinettsleute mit Jobs in den Ministerien versorgt werden, kommt auch vor: „Da werden freiwerdende Posten schon Monate vor der Wahl nicht mehr nachbesetzt“, sagt Matzka.

Der Ministerrat wird in der Regel auch von der provisorischen Regierung abgehalten, wenngleich nicht immer wöchentlich wie sonst üblich. Routinebeschlüsse wie die Zustimmung zu Landesgesetzen oder auch Berichte von EU-Räten gibt es weiterhin. Die Vertretung in der EU ist eine der wichtigsten Aufgaben, die die alte Regierung unverändert wahrnehmen muss.

Wie lang das Budget reicht

Egal, wie lang die Koalitionsverhandlungen dauern, das Geld geht dem Staat nicht aus. Solang kein neues Budget beschlossen ist, gilt das sogenannte „provisorische Zwölftel“ oder Budgetprovisorium. Das bedeutet nichts anderes, als dass das Vorjahresbudget um jeweils einen Monat fortgeschrieben wird – auf Beamt:innenebene gibt es zwischen den Ministerien auch hier Abstimmung, wie Matzka erklärt, „denn nicht jede Ausgabe fällt in jedem Ministerium zwölfmal im Jahr an.“ Auch Vorbereitungen für das nächste Budget können auf Beamt:innenebene stattfinden, „da kann man durchaus einiges schon außer Streit stellen, was keine politische Entscheidung ist.“

Formal könnte das Land auch ohne Parteienkonsens über eine Regierung auskommen: Einigt sich niemand auf ein Regierungsprogramm, könnte im Parlament das freie Spiel der Kräfte walten. In diesem – freilich nur theoretisch denkbaren Fall – würde Van der Bellen wohl statt der alten Regierung eine Expertenregierung einsetzen, „er könnte zum Beispiel die jeweils dienstältesten Sektionschefs in den Ministerien mit der Führung der Amtsgeschäfte betrauen“, erklärt Filzmaier. Zumindest Nachbesetzungen wird es wohl geben müssen, sind doch einige Minister:innen am Sprung zu anderen Aufgaben.

In der Serie „Was macht eigentlich ein:e…?“ beschreibt Jasmin Bürger alle zwei Wochen die Schaltstellen der Republik. Alle Texte findet ihr in ihrem Autor:innenporträt.


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Infos und Quellen

Gesprächspartner

  • Peter Filzmaier, Politologe

  • Manfred Matzka, ehemaliger Präsidialsektionschef im Bundeskanzleramt

Daten und Fakten

  • Bei der Nationalratswahl am 29. September 2024 wurde die FPÖ stimmenstärkste Partei. Das Endergebnis bedeutet für die Mandatsverteilung im Parlament folgende Aufteilung:

    FPÖ: 57 Mandate, ÖVP: 51 Mandate, SPÖ: 41 Mandate, Neos: 18 Mandate, Grüne: 16 Mandate

  • Die drei Präsident:innen des Nationalrats werden in der konstituierenden Sitzung gewählt. Es gibt keinen Rechtsanspruch darauf, dass die stimmenstärkste Partei den/die Präsident:in stellt, wohl aber ein ungeschriebenes Gesetz, genannt Usance.

  • Ebenfalls keine gesetzlichen Festlegungen gibt es darüber, wen der/die Bundespräsident:in mit der Regierungsbildung betrauen soll. Er/sie ist in dieser Entscheidung frei. Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat nach der Wahl das schwarz-grüne Kabinett unter Bundeskanzler Karl Nehammer ihrer Ämter enthoben und sogleich wieder angelobt, um die Amtsgeschäfte für die Dauer bis zur Bildung einer neuen Regierung weiterzuführen. Einzig die bisherige Kulturstaatssekretärin Andrea Mayr (Grüne) hat ihr Amt bereits zurückgelegt, sie arbeitet nun wieder in Van der Bellens Kabinett. Grünen-Chef und Sportminister Werner Kogler hat das Amt des Vizekanzlers verloren, der Job steht in der Übergangszeit dem/der dienstältesten Minister:in zu, das ist Außenminister Alexander Schallenberg.

  • Dauern die Koalitionsverhandlungen länger, werden zumindest einige Minister:innen abhandenkommen: Finanzminister Magnus Brunner (VP) ist am Sprung in die EU-Kommission, Justizministerin Alma Zadic (Grüne) erwartet ihr zweites Kind und Wirtschaftsminister Martin Kocher (VP) wechselt 2025 in die Nationalbank. Möglich ist sowohl eine Neubesetzung als auch die Übernahme der Amtsgeschäfte durch ein bestehendes Regierungsmitglied.

Quellen

Das Thema in der WZ

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