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Was macht eigentlich ein:e EU-Abgeordnete:r?

6 Min
Zuletzt fanden die EU-Wahlen von 6. bis 9. Juni 2024 statt, 720 Mandatar:innen wurden gewählt.
© Illustration: WZ

16 Mal im Jahr tagt das EU-Parlament – zwölf Mal in Straßburg, vier Mal in Brüssel (so wie diese Woche). Von den 720 Abgeordneten kommen 20 aus Österreich – was sind ihre Aufgaben?


    • Das EU-Parlament kann Gesetzespläne blockieren, aber formale Gesetzesinitiativen kommen nur von der EU-Kommission.
    • EU-Abgeordnete arbeiten in Ausschüssen, mit begrenzter Redezeit im Plenum; Kompromisse sind oft nötig.
    • „Grüne Wochen“ dienen der Bürgernähe, in dieser Zeit finden keine Sitzungen statt; Plenarsitzungen finden meist in Straßburg, selten in Brüssel statt.
    • EU-Parlament: 720 Abgeordnete aus 27 Mitgliedsstaaten, Österreich stellt 20.
    • Plenarsitzungen in Straßburg: 12 pro Jahr, in Brüssel: 4 pro Jahr.
    • EU-Parlament besteht aus 8 Fraktionen, z. B. Sozialdemokraten, Volkspartei, Grüne, Liberale, Patrioten.
    Mehr dazu in den Infos & Quellen

Beim Wolf ging es vergleichsweise schnell: Wegen dessen Ausbreitung in Europa – samt steigender Gefahr für landwirtschaftliche Nutztiere – hat das EU-Parlament kürzlich in einem Dringlichkeitsverfahren eine sanfte Lockerung des strengen Schutzes des Waldraubtiers beschlossen. Ein anderer Beschluss des Gremiums ist dagegen seit 2019 ohne Aussicht auf Umsetzung in der Warteschleife: Die Abschaffung der Zeitumstellung.

Die Beispiele zeigen zweierlei. Erstens: Das EU-Parlament befasst sich mit praktischen, den Alltag der EU-Bürger:innen betreffenden Themen. Zweitens: Manche Entscheidungen schaffen es nicht in die Umsetzung.

Wer meint, das läge vielleicht daran, dass ein Gremium aus 720 Politiker:innen aus den 27 EU-Mitgliedstaaten – Österreich stellt aktuell 20 Abgeordnete – allein aufgrund dieser Größe träge sei, liegt falsch. Die meisten Parteien aus den Ländern haben sich zu größeren Fraktionen zusammengeschlossen – die SPÖ-Abgeordneten gehören zu den Europäischen Sozialdemokraten, die ÖVP-Mandatar:innen zur Europäischen Volkspartei, die Grünen zu den Grünen und auch Neos und FPÖ haben Fraktionen gefunden, die eine ähnliche Linie vertreten, wie sie (Liberale, Patrioten). Insgesamt gibt es acht Fraktionen. Viele Entscheidungen werden fraktionsweise abgestimmt, so sind leichter Mehrheiten zu finden.

Übersicht über die Sitze im Europäischen Parlament 2024-2029. Die verschiedenen Parteien sind farblich gekennzeichnet und haben insgesamt 720 Sitze.
Sitzverteilung im Europäischen Parlament
© Illustration: WZ

Einfach so Gesetze beschließen können die EU-Abgeordneten aber nicht, selbst in den Bereichen, für die die EU-Verträge dem EU-Parlament Kompetenzen übertragen haben. Denn diese Verträge regeln auch, dass die Gesetzgebung auf EU-Ebene nur im Zusammenspiel der Institutionen erfolgen kann. Das bedeutet, dass das EU-Parlament zwar Neuerungen anregen kann, formale Gesetzesinitiativen kann aber nur die EU-Kommission vorlegen. Zum Vergleich: In Österreich können Gesetzesinitiativen unter anderem von der Bundesregierung oder von Abgeordneten eingebracht werden. Auf EU-Ebene werden die Vorschläge der Kommission im Parlament beraten, abgeändert – und dann im und mit dem Rat der jeweils für die Sache zuständigen Fachminister:innen, also den Ländervertreter:innen, abgestimmt.

Diagramm zur Veranschaulichung der Struktur der EU, einschließlich des Europäischen Rates, des Rates der EU, der Europäischen Kommission und des Europäischen Parlaments.
EU-Institutionen und Aufgabenverteilung
© Illustration: WZ

Wie unter diesen Rahmenbedingungen die Arbeit der EU-Abgeordneten abläuft, hat die WZ mit mehreren österreichischen Mandatar:innen erörtert. Die Grüne Lena Schilling, die als politische Quereinsteigerin seit einem Jahr im EU-Parlament sitzt, erlebt das Macht-Dreieck der Institutionen als „dynamisch“ und sieht vor allem „vor nationalen Wahlen“ eher einen Machtverlust der Kommission, wenn Minister:innen und/oder Regierungschef:innen aus wahlkämpfenden Ländern für sie vermeintlich ungünstige Entscheidungen blockieren. In wahlkampffreien Zeiten gelinge es der EU-Kommission besser, Zustimmung für ihre Vorschläge zu finden.

EU-Parlament kann Gesetze blockieren

Dass das EU-Parlament trotz des notwendigen Zusammenspiels durchaus Macht habe, betonen Andreas Schieder und Reinhold Lopatka, die als Delegationsleiter der SPÖ- bzw. ÖVP-Mandatar:innen so etwas sind wie die Klubchef:innen im Nationalrat. „Kein Gesetz kann ohne Zustimmung des Parlaments in Kraft treten. Das bedeutet: Wir können Gesetzespläne blockieren, grundlegend verändern oder ablehnen“, so Schieder. Sowohl er als auch Lopatka bestätigen, dass dies auch immer wieder passiere. Andererseits werden Gesetzesvorschläge auch zwischen den Fraktionen verhandelt. Das ideologische Spektrum reicht dabei von ganz links bis ganz rechts. Die Kompromisse, die dabei geschlossen werden, sind oft „ein Tauschhandel“, sagt Schilling, „den mein Aktivistinnenherz mal weniger, mal mehr verträgt“.

Petra Steger (FPÖ) sieht das EU-Parlament insgesamt in einer „schwachen Position“, trotz der EU-kritischen Einstellung ihrer Partei unterstreicht aber auch sie dessen Bedeutung, „weil es das einzig direkt gewählte Gremium der EU ist“. Als Teil ihrer Aufgabe sieht sie es, die Östereicher:innen „darüber zu informieren, was hier alles passiert und beschlossen wird“, viele weitreichende Beschlüsse „bekommt kaum jemand mit”, als Beispiel nennt sie die Summe aller Zahlungen Österreichs für Ukraine-Hilfe. Von so manchem, was in der EU beschlossen wird, fühlen sich Bürger:innen nicht wirklich betroffen – sei es Vorgaben für die Industrie zur Erreichung von Klimazielen oder andere Regulatorien. So manches, betont Schilling, betreffe aber viele persönlich, „zum Beispiel eine Spielzeug-Verordnung, die regeln soll, dass keine gefährlichen Chemikalien in Spielzeugen sind“.

Lange Debatten, kurze Redezeit

Debattiert werden nicht nur Gesetzesinitiativen vor ihrem Beschluss, oft geht es im Plenum auch um aktuelle Themen – die Zollpolitik von US-Präsident Donald Trump, der russische Angriff auf die Ukraine und die Verhandlungen über einen Waffenstillstand etwa – zu denen die Abgeordneten ihre Meinung äußern. Egal welches Thema, um vor den 719 Kolleg:innen in dem Gremium sprechen zu können, muss der Redewunsch bei der Fraktion, der man angehört, gemeldet werden. Die Redezeitbeschränkung ist viel knapper als im österreichischen Nationalrat und beträgt meist nur eine Minute.

Bis ein Gesetzesantrag – oder viel häufiger Abänderungsanträge zu einem bestehenden Gesetzesvorschlag – im Plenum landet, leisten die EU-Mandatar:innen viel Vorarbeit, Das geschieht, ähnlich wie im Nationalrat, in einem der 20 fachspezifischen Ausschüsse. Und wie im Nationalrat haben auch die EU-Abgeordneten Mitarbeiter:innen zur Unterstützung. „Mich hat überrascht, wie viel Arbeit im Detail da wirklich passiert“, sagt Schilling und nennt als Beispiel die Debatten um das EU-Budget, wo an die 2.000 Abänderungsanträge gestellt werden.

Plenarsitzungen in Brüssel sind die Ausnahme (vier Mal im Jahr), zwölf Mal kommen die Abgeordneten in ihrem Hauptsitz in Straßburg zusammen. Zwischen den Sitzungen wird in den Ausschüssen gearbeitet, Schilling ist in zwei, Schieder und Lopatka in drei, Steger in einem vertreten, dazu kommen regelmäßige Sitzungen mit Parteikolleg:innen der jeweiligen EU-Fraktionen. Zum Job gehören auch Treffen mit Expert:innen, den jeweiligen Stakeholdern und Interessenvertreter:innen.

Die Bedeutung der „grünen Wochen“

Wie viel Zeit die Abgeordneten in Brüssel verbringen, ist unterschiedlich: In der Regel verbringen die meisten Sitzungs- und Ausschusswochen am EU-Standort, für die FPÖ beschreibt Steger die Lage anders: „Abgeordnete bekommen, wenn sie anwesend sind, pro Tag zusätzliches Geld, manche verdienen dazu und sind in Brüssel, obwohl sie keine Sitzungen haben, das ist nicht mein Anspruch“. Sie nutze stattdessen öfter die Möglichkeit, in den EU-Ausschüssen des Nationalrats dabei zu sein und halte bei Veranstaltungen in Österreich auch Kontakt mit Bürger:innen.



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Diese Kontaktpflege nennen freilich auch Schieder, Lopatka und Schilling als wesentlichen Teil ihrer Arbeit. Einschränkung der Grünen: „Da ich versuche, fast alles mit dem Zug zu fahren, geht sich ein Wochenendbesuch in Österreich nicht aus, das dauert zu lang“. Zugkilometer hat sie dennoch einige gesammelt: „Ich bin schon um den halben Äquator gefahren“. Das vor allem in den „grünen Wochen“: Die haben im Brüsseler Geschehen nichts mit der Parteifarbe zu tun, sondern markieren im Sitzungskalender jene Wochen, wo keine Plenar- und Ausschusssitzungen stattfinden.

In der Serie „Was macht eigentlich ein:e…?“ beschreibt Jasmin Bürger alle zwei Wochen die Schaltstellen der Republik. Alle Texte findet ihr in ihrem Autor:innenporträt.


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Infos und Quellen

Gesprächspartner:innen

  • Lena Schilling, EU-Abgeordnete der Grünen
  • Fragebögen an Petra Steger (EU-Abgeordnete der FPÖ), Andreas Schieder (EU-Delegationsleiter der SPÖ), Reinhold Lopatka (EU-Delegationsleiter der ÖVP)

Daten und Fakten

  • Das EU-Parlament ist das einzige Gremium weltweit, in dem direkt gewählte Vertreter:innen verschiedener Länder, der 27 EU-Mitgliedstaaten über Gesetze entscheiden – gemeinsam mit Kommission, die das Gesetzesvorschlagsrecht hat, und den jeweils zuständigen Fachminister:innen. Diese bilden den Rat der EU, der nicht zu verwechseln ist mit dem Rat der Europäischen Union: Als solcher wird der Zusammenschluss der Staats- und Regierungschef:innen der EU bezeichnet.
  • Die Gesetze, die im EU-Parlament beschlossen werden, betreffen alle Lebensbereiche der Bürger:innen in der EU. Außerdem genehmigt das EU-Parlament auch die Haushaltspläne der EU-Kommission, deren Mitglieder sie zuvor ebenfalls in ihren Ämtern bestätigen muss. Auch eine Kontrollfunktion üben die EU-Abgeordneten aus.
  • Die meisten Parteien sind Mitglied einer der acht Fraktionen im EU-Parlament, lediglich 33 Mandatar:innen gehören keiner Fraktion an. Aus ihrer Mitte wählen die Abgeordneten eine:n EU-Parlamentspräsident:in und 14 Stellvertreter:innen. Derzeitige Amtsinhaberin ist Roberta Metsola aus Malta.
  • Zuletzt fanden die EU-Wahlen von 6. bis 9. Juni 2024 statt, 720 Mandatar:innen wurden gewählt. Die Anzahl der Mandate, die jedes Land besetzen darf, wird vor jeder Wahl festgelegt und entspricht dem Bevölkerungsverhältnis – es dürfen aber nicht mehr als 750 Mandate werden.

Quellen

Das Thema in der WZ

Das Thema in anderen Medien