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Was machen eigentlich nicht-amtsführende Stadträt:innen?

5 Min
Die nicht-amtsführenden Stadträte zählen zu den umstrittensten Regierungsmitliedern. Aber was machen sie eigentlich?
© Illustration: WZ

Sie sind Teil des Stadtsenats und der Landesregierung, haben aber kein Ressort und damit keine Aufgaben – die nicht amtsführenden Stadträt:innen. Und es gibt sie nur in Wien. Was tun sie überhaupt und könnte man die Funktion nicht einfach abschaffen?


„Ihr Hauptzweck ist, dass sie nichts tun.“ So fasst Politologe Laurenz Ennser-Jedenastik die Aufgabe der nicht-amtsführenden Stadträt:innen in Wien zusammen. Aus Expertensicht eine eindeutige Antwort – oder doch nicht? Denn auf die Frage, ob man den Posten, der mit demselben Gehalt honoriert wird wie ein Nationalratsmandat, nicht einfach abschaffen könnte, hat Ennser-Jedenastik keine so klare Antwort. „Wenn, dann auf die korrekte Art und Weise, über die Abschaffung des Proporzsystems.“

Was ist das Proporzsystem?

Um zu verstehen, was das heißt, müssen wir ein wenig ausholen. Wien ist Bundesland und Gemeinde gleichzeitig, die Stadtregierung ist gleichzusetzen mit der Landesregierung und die führen Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) und Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr (Neos) in einer rot-pinken Koalition. Im Gremium des Stadtsenats sind die sechs rot-pinken Stadträt:innen, die ein Ressort verantworten, sowie die nicht-amtsführenden Stadträt:innen von Grünen, ÖVP (je zwei) und der FPÖ (einer). Die Zahl der Stadträt:innen legt der Gemeinderat/Landtag nach jeder Wahl fest: Sie muss zwischen neun und 15 liegen. Verteilt werden die Posten nach Mandatsstärke. Dass die Opposition Anspruch auf diese Posten samt Büro und Mitarbeiter:innen hat, ist Ausdruck ebendieses Proporzsystems, das in der Bundesverfassung geregelt ist. Von den anderen Bundesländern haben nur noch Ober- und Niederösterreich dieses System, in allen anderen werden die Landesregierungsposten in der jeweiligen Koalition aufgeteilt.

Wie die Länder mit den Mitgliedern der Landesregierung, die nicht Teil einer allfälligen Koalition sind, umgehen, ist deren Sache. In Niederösterreich und Oberösterreich haben alle Landesregierungsmitglieder ein Ressort, für das sie verantwortlich sind – jene, die nicht Teil der Koalition sind, meist ein recht abgespecktes. Diese Regelung hält Ennser-Jedenastik für noch schlechter als das Wiener System: „Das lässt die Grenzen zwischen Regierung und Opposition verschwimmen. Diese Landesräte sind ein bisschen Regierung und ein bisschen Opposition, das schafft bei den Wähler:innen nur Verwirrung.“ In Wien hingegen, wo die nicht-amtsführenden Stadträt:innen kein Ressort haben, „herrscht zumindest Eindeutigkeit, wer politisch für etwas verantwortlich ist, und wer nicht, in diesem Sinn ist diese Hilfskonstruktion gescheiter.“ Das finanzielle Argument, also, dass der Staat sozusagen jemanden bezahlt, der dann aber nicht amtsführen ist, ist für Ennser-Jedenastik weniger ausschlaggebend als die Klarheit.

Werden nicht amtsführende Stadrät:innen abgeschafft?

Die politisch Verantwortlichen selbst sehen das ohnehin ganz anders. Der jetzige Wiener Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr (Neos), der die nicht-amtsführenden Stadträt:innen früher als „die teuersten Arbeitslosen Wiens“ bezeichnet hatte, hat seit Eintritt in die Koalition mit der SPÖ eher wenig zu dem Thema zu sagen. Grundsätzlich gab es im Wiener Landtag allerdings schon eine Willensbekundung zur Abschaffung der Posten, der mit Ausnahme der FPÖ alle Parteien zugestimmt haben. Allein: Eine Abschaffung des Proporzsystems für Wien kann die Stadt nicht selbst beschließen. Das bedürfte eines Nationalratsbeschlusses mit Zwei-Drittel-Mehrheit – und diese gab es trotz mehrerer Anläufe bisher nicht.

Aber so ganz nutzlos fühlen sich die derzeit im Amt befindlichen nicht amtsführenden Stadträte gar nicht. Die WZ hat bei allen Fraktionen nachgefragt, ob der Posten Sinn macht, sie für eine Abschaffung sind und was die jeweiligen nicht-amtsführenden Stadträt:innen überhaupt machen. „Nichts“ – so wie es laut Ennser-Jedenastik in der Natur der Sache läge, war bei keinem die Antwort.

Vielmehr argumentieren die Grünen Judith Pühringer und Peter Kraus, Karl Mahrer von der ÖVP (zweite nicht amtsführende schwarze Stadträtin ist Isabelle Jungnickel), und auch Dominik Nepp mit „wichtigen Kontrollrechten“, die nur sie ausüben könnten. So verweist Mahrer etwa auf „Sitz und Stimme in den Stadtsenatssitzungen“, alle betonen auch die Bedeutung des Akteneinsichtsrechts. „Gerade wenn man sich die Vorgangsweise der Stadtregierung und die fehlende Transparenz in der Causa Wien Energie, Minibambini oder Kleingarten-Causa vor Augen führt, ist es unabdingbar, dass auch Vertreter der Opposition im Stadtsenat vertreten sind, um hier Kontrolle zu üben.“, sagt Mahrer. Pühringer und Kraus bringen als Beispiel das EU-Renaturierungsgesetz, „bei dem wir als Stadträt:innen und Mitglieder der Landesregierung die Möglichkeit haben, einen Antrag in der Landesregierung einzubringen“. Ebenfalls nur dank Sitz im Stadtsenat hat die Opposition „wichtige Mitbestimmungsrechte, insbesondere bei der Bestellung des Magistratsdirektors oder der Magistratsdirektoren“, führen die beiden weiter aus. Und Nepp will von Geringschätzung seines Amtes überhaupt nichts wissen: „Meine Aufgabe ist, alle rot-pinken Stadtregierungsmitglieder zu kontrollieren. Insofern habe ich das größte Ressort“, sagt er.

Perspektiven für Stadträt:innen

So richtig zufrieden ist dennoch keiner mit dem bestehenden System. Seit Jahren wird über die Abschaffung der Wiener Spezialität diskutiert. Bisher immer ergebnislos. Auch dass die nicht-amtsführenden Stadträt:innen zumindest in dieser Funktion keinen Offenlegungspflichten über Nebentätigkeiten unterliegen, ist ein ständiger Kritikpunkt, diese besteht gegenüber dem Rechnungshof nur hinsichtlich Vermögenswerte, Vermögenszuwächse und Liegenschaften. Die beiden Grünen melden ihre Einkünfte freiwillig an die Plattform „Meine Abgeordneten“.

Die Vorstellungen über eine Neugestaltung klaffen freilich stark auseinander. So bekräftigen die beiden Grünen Wiener Spitzen, „dass sich die Grünen seit jeher für eine Abschaffung der nicht-amtsführenden Stadträt:innen ausgesprochen haben“ – und lassen ein großes „aber“ folgen: Die Kontroll- und Oppositionsrechte müssten dann in anderer Form gewährleistet werden. Mahrer und Nepp hingegen fordern unisono, dass die nicht-amtsführenden Stadträtinnen Ressortverantwortung bekommen sollten – so wie in Oberösterreich und Niederösterreich. Dazu bräuchte es keinen Nationalratsbeschluss, dass könnte auf Gemeindeebene in Wien beschlossen werden.

Das wäre für den Experten, wie eingangs erwähnt, ein Rückschritt. Wenn, dann sollte „das Unding des Proporzes komplett abgeschafft werden“. Für das Kontrollargument, mit dem die bestehenden nicht-amtsführenden Stadträt:innen ihre Existenz rechtfertigen, hat er klare Worte: „Das ist Bullshit. Kontrolle ist Aufgabe des Landtags und wenn sich die Opposition einen Ausbau wünscht, dann muss der dort stattfinden.“ In Wien wird 2025 wieder gewählt. Dass es vorher noch zu einer Reform kommt, ist unwahrscheinlich.

In der Serie „Was macht eigentlich ein:e…?“ beschreibt Jasmin Bürger alle zwei Wochen die Schaltstellen der Republik. Alle Texte findet ihr in ihrem Autor:innenporträt.


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Infos und Quellen

Gesprächspartner:innen

  • Laurenz Ennser-Jedenastik, Professor am Institut für Staatswissenschaften der Uni Wien

  • E-Mail-Antworten auf gleichlautenden Fragenkatalog an die nicht-amtsführenden Stadträte Judith Pühringer und Peter Kraus (Grüne), Karl Mahrer (ÖVP), Dominik Nepp (ÖVP)

Daten und Fakten

  • Die Regelungen rund um die Ausgestaltung der Wiener Landesregierung/Stadtsenat sind in der Stadtverfassung festgehalten.

  • Nach der Landtagswahl 2020 wurde die Zahl der Stadträt:innen mit zwölf fixiert, die Ressorts sind auf jene der rot-pinken Koalition verteilt.

  • Neben Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) und Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr (Neos), der für Bildung zuständig ist, sind das von der SPÖ noch Wohnbaustadträtin Kathrin Gaal (ebenfalls Vizebürgermeisterin), Verkehrsstadträtin Ulli Sima, Finanzstadtrat Peter Hanke, Gesundheitsstadtrat Peter Hacker, Kulturstadträtin Veronika Kaup-Hausler und Umweltstadtrat Jürgen Czernohorsky.

Quellen

Das Thema in anderen Medien