Jugendkriminalität in Österreich dominiert die Schlagzeilen. Prävention und Resozialisierung bieten nachhaltige Lösungen jenseits harter Strafen.
Mehrere junge Männer hetzen auf einem Basketballplatz in einem Wiener Park einem Basketball nach. Zwischen ihnen tummeln sich Trainer:innen in schwarzen T-Shirts mit der Aufschrift „Phönix” – sie beaufsichtigen die Sportler. Denn bei ihnen handelt es sich nicht um bloße Sportler, sie sind bereits mit dem Justizsystem in Berührung gekommen – also sie haben einen Haftvollzug hinter sich. Gründungsmitglied Ricardo Parger und sein Team erhalten oft positive Rückmeldungen aus den Gesprächen mit ihren Klient:innen: „Durch den Sport bekommen sie alternative Möglichkeiten, mit ihren Emotionen umzugehen.”
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Die jungen Männer aus dem Basketballtraining machen bereits die ersten Schritte in die richtige Richtung. Doch das Thema Jugendkriminalität ist aktuell wie nie zuvor und in aller Munde. Und auch die Forderung nach härteren Strafen wie einer Senkung der Strafmündigkeit und Waffenverboten. Aber wie kann Jugendlichen nachhaltig geholfen werden? Ein Weg: Resozialisierung statt bloßer Bestrafung. Mit Programmen, die auf Prävention, Wiedereingliederung und Opferschutz abzielen, zeigen sich erste Erfolge – auch wenn noch viele Herausforderungen bestehen.
Früher Start von Präventionsarbeit
Das weiß auch Josef Landerl, Leiter des Vereins Neustart Oberösterreich: „Das Thema Jugendkriminalität ist medial aktuell sehr präsent, doch sollte die Diskussion – besonders im Hinblick auf die Statistiken – sorgsamer und differenzierter geführt werden." Mit einem Blick auf die Zahl der Tatverdächtigen sowie die Anzahl der Verurteilungen erklärt Landerl, dass die Verurteilungszahlen zuletzt zurückgingen – 2023 war man sogar auf einem Tiefstand seit 2014. Dass es mittlerweile mehr Tatverdächtige gibt, erklärt Landerl damit, dass im Jahr 2018 die Zählweise von Personenzählung (Einfachzählung) auf Mehrfachzählung geändert wurde. Auch die Aufklärungsquote der Polizei wurde im selben Zeitraum um etwa 20 Prozent erhöht. Und es gibt Studien, die einen klaren Trend zur erhöhten Anzeigenbereitschaft in der Bevölkerung zeigen.
Bei der hohen Zahl an Verurteilungen wegen Sexualdelikten muss man eine Entwicklung beachten: Jugendliche schicken einander Nacktfotos, das ist jedoch eine illegale Handlung. Landerl erklärt, dass nach Subtraktion der Verurteilungen Jugendlicher, die selbst illegale Bilder mit Minderjährigen in einem sexualisierten Kontext besitzen, verbreiten oder anfertigen, sich ein ganz anderes Bild ergibt.
Der Verein Neustart ist im Bereich der Präventionsarbeit ein Vorreiter: Mit sozialpädagogischen Programmen für Jugendliche und dem Tatausgleich ermöglicht er jungen Straftäter:innen, Verantwortung zu übernehmen und sich positiv zu entwickeln. Statt rein strafender Maßnahmen setzt Neustart auf Wiedereingliederung und persönliche Betreuung.
Frühzeitige Interventionen sind entscheidend, um gefährdete Jugendliche gar nicht erst in den Kreislauf der Kriminalität geraten zu lassen. In diesem Zusammenhang spielt die Schule eine Schlüsselrolle. Laut Landerl darf hier die Verantwortung aber nicht allein an den Lehrer:innen hängenbleiben: „Ein zusätzliches Angebot wäre wünschenswert, dafür braucht es aber ausgebildete Fachkräfte. Am besten wird damit so früh wie möglich angefangen. Gerade an Brennpunktschulen ist es wichtig, dass alles dafür getan wird, dass die Jugendlichen deliktfrei durch die Pubertät kommen.” Ein enorm wichtiger Schritt wären laut Landerl fix angestellte Sozialarbeiter:innen an den Schulen, die unterstützend und betreuend arbeiten.
In Oberösterreich bietet der Verein Neustart im Auftrag des Landes unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen Gewaltpräventionsworkshops an. So sollen sie frühzeitig mit den Werten und Normen Österreichs vertraut gemacht werden.
Sinnvolle Freizeitgestaltung
Neben schulischen Maßnahmen sind Freizeitangebote ein weiterer wichtiger Pfeiler der Prävention. Studien zeigen, dass Jugendliche, die aktiv in Vereinen oder Jugendgruppen eingebunden sind, seltener straffällig werden. Der soziale Zusammenhalt und die positiven Vorbilder in diesen Gruppen wirken oft als präventive Kräfte. In diesem Kontext ist auch die Rolle des Sports nicht zu unterschätzen. Projekte wie „Kicken ohne Grenzen" oder „Fairplay" nutzen Fußball, um Jugendliche aus schwierigen sozialen Verhältnissen zu erreichen.
Erfolgsgefühl durch Sport
Auf sportliche Aktivitäten setzt auch der bereits erwähnte Verein „Phönix – Training for Life”, der mit Menschen im Haftvollzug arbeitet. Gründer Parger bemerkte während seiner Gerichtspraxis, dass die angebotenen Sportmöglichkeiten in den österreichischen Strafanstalten nicht ausreichend genutzt wurden. Schade, fand er, denn „Sport hat ein riesiges Potenzial für Resozialisierung”, sagt der Jurist zur WZ – außerdem hätte der Sport auch auf das Haftklima sehr positive Auswirkungen. Aus diesem Grund bietet der Verein Basketball-Training für Menschen im Strafvollzug an. Das Training dient als Mittel zur Resozialisierung und Wiedereingliederung in die Gesellschaft. Dass die Wahl dabei auf Basketball gefallen ist, war kein Zufall: „Der Sport ist ‘nah an der Straße’ und durch die hohe Lernkurve bekommen die Teilnehmer:innen ein Erfolgserlebnis”, sagt Parger, der das Projekt gemeinsam mit dem Sportpädagogen und Sozialarbeiter Dominik Bachmeier auf die Beine gestellt hat.
Für Phönix beginnt die Arbeit bereits in den Justizanstalten, die „Trainings for Life” sind eine Vorbereitung auf die Entlassung oder den Freigang. Mit der Teilnahme an den regelmäßigen „Comeback Club”-Trainings können die Betroffenen lernen, Routinen beizubehalten. Um Gewalt und Kriminalität zu reduzieren, müsste auch aktiv an dem Männerbild in der Gesellschaft gearbeitet werden: „Männer machen einen Großteil der inhaftierten Menschen aus. Würde man daran arbeiten, dass sie sich in der Gesellschaft nicht immer als die ‘Harten’ und ‘Starken’ präsentieren müssen, und ihnen vermitteln, dass es in Ordnung ist, auch eine sanfte und sensible Seite zu zeigen, würde diese Zahl sicherlich anders aussehen.”
Parger mischt sich auf dem Basketballplatz unter die jungen Männer. Er und sein Team sind stolz auf ihre Schützlinge – durch den gemeinsamen Sport ebnen sie sich einen Weg, ihre zweite Chance ideal zu nutzen.
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Infos und Quellen
Gesprächspartner:innen
Josef Landerl, Leiter des Verein Neustart Oberösterreich
Ricardo Parger, Gründer von „Phönix – Training For Life”. Damit hat er eine Organisation gegründet, die jungen Gefängnisinsassen durch Sport die Chance auf ein straffreies Leben bieten will.
Daten und Fakten
In den USA haben sogenannte „Diversion-Programme" für jugendliche Ersttäter Erfolg gezeigt. Statt sie vor Gericht zu stellen, werden sie in Programme geschickt, die sich auf Beratung, Therapie und gemeinnützige Arbeit konzentrieren. Dies hat die Rückfallquote in vielen Staaten deutlich gesenkt.
Ein Blick über die Grenzen zeigt, dass Prävention die effektivste Maßnahme ist, Jugendliche davon abzuhalten, in die Kriminalität abzurutschen. In Finnland wird beispielsweise stark auf Bildung und frühzeitige Unterstützung von gefährdeten Jugendlichen gesetzt. Auch in den Niederlanden zeigt ein Ansatz Erfolge, der Jugendliche gezielt in Vereine und sportliche Aktivitäten integriert, um soziale Bindungen zu stärken und ihnen alternative Lebenswege aufzuzeigen.
Der „Verein Neustart" betreut Jugendliche in ganz Österreich, die straffällig geworden sind oder als gefährdet gelten. Im Bewährungsbereich bleiben rund zwei Drittel der betreuten Klient:innen während der Betreuungszeit straffrei.
Der „Verein Neustart” bietet den Tatausgleich an, eine Maßnahme, bei der jugendliche Straftäter:innen mit ihren Opfern zusammengebracht werden, um Verantwortung zu übernehmen und den Schaden wiedergutzumachen. Dies hat sich als wirksames Mittel zur Reduzierung von Rückfällen erwiesen.
Die Zahl der 14- bis 18-Jährigen, die wegen Straftaten angezeigt wurden, stieg von 24.800 im Jahr 2013 auf fast 34.000 im Jahr 2022. Zu den häufigsten Delikten gehören Diebstahl, Sachbeschädigung, Körperverletzung, gefährliche Drohung, Einbruchsdiebstahl und Suchtmitteldelikte.
Jugendkriminalität bedeutet, dass junge Menschen, meist im Alter zwischen 14 und 18 Jahren, Straftaten begehen. Diese Straftaten können von kleineren Vergehen wie Ladendiebstahl bis hin zu schwereren Delikten wie Körperverletzung reichen.