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Wenn das Antibiotikum nicht mehr wirkt

5 Min
Der zu häufige Einsatz von Antibiotika führt zunehmend zu Resistenzen, die für den Menschen lebensgefährlich sein können.
© Illustration: WZ, Bildquelle: Getty Images, Midjourney

Immer mehr Menschen sterben aufgrund von Infektionen, weil gefährliche Bakterien gegen Antibiotika resistent geworden sind. Die EU setzt Anreize, damit Pharmafirmen Reserve-Antibiotika entwickeln.


„Sicherheitshalber gebe ich Ihnen ein Antibiotikum“, sagt die Ärztin und überreicht Toni ein Rezept. Toni ist dankbar. Er würde jetzt alles nehmen, damit seine Schmerzen vergehen. Aus Erfahrung weiß er, dass sie es normalerweise tun. Doch diesmal verläuft es anders.

Toni landet im Spital. Diagnose: Neisseria Gonorrhoeae, besser bekannt als Gonorrhoe oder Tripper. Diese Geschlechtskrankheit ist eine der häufigsten sexuellen Infektionen weltweit. Das Antibiotikum, welches noch vor kurzem die Krankheit gut behandelt hat, wirkt nicht mehr. Die Bakterien haben sich angepasst. Sie sind Antibiotika-resistent geworden.

Im Spital lauert eine weitere Gefahr auf Toni: Staphylococcus aureus, kurz MRSA, einer der häufigsten Krankenhauserreger, der lebensgefährliche Infektionen verursachen kann. Auch dieses Bakterium ist bereits multiresistent, hat sich angepasst.

Beide Bakterien-Stämme haben gemeinsam, dass sie von der WHO als „Priorität hoch“ eingestuft wurden; neben vielen anderen, die derzeit „kritisch“ sind, weil sie möglicherweise in Kürze immun gegen Antibiotika sein könnten.

Toni ist ein fiktive Person. So oder so ähnlich geht es aber mittlerweile vielen Patient:innen in Österreich.

Zu oft verschrieben, falsch eingesetzt

Bakterien sind einzellige Lebewesen, größer als Viren und treten in unterschiedlichen Formen auf; von Kugel-Gebilden über Stäbchen-Formen bis zu verzweigten Fäden. Bakterien gehören zum Menschen wie seine Zellen. Allein in unserem Mund leben rund zehn Milliarden Bakterien.

Neben den vielen guten gibt es auch die für den Menschen gefährlichen Bakterien, die etwa Salmonellenvergiftung, Tetanus oder Cholera auslösen können. Bakterien sind schlau, sie lernen in Sachen Immunität gegen Antibiotika dazu, und zwar umso schneller, je besser die Umstände für sie sind.

Und die Umstände waren sehr lang sehr gut, etwa die Verschreibungs-Praxis der Ärzt:innen. Antibiotika werden oft vorsorglich verschrieben, obwohl nicht klar ist, ob es sich um eine Virus-Erkrankung oder um eine bakterielle Infektion handelt. Manchmal kann eine Virus-Erkrankung auch eine zusätzliche Infektion mit krankmachenden Bakterien begünstigen. Diese Fälle seien aber selten, erklärt eine Ärztin, die anonym bleiben möchte, dennoch wurde „sicherheitshalber“ verschrieben, obwohl Antibiotika nur bei einer bakteriellen Infektion helfen, nicht aber bei Viren.

Antibiotika-Verbrauch um 20 Prozent reduzieren

Über einen langen Zeitraum wurden also viel zu viele, in vielen Fällen unnötige, weil nicht wirksame Antibiotika verschrieben. Ein weiteres Problem: Die falsche Einnahme durch die Patient:innen. „Sobald es mir wieder gut geht, hör ich auf, sie zu nehmen“, hört man oft. Der Hinweis der Ärzt:innen, die gesamte Packung aufzubrauchen, weil sonst Resistenzen gebildet werden, wurde und wird oft ignoriert. Dazu kommt, dass Antibiotika in einigen Ländern gar nicht verschreibungspflichtig sind. Sie sind in der Apotheke erhältlich wie Hustensaft oder Migräne-Tabletten. Das ist vor allem in Süd- und Osteuropa der Fall, weshalb die Resistenzen dort am höchsten sind.

Zu mehr und schnelleren Resistenzen führt auch der Einsatz von Antibiotika in der Landwirtschaft. Sowohl in der Massentierhaltung als auch im Ackerbau werden Antibiotika großflächig und prophylaktisch eingesetzt. Und so landet der Medikamenten-Cocktail im Boden, in den Gewässern und auf unseren Tellern.

Die EU hat im vergangenen Jahr einen Maßnahmen-Plan vorgelegt, der allen Mitgliedstaaten einen besseren Umgang nahelegt. Der Antibiotika-Konsum bei Menschen soll bis zum Jahr 2030 um 20 Prozent reduziert werden. Zwischen 2016 und 2020 ist die Zahl der an Antibiotika-Resistenzen Gestorbenen signifikant in die Höhe gegangen. Schätzungen zufolge war die Antibiotika-Resistenz im Jahr 2019 direkt für 1,27 Millionen Todesfälle weltweit verantwortlich und trug zu 4,95 Millionen Todesfällen bei. Allein in der EU sind es jedes Jahr mehr als 35.000.

Bedarf an Reserve-Antibiotika steigt

Der falsche Einsatz beschleunigt Resistenzen und der Bedarf an Reserve-Antibiotika steigt. In den vergangenen zehn Jahren wurden lediglich elf neue Antibiotika entwickelt. Angesichts der rasanten Resistenzen-Entwicklung eine viel zu geringe Menge. Da Pharmafirmen aber kein Interesse daran haben, ein Medikament zu entwickeln, das nur zur „Reserve“ eingesetzt werden soll – und wenn möglich gar nicht – hat sich die EU ein Gutschein-System überlegt. Für jedes Reserve-Antibiotikum, das ein Unternehmen entwickelt, bekommt es ein Jahr länger das Exklusivitätsrecht für ein Medikament seiner Wahl. Dieser Gutschein kann auch weiterverkauft werden. Damit können Medikamenten-Hersteller:innen ein Medikament finanzieren, welches im besten Fall lang nicht zum Einsatz kommt und wenn, dann nur für kurze Zeit, weil sich erneut Resistenzen bilden und wieder ein anderes eingesetzt werden müsste.

Die Pharmig, der Verband der pharmazeutischen Industrie Österreichs, begrüßt den Vorschlag prinzipiell, hat allerdings noch Kritikpunkte. Die Bedingungen seitens der EU seien zu restriktiv und die Maßnahme allein reiche nicht aus. „Wir unterstützen generell die Idee eines übertragbaren Gutscheins als Anreiz, die Forschung im Antibiotikabereich anzukurbeln. Ein solcher Anreiz bietet die Möglichkeit, die begrenzten Einnahmen aus dem Antibiotikum anderweitig zu kompensieren. Ein solcher Gutschein kann aber nur eine von mehreren Maßnahmen sein, denn was in jedem Fall nötig ist, ist eine gesamthafte Stärkung der forschenden pharmazeutischen Branche“, heißt es seitens der Pharmig.

Sollte nichts getan werden, schätzt die EU, dass bis zum Jahr 2050 jedes Jahr zehn Millionen Menschen weltweit aufgrund von Antibiotika-Resistenzen sterben werden. Mehr noch als an Krebs, bei dieser Krankheit werden 8,2 Millionen Tote erwartet.

Toni geht es wieder gut. Eine Kombination von verschiedenen Antibiotika hat ihm geholfen. Der Schock bleibt jedoch. Was, wenn die Medizin nicht mehr wirkt und ihm beim nächsten Mal nicht mehr geholfen werden kann?


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Infos und Quellen

Genese

50 Prozent der europäischen Bevölkerung wissen nicht, dass Antibiotika nicht gegen Viren helfen. Sie sind ausschließlich bei Krankheiten, die von Bakterien ausgelöst werden, wirksam. Ein bewussterer Umgang mit Antibiotika ist laut EU dringend notwendig.

Gesprächspartner:innen

Daten und Fakten

  • Im Juli 2022 ermittelte die Kommission gemeinsam mit den Mitgliedstaaten antimikrobielle Resistenzen als eine der drei größten Gesundheitsgefahren: Sie verursacht jährlich schätzungsweise 1,27 Millionen Todesfälle weltweit.

  • In Europa sterben jährlich 35.000 Menschen an antibiotikaresistenten Bakterien.

  • In Österreich starben 2020 laut ECDC-Schätzung (Europäische Agentur für Prävention und Kontrolle von Krankheiten) 266 Personen durch Antibiotika-Resistenzen.

  • Der Verbrauch von Breitband-Antibiotika (wirkt gegen viele Bakterien gleichzeitig) stieg laut ECDC im Zeitraum 2012 bis 2021 um 15 Prozent.

  • Der Einsatz von Reserve-Antibiotika hat sich im oben genannten Zeitraum verdoppelt.

  • Auf der Liste der gefürchteten Infektionen, weil zunehmend resistent gegen gängige Antibiotika:

  • Klebsiella pneumoniae kann bei geschwächten Patient:innen schwere Pneumonien, Harnwegsinfekte oder sogar Sepsis auslösen.

  • Escherichia coli verursacht bakterielle Harnwegsinfektionen bis hin zu Blutvergiftungen.

  • Methicillin-resistentes Bakterium Staphylococcus aureus (MRSA).

  • Enterobacteriaceae, häufig verantwortlich für Darmerkrankungen oder Blasenentzündungen.

  • Pseudomonas aeruginosa, häufig verantwortlich für Lungenentzündungen.

  • Neisseria gonorrhoeae, verantwortlich für Gonorrhoeae.

  • Helicobacter pylori ist ein gefürchteter Krankheitskeim des Magen-Darm-Trakts.

  • Resistente Bakterien können sich über verschiedene Wege ausbreiten. Tritt die Antibiotikaresistenz bei Zoonose -Bakterien auf, die in Tieren und damit in Lebensmitteln vorkommen, kann sie auch die wirksame Behandlung infektiöser Erkrankungen beim Menschen beeinträchtigen.

  • Der systemische Gesamtverbrauch von Antibiotika in Kilogramm Wirksubstanz betrug in der Humanmedizin in Österreich im Jahr 2022 gemäß IQVIA™-Daten 54.422 kg mit einem Anteil von 63,9 Prozent im niedergelassenen Bereich.

Quellen

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