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Wenn die KI uns Menschen die Kreativität nimmt

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"Wissen wissen" ist eine Kolumne von Eva Stanzl. Darin ordnet sie aktuelle Themen aus Wissenschaft und Gesundheit ein.
© Illustration: WZ, Bildquellen: Adobe Stock

Künstliche Intelligenz steuert zunehmend Kreativität. Verlieren wir unser offenes, freies Denken an Chat GPT & Co.?


    • Studien zeigen, dass die Nutzung von KI beim Schreiben von Texten die Gehirnaktivität und das Erinnerungsvermögen verringert.
    • Künstliche Intelligenz gibt im kreativen Prozess den Rahmen vor und schränkt die kreative Freiheit von Menschen ein.
    • Die zunehmende Nutzung von KI kann zu einem Verlust von Sinn, Selbstwertgefühl und individueller Produktivität führen.
    • Chatbot-Nutzer:innen zeigten 40 % weniger Gehirnaktivität beim Schreiben.
    • 80 % der KI-Nutzer:innen konnten sich nach 2 Wochen nicht mehr an ihre Texte erinnern.
    • Kreative Teams, die mit KI zusammenarbeiten, erledigten Aufgaben schneller, fühlten sich aber weniger kreativ.
    Mehr dazu in den Infos & Quellen

Kreativität ist die Fähigkeit, etwas Neues, Originäres zu erschaffen, das sinnvoll oder nützlich ist. Doch es ist gut möglich, dass künstliche Intelligenz die letzte wirklich originäre, vom Menschen geschaffene große Neuerung ist. Wissenschaftliche Studien legen nahe, dass wir unsere Fähigkeit, kreativ zu denken, nämlich nach und nach an die KI verlieren.

Das Massachusetts Institute of Technology in Boston, USA, hat drei Gruppen beim Schreiben eines Aufsatzes getestet. Die erste Gruppe verließ sich beim Texten auf ihr Gehirn, die zweite nutzte zusätzlich Google und die dritte auch Chat GPT.

Den eigenen Aufsatz vergessen

Tatsächlich waren die Gehirne der Chatbot-User:innen beim Schreiben um 40 Prozent weniger aktiv und bildeten weniger Netzwerke als die Denkorgane jener Testpersonen, die nur Gehirn oder Gehirn plus Google genutzt hatten. Außerdem hatte die KI-Gruppe die eigenen Texte zwei Wochen später größtenteils wieder vergessen. Nach den Inhalten befragt, waren 80 Prozent der Antworten falsch.

Die Carnegie Mellon University in Pittsburgh hat untersucht, wie ein Team von Design-Ingenieur:innen im kreativen Arbeitsprozess durch Künstliche Intelligenz beeinflusst wurde. Die KI fungierte als Vermittlerin, Beraterin und Ideengeberin. Sie empfahl konkrete Denkaufgaben, um ihren menschlichen Teammitgliedern auf die Sprünge zu helfen, - etwa sollte man für einen Entwurf eines faltbaren Regals an Froschbeine denken.

Die KI gibt den Rahmen vor

Durch den Fokus auf etwas Bestimmtes konnte das Ingenieur:innenteam seine Aufgaben erheblich schneller erledigen. Jedoch war es nach eigenen Aussagen weniger kreativ, da die KI den kognitiven Rahmen vorgegeben hatte. Das machte aus einem offenen Prozess so etwas wie eine zielgerichtete Aufgabe. „Als kreative Freiheit empfanden die Teilnehmer:innen das nicht“, sagte Alexandra Brintrup, Professorin für Digital Manufacturing an der Universität Cambridge kürzlich bei den Austrian Technology Talks in Wien.

Die Zusammenarbeit in menschlich-maschinellen Teams verengt den schöpferischen Prozess. „Wir sehen einem gesellschaftlichen Wandel entgegen, der größer sein wird, als alles, was wir in den letzten 100 Jahren gesehen haben“, sagte der Neurowissenschaftler Dong-Seon Chang. Gut möglich, dass dabei die individuelle, menschliche Produktivität weniger werde. Die weltweite Produktivität werde jedoch durch eine effizient gesteuerte KI-Kreativität ansteigen.

Verlust von Sinn und Produktivität

Dass KI blitzschnell kreative Produkte auswirft wie Bilder, Musikstücke oder Strategien, erhöht den Druck auf uns Menschen und untergräbt das Selbstwertgefühl. Da wir punkto Geschwindigkeit gar nicht konkurrieren können, lassen wir einfach den Chatbot machen.

„Wenn KI jemandem bei einer bestimmten Aufgabe das Leben erleichtert, wird dieser Mensch einen Anreiz haben, sie weiter zu nutzen. Und wenn KI dann die Kreativität wegnimmt und der Mensch ihr einfach vertraut, eine Aufgabe zu erledigen, verlieren wir den menschlichen Zweck, der uns in unserer Produktivität antreibt“, warnte Brintrup.

Neuroforscher Chang nannte eine Analyse der Harvard Business Review, der zu folge eine der häufigsten Fragen an Chat GPT ist: „Ich habe keinen Zweck in meinem Leben. Könntest du mir einen Sinn finden?“

Vielleicht lebt der Mensch bald zum Selbstzweck. Verhindern können wir es schwerlich, zumal die KI immer mehr Aufgaben immer besser löst und unser Gehirn von Natur her gerne Abkürzungen macht. Was wir aber tun können, ist unser Denken zu trainieren, anstatt den Chatbot alles - vom nächsten Schritt in einer Beziehung bis hin zur Lage des nächsten Mistkübels - zu fragen, und damit die Verantwortung für unser Leben an die KI abzugeben.



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