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Klimaministerin Leonore Gewessler (Grüne) steht derzeit unter heftiger Kritik, da sie für die Annahme der Renaturierungsverordnung gestimmt hat. Aber was steht eigentlich in der Renaturierungsverordnung und was bedeutet das in Zukunft für Österreich?
Eigentlich wollte ich diese Woche einen grundlegenden Aufriss über Österreich zu Beginn des Nationalratswahlkampfs starten – seien wir großzügig und tun einmal so, als ob er erst starten würde –, aber dann ist mir wieder einmal die politische Realität dazwischengekommen.
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Klimaministerin Leonore Gewessler (Grüne) hat im EU-Umweltministerrat gegen den Willen von ÖVP und Ländern auf unklarer rechtlicher Basis für die Annahme der Renaturierungsverordnung gestimmt und die Regelung damit knapp, aber doch über die Ziellinie gebracht. (Hier übrigens das Video der Ratssitzung.) Das Ganze hat dann eine Dominoreihe eher uninteressanter innenpolitischer Fallouts gezeitigt, aber bleiben wir doch lieber beim Corpus delicti:
Wo liegt der Ursprung der Renaturierungsverordnung?
Was steht eigentlich in der gerade beschlossenen Regelung?
Was passiert jetzt damit?
Der Ursprung
Fangen wir mit den Ursprüngen der Verordnung an. 2019 – vor dem Corona-Schock, vor Russlands Überfall auf die Ukraine mit all seinen Folgen – hat die damals neue EU-Kommission unter Ursula von der Leyen den „europäischen Green Deal“ zum Herzstück ihrer Amtszeit erklärt. Das Paket, dessen oberstes Ziel damals war, die EU bis 2050 klimaneutral zu machen, hat viele Facetten – darunter auch eine Biodiversitätsstrategie, die die Artenvielfalt in Europa, wenn schon nicht verbessern, dann zumindest im bestehenden schlechten Zustand erhalten soll.
In den Dokumenten zu der Strategie findet sich eine unangenehme Bestandsaufnahme, etwa was die Realität der Ökosysteme in der Union angeht…
…und ganz besonders in einigen Kernindikatoren zur Artenvielfalt, etwa beim Bestand der Schmetterlinge:
Als zentrale Gegenmaßnahme hat von der Leyens Kommission die Renaturierungsverordnung vorgelegt. Kurzer Exkurs: Wie ihr alle wisst, kann auf EU-Ebene ausschließlich die Kommission den Gesetzgebungsprozess einleiten; was daraus wird, entscheidet sich dann anhand von Mehrheiten im EU-Parlament und im EU-Rat (der Fachminister:innen aller Mitgliedstaaten) in einem komplexen „Trilog“-Prozess.
Die Endversion
Überspringen wir das an dieser Stelle und kommen gleich zum Ergebnis, der Endversion, die das Parlament im Februar mit 329 zu 275 Stimmen angenommen hat – SPÖ, Grüne und Neos waren geschlossen dafür, die FPÖ dagegen, in der ÖVP stimmte Fraktionschef Othmar Karas dafür, die restlichen Abgeordneten dagegen – und das der Rat am Montag am Tisch hatte. Hier findet Ihr die ganze Verordnung.
Wenn ihr Euch das Dokument durchlest – der eigentliche Rechtstext beginnt ab Seite 57 im pdf – werdet ihr schnell feststellen, dass das alles sehr unkonkret ist. Die Schlüsselstelle ist diese hier:
Das ist die zentrale Zielsetzung, die alle Mitgliedstaaten jetzt treffen wird, sobald die Verordnung in ein paar Wochen im EU-Amtsblatt kundgemacht ist: Bis 2030 sollen „Wiederherstellungsmaßnahmen“ auf einem Drittel der Ökosysteme ergriffen werden, die in keinem guten Zustand sind – und bis 2050 auf 90 Prozent dieser Flächen. Ausnahmen gibt es z. B. für Flächen, die zur Erzeugung Erneuerbarer Energie nötig sind, für militärisch genutztes Land oder für die Sicherheit der Nahrungsmittelversorgung.
Die Wiederherstellungspläne
Das ist der wesentliche Inhalt der Verordnung; der ganze Rest sind sehr technische Ausführungen, die breit gesprochen in zwei Kategorien fallen: Erstens, wie eine erfolgreiche Wiederherstellung gemessen wird – in verschiedenen Indikatoren, unter anderem was den Zustand geschützter Vogel- und Insektenarten in den Mitgliedstaaten angeht (das macht bei uns schon jetzt das Umweltbundesamt).
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Einfach Politik.
Innenpolitik-Journalist Georg Renner über Österreichs Politiklandschaft.
Der zweite Schwerpunkt umfasst umfangreiche Berichtspflichten an die Kommission: Wie schon bei den nationalen Klimaplänen müssen die Mitgliedstaaten Brüssel unter dem Renaturierungsgesetz regelmäßig in „Nationalen Wiederherstellungsplänen“ melden, was sie an Maßnahmen vorhaben, um die genannten Ziele zu erreichen. Die Kommission bewertet diese Pläne dann und fordert gegebenenfalls Verbesserungen ein. Der erste solche Plan wird zwei Jahre nach Inkrafttreten der Verordnung fällig.
Aus meiner Sicht liegt da der Hund begraben: Denn wie bei den Klimaplänen – Österreich ist der einzige Mitgliedstaat, der seinen noch nicht finalisiert hat – liegt in diesen „Wiederherstellungsplänen“ beträchtlicher föderaler Sprengstoff. Für Naturschutz, Raumordnung und Landwirtschaft sind hierzulande großteils die Bundesländer zuständig, die Pläne müssen aber von der Bundesregierung nach Brüssel geliefert werden.
Das heißt, unter der Renaturierungsverordnung wird der Bund in den nächsten Jahren und Jahrzehnten – auch wenn Österreich durch Anrechnung schon jetzt geschützter Gebiete und eines hohen Bio-Anteils in der Landwirtschaft – relativ viele Maßnahmen von den Ländern einfordern müssen. Und ihnen dafür wohl auch wieder eine Menge Geld überweisen müssen. Ein Prozess, der – siehe Finanzausgleich – für Bundespolitiker:innen ähnlich ansprechend ist wie eine Wurzelbehandlung.
Wir können gespannt sein, welche Folgen Gewesslers Ja in der nächsten Legislaturperiode hervorbringt.
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Genese
Innenpolitik-Journalist Georg Renner erklärt einmal in der Woche in seinem Newsletter die Zusammenhänge der österreichischen Politik. Gründlich, verständlich und bis ins Detail. Der Newsletter erscheint immer am Donnerstag, ihr könnt ihn hier abonnieren. Renner liebt Statistiken und Studien, parlamentarische Anfragebeantwortungen und Ministerratsvorträge, Gesetzes- und Verordnungstexte.
Quellen
Kleine Zeitung: Wer entscheidet, ob Gewessler Verfassungsbruch begangen hat – oder eben nicht?
video.consilium.europa.eu: Video der Ratssitzung
Die Presse: Nehammer zu Koalitionsende: „Ich werde das nicht tun“
Europäischer Rat: Ein europäischer Grüner Deal
Europäischer Rat: Wie ist der Zustand der Natur in der EU?