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„Werden wir jetzt alle abgeschoben?“

8 Min
Viele junge Migrant:innen sehen derzeit ihr Bleiberecht gefährdet.
© Illustration: WZ, Fotoquelle: Wikimedia Commons

Sie erleben Alltagsrassismus, spüren den Rechtsruck und lesen über Messer-Attacken ihrer Landsleute: Junge Migrant:innen in Österreich haben Angst, abgeschoben zu werden.


Ali fühlt sich in Wien nicht mehr so richtig zuhause. Auf der Straße sieht er die schiefen Blicke, bemüht sich immer, extra freundlich rüberzukommen, damit er „gut integriert“ wirkt. Ihm geht es wenige Tage vor der Nationalratswahl nicht gut: „Ich habe gerade jetzt vor der Wahl so viele Gedanken und so viele Sorgen. So viel Panik und so viel Stress – wird mein Aufenthalt verlängert, oder diesmal nicht? Was, wenn die Migrationspolitik wirklich so verschärft wird, dass wir alle wegmüssen?“

Der 25-jährige Afghane ist in Österreich subsidiär schutzberechtigt. Ali ist seit sieben Jahren hier, spricht nahezu fehlerfrei Deutsch. Er hat die „klassische Asylantenlaufbahn durchgespielt“, wie er selbst sagt. Erst hat er in verschiedenen Flüchtlingsunterkünften gelebt, Integrationskurse besucht. Mittlerweile lebt er in einem Jugendheim für subsidiär Schutzberechtigte. Seit einigen Monaten hat er einen Job als Verkäufer in einem Kleidungsgeschäft. Eine Arbeit zu finden, sei auch nicht leicht gewesen. „Subsidiär darf man in Österreich arbeiten. Die meisten Arbeitgeber:innen haben aber Angst, dass der Status nicht verlängert wird und stellen einen dann gar nicht erst ein. Ich habe immer noch keine Staatsbürgerschaft und fühle mich einfach, als würde ich an einer Tischkante sitzen und könnte jederzeit runterfallen.“

Ich fühle mich, als würde ich an einer Tischkante sitzen und könnte jederzeit runterfallen.
Ali, 25 Jahre

Ali ist allein nach Österreich gekommen, seine Eltern sind in Afghanistan geblieben. Bei regelmäßigen Telefonaten berichten Alis Eltern ihm davon, wie das Leben unter den Taliban in der Heimat zunehmend schwieriger wird. „Ich will da nicht zurück, ich kann dahin nicht zurück, das ist kein Leben dort“, so Ali. „Ich habe aber auch das Gefühl, dass Österreich immer rassistischer wird, und wir immer alle in eine Schublade gesteckt werden, das ist auf Dauer schon so ermüdend.“

Remigration und Kriminalität

Bei den EU-Wahlen hat sich gezeigt: Europa rückt immer weiter nach rechts. Die extreme Rechte nutzt auf den ersten Blick harmlos klingende Begriffe wie „Remigration“ – was in Wirklichkeit nichts anderes als die massenweise Ausweisung von Migrant:innen bedeutet. Viele Migrant:innen in Österreich, besonders junge Menschen, fühlen sich nicht mehr sicher. Wenn sie auch noch um ihren Aufenthaltsstatus bangen müssen, verstärkt sich diese Unsicherheit nochmal um einiges. Viele von ihnen sind sich gleichzeitig des negativen Images ihrer Landsleute bewusst – immerhin machen in Österreich ausländische Staatsbürger:innen die Hälfte der Kriminalstatistik aus.

Im Frühling dieses Jahres gab es rund um den Reumannplatz im zehnten Wiener Gemeindebezirk eine Häufung an Konflikten mit Jugendlichen mit Migrationshintergrund – mehrere Messerstechereien und Schlägereien. Rufe rund um die Senkung des Strafalters wurden laut und auch welche nach Abschiebung. Dass das mit der Abschiebung gar nicht so einfach ist, weiß Katrin Hulla, Juristin der Caritas Asylrechtsberatung: „In Österreich ist Asyl nach der Genfer Flüchtlingskonvention geregelt und Betroffene durchlaufen ein zweitinstanzliches Verfahren. Abgeschoben kann man zum Beispiel werden, wenn man keinen Status hat – man wird also nicht abgeschoben, weil man straffällig ist, sondern weil Betroffenen der Status aberkannt wurde. Damit Asyl wegen einer Straftat aberkannt wird, bedarf es einer besonders schweren Straffälligkeit. Das können etwa Raub oder Sexualdelikte sein, und dann braucht es noch eine schlechte Sozialprognose.“

Ich habe keinen Bock mehr, immer nur Schlechtes über uns zu lesen.
Omar, 18 Jahre

Und dann gibt es die Jugendlichen, die einfach nur wütend sind – auf Österreich, aber auch auf ihre Landsleute, die ein schlechtes Licht auf die gesamte Community werfen.

„Ich habe echt keinen Bock mehr, immer nur Schlechtes über uns Syrer zu lesen. Auf TikTok sehe ich ständig, dass sich wieder irgendwer gefetzt hat, wieder irgendwas mit einem Messer – da frage ich mich schon: Bitte, könnt ihr nicht einfach normal sein?“, fragt der 18-jährige Schüler Omar, der seit bald zehn Jahren in Österreich lebt. Omar ist in Syrien geboren und hat mittlerweile unbefristeten Aufenthalt in Österreich. „Ich habe jedes Mal so ein mulmiges Gefühl, wenn ich die Polizei sehe – obwohl ich noch nie etwas Illegales gemacht habe. Aber die sehen einen Schwarzkopf wie mich, und denken sich gleich, dass ich irgendwas angestellt haben muss, ich kenn das ja. Ich will einfach normal zur Schule gehen und mit meinen Freunden Basketball spielen“, fährt er fort. „Ganz ehrlich, kein Wunder, wenn die Österreicher:innen sich wegen den paar Trotteln denken, dass wir alle weg von hier sollen. Aber was habe ich euch angetan?“ Apropos TikTok: Seit Monaten erscheint auf der Plattform immer wieder ein „Trend“, bei dem vorwiegend migrantische Jugendliche Fotos von sich in ein wegschwimmendes Boot einfügen. „Ich, wenn ich abgeschoben werde“, „Wenn Rechte sagen, dass ich wieder in die Heimat muss“ liest man in den Bildbeschreibungen. Gen Z bleibt nun mal Gen Z.

Erich Zauner, Kinder- und Jugendtherapeut der Einrichtung Hemayat, beobachtet diese Sorgen bei seinen Schützlingen seit einiger Zeit: „Es darf kein Fehler gemacht werden. Ein Überqueren der Straße bei Rot kann zu Problemen führen. Jugendliche, deren Aufenthalt noch nicht endgültig entschieden ist – und das ist auch bei subsidiär Schutzberechtigten der Fall – sind dem Thema Abschiebung durchgehend ausgesetzt, was Folgen für den erlebten Alltag und die psychische Belastung hat.“ Besonders unbegleitete Minderjährige sind dieser Thematik in ungeheurem Maß ausgesetzt, so der Therapeut weiter, lastet auf ihren Schultern doch ein enormer Druck.

Knick im ohnehin negativen Image

„Ich habe wirklich Angst davor, in welche Richtung Österreich gerade geht. Was wird sich für uns ändern? Wird der Zugang zur Staatsbürgerschaft jetzt noch schwieriger?“, fragt der Syrer Samy, der mittlerweile unbefristeten Aufenthalt hat. Er lebt seit neun Jahren in Österreich und arbeitet als Grafikdesigner. „Mich nervt auch einfach, wie diese ganze Jugendkriminalitätsberichterstattung instrumentalisiert wird. Immer, wenn ich sowas sehe, ist es wieder ein Knick in unserem eh schon schlechten Image. Ich habe mein normales Leben hier und will nicht wieder und wieder in eine Schublade gesteckt werden“, sagt Samy. Zur Regelung von Abschiebungen krimineller Asylwerber:innen hat er eine klare Meinung: „Ich finde ja: Wenn ein Asylwerber kriminell wird, sollte er die Strafe in Österreich absitzen, wo es Gesetze gibt – die Gesetze, die er gebrochen hat. Ich sag dir jetzt was: Viele unserer Herkunftsländer sind korrupt ohne Ende – schau dir mal Afghanistan an: Wenn du im Westen was Radikales gemacht hast, wirst du dort von den Taliban als Held gefeiert und bekommst keine Strafe.“

Generalisierung von Migrant:innen

„Bitte, lass es keinen Afghanen gewesen sein, das wird sonst wieder mühsam für mich“, denkt sich Hashmat, wenn er Schlagzeilen über radikale Anschlagspläne liest. Hashmat lebt mit einem Konventionspass („Flüchtlingspass”) in Österreich. Der gebürtige Afghane hat die vergangenen Wochen in einem Berufsvorbereitungskurs verbracht. „Es war immer wieder die Rede von straffälligen Afghanen. Dabei hat der Leiter immer und immer auf mich geschaut. Danke, ich bin weder straffällig, noch bin ich der Pressesprecher aller Afghanen in Österreich“, dachte sich Hashmat innerlich. „Ich weiß echt nicht mehr, was ich noch machen soll – soll ich mir ein Schild mit „Ich bin gegen Gewalt“ basteln und damit herumlaufen? Das ist echt anstrengend.“ Auch er hat Angst vor der bevorstehenden Wahl – wählen darf er selbst nicht.

Zankapfel im Wahlkampf

Für die Parteien ist das Thema Migration ein großer Posten in ihren Wahlprogrammen für die Nationalratswahl 2024. Die schärfsten Forderungen kommen von ÖVP und FPÖ, die SPÖ möchte im Rahmen abschieben, den mildesten Kurs fahren die Grünen. (Die Programme im Detail findest du unter Infos & Quellen). Die Forderungen beschäftigen viele Menschen mit unsicherem Aufenthaltsstatus – sie werden über ihren weiteren Aufenthalt in diesem Land entscheiden.

Ein Leben in Unsicherheit

Pädagoge Christian Holzhacker von den Wiener Jugendzentren ist der Meinung, dass Österreich nach Ankunft der Menschen zu viel Zeit vergehen lässt – es dauert oft Monate, bis sie zum Beispiel einen Deutschkurs besuchen können: „Es gilt, von Tag eins proaktiv auf die Menschen zuzugehen und anzuerkennen, dass es auch andere Lebensrealitäten gibt. Sogenanntes ‘Othering’ ist eines der Hauptthemen bei vielen politischen Parteien.“ Gemeinsam mit Kolleg:innen setzt er sich dafür ein, dass Jugendliche auch außerhalb ihres sozialen Umfelds Leute kennenlernen, die ihnen eine neue Perspektive bieten können.

Gerade im städtischen Bereich sind nahezu 34 Prozent der Über-16-Jährigen nicht wahlberechtigt. „Das ist ein Problem, weil diese Gruppen in unserer Demokratie nicht repräsentiert sind. Viele der politischen Entscheidungen, die getroffen werden, betreffen sie, aber sie haben kein Mitspracherecht“, so Holzhacker.

Während die Debatten um Migration, Kriminalität und Integration immer lauter werden, bleibt die Lebensrealität vieler junger Menschen mit Migrationshintergrund von Unsicherheit und Sorge geprägt. Die Angst vor Abschiebung, das Gefühl, immer wieder stigmatisiert zu werden, und die Frage, ob sie in Österreich eine Zukunft haben, bestimmen ihren Alltag. Sie stehen zwischen zwei Welten – einer Heimat, in der Krieg, Verfolgung oder Perspektivenlosigkeit herrschen, und einem Land, das ihnen Chancen bietet, aber dessen politisches Klima immer kälter wird.


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Infos und Quellen

Genese

„Wie geht es den Jugendlichen und jungen Erwachsenen eigentlich mit der Berichterstattung rund um Abschiebungen vor den Nationalratswahlen?“, fragten sich WZ-Redakteurin Aleksandra Tulej und WZ-Trainee Miriam Al Kafur. Daraufhin haben sie Migranten in Wien zu Wort kommen lassen und mit Expert:innen gesprochen.

Gesprächspartner:innen

  • Ali, stammt aus Afghanistan und lebt in Österreich

  • Rawi, kommt aus Syrien und lebt in Österreich

  • Hashmat, stammt aus Afghanistan und lebt in Österreich

  • Omar, kommt aus Syrien und lebt in Österreich

  • Samy, kommt aus Afghanistan und lebt in Österreich

  • Katrin Hulla, Asylrechtsexpertin der Caritas Wien

  • Erich Zauner, Kinder- und Jugendtherapeut im Betreuungszentrum HEMAYAT

  • Christian Holzhacker ist pädagogischer Bereichsleiter des „Verein Wiener Jugendzentren“ und arbeitet seit mehr als 30 Jahren mit Kindern und Jugendlichen.

Daten und Fakten

  • In Österreich wurden bis Juli 2024 etwa 15.245 Asylanträge gestellt. Die Zahlen zeigen einen deutlichen Rückgang im Vergleich zu den Vorjahren, und es wird erwartet, dass die Gesamtzahl der Anträge für das Jahr 2024 etwa 26.000 erreichen könnte. Dies markiert den niedrigsten Stand seit 2020.

  • Subsidiärer Schutz wird Personen gewährt, die nicht als Flüchtlinge nach der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt werden, aber trotzdem nicht in ihr Heimatland zurückkehren können, weil ihnen dort ernsthafter Schaden droht (z. B. Folter, Todesstrafe, Krieg). Der Schutzstatus wird meist für ein Jahr erteilt und kann verlängert werden, ist jedoch mit mehr Unsicherheit verbunden als der Flüchtlingsstatus.

  • Im Jahr 2022 lag die Anerkennungsquote für Asylwerber:innen in Österreich bei rund 36 Prozent. Das bedeutet, dass etwa ein Drittel der gestellten Asylanträge positiv entschieden wurde.

  • Asylwerber:innen in Österreich haben das Recht auf kostenlose Rechtsberatung im Zug ihres Asylverfahrens.

  • Straffällige Asylwerber:innen können ihren Schutzstatus verlieren, wenn sie für schwerwiegende Delikte verurteilt werden. Dies betrifft schwere Straftaten wie Raub oder Sexualdelikte. Die Aberkennung des Asylstatus erfolgt aber erst nach einer intensiven rechtlichen Prüfung.

  • Österreich ist Teil des Dublin-Systems, das regelt, dass jenes EU-Land für einen Asylantrag zuständig ist, in dem der/die Antragsteller:in zuerst registriert wurde. Dies bedeutet, dass viele Anträge an andere EU-Staaten verwiesen werden.

  • Asylwerber:innen in Österreich haben Anspruch auf Grundversorgung, die Unterbringung, Verpflegung, medizinische Versorgung und Taschengeld umfasst. Diese wird auf Landesebene koordiniert und variiert zwischen den Bundesländern.

Was sagen die Parteien zum Thema Abschiebung?

  • Die schärfsten Forderungen kommen von der ÖVP. Die ÖVP fordert eine Reduzierung des Asyldrucks, Kürzungen von Sozialleistungen und möchte den Familiennachzug stärker kontrollieren, Kriminelle will man in ihre Herkunftsländer abschieben, konkret genannt werden dabei Syrien und Afghanistan. Beides sind Länder, in die Österreich aktuell keine Abschiebungen durchführt.

  • Ähnlich lang, wenn nicht sogar länger, ist die Liste der Forderungen der FPÖ. Die Freiheitlichen schreiben in ihrem Programm, dass in Österreich zu viele Anträge einen positiven Bescheid erhalten. Eine weitere Forderung ist ein Rücknahmeabkommen mit den Herkunftsländern, auch wenn es sich dabei um unsichere Länder handelt. „Integrationsverweigerung“ soll sanktioniert werden – darunter versteht die Partei zum Beispiel die Einstellung gegenüber Frauen oder kulturelle Unterschiede. Explizit genannt werden Regionen, die muslimisch geprägt sind.

  • Einen anderen Ansatz wählen die Grünen, die unter anderem einen verfassungsrechtlichen Grundschutz für alle Volksgruppen haben wollen. Abschiebungen nach Syrien oder Afghanistan sind für die Partei nicht möglich, beim Überthema Integration ist die Partei der Ansicht, dass Österreich nicht überlastet ist, und setzt auf eine offene Diskussionskultur.

  • Auch die SPÖ möchte härter gegen Kriminalfälle vorgehen, aber Abschiebungen nur in einem rechtlichen Rahmen durchführen. Doch bei den Asylanträgen setzt die Partei auf das Netzwerk innerhalb der EU: Es wird eine solidarische Verteilung gefordert und Österreich soll weniger Asylanträge bekommen. Die Sozialleistungen sollen auf dem Status quo verweilen.

Quellen

Das Thema in der WZ

Das Thema in anderen Medien