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In Niederösterreich gibt es keine Tierrettung für Wildtiere oder Haustiere wie in anderen Bundesländern. Es scheitert an einer veralteten Verordnung, die das Leben von Mensch und Tier gefährdet.
Es ist ein typischer Herbstabend. Die Sonne ist gerade untergegangen, die Abenddämmerung weicht langsam der Dunkelheit. Ein Reh springt aus dem Wald direkt auf die Bundesstraße. Ein Lkw-Fahrer bremst zu spät – ein lauter Knall, das Knirschen von Metall, ein schmerzerfüllter Schrei. Das Reh liegt auf der Straße, blutend, mit einem verdrehten Bein. Eine Szene, die so oder so ähnlich in Österreich oft vorkommt.
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Von hier an ist für das Überleben des Rehs entscheidend, in welchem Bundesland der Unfall stattfand, es ist ein Beispiel für Österreichs Föderalismus: In Salzburg etwa kann die Tierrettung mit Blaulicht zur Unfallstelle und weiter in die Tierklinik fahren. Fehlt aber die Tierrettung, muss die Polizei Zuständigkeiten abtelefonieren. Am Ende bleibt oft nur die „Erlösung“ durch einen Jäger. Dabei wäre eine Behandlung und Genesung des Tiers möglich gewesen. In Niederösterreich kommt das häufig vor, denn hier gibt es keine Tierrettung. Aus politischen Gründen. Es geht aber auch um die Sicherheit der Menschen, die sich um das verletzte Tier bemühen.
Harakiri für die Retter:innenMarcus Serringer-Schnabl
Marcus Serringer-Schnabl, Geschäftsführer des Tiermedizinischen Zentrums Teesdorf, bringt es gegenüber der WZ auf den Punkt: Blaulicht, sagt er, sei kein Prestige, sondern Schutz: Es mache eine Einsatzstelle früh erkennbar, erlaube rechtssicheres Arbeiten auf dem Asphalt und zwinge den Verkehr, Tempo herauszunehmen. Und auch die Erlaubnis, auf Privatgrund zu fahren wie etwa zu Wäldern wo verunglückte Wildtiere sein können. Wie wichtig die Sicherung von Menschen ist, zeigt ein Vorkommnis bei Oberwaltersdorf: Eine Entenmutter mit Küken quert die Fahrbahn, die Ente wird getötet. Beherzte Menschen bremsen, steigen aus, sammeln die Küken ein, während der Berufsverkehr weiterläuft. „Total süß“ sei das, sagt Serringer-Schnabl, aber ohne Absicherung „Harakiri für die Retter:innen“. Erst wenn Profis die Stelle sichern, wird aus guter Absicht ein sicherer Einsatz.
Was die Tierrettung leisten könnte – und was ihr verwehrt bleibt
Christian Bruschek von der Österreichischen Tierrettung (ÖTR) bedauert, dass der Stützpunkt in Horn (Niederösterreich) „stillgelegt“ ist, da die nötigen Genehmigungen fehlen. Die ÖTR wird „rein aus Fördermitgliedern“ und Spenden finanziert. Das zentrale Hindernis sieht er in einer landesrechtlichen Vorgabe, die private Tierrettungen faktisch ausschließt: In Niederösterreich sind für den Betrieb mit Blaulicht zwei Großviehtransporter notwendig. Der Alltag der Rettung in Salzburg etwa, wo Bruschek tätig ist, bestehe aber aus Hunden, Katzen und mittelgroßem Wild. Bei Großtieren brauche man keinen Transporter, denn da komme ohnehin der Tierarzt vor Ort, erzählt Bruschek aus seinen Erfahrungen. Was gebraucht werde, seien ausgerüstete Einsatzfahrzeuge, geschulte Crews, klare Alarmierung – und das Blaulicht, das all das sichtbar macht und rechtlich absichert. Die Blaulicht-Fahrer haben übrigens eine eigene Ausbildung, fügt Bruschek hinzu.
Warum organisierte Hilfe Hektik verhindert
Noch deutlicher zeigt sich die Wichtigkeit einer Tierrettung, wenn ein Haustier verletzt ist. Serringer-Schnabl erzählt von einer Frau, die ihren schwer verletzten Hund ins Auto hebt und losfährt; „zwölf Minuten“ später steht sie in der Klinik, nicht ansprechbar vor Angst und Panik. Als Einsatzfahrer wolle er gar nicht wissen, auf welche Art und wie schnell da gefahren wurde. Eine organisierte Tierrettung mit Blaulicht nimmt genau dort Druck aus der Lage: Sie versorgt vor Ort, übernimmt den Transport, verhindert Panikfahrten. Das schützt Menschen – und es rettet Tiere.
Politik in der Verantwortung: Öffnen oder blockieren?
Die politische Front ist in Niederösterreich klar gezogen. Zuständig ist Tierschutz-Landesrätin Susanne Rosenkranz (FPÖ), die an der restriktiven Linie festhält. Sie fühle sich aber laut ihrem schriftlichen Statement (siehe Daten und Fakten) nicht zuständig: Sämtliche Regelungen, besonders die Vergabe von Blaulicht, fielen nicht in ihren Zuständigkeitsbereich. Das von der WZ zuerst angeschriebene Büro des Landeshauptfrau-Stellvertreters Udo Landbauer, er ist für Infrastruktur und dazu gehört auch Straßenrecht sowie Sport zuständig, hat an Rosenkranz verwiesen. „Grundsätzlich fallen Wildtiere unter das Jagdgesetz und sie gehören dem Jagdausübungsberechtigten. Daher hat sich die Rettungskette mit Polizei, Jäger und Amtstierärzten bei Wildtieren bewährt“, heißt es in dem Statement.
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Die SPÖ Niederösterreich fordert indes eine Öffnung für qualifizierte Tierrettungen – mit Ausbildung, Leitstellen-Anbindung und Kontrolle sowie ohne realitätsferne Hürden. Sven Hergovich, SPÖ-NÖ-Landesparteivorsitzender, formuliert es so: „Die aktuelle Verordnung ist aus unserer Sicht völlig praxisfern und gefährdet den Tierschutz und die rasche Rettung verunglückter Tiere in Niederösterreich. Von ehrenamtlich getragenen Tierrettungsorganisationen zu verlangen, dass sie zwei Großviehtransporter vorhalten, ist realitätsfremd.“ Das sieht Rosenkranz nicht: „Unter den gegebenen Voraussetzungen und unter den derzeitigen budgetären Gegebenheiten“ sei die jetzige Vorgabe verhältnismäßig, da sie „vor Jahrzehnten von der Landesregierung – nach eingehender Beratung – mit der Tierärzteschaft und weiteren Vereinen schriftlich vereinbart wurde“. Und so werden weiterhin Dutzende Tiere unnötig sterben.
Wer sich nun Sorgen um Elch Emil macht, der in Niederösterreich durch die Gegend strawanzt, kann aufatmen: Er ist ein VIP-Wildtier und wird von der Polizei über die Bundesstraßen, die er überqueren möchte, eskortiert.
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Infos und Quellen
Genese
Beim Tierarzt entdeckt WZ-Redakteurin Verena Franke einen Aufruf zur Unterstützung einer Tierrettung in Niederösterreich – erstaunlich für jemanden, der Jahrzehnte lang in Wien wohnte, wo die Stadt eine eigene Tierrettung hat. Sie folgt dem Hinweis.
Gesprächspartner:innen
- Christian Bruschek ist Präsidenten der Österreichischen Tierrettung.
- Marcus Serringer-Schnabl ist Geschäftsführer des Tiermedizinischen Zentrums Teesdorf.
- Susanne Rosenkranz (FPÖ), Landesrätin für Arbeit, Konsumentenschutz, Natur- und Tierschutz in NÖ: schriftliche Stellungnahme per E-Mail (siehe Daten und Fakten).
- Sven Hergovich (SPÖ), Landesrat und SPÖ-Landesparteivorsitzender NÖ: schriftliche Stellungnahme per E-Mail (siehe Daten und Fakten).
Daten und Fakten
- Finanziert wird die ÖTR aus Fördermitgliedern und Spenden. Das Modell ist schlicht: Mitgliedsbeiträge halten Betrieb, Material, Ausbildung und Bereitschaften am Laufen. Für Unterstützer:innen gibt es mehr als ein gutes Gefühl: „Jedes Fördermitglied der Österreichischen Tierrettung ist automatisch versichert“, sagt Bruschek zur WZ. Die Mitgliedschaft sichert Einsätze für eigene Tiere ab – und wirkt über Grenzen hinweg, weil Kooperationsabkommen mit der Schweizer und der Bayerischen Tierrettung bestehen. Wer unterwegs ist, steht nicht ohne Hilfsnetz da. Dieser konkrete Nutzen senkt die Schwelle, Hilfe professionell zu holen, statt selbst zu rasen, zu riskieren.
- Der volle Wortlaut der schriftlichen Stellungnahme aus dem Büro der niederösterreichischen Landesrätin für Arbeit, Konsumentenschutz, Natur- und Tierschutz Susanne Rosenkranz (FPÖ):
„Einleitend muss festgehalten werden, dass es keine Verordnung von Frau LR Rosenkranz bezüglich Tierrettung gibt. Sämtliche Regelungen, besonders die Vergabe von Blaulicht, fällt 1.) nicht in ihren Zuständigkeitsbereich und wurde 2.) unseres Wissens vom ehemaligen LR Schnabl (SPÖ) auf Wunsch der anderen Einsatzorganisationen nicht vergeben.
Grundsätzlich fallen Wildtiere unter das Jagdgesetz und sie gehören dem Jagdausübungsberechtigten. Daher hat sich die Rettungskette mit Polizei, Jäger und Amtstierärzten bei Wildtieren bewährt.
Grundsätzlich ist auch auf unsere Tierschutzhotline zu verweisen, denn es gilt „Wähl 0800 – 000 134 – das ist der Notruf, so hilfst du jedem Tier“.
WZ: Warum hält die Landesregierung an der Auflage mit zwei Großviehtransportern fest?
S. Rosenkranz: Es gibt keine Verordnung von Landesrat Susanne Rosenkranz, die das vorschreibt. Die Voraussetzung von zwei Großviehtransporter wurde vor Jahrzehnten von der Landesregierung – nach eingehender Beratung – mit der Tierärzteschaft und weiteren Vereinen schriftlich vereinbart, da eine seriöse Tierrettung über ein seriöses Mindestmaß an Einsatzlogistik verfügen muss.
WZ: Halten Sie diese Regelung für verhältnismäßig?
S. Rosenkranz: Unter den gegebenen Voraussetzungen und unter den derzeitigen budgetären Gegebenheiten, ja.
WZ: Welche Schritte sehen Sie, um die Sicherheit der Einsatzkräfte zu gewährleisten und gleichzeitig eine moderne Tierrettung zu ermöglichen?
S. Rosenkranz: Sicherheit hat oberste Priorität. Bewährt hat sich die Zusammenarbeit mit bestehenden Strukturen; mit Feuerwehren, Jägerschaft, Tierärzten und Tierheimen.
WZ: Wie soll vermieden werden, dass verletzte Wildtiere (z. B. Reh mit behandelbarem Beinbruch) vorschnell getötet werden, nur weil keine Tierrettung ausrücken darf?
S. Rosenkranz: Gerade beim Reh sind wir im Jagdrecht mit klar geregelten Eigentumsverhältnissen. MG | 170925
WZ: Retter sind nachts am Straßenrand großen Gefahren ausgesetzt. Darf man da nicht erwarten, dass ihre Sicherheit bestmöglich gewährleistet wird?
S. Rosenkranz: Erfahrene Blaulichtorganisationen haben nicht nur tägliche Routine, sondern absolvieren auch regelmäßige Weiterbildung und Schulungen. Verkehrs- und Einsatzsicherheit steht an erster Stelle – für Helfende wie für andere Verkehrsteilnehmende.
WZ: Und wie steht die FPÖ dazu, wenn gesagt wird, ein Tier wie „Elch Emil“ müsse erschossen werden, falls es auf die Straße springt und angefahren wird?
S. Rosenkranz: Unser Ziel ist Sicherheit für Mensch und Tier. Elchwild fällt gemäß § 3 unter das NÖ Jagdgesetz.“
- NÖ Jagdgesetz: Was ist Jagdrecht?
Nach dem NÖ Jagdgesetz 1974, LGBl. 6500 ist das Jagdrecht das ausschließliche Recht innerhalb eines bestimmten Bereiches (Jagdgebietes) dem Wild nachzustellen, es zu fangen, zu erlegen und sich anzueignen.
Zum Jagdrecht gehört auch das ausschließliche Recht sich verendetes Wild, Fallwild (Wild, das nicht bei der Jagd getötet wurde, z.B.: durch PKW), Geweihe (Abwurfstangen) und Eier des Federwildes anzueignen.
Jeder, der unberechtigt von diesem Recht Gebrauch macht, macht sich nach § 137 StGB (Strafgesetzbuch) strafbar. (Quelle: noe.gv.at)
- Voller Wortlaut der schriftlichen Stellungnahme von Landesrat Sven Hergovich, SPÖ NÖ-Landesparteivorsitzender zu Blaulicht für Tierretter:
„Die aktuelle Verordnung ist aus unserer Sicht völlig praxisfern und gefährdet den Tierschutz und rasche Rettung verunglückter Tiere in Niederösterreich. Von ehrenamtlich getragenen Tierrettungsorganisationen zu verlangen, dass sie zwei Großviehtransporter vorhalten, ist realitätsfremd. Wir als SPÖ Niederösterreich haben uns daher – Seite an Seite mit der Österreichischen Tierrettung und dem Tiermedizinischen Zentrum in Teesdorf - für eine sofortige Überarbeitung dieser Vorschrift stark gemacht. Unter https://noe.spoe.at/tierrettung ist auch die dazugehörende Petition der SPÖ NÖ mit bereits über 2.000 UnterstützerInnen abzurufen.
Ziel muss eine praxistaugliche und unbürokratische Regelung sein, die die rasche und fachgerechte Versorgung verletzter Tiere und die Sicherheit der Retter gewährleistet – egal ob es sich um den Einsatz für ein Reh mit einem gebrochenen Bein oder für ein Haustier handelt. Während Feuerwehr, Rettung, Polizei, Räumdienste rasch zu verunglückten Fahrzeugen auf Autobahnen durchdringen können, stehen Tierretter im Stau. So sind auch oft engagierte Feuerwehr, Rettungs- oder Polizei-Einsatzkräfte mit der Betreuung unfall-beteiligter Tiere gebunden.
Wir werden diese Forderung weiterhin in Regierung und Landtag weiterbetreiben und drängen auf eine rasche Lösung. Tierschutz darf nicht an unrealistischen Auflagen scheitern – und schon gar nicht dazu führen, dass verletzte Wildtiere vorschnell getötet werden.“
Quellen
- Interviews mit Gesprächspartnern
- Schriftliche Stellungnahmen
- Österreichische Tierrettung
- NÖ Tierschutz-Hotline
Das Thema in anderen Medien
- NOE.ORF: Neuerlich „Polizeischutz“ für Emil
- Mein Bezirk: Weiterhin kein Blaulicht für Tierrettung in NÖ
- ORF: SPÖ fordert Blaulicht für Tierrettung
- Kurier: Unnötiges Leiden: SPÖ fordert Blaulichterlaubnis für rasche Tierrettereinsätze in NÖ (Paywall)
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