Die Schlagzeilen zum Bürgerkrieg 1934 machen die Vereinnahmung als politisches Kampforgan des Austrofaschismus deutlich.
„Regierung – Herrin der Lage“ titelte die Wiener Zeitung in ihrer Sonderausgabe vom 12. Februar 1934. Der Bürgerkrieg war nach wenigen Tagen zu Ende, die Sozialdemokratie niedergeschlagen. Schon ein kurzer Blick in die Zeitungausgaben der damaligen Zeit genügt, um festzustellen, auf welcher Seite die Wiener Zeitung als Blatt der Republik stand. Als Organ der Regierung blieb ihr 1934 gar nichts anderes übrig, als mit den Wölfen zu heulen und den Schwenk von einer weitestgehend liberalen Zeitung zum Sprachrohr des Austrofaschismus zu vollziehen. Die Wiener Zeitung sollte der autoritären Regierung unter Kanzler Engelbert Dollfuß als politisches Kampforgan dienen und deren Propaganda unters Volk bringen.
- Für dich interessant: Südostwall: Gräben sind verschüttet, die Erinnerung nicht
Dollfuß ersetzte den Chefredakteur
Dazu war bereits ein knappes Jahr davor, am 11. April 1933, der damalige Chefredakteur Rudolf Holzer (seit 1924 im Amt) abgesetzt worden. Die Begründung: Als ausgewiesener Kulturjournalist, Dichter und Literat sei er wohl wenig erpicht darauf, die zukünftig stärker politisch ausgerichtete Zeitung zu führen. Dollfuß persönlich zitierte ihn zu sich, um ihm dies mitzuteilen. Der wahre Grund war wohl eher Holzers politische Einstellung: Er war völkisch orientiert, also dem Lager der von Dollfuß bekämpften Nationalsozialisten zuzuordnen.
Holzer wurde durch den regimetreuen Politjournalisten Ferdinand Reiter ersetzt, dem einige Zeit lang Pankraz Kruckenhauser – zugleich Generalsekretär des neu geschaffenen Österreichischen Heimatdienstes, eines Propagandaorgans der Vaterländischen Front – als Generaldirektor zur Seite gestellt wurde. Parallel dazu sorgten 1933 und 1934 zahlreiche Verordnungen für das Ende unliebsamer Medien insbesondere der politischen Gegner und eine De-facto-Zensur der Presse in Österreich.
Die Gesinnung dem neuen System geopfert
Wie das alles abgelaufen ist und in welcher Form die Wiener Zeitung über die Geschehnisse im Februar 1934 berichtete, haben fünf Publizistikstudent:innen an der Universität Wien in ihren Bakkalaureatsarbeiten ausführlich beleuchtet. Entstanden sind diese, ebenso wie zwei Dutzend weitere wissenschaftliche Arbeiten zur Geschichte der Wiener Zeitung, im Jahr 2013, betreut von Professor Fritz Hausjell. Die Autor:innen dieser fünf Arbeiten kommen zu dem Schluss, dass sowohl Reiter als auch Kruckenhauser wohl demokratisch eingestellt gewesen sein dürften, ihre Gesinnung aber dem neuen System opferten. Und dass die späteren Schilderungen der Ereignisse in der Festschrift „250 Jahre Wiener Zeitung“ (1953) auch durch Holzer selbst vermutlich zum Teil beschönigend waren.
Mit dem personellen Umbau ging auch eine Umgestaltung der Tageszeitung einher, deren journalistische Bedeutung durch die restriktive Pressepolitik der Regierung zu diesem Zeitpunkt kaum der Rede wert war. Der spätere Chefredakteur Franz Stamprech nannte die Wiener Zeitung der frühen 1930er-Jahre in seinem Buch „Die älteste Tageszeitung der Welt“ (1975) im Rückblick „blutarm“, wenngleich sie wirtschaftlich aufgrund vieler Druckaufträge gut dastand. Leser:innen hatte sie damals allerdings kaum. Unter dem neuen Chefredakteur Reiter wurde die Redaktion personell ausgebaut, ebenso stieg die Zahl der Ausgaben. Inhaltlich fungierte die Wiener Zeitung nun als Sprachrohr des Heimatdienstes und seiner Propaganda. Der bis dahin dominierende amtliche Teil rückte nach hinten, aktuelle Nachrichten standen im Vordergrund, inklusive Kommentare, Leitartikel und Kampfartikel gegen den Nationalsozialismus – publizistische Elemente, die die Redaktion zuvor abgelehnt hatte.
Ein „politisches Heerlager“
Wohin die Reise gehen sollte, offenbarte Kruckenhauser bereits 1933 in der 230-Jahre-Festschrift: „Oft wechselte die ‚Wiener Zeitung‘ ihr äußeres Bild, oft ihre Form und oft ihren Stil, aber in jedem Gewand diente sie dem Staat, diente sie Österreich.“ In einer „für Volk und Staat entscheidungsschweren Kampfzeit“ dürfe sie nicht „in diesem schicksalhaften Ringen als stille, temperamentslos unbeteiligte Zuschauerin in der Etappe stehen“, sondern habe „als Organ der Bundesregierung die ganz zweifellose Funktion, die Meinungen und die Maßnahmen der Bundesregierung zu vertreten“. In dieselbe Kerbe schlug Reiter: „Man muß [...] mit den Wölfen heulen, man muß Propaganda machen, muß kämpfen und werben mit zündender Begeisterung. Wenn aus den großen Kalibern der Lüge geschossen wird, dann muß auch die Wahrheit aus großen Kalibern donnern.“ Noch in der 250-Jahre-Festschrift – also 1953, nach dem Ende von Austrofaschismus, Nationalsozialismus und Zweitem Weltkrieg – nannte Reiter den 21. Mai 1933 den „ersten großen Tag der Wiener Zeitung“. Damals hatte sie getitelt: „Hinein in die Vaterländische Front!“ Und: „Wacht auf: Es nahet gen den Tag! – Ausblick in das zweite Regierungsjahr Dr. Dollfuß“. Die Redaktion dieser Zeit nannte Reiter ein „politisches Heerlager“, in dem „hunderte von Menschen kamen und gingen vom frühen Morgen bis zur späten Abendstunde“.
Was sich in der heutigen Innenpolitik abspielt und was davon zu halten ist, erläutert Georg Renner in seinem wöchentlichen Newsletter.
Einfach Politik.
Innenpolitik-Journalist Georg Renner über Österreichs Politiklandschaft.
Dieses „politische Heerlager“, das de facto aus einem Dutzend Redakteur:innen bestand, wie die studentischen Recherchen zeigen, gab auch Mitte Februar 1934 ausführlich die Standpunkte von Dollfuß und seiner Regierung wieder. So hieß es am 10. Februar, kurz vor dem Ausbruch der Kämpfe zwischen Republikanischem Schutzbund und Heimwehr, auf der Titelseite, dass „die Front fest geschlossen“ sei und sich „die vaterlandstreue Bevölkerung […] mit größter Entschiedenheit“ zu deren Programm bekannt habe. Und weiter hinten ließ man den Sozialdemokraten Karl Renner die Notwendigkeit des angestrebten Ständestaats betonen, wenn auch etwas verklausuliert.
Klare Schlagseite zugunsten der Regierungstruppen
In der Sonderausgabe am Abend des 12. Februar 1934 war unter anderem von „planmäßigen verbrecherischen Anschlägen bolschewikischer Elemente“ und von „verbrecherischen Hetzern“ die Rede, wie überhaupt die aufständische Sozialdemokratie als Staatsfeind dargestellt wurde. Bezeichnend ist auch, dass die Wiener Zeitung bereits am 16. Februar zu Spenden für „die Hinterbliebenen der Gefallenen“ auf Seiten von Exekutive und Heimwehr aufrief und deren rund hundert Tote wesentlich stärker hervorstrich als die doppelt so vielen Toten in der Zivilbevölkerung und aufseiten des Schutzbundes.
Dafür wurde intensiv über die standrechtlichen Todesurteile gegen die Aufständischen berichtet, während das Bundesheer als „Rückgrat der Staatsautorität“ hoch gelobt wurde, das sich „in Bezug auf Verlässlichkeit, Hingebung und patriotische Haltung […] außerordentlich bewährt“ habe, und das gegen einen „heimtückischen Feind“, insbesondere in den „festungsartig gebauten Zinskasernen der Gemeinde Wien“. Die Wiener Zeitung betonte die Disziplin der Truppen: „Kein einziger Akt von Rache ist zu verzeichnen. Frauen und Kinder wurden von den Soldaten in Sicherheit gebracht.“
Auch der christlichsoziale Bundespräsident Wilhelm Miklas richtete auf Seite 1 der Wiener Zeitung am 17. Februar den Soldaten seinen Dank aus für „das opferfreudige und mutige Eingreifen“ gegen „tausende von Mitgliedern verbotener militanter Organisationen“, die „in kriegsmäßiger Ausrüstung zum Kampf gegen die staatliche Ordnung aufgeboten worden seien und „die Waffen gegen die eigenen Mitbürger erhoben“ hätten, um „planmäßig und gewaltsam“ einen Umsturz herbeizuführen. Aber: „Der festen Haltung und unbeugsamen Entschlossenheit der Bundesregierung und ihrer braven Exekutive ist es zu danken, dass der aufgezwungene Kampf mit dem Siege der gesetzlichen Gewalten endete.“
Von den Nationalsozialisten eingestellt
Die Wiener Zeitung sollte noch vier weitere Jahre als Kampforgan des Austrofaschismus dienen, bis die Nationalsozialisten 1938 Chefredakteur Reiter absetzten und das Blatt noch bis Februar 1939 für ihre antisemitischen Zwecke nutzten, ehe ein Jahr später auch der amtliche Teil gestrichen wurde (1945 wurde bei der Wiedererstehung der Wiener Zeitung erneut Reiter als Chefredakteur eingesetzt). Während Reiter sogar von der Gestapo verhaftet wurde, konnte sich Kruckenhauser, der bereits 1934 wieder aus dem Amt entfernt worden war, nach der Machtergreifung der Nazis als Hauptschriftleiter bei der Grenzmark-Zeitung etablieren. Auch für Holzer gab es 1945 ein Comeback bei der Wiener Zeitung, zudem wurde er Präsident des Presseclubs Concordia, im Jahr darauf Feuilletonleiter der Presse und 1948 Professor am Institut für Zeitungswissenschaft der Universität Wien.
Glaubt man Stamprechs Buch, so stürmten die Nazis in der Nacht auf 12. März 1938 etliche Redaktionen in Österreich – mit Ausnahme jener der Wiener Zeitung. Dafür war der Zugriff durch die NS-Behörden in dem knappen Jahr, das die Wiener Zeitung noch existierte, wesentlich stärker als unter den Austrofaschisten.
*****
Was die Wiener Zeitung sonst noch alles an Propaganda zu den Februarkämpfen 1934 schrieb und wie ihre Rolle historisch einzuordnen ist, damit befassen sich auch Petra Tempfer und Bernd Vasari im aktuellen WZ-Podcast.
Dir hat dieser Beitrag besonders gut gefallen oder du hast Hinweise für uns - sag uns deine Meinung unter feedback@wienerzeitung.at. Willst du uns helfen, unser gesamtes Produkt besser zu machen? Dann melde dich hier an.
Infos und Quellen
Daten und Fakten
Im österreichischen Bürgerkrieg von 12. bis 15. Februar 1934 standen einander bewaffnete Einheiten der beiden großen politischen Lager gegenüber: auf sozialdemokratischer Seite der Republikanische Schutzbund, auf Seite der regierenden Christlichsozialen (Vorläufer der ÖVP) die Heimwehr und die neu gegründete Vaterländische Front. Zudem das Bundesheer und die Polizei. Ihren Anfang nahmen die Februarkämpfe in Linz: Dort wollte die Polizei frühmorgens das Hotel Schiff durchsuchen, um ein mögliches Waffendepot auszuheben. Die Schutzbündler eröffneten das Feuer. Nach und nach griffen auch andere Schutzbund-Einheiten in Linz, Oberösterreich und der Steiermark zu den Waffen, in Wien wurde insbesondere in den Gemeindebauten gekämpft. Nach drei Tagen wurde der Aufstand niedergeschlagen. Es gab geschätzt rund 350 Tote und mehr als doppelt so viele Verwundete. Wiens Bürgermeister Karl Seitz wurde seines Amtes enthoben und verhaftet, was das Ende des roten Wiens bedeutete. Die Sozialdemokratie wurde aufgelöst - und der Weg hin zum Austrofaschismus war endgültig frei.
Quellen
Aus dem Archiv der Wiener Zeitung:
Dollfuß verheimlicht seine Pläne nicht. In der Wiener Zeitung vom 11. Februar 1934 sind sie zu lesen.
Die Wiener Zeitung erscheint noch am Abend des 12. Februar 1934 in einer zweiseitigen Sonderausgabe.
Auf Seite 2 der Wiener Zeitung vom Abend des 12. Februar 1934 steht fettgedruckt: „Regierungsappell in ernstester Stunde."
Die Wiener Zeitung berichtet am 13. Februar 1934 über den Vortag: „An das Volk von Österreich!"
Die Wiener Zeitung vom 14. Februar 1934 zeichnet ein etwas anderes Bild der Lage: Es war offenbar doch nicht so ruhig, wie sie davor immer wieder berichtet hatte.
Auf Seite 2 richtet sich die Wiener Zeitung vom 14. Februar 1934 direkt an die Arbeiter.
Die Gerichte waren damals noch nicht unabhängig. Es kommt zum Verhör mit Münichreiter, Gruppenführer des sozialdemokratischen Schutzbundes. Die Wiener Zeitung hat den Dialog, der über Tod oder Leben entscheidet, am 15. Februar 1934 auf Seite 7 abgedruckt.
Weiterführende Links:
Website des österreichischen Parlaments über den 12. Februar 1934
„Die Zerstörung der Demokratie“, Hrsg. von Bernhard Hachleitner, Alfred Pfoser, Katharina Prager und Werner Michael Schwarz, Wien Museum 2023
Wilhelmine Goldmann: „Rote Banditen. Geschichte einer sozialdemokratischen Familie“, Pro Media 2023
Franz Stamprech: „Die älteste Tageszeitung der Welt. Werden und Entwicklung der Wiener Zeitung“, 1971
Alice Binder: „JournalistInnen im Austrofaschismus“ (Bakkalaureatsarbeit 2013)
Lucas Deimann: „Propaganda für den Austrofaschismus? Wie die Wiener Zeitung im Vergleich zum Prager Tagblatt 1934–1938 berichtete“ (Bakkalaureatsarbeit 2013)
Kirin Kohlhauser: „Die Sportberichterstattung der Wiener Zeitung in der Zeit des austrofaschistischen Ständestaats“ (Bakkalaureatsarbeit 2013)
Melanie Leitgeb: „Das Frauenbild in der Presse im austrofaschistischen Ständestaat – Inhaltsanalyse am Beispiel der Wiener Zeitung.“ (Bakkalaureatsarbeit 2013)
Nadine Schellander: „Journalisten und Journalistinnen der Wiener Zeitung zwischen 1933 und 1945“ (Bakkalaureatsarbeit 2013)
Das Thema in der WZ
Im WZ-Podcast „Liveticker: So verlief Österreichs Bürgerkrieg 1934" lesen die WZ-Hosts Petra Tempfer und Bernd Vasari Archivstellen der Wiener Zeitung vor, die in diesen Tagen regelmäßig berichtete und sogar eine Sonderausgabe druckte.
Das Thema in anderen Medien
Der Standard: Februarkämpfe 1934: „Die meisten Opfer waren Unbeteiligte“
Robert Menasse im Standard: Warum dieser Februar nicht vergehen will
Die Presse: Februar 34 – ein Glücksfall