Warum kommt es immer wieder zu Angriffen durch Hunde? Wie kann man diese verhindern? Die WZ hat bei Yvonne Adler, gerichtlich beeidete Sachverständige und Hundetrainerin, nachgefragt.
Stellen wir uns folgendes Szenario vor: Eine Mutter mit Kinderwagen, oder Kleinkind an der Hand, geht auf der Straße spazieren. Ihr kommt ein Hund entgegengelaufen, ohne Maulkorb, ohne Leine. Der Besitzer ist in weiter Ferne, zu weit, als dass ihm die Mutter etwas zurufen könnte. Gibt es ein bestimmtes Verhalten, das die Stimmung des Hundes deutlich macht?
Das optische Ausdrucksverhalten eines Hundes umfasst eine Vielzahl an Einzelsignalen und ihre jeweilige Bedeutung in unterschiedlichen Kombinationen. So liefern Gestik, Mimik, Körperhaltung, Körperstellung, Körperspannung, mögliche Lautgebungen Informationen über den emotionalen Zustand eines Hundes, seine Motivationen und seine Verhaltensbereitschaften. Es gibt nie ein einziges Signal, das eine bestimmte Bedeutung hat. Entscheidend ist der aus allen Signalen zusammengesetzte Gesamtausdruck und der Kontext, in dem sie gezeigt werden.
Zum Beispiel?
Die Rutenbewegung eines Hundes bedeutet zum Beispiel Aufregung. Also nicht jeder wedelnde Hund ist freundlich gestimmt.
Grundsätzlich wollen Hunde Konflikte vermeiden.Yvonne Adler
Also wie erkennt die Mutter, dass der ihr entgegenkommende Hund nicht gut drauf ist?
Grundsätzlich wollen Hunde Konflikte vermeiden und deeskalieren, wenn sie etwas im Alltag als bedrohlich empfinden. Zum Beispiel laufen sie dann in einem Bogen an einem vorbei. Oftmals lässt der Alltag auf beispielsweise engen Gehsteigen aber genau das nicht zu. Ist der Hund noch dazu an der Leine, muss er knapp an einem vorbeigehen. Diese Konflikt- oder Bedrohungssituation zeigen die Hunde in ihrer Körpersprache: Sie wirken angespannt, ihre Bewegung ist nicht mehr locker und entspannt. Was ein Hund jedoch als bedrohlich oder als Konflikt empfindet, ist vom Individuum abhängig. Denn das Verhalten eines Hundes ist durch viele Einflüsse bedingt und der Hund kann, aufgrund seiner Umwelt- und Lernerfahrung, unterschiedliches Verhalten zeigen.
Wie merkt diese Mutter, dass dieses Verhalten tatsächlich gefährlich für das Kind und sie selbst werden kann? Was muss sie tun, um sich und das Kind zu schützen? Konkrete Tipps?
Sollte der Hund zum Kinderwagen kommen und der Besitzer in weiter Ferne sein, würde ich immer empfehlen, dass man sich vor den Kinderwagen stellt und so einen „Block“ zwischen Kind und Hund macht. Auch ein freundlich gesinnter Hund sollte nicht in Euphorie auf den Kinderwagen springen. Wenn sich der Erwachsene davorstellt, kann man dies mit Sicherheit verhindern. Sollte der Hund knurren, also Warnverhalten zeigen, teilt er mit, dass er sich bedroht fühlt. In diesem Fall sollte man die Distanz zum Hund vergrößern. Dies bedeutet zum Beispiel im Bogen weggehen. Das Warnverhalten des Hundes dient dazu, Distanz herzustellen und zu vergrößern. Wenn der Hund sich in seinem Ausdrucksverhalten verstanden fühlt, also er knurrt und man geht weg, hat der Hund gar keine Notwendigkeit mehr, Zähne zu zeigen oder hinzuschnappen, weil ja die Bedrohung durch die Distanzvergrößerung endet. Am besten ist es immer, sich ganz normal zu verhalten, nicht schreien, nicht wild mit den Armen wedeln, nicht weglaufen. Nicht frontal auf den Hund mit dem Kinderwagen zufahren.
Mehr Tipps fürs Hören, Sehen und Lesen in unserem Newsletter.
WZ Weekly
Einblicke in die WZ-Redaktion. Ohne Blabla.
Wenn dieser Hund etwa ein Pudel wäre, kann man beruhigt weitergehen? Soll man in Rassen denken und einschätzen?
Das Verhalten von Hunden wird von ihrer Umwelt geprägt, nicht von ihrer Rasse. Eine rassenspezifische Gefährlichkeit von Hunden ist weder wissenschaftlich oder fachlich erwiesen noch durch eine zuverlässige Beißstatistik belegt. Vielmehr ist der Hund ein „Produkt seiner Umwelt“, und sein Verhalten wird durch Aufzucht, Sozialisation, Umweltbedingungen und dadurch, wie der Hund ausgebildet wurde, geprägt.
Bringen Verallgemeinerungen wie verschärfte Maßnahmen für Hunde ab 20 Kilogramm mehr Sicherheit? Oder wird somit den korrekten Hundebesitzer:innen das Leben erschwert, denn die „nichtkorrekten“ melden den Hund nicht an und fallen somit aus den Maßnahmen?
Solche Maßnahmen der Verschärfung der Hundehaltung sind in einer Anlassgesetzgebung meist überzogene Maßnahmen, die weder sinnvoll noch fachlich nachvollziehbar und auch nicht zielführend sind. Es werden alle verantwortungsvollen Hundehalter:innen und deren gut erzogene Hunde bestraft, wobei die eigentliche Ursache des soziologischen Problems beim einzelnen „fahrlässigen Hundehalter“ liegt. Durch strenge Kontrolle der bereits bestehenden Gesetze – wie Tierschutzgesetz, Tierhaltegesetze u. a. – und die konsequente Ahndung bei Verstößen kann dies bereits jetzt bestraft werden. Ein standardisierter bundesweiter Sachkundenachweis wäre zum Beispiel anzustreben, in dessen Rahmen Wissen über Haltung, Pflege und das Wesen des Hundes von Fachkräften vermittelt wird.
Jeder Laie kann sich in Österreich Hundetrainer nennen.Yvonne Adler
Welche Gefahrenprävention wäre möglich?
Die gibt es nur, wenn Hundehalter:innen ausgebildet und die Hunde gut erzogen (trainiert) sind. Daraus resultiert eine nachhaltige Sicherheit auch im nicht-öffentlichen Gebiet – wo übrigens die meisten Beißvorfälle passieren. Denn Hundehalter:innen handeln dann verantwortungsvoll und tierschutzkonform, können ihre Hunde lesen und richtig einschätzen. So wird langfristig die Basis für ein gutes und sicheres Zusammenleben gelegt. Daher braucht es Professionist:innen, die diese Schulungen für Hundehalter:innen abhalten dürfen, um eine nachhaltige Gefahrenprävention sicherzustellen.
Sie betonen „Professionist:innen“. Gibt es denn unprofessionelle Trainer:innen?
Ein Hundetrainer in Österreich benötigt keinen Befähigungsnachweis, also jeder Laie kann sich in Österreich Hundetrainer nennen. Daher ist immer zu empfehlen, sich Hilfe bei einem Hundetrainer mit dem Gütesiegel „Tierschutzqualifizierter Hundetrainer“ zu suchen, da diese Personen über eine fundierte Ausbildung verfügen und sich kommissionell prüfen und zertifizieren haben lassen. Die Hunde werden in einem tierschutzkonformen Umgang mit fachlich fundiertem, belohnungsbasiertem Training, bei dem größtmögliche Sicherheit vermittelt wird, erzogen.
Dir hat dieser Beitrag besonders gut gefallen oder du hast Hinweise für uns - sag uns deine Meinung unter feedback@wienerzeitung.at. Willst du uns helfen, unser gesamtes Produkt besser zu machen? Dann melde dich hier an.
Infos und Quellen
Genese
WZ-Redakteurin Verena Franke ist Besitzerin eines Assistenzhundes und eines Hundes, der noch in der Ausbildung zum Assistenzhund ist. Beide bildet und bildete sie selbst aus. Aus diesem Grund liegt es ihr nahe, der Berichterstattung in anderen Medien über Hundebisse mit vermeintlichen Experten:innen ein fundiertes Interview entgegenzustellen.
Gesprächspartnerin
Yvonne Adler ist tierschutzqualifizierte Hundetrainerin und von der Republik Österreich als „allgemein beeidete und gerichtlich zertifizierte Sachverständige für Hunde“ ernannt worden. Ferner ist sie von der Stadt Wien für die Ausbildung und Abnahme des Wiener Hundeführscheins sowie für den Hunde-Sachkunde-Nachweis von der Tierschutzombudsstelle in Wien und von der Niederösterreichischen Landesregierung für den einfachen und erweiterten Hundehalte-Sachkunde-Nachweis bestellt. Als Trainerin in verschiedenen Sparten des Österreichischen Kynologenverbands schult sie Hundetrainer:innen in unterschiedlichen Hundevereinen. Adler studierte Tierpsychologie (mit Spezialisierung auf Hunde) und ist seit 2012 zudem eine der ersten akademisch geprüften Kynolog:innen in Europa.
Daten und Fakten
Es gibt in Österreich keine bundesweite Statistik zu Hundebissen und auch keine zu jenen Rassen, die am häufigsten beißen. Lediglich in Oberösterreich gibt es eine diesbezügliche Datenanalyse.
Quellen
Wiener Tierärztliche Monatsschrift: Maulkörbe als Mittel zur Bissprävention – Geschichte, Maulkorbpflicht, Tierschutz- und Sicherheitsaspekte
Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz e. V.: Kind und Hund. Wie sind Verletzungen von Kindern durch Hunde zu verhindern?
Aok.de: Welche Gefahr geht von einem Hunde- oder Katzenbiss aus?